TE Vwgh Beschluss 1994/2/17 92/06/0164

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Veröffentlicht am 17.02.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art119a Abs5;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Müller und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des K in J, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 10. Juni 1992, Zl. Ve 1-550-1677/5, betreffend Erteilung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. G in J, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in S; 2. Gemeinde J, vertreten durch den Bürgermeister), den Beschluß gefaßt:

Spruch

Die Beschwerde wird als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

Mit Gesuch vom 29. Juli 1991 beantragte der Beschwerdeführer die baubehördliche Genehmigung zur Erweiterung eines bestehenden Stall- und Tennengebäudes sowie der im Zuge der Bauausführung vorgenommenen baulichen Änderungen auf näher bezeichneten Grundstücken im Bereich der mitbeteiligten Gemeinde. In der hierüber am 2. Dezember 1991 abgehaltenen Bauverhandlung erhob die erstmitbeteiligte Partei (kurz: Nachbar) als Eigentümerin eines angrenzenden Grundstückes eine Reihe von Einwendungen gegen das Bauvorhaben; insbesondere brachte sie vor, der Beschwerdeführer wolle in Wahrheit Zweitwohnsitze (für Ausländer) schaffen. Der Beschwerdeführer bestritt dieses Vorbringen, und brachte auch vor, daß dem Nachbarn aufgrund der Entfernung des verfahrensgegenständlichen Gebäudes zur Grundgrenze (37,5 m) sowie der weiteren örtlichen Gegebenheiten (wird näher ausgeführt) keine Parteistellung zukomme.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 1991 hat der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde die beantragte Baubewilligung unter gleichzeitiger Vorschreibung einer Reihe von Auflagen erteilt; die Einwände des Nachbarn würden als unbegründet abgewiesen.

Dagegen erhob der Nachbar Berufung, die mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 17. Februar 1992 als unbegründet abgewiesen wurde.

Gegen diesen Berufungsbescheid erhob der Nachbar

Vorstellung.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Vorstellung Folge gegeben, den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde verwiesen. Begründend wurde ausgeführt, daß der Vorstellungswerber im wesentlichen einen Anspruch auf eine dem Flächenwidmungsplan entsprechende Bebauung geltend mache und ein Rechtsanspruch hierauf aufgrund der Bestimmung des § 30 Abs. 4 der Tiroler Bauordnung (TBO) ausdrücklich eingeräumt sei; das jedoch nur dann, wenn er auch in rechtlicher Hinsicht als Nachbar qualifiziert werden könne. Demnach müsse, bevor über seine Einwendungen meritorisch abgesprochen werden könne, geprüft werden, ob ihm überhaupt eine Parteistellung im Verfahren zukomme. Er habe seine Parteistellung damit begründet, daß sich durch das Bauvorhaben eine Lärm-, Schmutz- und Abwässerbelästigung ergäbe und er durch die räumlich nahe Situierung des Bauvorhabens stark beeinträchtigt werde. Der Beschwerdeführer habe sich hingegen dagegen ausgesprochen, weil es seiner Ansicht nach wegen zu großer räumlicher Entfernung zu keinen Immissionen kommen könne (zu ergänzen: die eine Parteistellung verschaffen könnten). Nach § 30 Abs. 1 TBO komme es für die Parteistellung als Nachbar darauf an, daß das Grundstück zu dem zur Bebauung vorgesehenen Grundstück in einem solchen Naheverhältnis stehe, daß durch die bauliche Anlage oder durch deren Benützung mit Rückwirkungen auf das Grundstück oder die darauf errichteten baulichen Anlagen zu rechnen sei. Dabei hänge die Entfernung, welche noch eine Stellung als Nachbar einräume, unter anderem von den vom Projekt zu erwartenden Immissionen ab. Aus der Verhandlungsniederschrift vom 2. Dezember 1991 lasse sich entnehmen, daß der Abstand zwischen dem geplanten Zubau und der Grenze zum Grundstück des Vorstellungswerbers 37,00 m betrage. Der Verwaltungsgerichtshof habe zuletzt in seinem Erkenntnis vom 12. März 1992, Zlen. 91/06/0075, 91/06/0096, ausgeführt, daß es bei einer nicht unbeträchtlichen Entfernung des Nachbargrundstückes einer nachvollziehbaren Darlegung jener Umstände bedürfe, welche die Möglichkeit einer Rechtsverletzung und damit die Parteistellung des Nachbarn begründeten, wobei jedenfalls dann, wenn die Erfahrung des täglichen Lebens zur Beurteilung dieser Frage nicht ausreiche und von den Parteien des Verfahrens unterschiedliche Standpunkte eingenommen würden, die Einholung eines Sachverständigengutachtens unerläßlich sei. Die Gemeindebehörden hätten zur Parteistellung des Vorstellungswerbers zwar nie dezidiert Stellung genommen, sie hätten sie jedoch dadurch bejaht, daß sie über die erhobenen Einwendungen inhaltlich abgesprochen hätten. Der Gemeindevorstand werde daher im fortgesetzten Verfahren zunächst die Parteistellung des Vorstellungswerbers zu prüfen haben. Die belangte Behörde sei nicht verpflichtet, die diesbezügliche erforderliche Verfahrensergänzung selbst durchzuführen (was näher ausgeführt wird). Sollte der Gemeindevorstand im fortgesetzten Verfahren zur Ansicht gelangen, daß dem Nachbarn tatsächlich Parteistellung zukomme, so habe er über das Berufungsvorbringen neuerlich zu entscheiden. Dazu sei anzumerken, daß der Nachbar durch den erstinstanzlichen Bescheid in seinen Rechten verletzt worden sei (wird eingehend näher ausgeführt, wobei die belangte Behörde aufgrund der ihr vorliegenden Verfahrensergebnisse davon ausging, daß eine beabsichtigte Umgehung der Bestimmung des § 15 Abs. 3 des Tiroler Raumordnungsgesetzes vorliege, weil der Beschwerdeführer den Verwendungszweck des gegenständlichen Objektes geändert hätte und die Räumlichkeiten langfristig als Zweitwohnsitze vermietet habe).

Sollte der Gemeindevorstand hingegen zur Ansicht gelangen, daß dem Nachbarn im gegenständlichen Verfahren keine Parteistellung zukomme, so werde er die Berufung als unzulässig zurückzuweisen haben. (Es folgen Anmerkungen der belangten Behörde, wie in einem solchen Fall einem raumordnungswidrigen Bauvorhaben begegnet werden könne).

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt. Sowohl die belangte Behörde, als auch die erstmitbeteiligte Partei haben Gegenschriften erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Beschwerdeführer hat eine Gegenäußerung zur Gegenschrift der belangten Behörde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 4 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die Gründe des angefochtenen Bescheides beschwert. Hiezu vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 22. Oktober 1971, Slg. N.F. Nr. 8091/A) die Auffassung, daß sowohl die Gemeinde als auch die anderen Parteien des Verfahrens an die die Aufhebung tragenden Gründe eines aufsichtsbehördlichen Bescheides gebunden sind - gleichbleibende Sach- und Rechtslage vorausgesetzt. Diese Bindung erstreckt sich freilich, was der Beschwerdeführer verkennt, ausschließlich auf die die Aufhebung tragenden Gründe des aufsichtsbehördlichen Bescheides, nicht aber auf die weiteren (somit die Aufhebung nicht tragenden) Ausführungen der Gemeindeaufsichtsbehörde (etwa Hinweise für die weitere Verfahrensführung u.a.m.).

Im vorliegenden Fall war tragender Grund für die Aufhebung, daß die belangte Behörde eine Verbreiterung des Sachverhaltsgrundlage zwecks gehöriger Beurteilung der Parteieneigenschaft des Nachbarn als geboten erachtete. Die Rechtsausführungen in diesem Zusammenhang (worauf es für diese Beurteilung ankomme) sind zutreffend und werden vom Beschwerdeführer auch nicht bekämpft (der ja die Meinung vertritt, daß die Sache auf dieser Grundlage insofern bereits spruchreif sei). Die weiteren Ausführungen der belangten Behörde (weshalb sie meine, daß der Nachbar - Parteistellung vorausgesetzt - in seinen Rechten verletzt sei, bzw. welche Möglichkeiten in Betracht kämen, wenn seine Berufung zurückzuweisen sei) waren für die Aufhebung nicht tragend. Wenngleich der Beschwerdeführer zutreffend darauf verweist, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Gegenstand eines Baubewilligungsverfahrens auch im Falle der Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung stets das vom Antragsteller im Einreichplan und in der Baubeschreibung dargestellte Vorhaben ist und daher nicht etwa jener Sachverhalt der Entscheidung zugrundezulegen ist, der an Ort und Stelle besteht (oder auch dessen angestrebte Verwirklichung vermutet wird; was insbesondere den Ausführungen des Nachbarn in seiner Gegenschrift entgegenzuhalten ist), vermag dies aber nichts daran zu ändern, daß jenen weiteren Ausführungen der belangten Behörde für das fortgesetzte Verfahren schon aufgrund der dargelegten Überlegungen keine bindende Wirkung zukommt, sodaß eine weitere Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen, wie auch mit jenen des Beschwerdeführers oder des Nachbarn in diesem Beschwerdeverfahren entbehrlich ist.

Der Beschwerdeführer erachtet sich aber auch dadurch beschwert, daß die belangte Behörde den Berufungsbescheid zwecks Verfahrensergänzung aufgehoben habe, obwohl es eine Verfahrensergänzung zwecks Klärung der tatsächlichen Voraussetzungen zur Beurteilung der Frage, ob dem Nachbarn Parteistellung zukomme, deshalb nicht bedürfe, weil die bereits vorliegenden Verfahrensergebnisse ausreichten, um diese Frage abschließend beurteilen zu können (eben dahin, daß dem Nachbarn hier Parteistellung nicht zukomme). Unter diesem Gesichtspunkt kann dem Beschwerdeführer (der ja durch den diesbezüglich abweislichen Bescheid des Bürgermeisters und den abweislichen Berufungsbescheid nicht beschwert war) eine Beschwer durch den angefochtenen Bescheid an sich nicht aberkannt werden.

Allerdings ergibt sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten, daß der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde zwischenzeitig neuerlich über die Berufung des Nachbarn entschieden hat (worauf die belangte Behörde auch in ihrer Gegenschrift verwiesen hat): Mit Bescheid vom 25. September 1992 wurde der Berufung Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid aufgehoben (dies gestützt auf die Ausführungen der belangten Behörde in der Vorstellungsentscheidung). Wie der Verwaltungsgerichtshof erhoben hat, blieb dieser (zweite) Berufungsbescheid unbekämpft. Diese (nachträgliche) Beseitigung des erstinstanzlichen Bescheides hat rechtlich zur Folge, daß einer Fortsetzung des Vorstellungsverfahrens, wie sie vom Beschwerdeführer angestrebt wird, die Grundlage entzogen wurde.

Wie die Begründung des zweiten Berufungsbescheides zeigt, wurden die tragenden Gründe der Aufhebung durch die Vorstellungsbehörde auf die erstinstanzliche Behörde überbunden. Da dieser Bescheid des Gemeindevorstandes mangels Bekämpfung durch den Beschwerdeführer in Rechtskraft erwachsen ist, ist nicht nur der Bürgermeister, sondern sind auch - im weiteren Rechtsgang - der Gemeindevorstand, aber auch die Aufsichtsbehörde und auch der Verwaltungsgerichtshof daran gebunden.

Da es für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides auf den Zeitpunkt der ERLASSUNG desselben ankommt, kann der Verwaltungsgerichtshof seine Bindung in DIESEM VERFAHREN noch nicht berücksichtigen. Er kann aber auch der belangten Behörde keine andere Rechtsauffassung mehr überbinden, als sie der Beschwerdeführer durch Unterlassung der Bekämpfung des Berufungsbescheides vom 25. September 1992 gegen sich hat gelten lassen und daher auch weiterhin gegen sich gelten lassen muß.

Demnach war die Beschwerde als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 58 VwGG.

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Bindung an die Rechtsanschauung der Vorstellungsbehörde Ersatzbescheid Verhältnis zu anderen Materien und Normen Gemeinderecht Vorstellung Vorstellung gemäß B-VG Art119a Abs5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1992060164.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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