TE Vwgh Erkenntnis 1994/2/23 93/01/0530

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Veröffentlicht am 23.02.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AVG §45 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des N in T, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Februar 1993, Zl. 4.318.085/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Februar 1993 wurde ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer - einem Staatsangehörigen "der ehemaligen SFRJ", der am 10. Mai 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 13. Mai 1991 den Asylantrag gestellt hat - kein Asyl gewähre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides zur Auffassung gelangt, daß das durchgeführte Ermittlungsverfahren, "insbesondere auch" die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers, nicht ergeben habe, daß er Flüchtling "im Sinne des Asylgesetzes" (vollständig: 1991) sei. Dabei hat sie nicht nur die Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Vernehmung am 8. Juli 1991, sondern auch sein Vorbringen in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 2. August 1991 berücksichtigt und dahingehend eine Beweiswürdigung vorgenommen, daß das Berufungsvorbringen im Widerspruch zu den erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers stehe. Dies hat sie näher dargelegt und daraus den Schluß gezogen, daß das "Vorbringen" des Beschwerdeführers schon auf Grund der darin enthaltenen Widersprüche nicht glaubhaft und daher schon deshalb nicht davon auszugehen sei, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde. Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, daß keiner der vom Beschwerdeführer (sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch in der Berufung) geschilderten Sachverhalte ihrer Entscheidung zugrunde gelegt werden könne. Die belangte Behörde hat übersehen, daß sie gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ihrer Entscheidung grundsätzlich das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen hat und eine Ausnahme davon nur § 20 Abs. 2 leg. cit. in den dort genannten Fällen, bei deren Vorliegen eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen ist, zuläßt. Damit, ob einer dieser Fälle gegeben war, hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt.

Der Beschwerdeführer hat nach der Begründung des angefochtenen Bescheides am 8. Juli 1991 im wesentlichen angegeben, daß er Angehöriger der albanischen Volksgruppe und Moslem sei. Seit 1984 sei er Mitglied der "Befreiungsbewegung für den Kosovo". Während seiner Militärdienstzeit, welche er 1989 in Slowenien "geleistet" habe, habe er sich durch Verteilen von Propagandamaterial für diese Bewegung engagiert. Erst nach Beendigung des Präsenzdienstes und Rückkehr in den Kosovo (1990) habe er wegen dieser seiner politischen Betätigung Schwierigkeiten durch die serbische Militärpolizei bekommen. Diese habe begonnen, immer öfter seine Wohnstätte zu durchsuchen, und er sei auch verhört und dabei geschlagen worden. Am 5. Mai 1991 habe die serbische Miliz wieder seine Wohnung durchsucht, seine Eltern geschlagen und ihn festgenommen. Während der dreitägigen Haft sei er verhört und geschlagen worden, und man habe ihm mitgeteilt, daß er sich nach Ablauf einer Woche einem "Schnellrichterverfahren" zu stellen habe. Um der etwaigen Verhängung einer Strafe zu entgehen, sei er nach Österreich gereist. Von der belangten Behörde nicht wiedergegeben, hat der Beschwerdeführer hinzugefügt, daß er nach seiner Flucht gesucht und anstatt ihm sein Bruder eingesperrt worden sei.

Ein Anhaltspunkt dafür, daß ein Fall des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 - insbesondere der, daß das Ermittlungsverfahren offenkundig mangelhaft war - vorgelegen sei, besteht auf Grund der Aktenlage nicht. Der Beschwerdeführer weist zwar (lediglich in der Sachverhaltsdarstellung) darauf hin, daß seine Vernehmung nicht ordnungsgemäß erfolgt sei, weil er "nur vollkommen unzureichend serbokroatisch" spreche und der der Vernehmung beigezogene Dolmetsch für die serbokroatische Sprache die albanische Sprache nicht beherrscht habe, wobei er allerdings (abgesehen von der Frage der Dauer seiner Vernehmung) konkret nur releviert, daß seine Aussage nicht protokolliert worden sei, wonach ihm für den Fall, daß er nach 7 Tagen nicht wiederum bei der Miliz erscheine, die sofortige Erschießung angedroht worden sei. Dem Beschwerdeführer ist entgegenzuhalten, daß er (nach dem Inhalt der Niederschrift) ohne Einschränkung auch "serbokroatisch" als eine ihm geläufige Sprache bezeichnet und keine Einwendungen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Niederschrift gemäß § 14 Abs. 4 AVG erhoben, sondern vielmehr die Niederschrift nach der abschließenden Erklärung, daß sie ihm zur Kenntnis gebracht worden sei und er nichts mehr hinzuzufügen habe, unterfertigt hat sowie auch die Berufung diesbezüglich keine Rüge enthielt. Die belangte Behörde hätte daher ihrer Entscheidung (ausschließlich) das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen gehabt. Ihr war es zwar nicht verwehrt, die erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers zu würdigen, doch durfte sie das Berufungsvorbringen, auf das insgesamt nicht Bedacht zu nehmen war, (auch) zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers nicht heranziehen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1993,

Zlen. 93/01/0234, 0499).

Eine Würdigung der erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers ohne Bedachtnahme auf das Berufungsvorbringen ist unterblieben. Die belangte Behörde hat zwar "darüber hinaus" die Ansicht vertreten, daß von einer maßgeblichen Intensität eines Eingriffes in die Sphäre des Beschwerdeführers nicht gesprochen werden könne, jedoch bei ihrer Argumentation für diese Annahme rechtswidrig abermals das Berufungsvorbringen in ihre Überlegungen miteinbezogen. Dies trifft zunächst hinsichtlich des Teiles der Begründung zu, daß die (von ihr aus dem Berufungsvorbringen abgeleitete) Tatsache, man habe den Beschwerdeführer, im Gegensatz zu seinen beiden Brüdern, nach dreitägiger Haft entlassen, "nach den Erfahrungsberichten über die Vorgangsweise der lokalen Justizbehörden" nicht dafür spreche, daß er "wegen des angeblichen anhängigen Strafverfahrens die Verhängung einer Freiheitsstrafe objektiv zu befürchten hätte", weil er "ansonsten wegen der Fluchtgefahr in Untersuchungshaft gehalten worden wäre". Diesbezüglich kommt noch hinzu, daß die erwähnten - im übrigen dem Beschwerdeführer gar nicht vorgehaltenen und auch inhaltlich nicht aktenkundigen - "Erfahrungsberichte" ebenfalls im erstinstanzlichen Verfahren nicht bekannt waren und daher ebensowenig als Sachverhaltsgrundlage bei Erlassung des angefochtenen Bescheides dienen konnten (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/01/0285). Die Beachtung des Berufungsvorbringens durch die belangte Behörde fand weiters ihren Niederschlag darin, daß es in der Begründung des angefochtenen Bescheides heißt, aus den "widersprüchlichen und daher unglaubwürdigen Angaben" des Beschwerdeführers sei "bei Kenntnis der strengen Praxis der Sicherheitsbehörden gegen jede Form von separatistischer Betätigung zu schließen, daß die Polizei zwar Verdacht wegen" seiner "politischen Tätigkeit hatte und deshalb Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Verhöre durchführte, aber ebensowenig wie sie" dem Beschwerdeführer "gehöriges Propagandamaterial auffand, ausreichende Kenntnis von" seiner "illegalen politischen Betätigung während des Wehrdienstes hatte". Ausführungen darüber, daß die belangte Behörde alleine auf Grund der erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers und deren Würdigung ohne Berücksichtigung des Berufungsvorbringens zum selben Ergebnis gekommen wäre, fehlen im angefochtenen Bescheid. Der der belangten Behörde unterlaufene Verfahrensmangel ist auch als wesentlich anzusehen, weil nicht gesagt werden kann, daß die erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers von vornherein rechtlich ungeeignet wären, aus objektiver Sicht eine relevante Verfolgung aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) genannten Gründe darzutun.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993010530.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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