TE Vfgh Erkenntnis 1991/10/1 B1910/88

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Veröffentlicht am 01.10.1991
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
ZivildienstG §2 Abs1
ZivildienstG §47 Abs3
ZivildienstG §48 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter infolge gesetzwidriger Zusammensetzung der ZDOK; keine Bedenken gegen die Bestimmung über das Präsenzquorum der ZDOK im Hinblick auf das Determinierungsgebot; keine Verletzung im Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung infolge Beschlußfassung der ZDOK in Anwesenheit von lediglich fünf Mitgliedern; keine Glaubhaftmachung von Gewissensgründen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer begehrte unter Berufung auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes 1986, BGBl. 679, die Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung. Diesen Antrag wies die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 6. Juli 1988 ab. Der Bescheid, welcher auf einem aus fünf Senatsmitgliedern (nämlich dem Vorsitzenden, dem Berichterstatter und drei weiteren Mitgliedern) gefaßten Beschluß beruht, wurde im wesentlichen wie folgt begründet:

"Mit seiner wiederholt zum Ausdruck gebrachten besonderen Wertschätzung des menschlichen Lebens hat der Antragsteller im Zusammenhalt damit, daß er - auch dies mehrfach - seine grundsätzliche Ablehnung gegen jegliche Gewalt betonte, Gründe, die den Voraussetzungen des §2 Abs1 ZDG entsprechen, mit hinreichender Deutlichkeit behauptet.

Es ist ihm aber auch in der Berufungsverhandlung nicht gelungen, seiner gesetzlichen Glaubhaftmachungsverpflichtung (§6 Abs2 ZDG) Genüge zu tun.

Ausschlaggebend dafür war, daß er während des mit ihm geführten eingehenden Gespräches bei den seine Gewissenssphäre betreffenden Angaben - seiner Grundüberzeugung nach sei das menschliche Leben absolut unantastbar, weshalb er gegen Menschen keine Waffe gebrauchen könne; auch wenn fremde Soldaten in Österreich Gewaltexzesse verübten, wäre er persönlich nicht imstande, auf die Soldaten zu schießen; zu seiner besonderen Wertschätzung des menschlichen Lebens hätten die Erzählungen seiner Großeltern beigetragen; sein Großvater habe am Krieg in Rußland teilgenommen, seine Großmutter dagegen habe sehr unter der russischen Besatzungsmacht zu leiden gehabt; tief getroffen habe ihn auch der Umstand, daß ein sehr guter Freund von ihm vor einigen Jahren tödlich verunglückte; beeindruckt hätten ihn auch die Schilderungen eines aus dem Irak stammenden Freundes über den in seiner Heimat herrschenden Krieg und über das Schicksal einiger Verwandter; beeindruckt hätten ihn auch die Erzählungen des Vaters seiner Freundin über die Vorfälle im Zusammenhang mit dem KZ Mauthausen - insgesamt nicht wie ein junger Mann seines Ausbildungsstandes wirkte, der auf der Basis einer gefestigten inneren Einstellung die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen tatsächlich grundsätzlich und vorbehaltslos ablehnt und der sonach im Falle der Wehrdienstleistung wirklich in einen schweren Gewissenskonflikt geraten würde.

Infolge der komplexen, zahlreiche auch intuitiv verlaufende Wertungsvorgänge in sich schließenden Natur der freien Beweiswürdigung (vgl. etwa VfGH B376/82, B128/83 und B304/83) kann nur sehr grob umrissen werden, was den Senat zu dieser Ansicht führte, zumal sich die Ausdrucksbewegungen während eines Gesprächs einer Verbalisierung weitestgehend entziehen.

Es muß daher mit dem zusammenfassenden Bemerken sein Bewenden haben, daß der Antragsteller bei den fraglichen Passagen - wie bereits erwähnt - nicht den Anschein erweckte, eine persönliche Grundüberzeugung - die ja nicht mit einer bloßen Meinung verwechselt werden darf - zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr wirkte er nachdrucklos, unbestimmt, am Gesagten bemerkenswert unbeteiligt und insgesamt so, als gebe er vorbereitete Wendungen von sich, mit denen er sich im Innersten nicht wahrhaft identifiziert.

Geringes Interesse an der Gesamtmaterie - nach Ansicht des Senates ein gewichtiges Indiz gegen eine ernsthafte Grundüberzeugung - kam auch darin zum Ausdruck, daß die Angaben des Antragstellers über die von ihm angeblich bevorzugte gewaltfreie Verteidigung ungewöhnlich dürftig blieben und sich darauf beschränkten, die 'Irreführung des Aggressors' und die Nichtzusammenarbeit mit ihnen vorzuschlagen.

Bei der Würdigung seiner Person und seines Vorbringens wurde als erwiesen angenommen, daß er in seiner Nachbarschaft vor allem alten Menschen zu helfen pflegt, wenn es erforderlich ist. Nicht übersehen wurden auch die Angaben der Vertrauensperson - eines Nachbarn und Freundes - die dahin zusammengefaßt werden können, daß der Antragsteller bei Gesprächen über das gegenständliche Thema die gleichen Ansichten vertrat wie in der Berufungsverhandlung. Zur Vertrauensperson ist allerdings zu bemerken, daß der Senat den Eindruck gewann, daß diese dem Anliegen des Befreiungswerbers ersichtlich zum Durchbruch verhelfen wollte, nicht frei von Parteilichkeit erschien und damit an Verläßlichkeit verlor.

Mangels der materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Wehrpflichtbefreiung mußte sonach der unbegründeten Berufung ein Erfolg versagt bleiben."

2. Gegen den Bescheid der ZDOK richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die Bescheidaufhebung begehrt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter macht der Beschwerdeführer zunächst mit der Behauptung geltend, daß die belangte ZDOK bei der Erlassung (damit ist offenkundig gemeint: bei der Beschlußfassung bezüglich) des angefochtenen Bescheides gesetzwidrig zusammengesetzt gewesen sei; das zweite Mitglied gemäß §47 Abs3 Z3 ZDG sei - wie der Beschwerdeführer wörtlich ausführt - "unentschuldigt ferngeblieben bzw. wurde gar nicht geladen".

Auf diesen Beschwerdevorwurf braucht der Gerichtshof jedoch nicht weiter einzugehen, weil die als dessen Prämisse aufgestellte - alternative - Tatsachenbehauptung nicht zutrifft. Wie nämlich den vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen ist, entschuldigte das betreffende Kommissionsmitglied (G S) sein Fernbleiben von der Sitzung, nachdem es die schriftliche Ladung erhalten hatte.

b) Eine weitere Verfassungswidrigkeit unter dem Aspekt des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, aber auch einen Verstoß gegen Art18 Abs1 B-VG leitet der Beschwerdeführer aus der im ersten Satz des §48 Abs1 ZDG getroffenen Regelung ab, wonach zu einem (Kommissions-)Beschluß die Anwesenheit des Vorsitzenden, des Berichterstatters und (bloß) dreier weiterer (statt sämtlicher vier weiterer) stimmberechtigter Senatsmitglieder erforderlich ist. Dem Gesetz sei kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, wann in aus fünf und wann in aus sechs Mitgliedern bestehenden Senaten zu entscheiden sei; es stehe somit in der Macht der erkennenden Behörde, in welcher Zusammensetzung sie entscheide, der gesetzliche Richter sei nicht exakt bestimmt.

Diesem Beschwerdevorwurf ist entgegenzuhalten, daß gesetzliche Regelungen über ein Präsenzquorum, die sich in verschiedenen Rechtsgebieten finden, schon vor der vom B-VG beherrschten Rechtsordnung bestanden, demnach vom Bundesverfassungsgesetzgeber vorgefunden wurden und von ihm als zulässig vorausgesetzt angesehen werden können. Sie begegnen daher weder unter dem Blickwinkel des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter noch unter dem des Art18 Abs1 B-VG grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken (zur Regelung im ZDG vgl. VfSlg. 10530/1985 und 10556/1985).

2.a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs wird das durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung nicht bloß dadurch verletzt, daß die Behörde, die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; eine solche Verletzung ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebenden Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen (Befreiungs-)Bedingungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 11884/1988 mit zahlreichen Judikaturhinweisen). Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach, zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

b) Eine Verletzung des in Rede stehenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes macht der Beschwerdeführer zunächst unter dem Blickwinkel geltend, daß der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Kommissionsbeschluß lediglich in Anwesenheit von fünf Senatsmitgliedern gefaßt worden sei; die Abwesenheit eines Senatsmitgliedes stelle insbesondere dann einen in die Verfassungssphäre reichenden Mangel dar, wenn für die Entscheidung der persönliche Eindruck des Beschwerdeführers maßgebend sei.

Dieser Angriff auf den Bescheid der ZDOK beruht allerdings auf einem offenkundigen Mißverständnis der vom Beschwerdeführer bezogenen Vorjudikatur. Der Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen (so zB VfSlg. 10657/1985) eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes darin erblickt, daß nicht alle an der Beratung und Beschlußfassung des Senates mitwirkenden Senatsmitglieder an der mündlichen Senatsverhandlung teilnahmen, obwohl der nur dort zu gewinnende persönliche Eindruck des Beschwerdeführers für das Ergebnis der Entscheidung maßgebend war. Ein vergleichbarer Fall liegt aber hier nicht vor.

c) Einen in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensmangel erblickt der Beschwerdeführer auch darin, daß die belangte Behörde bei der Würdigung der Angaben der Vertrauensperson des Beschwerdeführers ausführte, diese sei nicht frei von Parteilichkeit erschienen und habe damit an Verläßlichkeit verloren. Entgegen dem Beschwerdestandpunkt liegt hierin - wenn überhaupt - jedenfalls kein gravierender Verfahrensmangel. Von einem solchen könnte nämlich nach der ständigen Judikatur nur dann die Rede sein, wenn diese von der belangten Behörde vorgenommene Wertung als ein Verstoß gegen die Lebenserfahrung oder gegen die Gesetze des logischen Denkens anzusehen wäre (s. auch dazu zB VfSlg. 11884/1988); beides trifft aber offenkundig nicht zu.

d) Wenn der Beschwerdeführer schließlich bemängelt, daß die belangte Zivildienstbehörde seine Angaben über eine gewaltfreie Verteidigung als "ungewöhnlich dürftig" qualifiziert habe, so ist er mit diesem Vorwurf ebenfalls nicht im Recht. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, der Vorwurf unzureichender Überlegungen bezüglich der österreichischen Verteidigungslage und über eine gewaltfreie Verteidigung des Landes könne als eines mehrerer tauglicher Indizien dafür gewertet werden, daß der Beschwerdeführer überhaupt keine ernsthaften Überlegungen zur Frage der Gewaltanwendung angestellt hat, was dafür spricht, daß die im Sinne des §2 ZDG aufgestellte Behauptung unglaubwürdig ist.

3. Im Beschwerdeverfahren kam auch nicht hervor, daß der Beschwerdeführer aus anderen als den von ihm dargelegten Gründen in einem von ihm geltend gemachten oder in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre. Da überdies kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß der angefochtene Bescheid auf einer rechtswidrigen generellen Norm beruht, war die Beschwerde abzuweisen.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Zivildienst, Zivildienstkommission, Behördenzusammensetzung, Präsenzquorum, Kollegialbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B1910.1988

Dokumentnummer

JFT_10088999_88B01910_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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