TE Vfgh Beschluss 1991/10/1 B969/90

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Veröffentlicht am 01.10.1991
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Beschlagnahme

Leitsatz

Keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine zwangsweise Abnahme einer Videokassette bei einer Demonstration gegen den Bau der Ostautobahn

Spruch

Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Im Zuge der Errichtung der Ostautobahn (A 4) "besetzten" am 15. Juni 1990 Demonstranten im Grenzbereich zwischen Niederösterreich und Burgenland in der KG Pachfürth, Gemeinde Rohrau, eine in Bau befindliche Brücke. Daraufhin erließ am 19. Juni 1990 die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich auf Grundlage des ArtII §4 Abs2 des Bundesverfassungsgesetzes vom 7. Dezember 1929, BGBl. 393, betreffend Übergangsbestimmungen zur Zweiten Bundes-Verfassungsnovelle in Zusammenhalt mit §15 des Behörden-Überleitungsgesetzes 1945, StGBl. 94, zum Schutze der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Menschen folgende Verordnung:

"§1. (1) Das Betreten des Teiles des Baugeländes der Ostautobahn (A 4) der innerhalb der festgelegten Trasse (Verordnung des Bundesministers für Wirtschaftliche Angelegenheiten vom 20.Juni 1989, BGBl. Nr. 326/89) im Gebiet der Gemeinde Rohrau gelegen ist, sowie der Zufahrtswege ist verboten.

(2) Dieses Verbot gilt nicht für Bedienstete der mit der Bauführung betrauter Unternehmen und Subunternehmen.

§2. Das Einbringen von Sachen auf das Baugelände ist ohne Zustimmung der Bauleitung verboten; dennoch eingebrachte Sachen können von den Organen der öffentlichen Sicherheit entfernt werden.

§3. Wer

1.

dem Verbot des §1 Abs1 zuwiderhandelt, oder

2.

sich auf dem Baugelände aufhält, ohne Bediensteter der mit

der Bauführung betrauter Unternehmen und Subunternehmen zu sein,

begeht eine Verwaltungsübertretung und wird gemäß ArtVII EGVG 1950, BGBl. Nr. 172/1950, von der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha mit einer Geldstrafe bis zu S 3.000,-- bestraft.

§4. Diese Verordnung ist mündlich zu verkünden und tritt sofort in Kraft."

Diese Verordnung wurde am genannten Tage um 5.15 Uhr durch Verkündung in Kraft gesetzt.

In der Gegenschrift der belangten Behörde werden die weiteren Vorgänge wie folgt dargestellt:

"Über Anordnung von Bezirkshauptmann Dr. R der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See für den Bereich des Bezirkes Neusiedl/See und Bezirkshauptmann Dr. S von der Bezirkshauptmannschaft Bruck/Leitha für den Bereich des Bezirkes Bruck/Leitha wurde um 05.30 Uhr mit der tatsächlichen Räumung der Baustelle durch Exekutivbeamte des Landesgendarmeriekommandos für NÖ, des Landesgendarmeriekommandos für Burgenland sowie der Gendarmeriezentralschule Mödling begonnen. An der Räumung haben rund 400 Exekutivbeamte teilgenommen. Die Räumung wurde um

10.20 Uhr nach Bergung des letzten Demonstranten von einem Kran beendet. Insgesamt wurden 87 Personen von der Exekutive aus der Baustelle getragen. Die übrigen Aktivisten hatten sich freiwillig von der Baustelle entfernt. In der Folge wurden alle diese 87 Personen unmittelbar bei der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha als Beschuldigte in einem Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung der zitierten Verordnung der Sicherheitsdirektion für NÖ vom 19.6.1990 einvernommen."

Die Beschwerde führt in der Sachverhaltsdarstellung folgendes aus:

"Unter den BesetzerInnen befand sich auch der BF Mag. E. Er führte eine Videokamera mit einem Fuji 90 Video 8 Video-Band mit sich. Der BF befand sich mit rund 50 anderen BesetzerInnen auf einer halbfertigen Brückenkonstruktion, als die Räumung begann.

Bereits vor Räumungsbeginn hatte er seine Kamera mit dem Videoband Frau M L übergeben mit dem Ersuchen, den Räumungseinsatz zu filmen. Dies hat Frau L auch getan; sie hat von Beginn der Räumung an - diese begann cirka um 8 Uhr 30 - alle wesentlichen Vorgänge während der Räumung gefilmt. So wurde unter anderem die Festnahme und der Abtransport verschiedener Personen festgehalten. Zuletzt hat Frau L eine Szene gefilmt, bei der Gendarmeriebeamte einen Film aus einer Kamera herausgeholt und diesen belichtet haben. Dabei wurde sie von einem Gendarmeriebeamten beobachtet, der ihr zurief, daß man ihren Film auch noch bekommen werde.

Die Räumung selbst ist langsam vorangegangen, da es sich bei dem Brückenbauwerk um eine Stahlträgerkonstruktion handelt, bei der noch keine durchgehende Oberfläche vorhanden war. Frau L befand sich auf dem äußersten Stahlträger, sodaß sie erst gegen Ende der Räumung dem Zugriff der Gendarmeriebeamten ausgesetzt war.

Da mit dieser Filmkassette die gesamte Räumung dokumentiert war, wurde unter anderem vom BF Mag. E sowie von L beschlossen, diese Videokassette einem bekannten Journalisten zu übergeben, damit sie einerseits dem Zugriff und der Vernichtung des Informationsmaterials durch die Gendarmeriebeamten entzogen wird, andererseits, um Journalisten über den Räumungsvorgang zu informieren, der für diese nicht deutlich sichtbar war, da sie den unmittelbaren Räumungsbereich nicht betreten durften.

Es wurde deshalb der Journalist E gerufen, der sich unter dem Brückenpfeiler aufstellte, und wurde ihm die Kassette hinuntergeworfen. Dieser Vorgang wurde allerdings von Gendarmeriebeamten beobachtet. Vorerst begaben sich zwei uniformierte Gendarmeriebeamte, dann weitere Gendarmeriebeamte, teilweise in Zivil, zu E und nahmen ihm die Videokassette ab. Über den Verbleib der Videokassette ist nichts bekannt."

2. Gegen diese behauptete Beschlagnahme einer Videokassette wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher sich der Zweitbeschwerdeführer in den durch Art2 StGG, Art5 StGG in Verbindung mit Art1 des ersten Zusatzprotokolls zur MRK und durch Art10 MRK, der Erstbeschwerdeführer in dem zuletzt bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht(en) verletzt erachten und die kostenpflichtige Feststellung dieser Verfassungsverletzungen begehren.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die Zurückweisung mangels Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes, in eventu die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von M L, Mag. O P, W W, S M, S H, T D und M P als Zeugen sowie der Beschwerdeführer als Parteien im Rechtshilfewege. Auf Grund dieser Einvernahmen, des Parteienvorbringens und der vorgelegten Verwaltungsakten nimmt er folgenden Sachverhalt als gegeben an:

Bei Demonstrationen gegen die Errichtung der Ostautobahn (A 4) kam es am 19. Juni 1990 zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Gendarmeriebeamten. Diese Vorgänge wurden über Bitte des Zweitbeschwerdeführers mit dessen Videokamera von der Zeugin M L gefilmt. Frau L befand sich auf dem äußersten Stahlträger einer noch nicht vollendeten Brücke, sodaß sich ihr die Gendarmeriebeamten erst gegen Ende der Räumungsaktion nähern konnten. Bevor dies der Fall war, entnahm Frau L der Videokamera die Filmkassette und warf sie dem unter ihr befindlichen Erstbeschwerdeführer zu, welcher sie in seine hintere Hosentasche steckte. Dieser wurde sodann in Auseinandersetzungen mit mehreren Gendarmeriebeamten verwickelt, in deren Verlauf die Filmkassette in Verstoß geriet.

2. Die hier wesentliche Feststellung, es sei nicht nachgewiesen, daß die Filmkassette dem Erstbeschwerdeführer von den eingeschrittenen Organen zwangsweise abgenommen wurde, stützt sich auf folgende Beweiswürdigung:

Alle über Antrag der Beschwerdeführer einvernommenen Zeugen behaupten zwar - soferne sie überhaupt sachdienliche Aussagen machen konnten - übereinstimmend, sie hätten, obwohl sie jeweils von ganz verschiedenen Standorten aus das Geschehen um den Erstbeschwerdeführer beobachtet hatten, gesehen, daß sich die Videokassette kurz vor bzw. während der Auseinandersetzungen mit den Gendarmeriebeamten in der Hand bzw. in der Gesäßtasche des Erstbeschwerdeführers befunden habe. Kein Zeuge sah aber, daß diese dem Erstbeschwerdeführer von einem Gendarmeriebeamten (zwangsweise) abgenommen worden wäre.

So äußert die Zeugin M L wörtlich: "Ich habe nicht gesehen, daß Herrn E die Cassette weggenommen wurde, ich habe dies erst im nachhinein erfahren, wer es mir gesagt hat, kann ich nicht genau sagen, ..." (S. 2 des Protokolls über die Beweisaufnahme durch den ersuchten Richter des BG Innere Stadt Wien vom 10. Jänner 1991, 3 Hc 109/90). Der Zeuge Mag. O P sagte zunächst aus, der Erstbeschwerdeführer habe versucht, den "Gegenstand" aufzufangen, es sei ein Mann auf ihn zugestürzt und habe ihm diesen Gegenstand weggenommen; er habe damals noch nicht gewußt, worum es sich gehandelt habe. Der Erstbeschwerdeführer habe ihm nachher gesagt, daß es eine Videokassette gewesen sei. Der Zeuge W W wiederum gibt an, er habe den ganzen Vorfall fotografiert, von einer Videokassette habe er jedoch nichts beobachtet.

Die Zeugen S M und T D haben zwar beobachtet, wie der Erstbeschwerdeführer die von ihm aufgefangene Videokassette in die rechte hintere Hosentasche gesteckt habe, nicht gesehen haben sie aber ebenso wie der Zeuge S H, daß ihm die Kassette abgenommen worden wäre. Der Zeuge M P sagte aus, er habe gesehen, daß ein Mann - möglicherweise der Erstbeschwerdeführer - von einigen Männern umringt worden sei; den weiteren Verlauf der Geschehnisse habe er nicht mehr beobachtet, weil er sich schon selbst "etwas bedrängt gefühlt habe."

Der Zweitbeschwerdeführer konnte zur Sache keinerlei Aussagen machen, weil er schon vorher festgenommen worden sei.

Nur der Erstbeschwerdeführer sagte anläßlich seiner im Rechtshilfeweg (BG Marchegg) vorgenommenen Einvernahme als Partei wörtlich:

"Frau L hat die Kassette runtergeworfen, ich habe sie aufgefangen und habe sie umgehend in meine rechte hintere Gesäßtasche gesteckt. Ich blieb da stehen, hatte die Hand in meiner rechten hinteren Gesäßtasche und hielt die Kassette fest. Es kamen dann mehrere Beamte ... und haben mich aufgefordert, die Kassette herauszugeben. Ich verweigerte dies und sagte, nur wenn das protokolliert würde. Daraufhin wurde mir mit der Festnahme gedroht und da habe ich mich dann geschlagen gegeben und es hat mir dann 1 Beamter die Hand gewaltsam am Rücken festgehalten und ein anderer hat die Kassette aus meiner Tasche genommen. Die Hand hat mir dann 2 Tage weh getan, ..."

Unter der Voraussetzung, daß dem Erstbeschwerdeführer gewaltsam und im übrigen - wie er selbst behauptet - schmerzhaft eine Hand am Rücken festgehalten wurde, kann seine weitere Behauptung für sich genommen, ein "anderer Gendarm" habe ihm die Videokassette aus seiner Tasche genommen, nur als - gewiß nicht völlig fernliegende - Vermutung gewertet werden; denn unter den geschilderten Umständen ist es auszuschließen, daß er dies selbst hätte beobachten können.

Da aber andererseits einem Teil der - an sich sehr aufmerksamen - Zeugen nicht entgangen war, daß der Erstbeschwerdeführer die ihm zugeworfene Videokassette in seine rechte Gesäßtasche gesteckt hatte, keiner aber gesehen hat, daß sie dem Erstbeschwerdeführer durch ein Sicherheitsorgan zwangsweise abgenommen wurde, konnte der Verfassungsgerichtshof unter Würdigung aller dieser Umstände - anders als im Falle VfSlg. 11.297/1987 (in welchem eine Zeugin das Geschehen beobachtet hatte) - nicht mit der erforderlichen Sicherheit zum Ergebnis gelangen, dem Erstbeschwerdeführer sei die Videokassette von Gendarmeriebeamten zwangsweise abgenommen worden.

3.1. Das beim Verfassungsgerichtshof im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 (Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. 685, das ist der 1. Jänner 1991 (ArtX Abs1 Z1 des genannten BVG), bereits anhängig gewesene Verfahren ist kraft der Übergangsbestimmung des ArtIX Abs2 leg.cit. nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen (s. dazu: ArtII des Bundesgesetzes vom 6. Juni 1990, BGBl. 329).

3.2. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF vor der B-VG-Novelle 1988 erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Beschlagnahme von Gegenständen zutrifft (VfSlg. 3592/1959, 9308/1981, 11.650/1988, 11.820/1988).

Demgemäß ist festzuhalten, daß die Beschwerde Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art144 Abs1 B-VG idF vor der B-VG-Novelle 1988 bekämpft.

3.3. Wie sich aus der Sachverhaltsdarstellung unter II.1. ergibt, erbrachte das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß gegen den Erstbeschwerdeführer unmittelbar verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt durch zwangsweise Abnahme einer Videokassette ausgeübt wurde.

Es fehlt deshalb an einem tauglichen Anfechtungsobjekt im Sinne des Art144 Abs1 B-VG, weshalb die Beschwerde wegen offenbarer Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen war.

III. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Beschlagnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B969.1990

Dokumentnummer

JFT_10088999_90B00969_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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