TE Vwgh Erkenntnis 1994/3/3 93/18/0633

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Veröffentlicht am 03.03.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §56;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §20 Abs1;
FrG 1993 §20 Abs2;
FrG 1993 §26;
FrG 1993 §82 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §10 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 8. November 1993, Zl. III 38-8/93, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 9. November 1992 war gegen den Beschwerdeführer ein auf § 3 Abs. 1 iVm Abs. 3 und § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) gestütztes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen worden.

Begründet war dieser Bescheid - auf das wesentliche zusammengefaßt - damit worden, daß der Beschwerdeführer in der Zeit vom 2. Mai 1988 bis 4. April 1991 teils allein, teils gemeinsam mit anderen Personen insgesamt vier Diebstähle begangen und einen Diebstahl zu begehen versucht sowie zwei Raubüberfälle begangen hätte, wobei er in zwei Fällen - wegen des Vergehens des Diebstahls (unter Vorbehalt des Strafausspruches für eine Probezeit von drei Jahren) und wegen des Verbrechens des Raubes (zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren) - rechtskräftig verurteilt worden wäre. In rechtlicher Hinsicht waren diese Delikte in ihrer Gesamtheit (unmittelbar) dem Tatbestand des § 3 Abs. 1 FrG subsumiert worden.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 FrG war darauf Bedacht genommen worden, daß der Beschwerdeführer selbst, seine Familie (Eltern, zwei Brüder) sowie seine Lebensgefährtin durch deren jeweils langjährigen Aufenthalt in Österreich voll integriert wären, wozu käme, daß der Beschwerdeführer mit seiner Lebensgefährtin zwei (in den Jahren 1990 und 1991 geborene) Kinder hätte. Ungeachtet des damit als gegeben angesehenen erheblichen Eingriffes durch ein Aufenthaltsverbot in die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wäre die Verhängung dieser Maßnahme angesichts der zahlreichen gravierenden Rechtsverletzungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen des Beschwerdeführers und zum Schutz der Rechte anderer dringend geboten. Darüber hinaus ließen seine Neigung zu Vermögensdelikten sowie seine aus seiner Verantwortung hervorleuchtende Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit den Schluß zu, daß die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wögen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seine Familie.

2. Mit an die Bundespolizeidirektion Innsbruck gerichteter Eingabe vom 19. Mai 1993 - mittlerweile war die gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof von diesem mit Erkenntnis vom 3. Mai 1993, Zl. 92/18/0529, als unbegründet abgewiesen worden - beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des über ihn verhängten Aufenthaltsverbotes.

3. Mit Bescheid vom 29. September 1993 wies diese Behörde den Aufhebungs-Antrag gemäß § 26 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ab.

4. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 8. November 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab.

Dazu führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, seien noch keineswegs weggefallen. Das jetzt etwas mehr als zweieinhalbjährige Wohlverhalten des Beschwerdeführers, gerechnet von der Tatzeit des Verbrechens des Raubes, sei noch viel zu kurz, um eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit durch den Beschwerdeführer verneinen zu können. Abgesehen davon sei dieses Wohlverhalten insofern zu relativieren, als sich der Beschwerdeführer trotz des rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes und trotz der negativen Verwaltungsgerichtshof-Entscheidung vom 3. Mai 1993 weiterhin im Bundesgebiet aufgehalten und somit in jüngster Zeit eine Verwaltungsübertretung nach § 82 Abs. 1 Z. 1 FrG begangen habe, ein Umstand, der auf die nach wie vor bestehende konkrete Gefahr für die öffentliche Ordnung durch den Beschwerdeführer hinweise.

Auch die im Aufenthaltsverbots-Bescheid der belangten Behörde vom 9. November 1992 vorgenommene Interessenabwägung gemäß § 3 Abs. 3 FrPolG (nunmehr: §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG) sei im Prinzip weiterhin zutreffend. Die Absicht des Beschwerdeführers, seine Lebensgefährtin zu heiraten, sowie der Umstand, daß seine Großmutter in Serbien jetzt ein Pflegefall sei, würden keine grundsätzlich andere Situation der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes schaffen.

Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers könnte auch unter Berücksichtigung des § 20 Abs. 2 FrG derzeit ein Aufenthaltsverbot gegen ihn erlassen werden. Der Beschwerdeführer sei zwar in Innsbruck geboren und habe hier lange gelebt, einen mindestens zehnjährigen ununterbrochenen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet habe er jedoch nicht aufzuweisen; vielmehr sei der Beschwerdeführer erst seit 20. März 1987 ununterbrochen in Innsbruck polizeilich gemeldet, zwischen 1978 und 1986 sei er ingesamt fünfmal als nach Jugoslawien verzogen polizeilich abgemeldet worden.

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

6. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfharens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 26 FrG ist das Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

2. Nach dieser Bestimmung, die ihren Inhalt nur aus dem Zusammenhalt mit den §§ 18 bis 20 FrG gewinnt, hat sich die Behörde mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein relevanter Eingriff i.S. des § 19 FrG vorliegt und - gegebenenfalls - die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten ist und - bejahendenfalls - ferner, ob sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes jene Umstände, die zur Beurteilung der öffentlichen Interessen einerseits und der privaten und familiären Interessen anderseits maßgebend sind, zugunsten des Fremden geändert haben, und daran anschließend diese Interessen gegeneinander abzuwägen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/18/0537, mwN).

3. Das von der belangten Behörde der Verhängung des Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer (Bescheid vom 9. November 1992) zugrunde gelegte, in zahlreichen, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen (Diebstähle; Raubüberfälle) zum Ausdruck gekommene Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers würde nach wie vor die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn rechtfertigen (nunmehr: § 18 Abs. 1 FrG). Dazu kommt, daß die belangte Behörde auch nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretene und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechende Umstände zu beachten hatte (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 93/18/0537 und die dort angeführten Entscheidungen). In diesem Sinn hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer rechtlichen Beurteilung auf den mehrmonatigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich entgegen dem rechtskräftigen Aufenthaltsverbot und den damit gegebenen Verstoß gegen § 82 Abs. 1 Z. 1 FrG hingewiesen. Diese Übertretung fällt in Anbetracht des hohen Stellenwertes, der einem geordneten Fremdenwesen zukommt, ins Gewicht; dies umso mehr, als nach Ausweis der Akten der Beschwerdeführer am 29. September 1993 von der Bundespolizeidirektion Innsbruck aufgefordert wurde, das Bundesgebiet unverzüglich zu verlassen - einem Auftrag, den er erst am 15. Oktober 1993 entsprochen hat.

Somit ist festzuhalten, daß die im Grunde des § 18 Abs. 1 FrG für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen öffentlichen Interessen gegenüber den öffentlichen Interessen, die für die Verhängung dieser Maßnahme ausschlaggebend waren, noch an Gewicht gewonnen haben.

4. Was die Frage der Zulässigkeit aus dem Blickwinkel des § 19 FrG anlangt, so hat die belangte Behörde - ausgehend von der Annahme, es sei vorliegend ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers i.S. dieser Gesetzesstelle zu bejahen - hinreichend erkennbar zum Ausdruck gebracht, daß sie die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes für dringend geboten erachte. Dieser Rechtsansicht kann angesichts der in den zahlreichen Vermögensdelikten des Beschwerdeführers zutage getretenen groben Mißachtung fremden Eigentums wie auch der bewußten Nichtbeachtung wesentlicher fremdenrechtlicher Vorschriften nicht entgegengetreten werden:

Zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer und zum Schutz der Rechte anderer (Art. 8 Abs. 2 MRK) ist das Weiterbestehen des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer notwendig.

5. Dem Beschwerdeeinwand, die Interessenabwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG sei rechtswidrig, kann nicht beigepflichtet werden. Die belangte Behörde hat auf die in der Beschwerde ins Treffen geführten, dem privaten und familiären Bereich des Beschwerdeführers zuzurechnenden Umstände bereits bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes Bedacht genommen und ist hiebei - in rechtlich unbedenklicher Weise - zu dem Ergebnis gelangt, daß die maßgeblichen öffentlichen, für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes sprechenden Interessen als unverhältnismäßig schwerer wiegend zu werten seien (vgl. das diesbezügliche Erkenntnis vom 3. Mai 1993, Zl. 92/18/0529). Die bloße Absicht des Beschwerdeführers, seine Lebensgefährtin zu heiraten, wie auch die Behauptung, daß die in Serbien lebende Großmutter des Beschwerdeführers ein Pflegefall sei, sind Umstände, denen die belangte Behörde zu Recht keine (wesentliche) Bedeutung beigemessen hat.

Wenn aber schon damals das Ergebnis der (nach § 3 Abs. 3 FrPolG) vorgenommenen Interessenabwägung die Verhängung des Aufenthaltsverbotes zulässig gemacht hatte, so ist die Zulässigkeit der Aufrechterhaltung dieser Maßnahme im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG umso mehr zu bejahen: Denn es hat sich, wie dargetan, die private und familiäre Interessenlage des Beschwerdeführers seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht in rechtserheblicher Weise zu seinen Gunsten geändert; wohl aber hat sich die Lage der maßgeblichen öffentlichen Interessen zuungunsten des Beschwerdeführers geändert (vgl. oben II.3.).

6. Auch die Ansicht des Beschwerdeführers, § 20 Abs. 2 FrG stehe der Aufrechterhaltung des über ihn verhängten Aufenthaltsverbotes entgegen, ist unzutreffend. Die von der belangten Behörde angenommene "Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" i.S. des § 20 Abs. 2 leg. cit. besteht in dem zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung von ihr als relevant erachteten Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers, also den sieben in der Zeit von 2. Mai 1988 bis 4. April 1991 begangenen strafbaren Handlungen und in dem mehrmonatigen unbefugten Aufenthalt in Österreich (§ 82 Abs. 1 Z. 1 FrG). Der für die Beurteilung, ob die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) gegeben sind, entscheidende Zeitpunkt ("vor" Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes) war somit der des vorletzten dieser verpönten Einzelfehlverhalten, sohin der 4. April 1991, an dem der Beschwerdeführer seinen zweiten Raubüberfall begangen hat. Bezogen auf diesen Zeitpunkt hatte die belangte Behörde zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer sämtliche der in § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG angeführten Voraussetzungen erfüllt. War das Vorliegen auch nur einer dieser (kumulativen) Voraussetzungen zu verneinen, so war § 20 Abs. 2 FrG der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer nicht hinderlich (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0491, und vom 27. Jänner 1994, Zl. 93/18/0587).

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG kann die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er (u.a.) keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet. Diese Verleihungsvoraussetzung war beim Beschwerdeführer im (vorhin bezeichneten) maßgeblichen Zeitpunkt nicht gegeben. Die Art und Häufigkeit der kontinuierlich begangenen, sich auf einen Zeitraum von mehreren Jahren bis April 1991 erstreckenden Straftaten lassen ein Charakterbild des Beschwerdeführers erkennen, das zweifelsohne den Schluß zuläßt, er sei gegenüber den zum Schutz des Eigentums, der Gesundheit und der Sicherheit erlassenen Vorschriften negativ eingestellt und bilde solcherart eine "Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit". Es war demnach die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes auch im Grunde des § 20 Abs. 2 FrG nicht unzulässig.

7. Auf dem Boden des bisher Gesagten geht die Verfahrensrüge ins Leere: Die Einholung des Gerichtsaktes sowie die Einvernahme der Eltern des Beschwerdeführers zum Beweis dafür, daß sich der Beschwerdeführer "einerseits seit Geburt an in Österreich befunden hat und anderseits nur in untergeordneter Weise an der von ihm begangenen strafbaren Handlung beteiligt war und darüber hinaus, daß er als gerichtlich unbescholten aufschien", war, da für den Ausgang des Verfahrens ohne Relevanz, entbehrlich.

8. Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

9. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 VwGG iVm der VO BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993180633.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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