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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art22Leitsatz
Zurückweisung eines Antrags der Volksanwaltschaft auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit zwischen der Volksanwaltschaft und der Wiener Landesregierung über die Auslegung der Bestimmung des Art148b B-VG betreffend Gewährung von Akteneinsicht mangels Geltendmachung einer Meinungsverschiedenheit über eine die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft regelnde gesetzliche BestimmungSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1.1.1. Die Volksanwaltschaft stellte zum AZ K 1/90 mit Berufung auf Art148 f iVm Art148 i B-VG sowie §139 a Wr. Stadtverfassung den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge eine zwischen ihr "und der Wiener Landesregierung entstandene Meinungsverschiedenheit über die Auslegung der Bestimmung des Art148 b B-VG betreffend Gewährung der Akteneinsicht entscheiden und dabei befinden, daß das Protokoll über die Sitzung des Kuratoriums des Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds vom 4. Juli 1988 der Volksanwaltschaft zugänglich zu machen ist."
1.1.2. Diesem Antrag lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Schreiben vom 22. Dezember 1988 ersuchte Volksanwalt Dr. H K den Bürgermeister der Stadt Wien, zu einer bei der Volksanwaltschaft eingelangten Beschwerde des Förderungswerbers E W - über die Gestion des Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds (= WBSF) - und zur grundsätzlichen Problematik einer "nachträglichen (Förderungs-)Richtlinienänderung" Stellung zu nehmen.
Im Zuge der sich daraufhin entwickelnden Korrespondenz mit der nach der Geschäftseinteilung des Magistrates der Stadt Wien zum Verkehr mit der Volksanwaltschaft zuständigen Stelle, der Magistratsdirektion-Verwaltungsrevision, wurden dem einschreitenden Volksanwalt insbesondere (auch) Stellungnahmen des WBSF zur Kenntnis gebracht.
Mit Zuschrift vom 14. September 1989 ersuchte Volksanwalt Dr. H K den Amtsführenden Stadtrat für Wohnbau und Stadterneuerung um Lösungsvorschläge; verneinendenfalls werde die Einbringung eines Normenprüfungsantrags beim Verfassungsgerichtshof erwogen und um Übermittlung des Protokolls der Kuratoriumssitzung des WBSF vom 4. Juli 1988 sowie der Verlautbarungen über eine Änderung der Förderungsbedingungen gebeten.
Von der Volksanwaltschaft an diesen Wunsch erinnert, eröffnete der Amtsführende Stadtrat (der Volksanwaltschaft), daß es sich bei den erbetenen Protokollen des WBSF um "Interna" handle, die nach allgemeiner Rechtsansicht nicht vorzulegen seien.
Daraufhin wandte sich Volksanwalt Dr. H K mit Schreiben vom 6. März 1990 an das Amt der Wiener Landesregierung zu Handen des Bürgermeisters und ersuchte um Mitteilung, ob die Wiener Landesregierung als oberstes Organ iSd Art148 c iVm Art148 i B-VG die vom Amtsführenden Stadtrat der Volksanwaltschaft bekanntgegebene Meinung zur begehrten Aktenübermittlung teile.
Am 4. September 1990 faßte die Wiener Landesregierung nachstehende Beschlüsse:
"1. Auf die Anfrage der Volksanwaltschaft wird die ablehnende Haltung zum Wunsch nach Übersendung des Protokolles der Kuratoriumssitzung des WBSF vom 4. Juli 1988 beibehalten.
2. Das Amt der Wiener Landesregierung wird beauftragt, diesen Beschluß Herrn Volksanwalt Dr. K zur Kenntnis zu bringen; dies unter nochmaliger Wiederholung der im zitierten Protokoll zum Ausdruck gebrachten Richtlinienänderung, aber auch den zur Ablehnung führenden formalrechtlichen Überlegungen."
1.2. Die - zur Äußerung zum Antrag der Volksanwaltschaft eingeladene - Wiener Landesregierung gab eine schriftliche Stellungnahme ab, in der sie für die Zurückweisung, hilfsweise für die Abweisung des Antrags nach Art148 f iVm Art148 i B-VG und §139 a Wr. Stadtverfassung eintrat.
2. Über den Antrag der Volksanwaltschaft wurde erwogen:
2.1. Art148 f B-VG (iVm Art148 i B-VG und §139 a Abs1 Wr. Stadtverfassung (WStV)) legt fest, daß der Verfassungsgerichtshof auf Antrag der Bundesregierung/Wiener Landesregierung oder der Volksanwaltschaft zu entscheiden hat, "wenn zwischen der Volksanwaltschaft und der Bundesregierung/Wiener Landesregierung . . . Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen (entstehen), die die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft regeln".
2.2.1. Art148 f B-VG ist der Vorschrift des Art126 a B-VG nachgebildet, die den Verfassungsgerichtshof - auf entsprechenden Antrag hin - zur Entscheidung beruft, wenn zwischen dem Rechnungshof und der Bundesregierung oder einem Bundesminister oder einer Landesregierung Meinungsverschiedenheiten über gesetzliche Bestimmungen entstehen, welche die Zuständigkeit des Rechnungshofs regeln. Dazu sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß der in Art126 a B-VG gebrauchte Begriff der "Zuständigkeit des Rechnungshofes" nicht nur im Sinn einer Befugnis zur Prüfung schlechthin zu verstehen ist, sondern darüber hinaus auch im Sinn der Zuständigkeit zur Vornahme ganz bestimmter Prüfungsakte gedeutet werden muß (s. VfSlg. 3431/1958 iVm dem Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 23.6.1958 K 1/58, VfSlg. 7944/1976; vgl. Melichar, Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes über den Rechnungshof, in: Präsidium des Rechnungshofes (Hrsg.), 200 Jahre Rechnungshof, 1961, S 88; derselbe, Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes über den Rechnungshof seit 1960, in:
Korinek (Hrsg.), Beiträge zum Wirtschaftsrecht, Festschrift für Karl Wenger, 1983, S 303 f; Klecatsky-Pickl, Die Volksanwaltschaft, 1989, S 120 f).
2.2.2. Diese Aussage des Verfassungsgerichtshofs ist angesichts der weitgehenden Wortgleichheit der Bestimmungen der Art126 a und 148 f B-VG auf Meinungsverschiedenheiten in der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen über die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft zu übertragen: Auch der Begriff der "Zuständigkeit der Volksanwaltschaft", wie ihn Art148 f B-VG prägt, erfaßt grundsätzlich die Befugnis zur Prüfung einzelner konkreter Akte, so etwa zur Einsicht in ein Protokoll wie das unter Punkt 1.1.1. erwähnte, deren Verweigerung der Wiener Landesregierung zur Last gelegt wird.
Freilich müssen aber nach dem klaren Verfassungswortlaut Meinungsverschiedenheiten über "gesetzliche Bestimmungen" geltend gemacht werden, aus denen sich die Kompetenz der Volksanwaltschaft herleitet.
Hier wäre nach ausdrücklicher Behauptung der Volksanwaltschaft
im schriftlichen Antrag (S 2: ". . . Meinungsverschiedenheit . . .
über die Anwendung bzw. Auslegung des Art148 b B-VG . . .") eine
Meinungsverschiedenheit über die Auslegung (nur) des Art148 b
B-VG zu entscheiden. Diese Verfassungsnorm bestimmt aber in ihrem -
von der Volksanwaltschaft ersichtlich allein relevierten - Abs1,
daß "alle Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden . . . die
Volksanwaltschaft bei der Besorgung ihrer Aufgaben zu unterstützen, ihr Akteneinsicht zu gewähren und auf Verlangen die erforderlichen Auskünfte zu erteilen (haben)".
Damit wird nun aber nach dem klaren und unmißverständlichen Wortlaut dieser Verfassungsvorschrift keine (wie immer beschaffene) Zuständigkeit der Volksanwaltschaft begründet; vielmehr werden - in Ergänzung der allgemeinen Hilfeleistungsverpflichtung nach Art22 B-VG - alle Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden zur Unterstützung der Volksanwaltschaft (bei Besorgung ihrer Aufgaben) verhalten.
2.3. Demgemäß fehlt es an einer zwingenden formalen Antragsvoraussetzung, und zwar an der Geltendmachung und Behauptung einer Meinungsverschiedenheit über eine die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft regelnde gesetzliche Bestimmung: Die Erfüllung einer aus Art148 b Abs1 B-VG resultierenden Verpflichtung eines Organs des Bundes, der Länder oder Gemeinden läßt sich in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren nach Art148 f B-VG, das der Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten in der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen über die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft vorbehalten ist, nicht durchsetzen.
Desgleichen ist der Verfassungsgerichtshof von verfassungswegen nicht dazu berufen, der Wiener Landesregierung die Herausgabe von schriftlichen Unterlagen aufzutragen, wie dies die Volksanwaltschaft in konsequenter Verfolgung ihrer Interpretation der Art148 b und 148 f B-VG begehrt.
2.4. Aus all diesen Erwägungen war der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, ohne daß der Verfassungsgerichtshof noch näher zu prüfen hatte, ob hier alle sonstigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen.
2.5. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Volksanwaltschaft, VfGH / Kompetenzkonflikt, Akteneinsicht, AmtshilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:KV1.1990Dokumentnummer
JFT_10088998_90KV0001_00