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L3 FinanzrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine sachliche Rechtfertigung der Festlegung einer weitgehend unbeschränkten Haftung des Erwerbers eines Unternehmens oder Betriebes für rückständige Abgaben nach der WAOSpruch
§12 Abs1 lita der Wiener Abgabenordnung, LGBl. Nr. 21/1962, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 1992 in Kraft.
Frühere Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Der Verwaltungsgerichtshof beantragt die Aufhebung des §12 der Wiener Abgabenordnung (WAO), LGBl. 21/1962, in eventu der lita in Abs1 dieser Gesetzesstelle. Darin ist bestimmt:
"(1) Wird ein Unternehmen oder ein im Rahmen eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet, so haftet der Erwerber
a) für Abgaben, bei denen die Abgabepflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens gründet, soweit die Abgaben auf die Zeit seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entfallen;
b) für Steuerabzugsbeträge, die seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres abzuführen waren.
(2) Die Bestimmungen des Abs1 gelten nicht bei einem Erwerb aus einer Konkursmasse oder im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens."
1. Der antragstellende Gerichtshof hat über eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien zu entscheiden, der Haftungsbescheide des Magistrates der Stadt Wien bestätigt, womit der Beschwerdeführer zur Zahlung von Vergnügungs- und Getränkesteuerschulden aus 1986 und 1987 von 39.865 S und 72.190 S herangezogen wird, die im Betrieb seiner Vorgängerin entstanden seien. Strittig ist, ob die einverständliche Auflösung eines Kaufvertrages aus 1982 Ende 1987 einen haftungsbegründenden Erwerb darstellt und ob die Haftung nur solche Abgaben betrifft, bezüglich derer der Betriebsvorgänger durch eigene betriebliche Tätigkeit Abgabenschuldner geworden ist, oder auch Haftungsschulden (hier für Vergnügungssteuer, deren Schuldner ein Unternehmer einer Veranstaltung in den Gasträumen war). Der Verwaltungsgerichtshof erachtet bei seiner Entscheidung über diese Beschwerde §12 Abs1 lita WAO anwenden zu müssen.
Gegen diese Bestimmung trägt er folgende Bedenken vor:
"2.3.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in seinem Prüfungsbeschluß vom 29. September 1990, B726/89 (betreffend die dem §12 WAO entsprechende Bestimmung des §14 BAO) der Auffassung, daß sich §14 BAO in Verbindung mit §20 BAO derart verfassungskonform auslegen lasse, daß der Erwerber nur subsidiär hafte.
Dieser Rechtsauffassung liegt der vom Verwaltungsgerichtshof geteilte Ausgangspunkt zugrunde, daß eine gesamtschuldnerische Haftung des Betriebserwerbers mit dem früheren Unternehmer trotz gegebener Einbringlichkeit bei letzterem der sachlichen Rechtfertigung entbehren würde (vgl. zur Verfassungswidrigkeit einer auf die Einbringlichkeit beim Vertretenen nicht abstellenden Vertreterhaftung das über Antrag des Verwaltungsgerichtshofes ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. März 1989, G163/88 und Folgezahlen = ZfVB 1990/3/1502, unter Bezugnahme auf das Erkenntnis vom 15. Dezember 1988, G89/88, Slg. 11.942).
2.3.2. Anders als beim Verfassungsgerichtshof sind beim Verwaltungsgerichtshof allerdings Bedenken dahingehend entstanden, daß §18 WAO - diese Bestimmung entspricht dem §20 BAO - keine tauglichen Bestimmungsgründe zur Reduzierung des auch die gesamtschuldnerische Haftung umfassenden Wortlautes des §12 WAO (in Verbindung mit §5 und §171 WAO) auf eine bloß subsidiäre Haftung des Erwerbers enthält.
Das Kriterium der Zweckmäßigkeit ist als Ermessensrichtlinie nicht brauchbar, weil es auch bei gegebener Einbringlichkeit beim Betriebsvorgänger durchaus zweckmäßig sein kann, auf den Erwerber, der nunmehr Inhaber des 'Wertschöpfungsquells' ist, zu greifen.
Aber auch das Merkmal der Billigkeit versagt als klares Abgrenzungskriterium und damit als Surrogat für eine eindeutige und bindende Regelung durch das Gesetz selbst. Gerade im Fall einer Erwerberhaftung ist eine Bedachtnahme auf die Billigkeit völlig ambivalent. Auf der einen Seite könnte es mit Rechtsprechung und Lehre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Oktober 1979, Zl. 1817/78; Stoll, Bundesabgabenordnung5, Handbuch, 26; Kopecky, Die Haftung im österreichischen Steuerrecht, 30 ff) allgemein als unbillig und ermessenswidrig angesehen werden, den Haftenden zur Haftung heranzuziehen, wenn die Abgabenschuld beim Hauptschuldner ohne Gefährdung und ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann. Andererseits werden gerade bei Betriebsveräußerungen im ganzen sehr häufig, ja regelmäßig, die offenen Abgabenschuldigkeiten im Kaufpreis berücksichtigt, sodaß die Billigkeit wiederum dafür spricht, den Erwerber heranzuziehen. Diesfalls erschiene es vielmehr unbillig, auf den Hauptschuldner zu greifen. Wieder anders mag die Billigkeit bei Verschweigen, Täuschung, Irrtum über Rückstände zu beurteilen sein.
Hieraus könnte zum einen folgen, daß eine Einschränkung des Wortlautes des §12 Abs1 lita WAO auf eine bloß subsidiäre Haftung (Ausfallshaftung) nicht normiert ist und auch §18 WAO der Annahme einer gesamtschuldnerischen Haftung nicht entgegensteht.
§12 erwiese sich daher als eine unsachliche und gleichheitswidrige Regelung, da sie die Erwerberhaftung bei gegebener Einbringlichkeit beim Betriebsvorgänger nicht auf eine subsidiäre Haftung beschränkt.
Zum anderen könnte die Heranziehung des §18 WAO als Auslegungshilfe dafür, daß nur eine subsidiäre Haftung gemeint sei, erwogen werden. Dies würde allerdings das Bedenken hervorrufen, daß die Regelung dem Art18 Abs1 B-VG widerspräche, da diesfalls die Regelung den Sinn des Gesetzes nicht eindeutig erkennen läßt, insbesondere da auch die Hilfskriterien der Zweckmäßigkeit und Billigkeit keine tauglichen Bestimmungsgründe darstellen, um zu entscheiden, ob der Hauptschuldner oder der haftungspflichtige Erwerber herangezogen werden darf.
Bemerkt wird noch, daß der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis vom 9. März 1989, G163/88, betreffend §67 Abs10 ASVG, keine verfassungskonforme Auslegung unter Heranziehung einer vermeintlich ausreichenden Determinierung des Ermessens bei Entscheidung über die Haftungsinanspruchnahme erwogen hat (zumal auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Normierung einer Ermessensrichtlinie für die Haftungsinanspruchnahme im Beitragsrecht nach dem ASVG keine anderen Gesichtspunkte als jene der Billigkeit und Zweckmäßigkeit maßgebend wären).
2.3.3. Sitz der Bedenken ist die Haftungsnorm des §12 Abs1 WAO (im Zusammenhang mit §§5 und 171 WAO), wobei die zuletzt genannten Bestimmungen sich nicht nur auf den Fall einer Erwerberhaftung beziehen, sodaß eine Bereinigung der Rechtslage unter möglichst geringer Sinnveränderung des Gesetzes (nur) durch Aufhebung des §12 WAO bzw. dessen Abs1 lita allein erreicht werden könnte.
2.4. Die im §12 WAO angeordnete Haftung knüpft an einen Vorgang - den Erwerb des Unternehmens - an, der dem Entstehen des Rückstandes erst nachfolgt, sodaß es an sich möglich sein müßte, den Umfang der Haftung rechtzeitig festzustellen.
Die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß vom 29. September 1990, B726/89, genannten Beispiele für die Unmöglichkeit, die endgültige Haftungsbelastung (im Bereich des §14 BAO) rechtzeitig festzustellen (Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Lohnsteuer), unterscheiden sich möglicherweise im Ausmaß der Kompliziertheit und der Unsicherheit, aber nicht prinzipiell von den Fällen der Haftung für Gemeinde- und Landesabgaben. Auch hier ist es dem Erwerber im Falle einer unrichtigen Selbstbemessung oder des Unterbleibens der Selbstbemessung und angesichts eines späteren langwierigen Schätzungsverfahrens (z.B. bei der Getränkesteuer), ferner bei anderen Finanzordnungswidrigkeiten, bei der Verschweigung von abgabenpflichtigen Tatsachen durch den Betriebsvorgänger oder der Nichtmitteilung von bereits entstandenen Abgabenrückständen an den Erwerber selbst bei gebotener Sorgfalt nicht möglich, die Haftungsbelastung abschätzen zu können. Auch die Vielfalt der Abgabentatbestände des Landes- und Gemeindeabgabenrechtes ist hier zu bedenken.
Es gilt daher auch im Bereich des §12 WAO, was der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß vom 29. September 1990 ausgeführt hat, nämlich daß der Erwerber eines Unternehmens oder gesondert geführten Betriebes in der Regel auf die Angaben des Veräußerers angewiesen zu sein und selbst bei Anwendung aller zumutbaren Sorgfalt nicht sichergehen zu können scheint, daß die ihn treffende Haftung nicht wesentlich größer ist, als den ihm vorliegenden Unterlagen zu entnehmen ist. Er kann folglich die zu erwartende Belastung offenbar auch dem Veräußerer gegenüber nicht angemessen in Anschlag bringen oder sich sonstwie dagegen absichern. Eine solcherart im Ergebnis - trotz der Beschränkung auf die in einem bestimmten Zeitraum angefallenen Schulden - nicht überschaubare - und hier ist hinzuzufügen: unbeschränkte sowie auch im Wege einer Anfrage bei der Abgabenbehörde nicht begrenzbare - Haftung scheint in einer sachlich nicht zu rechtfertigenden und daher gegen den Gleichheitssatz verstoßenden Weise dem Erwerber eines Unternehmens das Risiko des Bestandes offener Abgabenschulden aufzubürden."
Den Umfang des Prüfungsantrages und den Eventualantrag begründet der Verwaltungsgerichtshof so:
"2.5. Der Verfassungsgerichtshof hat die Regelung des gesamten §14 BAO offenbar als eine Einheit aufgefaßt und zur Gänze in Prüfung gezogen. Im Primärantrag schließt sich der Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich des §12 WAO dieser Sichtweise an.
Die sprachliche Trennbarkeit des §12 WAO hat allerdings zur Folge, daß der Anfechtungs- und Aufhebungsumfang über die im engeren Sinn präjudizielle lita im §12 Abs1 WAO nicht hinausgreifen muß; dies begründet den gestellten Eventualantrag."
2. Die Wiener Landesregierung begegnet den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes, mit denen sich dieser den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen §14 BAO auch für die WAO anschließt (2.4. des Antrages) mit folgenden Ausführungen:
"Der Verfassungsgerichtshof und mit ihm der Verwaltungsgerichtshof gründen ihre Bedenken auf die vorläufige Annahme, daß die Haftung für den Erwerber des Betriebes im Ergebnis nicht überschaubar sei. Dem Verwaltungsgerichtshof ist hiebei allerdings entgangen, daß er selbst bereits die Widerlegung dieser vorläufigen Annahme gefunden hat: indem er aus seiner Erfahrung schöpft, führt er an anderer Stelle in seinem Beschluß nämlich aus, daß 'bei Betriebsveräußerungen im ganzen sehr häufig, ja regelmäßig, die offenen Abgabenschuldigkeiten im Kaufpreis berücksichtigt' werden. Dies bedeutet aber zwangsläufig, daß die offenen Abgabenschuldigkeiten regelmäßig für den Erwerber feststellbar sind. Zu bedenken ist dabei noch, daß den Fällen, in denen die offenen Abgabenschuldigkeiten im Kaufpreis berücksichtigt werden (der Rückstand also vom Erwerber zur Selbstzahlung übernommen wird), auch die Fälle hinzuzurechnen sind, in denen der Käufer ebenfalls die Rückstände festgestellt hat, aber keine Absicherung im Kaufvertrag für erforderlich hält (angesichts der Bonität des Verkäufers darauf vertraut, daß dieser die Rückstände auch korrekterweise selbst bezahlen wird).
Die Erfahrung des Verwaltungsgerichtshofes, die ohne Verfälschung seiner Aussage so formuliert werden kann, daß das mögliche Haftungsausmaß für den Erwerber mit zureichender Verläßlichkeit feststellbar ist, läßt sich auch erklären, wenn man sich die Vorgänge bei einer Betriebsveräußerung und die dabei zu berücksichtigenden Interessen vor Augen hält. Das Interesse des Verkäufers ist dabei klar auf der Hand liegend: er will nichts anderes als einen möglichst hohen Kaufpreis. Aus dieser Intention heraus muß er dem Käufer die Geschäftstätigkeit im vollen Umfang darstellen; eine Verschweigung eines Teiles der Umsätze liegt nicht in seinem Interesse, da er dadurch den Wert des Betriebes geringer darstellen würde, als er tatsächlich ist. Mit dieser vollen Offenlegung ermöglicht er dem Käufer aber auch die Kalkulation der daraus erwachsenden Abgabenbelastung und daran anknüpfend die Feststellung, ob die angefallenen Steuern auch entrichtet wurden oder welche Rückstände bestehen. Das Interesse des Käufers ist dagegen in erster Linie auf die Erlangung möglichst detaillierter und gesicherter Informationen über den zu erwerbenden Betrieb gerichtet. Hauptziel dieser Informationssammlung ist, sich ein Bild davon machen zu können, welche Gewinnerwartungen in Hinkunft an den Betrieb geknüpft werden können. Danach richtet sich die Entscheidung, ob der Betrieb überhaupt gekauft werden soll und wenn ja, zu welchem Preis. Zu diesem Zweck muß der Käufer alle wesentlichen Umstände kennen (z.B. Betriebsmittel, personelle Ausstattung, Geschäftsverbindungen, Standortauswirkungen), und zwar so genau, daß er auch allfällige strukturelle Schwächen erkennen und überlegen kann, wie der Betrieb günstiger geführt werden könnte (z.B. weniger personalintensiv, Änderung des Angebotes). Daneben muß er sich auch gegen allfällige Haftungen (nicht nur abgabenrechtliche) schützen und dazu genau alle möglichen Verbindlichkeiten kennen und ob und mit welchem Betrag sie aushaften.
Jemand, der einen Betrieb zu erwerben beabsichtigt, muß sich also im eigenen Interesse sehr intensiv und genau über diesen Betrieb informieren. Bei diesen Bemühungen, die schon ohne Bedachtnahme auf abgabenrechtliche Haftungen notwendig sind, fällt die Kenntnis für allfällige Haftungen bedeutsamer Umtände zwangsläufig an. Die Frage der Zumutbarkeit der Sorgfaltsanwendung stellt sich so gesehen gar nicht; was schon ohne Bedachtnahme auf abgabenrechtliche Auswirkungen notwendig ist, muß auch im Hinblick auf abgabenrechtliche Auswirkungen zumutbar sein. Wer aber eine wirtschaftlich notwendige Sorgfalt außer acht läßt, darf sich über das Schlagendwerden des so eingegangenen Risikos nicht beklagen.
Ob über den für eine Haftung in Betracht kommenden Zeitraum bereits eine Revision (Betriebsprüfung) vorgenommen wurde, ist nicht von entscheidender Bedeutung. Die für eine Nachfolgerhaftung in Betracht kommenden Wiener Landes- und Gemeindeabgaben sind relativ einfach, zudem muß der Nachfolger in Hinkunft die Abgaben selbst berechnen können. Er kann also auch die steuerliche Gebarung des Vorgängers überprüfen. Beherrscht er die Anwendung des Abgabenrechtes nicht, so muß er ohnehin einen fachkundigen Vertreter (Steuerberater) bestellen; diesen kann er dann auch die Prüfung des Vorgängers durchführen lassen. Die Revision durch die Abgabenbehörde ist ja auch nur darauf gerichtet, bereits entstandene Abgabenansprüche festzustellen; neue Abgabenansprüche können durch die Revisionstätigkeit der Behörde ja nicht erzeugt werden. Eine allfällige unrichtige Abgabenfeststellung muß der Haftende aber nicht gegen sich gelten lassen, er kann gegen den Abgabenanspruch berufen (§193 WAO).
Festzuhalten ist noch, daß die Statuierung der Nachfolgerhaftung im Gesetz nicht den Zweck verfolgt, den Erwerb von Unternehmen zu verhindern oder hintanzuhalten. Es handelt sich hiebei ja um ein Instrument zur Sicherung der Abgabeneinbringung. Diese Wirkung kann es aber nur dann entfalten, wenn es zu einem Eigentumsübergang kommt. Aus dem Blickwinkel dieser Bestimmung besteht also geradezu ein Interesse daran, daß ein Erwerb stattfindet. Auch rein tatsächlich wird der Erwerb von Unternehmen nicht verhindert, was die Unzahl von Unternehmensveräußerungen zeigt. Es darf angenommen werden, daß die Bestimmung insoferne eine Wirkung auslöst, als anläßlich des Verkaufes wohl oft für eine Abdeckung bestehender Rückstände gesorgt wird, weil der Käufer nicht dem Haftungsrisiko ausgesetzt sein will.
Zusammenfassend kann also bisher gesagt werden, daß es dem Erwerber bei Anwendung der für ihn auch sonst notwendigen Sorgfalt jedenfalls möglich ist, die Folgen der Haftung einigermaßen verläßlich abzuschätzen. Die Bedenken, es handle sich um eine nicht überschaubare Haftung, müssen daher nicht aufrecht erhalten werden. Die Wiener Landesregierung ist sich hiebei allerdings dessen bewußt, daß hier mit unbestimmten Begriffen ('einigermaßen verläßlich abzuschätzen') operiert wird. Diese Unbestimmtheit schließt die Möglichkeit in sich, daß ihnen von der Wiener Landesregierung ein anderer Inhalt beigemessen wird als vom Verfassungsgerichtshof. Die Wiener Landesregierung kann diesen Begriffen jedoch nicht ausweichen. Sie wurden vom Verfassungsgerichtshof verwendet, er baut darauf sein Verfahren auf, ohne sie allerdings näher zu erläutern. Bei aller Unbestimmtheit läßt sich aber doch ganz klar ableiten: der Verfassungsgerichtshof fordert nicht, daß der mögliche Haftungsbetrag exakt berechenbar ist, die jeder Schätzung (arg. 'abzuschätzen') innewohnenden Ungenauigkeit würde vom Gerichtshof akzeptiert werden, außerdem reicht es, wenn die Schätzung (nur) 'einigermaßen verläßlich' möglich ist.
Wenn nun die von der Wiener Landesregierung in Weiterführung der Äußerung des Verwaltungsgerichtshofes dargelegte Möglichkeit des Erwerbers, sein Risiko abzuschätzen, vielleicht auch nicht ganz das Maß an Sicherheit darstellen sollte, das dem Verfassungsgerichtshof ursprünglich vielleicht vorgeschwebt ist, so kann es sich doch nur um eine eher unbedeutende Differenz handeln, denn ein durchaus erhebliches Maß an Unsicherheit wird auch vom Verfassungsgerichtshof a priori als im Ergebnis nicht zur Verfassungswidrigkeit führend angesehen. Mit einer solchen - wie dargestellt - unbedeutenden Differenz scheint aber die Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit doch nicht tragfähig begründbar zu sein."
Zu den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes, daß auch §18 WAO keine tauglichen Bestimmungsgründe zur Reduzierung des auch die gesamtschuldnerische Haftung umfassenden Wortlautes in §12 WAO auf eine bloß subsidiäre Haftung enthalte (2.3.2. des Antrages) meint die Wiener Landesregierung:
"Zur Begründung dieser seiner von der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Verfassungsgerichtshofes abweichenden Auffassung weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, daß die in §18 WAO als Ermessensrichtlinien verwendeten Kriterien der Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu nicht eindeutigen Ergebnissen führen. Damit hat er zwar recht, doch ist daraus nicht die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes abzuleiten. Es macht ja geradezu das Wesen einer Ermessensentscheidung aus, daß sie vom Gesetz nicht eindeutig vorherbestimmt ist. Hiedurch unterscheidet sie sich von einer rechtlich gebundenen Entscheidung, bei der nur eine Lösung richtig sein kann, während bei einer Ermessensentscheidung typmäßig mehrere Entscheidungen richtig (gesetzmäßig) sein können.
Die Einräumung eines freien Ermessens durch den Gesetzgeber ist nach dem B-VG durchaus zulässig. Allerdings wird durch 'Art130 B-VG dem Gesetzgeber die Verpflichtung auferlegt, den Sinn von Gesetzen, die zur Ermessensübung ermächtigen, so zum Ausdruck zu bringen, daß die Beurteilung der Frage möglich ist, ob im Einzelfall das Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt worden ist' (VfSlg. 3317/1958). In dieser Hinsicht hatte der Verwaltungsgerichtshof aber bisher keine Schwierigkeiten, vielmehr judiziert er in ständiger Rechtsprechung zu Haftungsfällen, daß der Entschluß der Behörde zur Geltendmachung der Haftung eine Ermessensentscheidung ist, wobei er sich auch jeweils in der Lage sieht, die Ermessensübung zu überprüfen (vgl. aus jüngster Zeit das Erkenntnis vom 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0067, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur). Speziell zu §12 WAO hielt er sogar ausdrücklich fest, daß gegen diese Bestimmung beim Verwaltungsgerichtshof verfassungsrechtliche Bedenken nicht entstanden sind (Erkenntnis vom 30. November 1990, Zl. 89/17/0029).
Wenn also das bisherige Verständnis des Gesetzes nach dessen Text möglich war und als verfassungskonforme Interpretation gelten durfte, so sollte nach dem Grundsatz, daß Gesetze nach Möglichkeit verfassungskonform zu interpretieren sind, nicht ohne zwingenden Grund eine andere Interpretation gewählt werden, bei der das Gesetz mit dem Makel der Verfassungswidrigkeit behaftet wäre. Daß aber die Offenheit einer Ermessensbestimmung für unterschiedliche Ergebnisse schon wegen ihrer Natur keinen solchen Grund darstellen kann, wurde bereits erwähnt. Soweit jedoch mit dem vom Verwaltungsgerichtshof gebrachten Beispiel, in dem die offenen Abgabenschuldigkeiten vom Käufer dem Primärschuldner gegenüber zur Selbstzahlung übernommen werden, zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß in einem solchen Fall ein Haftungsbescheid gegen den Käufer erlassen werden müßte, selbst wenn der Rückstand beim Primärschuldner problemlos einbringlich wäre, scheint hier die Argumentation doch bereits überzogen zu sein. Man sollte doch nicht eine Haftungsbestimmung, deren Gehalt eine Ermächtigung der Behörde zu gewissen Einbringungsschritten darstellt, in eine Verpflichtung zur Heranziehung anderer als der eigentlich Steuerpflichtigen umfunktionieren. Ein derartiges Gewicht sollte Vereinbarungen zwischen Parteien nicht beigemessen werden.
Auf den Hinweis des Verwaltungsgerichtshofes auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. März 1989, G163/88 u.a., betreffend §67 Abs10 ASVG, ist zu erwidern, daß das ASVG keine mit §18 WAO (§20 BAO) vergleichbare Bestimmung enthält. Schon deswegen eignet sich dieses Erkenntnis nicht sehr zum Vergleich. Außerdem hat der Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis den vom Verwaltungsgerichtshof für seine Anfechtung herangezogenen Vergleich mit dem Abgabenrecht abgelehnt, weil es sich um Haftungsregelungen auf verschiedenen Rechtsgebieten handelt. Wenn er dies bereits innerhalb des Bundesrechts getan hat, muß die Ablehnung noch eher für einen Vergleich zwischen Bundesrecht (ASVG) und Landesrecht (WAO) gelten. Im übrigen wurde aber die Frage nach der ausreichenden Determinierung der Ermessensübung in diesem Verfahren in keinem Stadium ins Gespräch gebracht. Es wäre reine Spekulation, nunmehr mutmaßen zu wollen, welche Äußerung der Verfassungsgerichtshof bei einer Relevierung dieses Themas von irgend einer Seite abgegeben hätte."
II. Der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes ist zulässig, soweit er die lita in §12 Abs1 WAO erfaßt. Darüber hinaus ist er zurückzuweisen.
Im Antrag selbst ist dargelegt, daß nur die lita des §12 Abs1 präjudiziell ist. Der Prüfungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes zur gleichartigen Bestimmung des §14 BAO wird darin aber so gedeutet, daß dieser die ganze Gesetzesstelle als Einheit ansehe. Diese Deutung ist unzutreffend. Wie sich aus der Sachverhaltsdarstellung im Prüfungsbeschluß B726/89 vom 29. September 1990 ergibt, war die damals beschwerdeführende Bank außer für Umsatzsteuer auch für Lohnsteuer in Anspruch genommen worden, sodaß offenbar sowohl lita wie auch litb (Steuerabzugsbeträge) und darum der gesamte Abs1 (und wegen des dann untrennbaren Zusammenhangs auch der Abs2) des §14 BAO anzuwenden gewesen wäre. Im vorliegenden Fall würde jedoch der nach einer Aufhebung der allein präjudiziellen lita des Abs1 verbleibende Text des §12 WAO eine - nicht präjudizielle - Norm bilden, die mit anzugreifen der Verwaltungsgerichtshof keinen Anlaß hat.
Da sich im übrigen keine Prozeßhindernisse ergeben haben, ist der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes bezüglich lita zulässig, im übrigen aber als unzulässig zurückzuweisen (weshalb sich eine Erörterung des "Eventualantrages" erübrigt).
III. Der Antrag ist im Ergebnis auch begründet. §12 Abs1 lita WAO verstößt gegen den Gleichheitssatz.
Mit Erkenntnis G3/91 u.a. vom 20. Juni 1991 hat der Verfassungsgerichtshof das in den Schriftsätzen der Parteien bezogene, mit Beschluß B726/89 eingeleitete Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §14 BAO beendet und diese - dem §12 WAO wörtlich entsprechende - Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben. Dem Versuch der Bundesregierung, die Haftung unter Heranziehung des §20 BAO dahin einzuschränken, daß unvorhersehbare Abgabennachforderungen (aus einer von der Rechtsauffassung des Hauptschuldners abweichenden Rechtsauffassung der Behörde oder aus Änderungen in deren Rechtsauffassung) als unbillig von der Haftung ausgenommen seien, konnte der Gerichtshof nicht beipflichten. Das im Erkenntnis G3/91 vom 20. Juni 1991 zu den §§14, 20 BAO Gesagte gilt gleicherweise für die §§12, 18 WAO und zwischen Bundes- und Landesabgaben besteht kein für die Frage der Vorhersehbarkeit wesentlicher Unterschied.
Der Wiener Landesregierung ist einzuräumen, daß der Erwerber eines Betriebes häufig die Rückstände an landesrechtlich geregelten Abgaben feststellen und beim Erwerbsvorgang berücksichtigen kann. Er kann aber auch in bezug auf diese Abgaben selbst bei Anwendung aller zumutbarer Sorgfalt nicht sichergehen, daß die ihn treffende Haftung nicht wesentlich größer ist, als den ihm vorliegenden Unterlagen zu entnehmen ist, und er kann darum die zu erwartende Belastung dem Veräußerer gegenüber gleichfalls nicht angemessen in Anschlag bringen oder sich sonstwie dagegen absichern. Das Verfahren hat nichts ergeben, was die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes (zu 2.4. des Antrages) zerstreuen könnte, daß auch hier die unüberschaubare Haftung in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise dem Erwerber eines Unternehmens (Betriebes) das Risiko des Bestandes offener Abgabenschulden aufbürdet.
Da die in Prüfung stehende Bestimmung schon aus diesem Grund aufzuheben ist, erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes (zu 2.3. des Antrages).
Die Fristsetzung für das Außerkrafttreten und die Kundmachungsverpflichtung stützen sich auf Art140 Abs5, der Ausschluß des Wiederinkrafttretens früherer Vorschriften auf Art140 Abs6 B-VG.
Da eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG).
Schlagworte
Finanzverfahren, Haftung, Steuerpflicht unbeschränkteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:G210.1991Dokumentnummer
JFT_10088996_91G00210_00