TE Vwgh Erkenntnis 1994/3/3 94/18/0073

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.03.1994
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §45 Abs2;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in L, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 28. Dezember 1993, Zl. St 269a/93, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 28. Dezember 1993 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, fest, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, in der Türkei gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei sei somit zulässig.

In dem am 24. November 1993 gestellten Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei habe sich dieser auf seine im Asylverfahren vor dem Bundesasylamt gemachten Angaben bezogen (das Asylverfahren sei rechtskräftig negativ abgeschlossen worden); weitere Gründe habe der Beschwerdeführer nicht anführen können.

Laut der mit dem Beschwerdeführer im Asylverfahren am 16. Februar 1993 aufgenommenen Niederschrift habe dieser bis 1986 in seiner Heimat keinerlei Schwierigkeiten gehabt. Nach Leistung seines Militärdienstes habe der Beschwerdeführer im Jahr 1990 aktiv an der Gründung der Partei HEP mitgewirkt. Im April 1991 sei er anläßlich eines Treffens mit Parteifreunden von der Polizei mitgenommen und bedroht worden; die Polizei habe ihn zu Spitzeldiensten veranlassen wollen. Da der Beschwerdeführer dies abgelehnt habe, sei ihm sein Ausweis abgenommen und er angewiesen worden, sich einmal monatlich bei der Polizei zu melden. Dieser Aufforderung sei er einmal nachgekommen, dann aber mit dem Ausweis seines Cousins nach Istanbul gefahren. Vom Juli 1992 bis zu seiner Ausreise - er sei am 11. Jänner 1993 in Österreich unter Umgehung der Grenzkontrolle mit Hilfe eines Schleppers eingereist - habe er in Istanbul auf einer Baustelle gearbeitet. Am 15. August 1992 sei in Istanbul eine großangelegte Demonstration kurdischer Patrioten gegen die Regierung veranstaltet worden. Die Demonstration sei von der Polizei aufgelöst worden; der Beschwerdeführer habe rechtzeitig flüchten können. Im September 1992 sei der (namentlich genannte) Vertreter der PKK für den Bereich Istanbul verhaftet worden. Dieser habe die Namen all jener Personen bei sich gehabt, die für die PKK und die kurdische Sache kämpfen würden. Es seien Personen verhaftet worden, die den Beschwerdeführer kennen würden, sodaß dessen Name der Polizei bekannt geworden sei. Der Beschwerdeführer hätte erfahren, daß er sich "in Acht nehmen" sollte. Daraufhin hätte er große Angst vor einer etwaigen Verhaftung bekommen und beschlossen, seine Heimat zu verlassen.

In einer schriftlichen Eingabe vom 26. November 1993 habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen dahin ergänzt, daß am 15. August 1992 in Istanbul eine Tagung stattgefunden hätte, bei der mehrere Zivilisten, darunter auch Freunde des Beschwerdeführers, erschossen worden wären. Einige Freunde, ebenfalls Angehörige der PKK, wären rechtswidrig inhaftiert, gefoltert und ermordet worden. Nach mehreren Verfolgungen durch Zivilpolizisten und Sicherheitskräften wäre der Beschwerdeführer geflüchtet. Mit dieser schriftlichen Eingabe habe der Beschwerdeführer auch Unterlagen über die allgemeine politische Situation in der Türkei vorgelegt, aus welchen sich ergebe, daß die Praxis der Folter und anderer Formen schwerer Mißhandlung von Personen in Polizeigewahrsam weiterhin weit verbreitet sei.

Im Hinblick auf die zweimalige niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers (im Asylverfahren und vor der Fremdenpolizeibehörde) sowie seine zwei schriftlichen Eingaben halte die belangte Behörde das Vorbringen für ausreichend dargelegt, weshalb von einer nochmaligen Vernehmung des Beschwerdeführers ebenso wie von der Einvernahme des Ali S. habe abgesehen werden können, zumal dem Beweisantrag nicht zu entnehmen sei, inwiefern der Genannte über die konkrete Verfolgungssituation hätte Auskunft geben können.

Gehe man davon aus, daß die vom Beschwerdeführer ursprünglich gemachten Angaben jene seien, die der Wahrheit am nächsten kämen, so sei primär auf die Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren zurückzugreifen gewesen. Aus diesen lasse sich aber weder eine Bedrohung i.S. des § 37 Abs. 2 FrG noch eine Gefährdung i.S. des § 37 Abs. 1 leg. cit. ersehen. Da sich der Beschwerdeführer schon früher regelmäßig bei der Polizei hätte melden müssen, sei dieser sein Name bekannt gewesen, sodaß durch die Verhaftung des PKK-Verantwortlichen für Istanbul am 15. August 1992 kein neuer Sachverhalt entstanden sei. Daß sich der Beschwerdeführer hätte "in Acht nehmen" sollen, lasse noch keine gegen ihn gerichtete Verfolgung erkennen, geschweige denn, daß ihm unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe. Subjektive Angst vor Verhaftung, ohne plausible Gründe anzugeben, worauf diese Angst zurückzuführen sei, vermöge keine Verfolgung zu begründen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Eingabe vom 26. November 1993 weise gegenüber den Angaben im Asylverfahren Steigerungen hinsichtlich der äußeren Begleitumstände auf, die nicht unbedingt für die Glaubwürdigkeit jenes Vorbringens sprächen. Aber selbst aus dieser Darstellung sei nicht zu entnehmen, worin die angeblichen Verfolgungen bestanden hätten, denen der Beschwerdeführer ausgesetzt gewesen wäre. Der Hinweis auf die allgemeinen politischen Verhältnisse in der Türkei könne den Nachweis oder die Glaubhaftmachung der dem Beschwerdeführer persönlich drohenden Verfolgung nicht ersetzen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

II

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 54 Abs. 1 FrG hat die Behörde auf Antrag eines Fremden mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 bedroht ist.

Nach § 37 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Zufolge des § 37 Abs. 2 leg. cit. ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974).

2.1. Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides erblickt die Beschwerde darin, daß die belangte Behörde von Beweisregeln ausgehe, die dem Verwaltungsverfahrensrecht fremd seien. Die "Beweislastregel", es sei davon auszugehen, daß die ursprünglich gemachten Angaben des Beschwerdeführers jene seien, die der Wahrheit am nächsten kämen, weshalb primär auf dessen Angaben im Asylverfahren zurückzugreifen sei, entspreche nicht dem Gesetz.

2.2. Der Gerichtshof vermag die Ansicht des Beschwerdeführers nicht zu teilen. Die vorstehend wiedergegebene Passage aus der Begründung des angefochtenen Bescheides bringt keine Beweisregel, an die sich die belangte Behörde gebunden erachtet hätte, zum Ausdruck. Vielmehr hat die belangte Behörde damit im Rahmen der von ihr vorgenommenen freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) jene Überlegungen offen gelegt, die sie veranlaßt haben, bestimmten Angaben des Beschwerdeführers den Vorzug zu geben und sie für glaubwürdiger zu werten als eine andere von ihm gegebene Darstellung. Die dabei zum Ausdruck gebrachte Ansicht, daß die früheren Aussagen des Beschwerdeführers zu der behaupteten Bedrohung und Gefährdung seiner Person in der Türkei einen (erheblich) höheren Grad an Wahrscheinlichkeit für sich hätten als die wesentlich späteren Ausführungen des Beschwerdeführers zu dieser Frage, stehen mit der Lebenserfahrung durchaus in Einklang, zumal dann, wenn man berücksichtigt, daß die besagten früheren Angaben aus dem den Beschwerdeführer betreffenden Asylverfahren stammen und ganz kurz nach Verlassen der Türkei gemacht worden sind. Die Würdigung dieser Angaben als wesentlich glaubwürdiger als die erst etwa neun Monate später gemachten ist demnach nicht unschlüssig.

Im übrigen ist dazu zu beachten, daß die Divergenz in den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers lediglich einen kleinen und insgesamt gesehen nicht wesentlichen Teil des Geschensablaufes betrifft, was zur Folge hat, daß der darauf Bezug habende Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde habe es unterlassen, den Widerspruch durch (neuerliche) Einvernahme des Beschwerdeführers aufzuklären, keinen, jedenfalls keinen relevanten, Verfahrensmangel aufzeigt. Auch die in diesem Zusammenhang stehende Rüge, es sei verabsäumt worden, Ali S. als Zeugen zu vernehmen, tut die Wesentlichkeit eines (allfälligen) Verfahrensmangels nicht dar, bleibt doch die in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, bei einer Einvernahme des Genannten hätte sich ergeben, daß die Voraussetzungen für eine positive Erledigung des Feststellungsantrages des Beschwerdeführers vorlägen, begründungslos. Sollte aber Ali S. zum Beweis dafür aufgeboten worden sein, daß die Angaben des Beschwerdeführers den Tatsachen entsprächen, hätte dessen Vernehmung, wie noch zu zeigen sein wird, zu keinem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis geführt.

3. Die von der belangten Behörde ihrer Entscheidung, wie erwähnt, in unbedenklicher Weise zugrundegelegten Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren entbehren der erforderlichen Konkretheit, um zu dem Ergebnis gelangen zu können, er habe zumindest glaubhaft gemacht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1993, Zl. 93/18/0381), daß er aktuell, also im Fall seiner Abschiebung in die Türkei, dort die im § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG genannten Gefahren zu erwarten habe. Mit Recht hat nämlich die belangte Behörde darauf hingewiesen, daß der Polizei der Name des Beschwerdeführers schon lange vor dem 15. August 1992 bekannt gewesen sei, somit die an diesem Tag erfolgte Verhaftung des PKK-Verantwortlichen für Instanbul, der auch den Namen des Beschwerdeführers bei sich gehabt hätte, ohne wesentlichen nachteiligen Einfluß auf die Situation des Beschwerdeführers gewesen sei. Eng damit in Zusammenhang steht die zutreffende Ansicht der belangten Behörde, daß die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei in der Türkei i.S. des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bedroht, schon deshalb nur geringe Glaubwürdigkeit aufweise, weil der Beschwerdeführer, obwohl er und seine PKK-Zugehörigkeit der Polizei schon seit April 1992 bekannt gewesen sei, von dieser lediglich dazu angehalten worden sei, sich monatlich einmal bei ihr zu melden. Schließlich verweist die belangte Behörde zu Recht darauf, daß selbst bei Zutreffen der Darstellung des Beschwerdeführers, es seien am 15. August 1992 anläßlich einer Tagung mehrere seiner Freunde inhaftiert, gefoltert und ermordet worden, sich daraus nicht ohne weiteres ableiten lasse, der Beschwerdeführer habe Gleiches bei einer allfälligen Rückkehr in die Türkei, zumal ca. eineinhalb Jahre nach diesen behaupteten Greueltaten, zu befürchten. Derartige Befürchtungen lassen sich mit die allgemeinen politischen Verhältnisse in der Türkei beleuchtenden schriftlichen Unterlagen nicht belegen, zumal der Beschwerdeführer selbst nicht dartut, inwieweit sich aus diesen für ihn eine konkrete Gefährdung oder Bedrohung ergeben könnte. Damit aber hat die belangte Behörde - entgegen der in der Beschwerde geäußerten Meinung - auf die aktuelle Bedrohungs- und Gefährdungssituation des Beschwerdeführers abgestellt und ihr in rechtlich einwandfreier Weise die Stichhaltigkeit im Grunde des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG abgesprochen.

4. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

5. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994180073.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten