Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs3;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/09/0041 94/09/0042Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des W in P, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in S, gegen die Erledigungen vom 5. April 1993, Zl. SW 7651, vom 9. April 1993, Zl. P 2/93, und vom 2. Juni 1993, Zl. P 2/93, der Bundespolizeidirektion St. Pölten als Dienstbehörde betreffend eine Disziplinarangelegenheit, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Polizeibeamter. Mit Schreiben vom 5. April 1993, SW 7651, erstattete das Zentralinspektorrat der Sicherheitswache der Bundespolizeidirektion St. Pölten gegen den Beschwerdeführer gemäß § 109 Abs. 1 BDG 1979 Disziplinaranzeige. Die Anzeige ist an den Polizeidirektor gerichtet und schildert Vorfälle, durch die der Beschwerdeführer wiederholt schuldhafte Verletzungen der Dienstpflichten begangen haben soll. Im Schreiben wird beantragt, die Disziplinaranzeige an die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres weiterzuleiten.
Am 9. April 1993 erging in der Disziplinarangelegenheit ein vom Polizeidirektor gefertigtes Schreiben des Präsidialreferates der Bundespolizeidirektion St. Pölten an den Dienststellenausschuß für die Bediensteten des Sicherheitswachedienstes. Darin wurde unter Bedachtnahme auf § 9 Abs. 3 lit. c PVG im wesentlichen mitgeteilt, daß von einer Disziplinarverfügung abgesehen werde und vorgesehen sei, sämtliche Dienstpflichtverletzungen zusammenzufassen und zum Gegenstand einer Disziplinaranzeige zu machen.
Mit Schriftsatz vom 2. Juni 1993 übermittelte die Bundespolizeidirektion St. Pölten der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers "in Entsprechung der §§ 108 und 109 des BDG 1979" eine Ausfertigung der Disziplinaranzeige gegen den Beschwerdeführer. Die als Beilage angeschlossene Disziplinaranzeige vom 28. Mai 1993 war von der Bundespolizeidirektion St. Pölten an die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres gerichtet. Darin wird die vom Zentralinspektorrat am 5. April 1993 erstattete Disziplinaranzeige gegen den Beschwerdeführer "gemäß § 110 BDG 1979" zur Kenntnis und weiteren Veranlassung in Vorlage gebracht. Nach Maßgabe dieser Anzeige sei der Beschwerdeführer verschiedener Dienstpflichtverletzungen - die im einzelnen näher angeführt waren - verdächtig.
Laut Beschwerdeschrift sind die Schreiben vom 5. April und 9. April 1993 dem Beschwerdeführer am 21. Juni 1993, das Schreiben vom 2. Juni 1993 am 3. Juni 1993 zugekommen. Der Beschwerdeführer messe diesen Erledigungen Bescheidcharakter zu und erhebe dagegen binnen offener Frist gemäß Art. 131 B-VG die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Aus in der Folge näher angeführten Gründen seien diese "Bescheide" kostenpflichtig aufzuheben.
Die Beschwerde erweist sich aus den nachstehenden Erwägungen als unzulässig:
Nach Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit derjenige Beschwerde erheben, der durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Beschwerden, denen der Mangel der Berechtigung zur Erhebung entgegensteht, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß zurückzuweisen. Nur gegen (letztinstanzliche) Bescheide steht nach dem Gesetz die Beschwerde zu. Beschwerden gegen Erledigungen ohne Bescheidcharakter sind zurückzuweisen (siehe z. B. das hg. Erkenntnis vom 16. März 1993, 93/14/0027).
Keiner der vom Beschwerdeführer angefochtenen Erledigungen kommt Bescheidcharakter zu.
Nach § 58 Abs. 1 AVG ist jeder Bescheid ausdrücklich als solcher zu bezeichnen und hat den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung zu enthalten. Wenn auch formelle Merkmale - wie die förmliche Bezeichnung als "Bescheid" - fehlen können, ist als Bescheid (nur) eine hoheitliche Erledigung einer Verwaltungsbehörde zu werten, durch die in einer bestimmten Angelegenheit der Verwaltung gegenüber individuell bestimmten Personen normativ (rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend) über ein Rechtsverhältnis materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art förmlich abgesprochen wird. Der normative Inhalt muß sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung, in diesem Sinne also auch aus der Form der Erledigung, ergeben. Die Wiedergabe einer Rechtsansicht, von Tatsachen, der Hinweis auf Vorgänge des Verfahrens, Rechtsbelehrungen und dergleichen können nicht als verbindliche Erledigung, also nicht als Spruch im Sinne des § 58 Abs. 1 AVG gewertet werden. Nur dann, wenn sich aus dem Wortlaut der behördlichen Erledigung für jedermann eindeutig ergibt, daß ein rechtsverbindlicher Abspruch vorliegt, ist ungeachtet des Fehlens der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid ein solcher als gegeben anzusehen (vgl. dazu z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. September 1983, 83/08/0058, vom 22. September 1986, 86/12/0206, und vom 30. Dezember 1986, 86/09/0148-0151, 0201-0212).
Bei dem Schriftstück vom 5. April 1993 handelt es sich um die Erfüllung der nach § 109 Abs. 1 BDG 1979 dem Dienstvorgesetzten auferlegten Verpflichtung, bei jedem begründeten Verdacht einer Dienstpflichtverletzung im Dienstwege der Dienstbehörde Disziplinaranzeige zu erstatten. Die Mitteilung vom 9. April 1993 an den Dienststellenausschuß über die beabsichtigte Disziplinaranzeige erging entsprechend der im Personalvertretungsgesetz (§ 9 Abs. 3 lit. c) vorgesehenen Informationspflicht. Diese beiden - auch nicht an den Beschwerdeführer adressierten - Schriftstücke stellten innerbehördliche Verfahrensschritte dar und haben GEGENÜBER DEM BESCHWERDEFÜHRER keinerlei normative Wirkung entfaltet. Dasselbe gilt für die Mitteilung vom 2. Juni 1993, mit der dem Beschwerdeführer in Entsprechung der Vorschrift des § 109 Abs. 3 BDG 1979 eine Abschrift der Disziplinaranzeige zugestellt wurde. Auch dabei handelt es sich um KEINE verbindliche, NORMATIVE ERLEDIGUNG gegenüber dem Beschwerdeführer, sondern nur um einen zur Wahrung des Parteiengehörs vorgeschriebenen Hinweis auf Verfahrensvorgänge (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1993, 92/09/0281).
Wird im Disziplinarverfahren nach Abschluß des Verfahrens ein Einleitungsbeschluß nach § 123 Abs. 2 BDG 1979 gefällt, so tritt (erst) dadurch eine Veränderung bestimmter dienstrechtlicher Rechte und Pflichten des Beamten ein (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 16. Juli 1992, 92/09/0120, und vom 27. April 1989, 89/09/0014). Dieser Einleitungsbeschluß ist als Bescheid zu qualifizieren und es ist dagegen auch die Rechtsverfolgung mit Hilfe einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zulässig.
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete DienstrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993090335.X00Im RIS seit
03.04.2001