TE Vfgh Beschluss 1991/10/1 V480/90, V9/91, V10/91

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Veröffentlicht am 01.10.1991
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Index

60 Arbeitsrecht
60/03 Kollektives Arbeitsrecht

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Satzungen des Bundeseinigungsamtes beim BMfAuS v 03.10.90, Z77 / BEA/1990-10, v 29.06.90, Z31 / BEA/1990-11 und v 10.09.90 Z39 / BEA/1990-9
ArbVG §4 Abs1
ArbVG §18 Abs1
ArbVG §19 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung von Satzungen des Bundeseinigungsamtes mangels Legitimation; keine Beeinträchtigung der Kollektivvertragsfähigkeit bzw. des Rechts auf Interessenvertretung durch die Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung; Rechtssphäre einer Innung durch eine Änderung der Interessenlage nicht berührt

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. Die Landesinnung der Schuhmacher in Wien und die Landesinnung der Kraftfahrzeugmechaniker in Tirol stellen Anträge auf Aufhebung von Satzungen des Bundeseinigungsamtes. Mit diesen - als Verordnungen zu qualifizierenden - Satzungen werde Kollektivverträgen, die zwischen der zuständigen Sektion der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft bzw. Bundesinnung und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund für den fachlichen Geltungsbereich des Schuhmacher- bzw. Kraftfahrzeugmechanikergewerbes mit Ausnahme von Wien bzw. Tirol abgeschlossen worden sind, auf Antrag des Gewerkschaftsbundes gemäß §18 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) rechtsverbindliche Wirkung auch für diese Bundesländer zuerkannt. Die Antragslegitimation der Innungen folge aus der ihnen als Gliederung der Kammer der gewerblichen Wirtschaft eingeräumten Befugnis, in ihrem räumlichen und fachlichen Bereich Kollektivverträge zur Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse abzuschließen. Durch die bekämpften Satzungen würden sie im Recht auf Interessenvertretung und in ihrer Kollektivvertragsfähigkeit beschnitten.

Die Wiener Innung hält die Inkraftsetzung der von ihr bekämpften Satzung mit 1. Juli 1990 im Hinblick auf ihre Kundmachung am 21. Oktober 1990 für eine gesetzlich nicht gedeckte Rückwirkung und erachtet das Prinzip der Subsidiarität der Satzung verletzt, weil die Gewerkschaft den mit der Landesinnung abgeschlossenen (früheren) Kollektivvertrag aufgekündigt habe, nur um den Weg für eine Satzung freizumachen; §18 ArbVG sei außerdem nicht dem Art18 B-VG entsprechend determiniert.

Die Tiroler Innung wirft den von ihr bekämpften Satzungen vor, daß sie nur eine fehlende Außenseiterwirkung des Kollektivvertrages ersetzen dürften, die betroffenen Arbeitgeber aber (wegen ihrer Zugehörigkeit zur kollektivvertragsfähigen Kammer) keine Außenseiter, sondern nur vom Kollektivvertrag ausgenommen seien. In Wahrheit sei der Antrag auf Satzung ein reines Kampfmittel der Gewerkschaft, die jedes Verhandeln verweigert habe. Überdies hätte die im Kollektivvertrag ohne gesetzliche Deckung enthaltene Ist-Lohn-Klausel nicht gesatzt werden dürfen.

II. Die Anträge sind unzulässig. Die Rechtslage der antragstellenden Innungen wird durch die angegriffenen Satzungen nicht berührt:

Die Landesinnungen sind als gesetzliche Interessenvertretungen der Arbeitgeber, denen unter anderem die Aufgabe obliegt, auf die Regelung von Arbeitsbedingungen hinzuwirken, nach §4 Abs1 ArbVG kollektivvertragsfähig. Gemäß §18 Abs1 ArbVG hat das Bundeseinigungsamt auf Antrag einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft, die Partei eines Kollektivvertrages ist, unter bestimmten Voraussetzungen diesen Kollektivvertrag durch Erklärung zur Satzung auch außerhalb seines räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereiches rechtsverbindliche Wirkung zuzuerkennen; die in der Erklärung als rechtsverbindlich bezeichneten Bestimmungen des Kollektivvertrages bilden die Satzung. Nach §19 Abs2 ArbVG setzen jedoch Kollektivverträge - mit der hier nicht vorliegenden Ausnahme beschränkter "Spitzenkollektivverträge" im Sinne des §18 Abs4 ArbVG - für ihren Geltungsbereich eine bestehende Satzung außer Kraft.

Die Fähigkeit zum Abschluß von Kollektivverträgen, die ihrerseits - der Subsidiarität dieses Institutes entsprechend - eine Satzung wieder außer Kraft setzen, wird den antragstellenden gesetzlichen Interessenvertretungen also entgegen ihrer Behauptung durch Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung nicht genommen. Nicht ihre Rechtsstellung, sondern nur jene der ihr angehörenden Arbeitgeber wird dadurch verändert. Daß sich auf diese Weise auch die Interessenlage im Arbeitsverhältnis verschiebt und die als Partner für die Ausübung der Kollektivvertragsfähigkeit in Betracht kommenden kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitnehmer im Hinblick auf die Satzung kaum mehr Anlaß haben, mit den beschwerdeführenden Innungen noch Kollektivverträge abzuschließen, die den Interessen der Arbeitgeber mehr Rechnung tragen als der gesatzte Kollektivvertrag, kann nicht als Auswirkung auf die Rechtssphäre der Antragsteller gewertet werden. Änderungen der Interessenlage berühren die Rechtssphäre der Interessenvertretung nicht. Das Recht zur Interessenvertretung im allgemeinen und die Kollektivvertragsfähigkeit im besonderen werden dadurch ebensowenig beeinträchtigt wie durch die Weigerung eines Arbeitgeberverbandes, mit einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft der Arbeitnehmer Kollektivverträge abzuschließen, oder eine die Interessenlage der Verbandsangehörigen sonst ändernde Norm.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung seit VfSlg. 8058/1977 dargelegt hat, ist grundlegende Voraussetzung für die persönliche Antragsberechtigung nach Art139 Abs1 B-VG, daß die Verordnung in die Rechtssphäre dieses Antragstellers (unmittelbar) eingreift. Das ist hier nicht der Fall. Die Anträge sind daher mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen, ohne daß auf die in der Sache erhobenen Vorwürfe der Gesetzwidrigkeit eingegangen werden kann (§19 Abs3 Z2 lite VerfGG).

Schlagworte

Arbeitsverfassung, Kollektivvertrag, Satzung, Kollektivvertragsrecht, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:V480.1990

Dokumentnummer

JFT_10088999_90V00480_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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