TE Vwgh Erkenntnis 1994/3/10 94/19/0274

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Veröffentlicht am 10.03.1994
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita impl;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb impl;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Oktober 1992, Zl. 4.313.657/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Oktober 1992 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines pakistanischen Staatsangehörigen, der am 31. März 1991 in das Bundesgebiet eingereist und noch am selben Tage um Asylgewährung angesucht hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 5. Juni 1991, mit welchem festgestellt worden war, bei ihm lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde, der jedoch mit Beschluß vom 16. Dezember 1992, B 1896/92-3, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Der Beschwerdeführer macht vor dem Verwaltungsgerichtshof Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung erwogen:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 10. Mai 1991 angegeben, er sei Mitglied der "Pakistan People"s Party" (PPP) und sei für diese Partei auch aktiv tätig geworden, indem er in Maroofabad an den Parteiversammlungen teilgenommen, Flugblätter verteilt und Plakate aufgeklebt habe. Bis August 1990 sei diese Partei in Pakistan an der Macht gewesen und habe die Regierung gestellt; im August 1990 jedoch sei die Regierung durch die "IGI-Partei" (richtig: "IJI = Islami Jamhoor Ittehad") gestürzt worden. Seit dieser Zeit würden die Mitglieder der PPP verfolgt. Anfang März 1991 sei er von der Polizei in Wazirabad verhaftet und in das Zentralgefängnis gebracht worden, wo er zehn Tage eingesperrt gewesen sei. Er sei beschuldigt worden, zwei Büffelkühe gestohlen zu haben, was jedoch eine falsche Beschuldigung sei. Mit derartigen falschen Beschuldigungen würden PPP-Mitglieder in Haft genommen. In der Haft sei er zwei Tage lang geschlagen worden, doch habe er keinerlei sichtbare Verletzungen davongetragen. Danach sei ein netter Polizeibeamter gekommen, der ihn nicht mehr geschlagen habe. Die Partei habe dann für ihn 20.000 Rupien als Kaution bezahlt, sodaß er aus der Haft entlassen worden sei. Man habe ihm jedoch geraten, Pakistan zu verlassen, da er jederzeit wiederum unter falscher Beschuldigung verhaftet und geschlagen werden könnte. Seine Gattin sei von Mitgliedern der IJI ebenfalls verdächtigt und grundlos beschuldigt worden, sodaß sie mit den Kindern ihr Heimatdorf verlassen und zu ihren Eltern gezogen sei. Die IJI sei unbarmherzig und versuche, alle PPP-Mitglieder, die gegen sie gearbeitet hätten, zu vernichten.

Im Berufungsverfahren legte der Beschwerdeführer zur Glaubhaftmachung seiner Fluchtgründe Urkunden, nämlich

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Schreiben des Rechtsanwaltes S vom 24.09.1991

-

Haftbefehl samt englischer Übersetzung

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Stellungnahme des Vorsitzenden der PPP von Tehsil,

Warzirabad im Distrikt Gujranwala

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Stellungnahme von Mohammad Shahnawaz Cheema, Abgeordneter zur Provinzlegislative des Punjab

vor.

Die belangte Behörde begründete die Abweisung der Berufung im wesentlichen damit, die Behauptung des Beschwerdeführers, als Mitglied der PPP politischer Verfolgung zu unterliegen, sei insbesondere auch deshalb nicht glaubhaft, weil diese Partei durch die beiden Damen Bhutto (Mutter und Tochter) sowie einer größeren Anzahl von Abgeordneten im Parlament vertreten sei. Bei dem der zehntägigen Haftstrafe zugrundeliegenden Verdacht des Diebstahls an zwei Büffelkühen handle es sich um ein rein kriminelles Delikt, welches auch in Mitgliedstaaten der Genfer Konvention mit Strafe bedroht sei und strafrechtlich verfolgt werde. Für den Fall der zu Unrecht erfolgten Beschuldigung hätte es dem Beschwerdeführer wie jedem anderen Staatsbürger in jedem anderen nach rechtsstaatlichen Prinzipien geführten Staat freigestanden, sich dem Gericht zu stellen und die aufgebotenen Beweismittel zu entkräften. Pakistan sei seit Herbst 1988 ein demokratischer Staat mit einer regulären Verfassung. Die staatlichen Stellen Pakistans behandelten rein formell auf Grund der Gesetze alle Bürger gleich. Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Mißhandlungen seiner Person während seines Gefängnisaufenthaltes könnten nicht als asylbegründende mittelbare staatliche Verfolgung gewertet werden, weil es sich dabei um selbständige Übergriffe von Einzelpersonen, die sich nicht als politisch, religiös oder ethnisch motivierte, vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen darstellten, gehandelt habe, auch wenn sie von Organen der Polizei gesetzt worden seien. Im übrigen sei es nicht glaubhaft, daß der Beschwerdeführer nach bereits erfolgter Haftentlassung noch einmal ungerechtfertigt hätte inhaftiert werden sollen. Außerdem habe er nicht einmal den Versuch unternommen, den Widerspruch zwischen seiner Aussage und den von ihm vorgelegten Dokumenten betreffend die Zeitangaben über seine Verhaftung und den Prozeß aufzuklären, weshalb dem Vorbringen die Glaubwürdigkeit hätte versagt werden müssen. Die belangte Behörde kam zu dem Schluß, daß der Beschwerdeführer eine Verfolgung aus den im § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründen nicht zu gewärtigen habe.

Dem hält der Beschwerdeführer entgegen, daß die belangte Behörde zu Unrecht die Glaubwürdigkeit seiner Angaben verneint und überhaupt den politischen Hintergrund der gesetzten Maßnahmen und damit seine Verfolgung aus politischen Gründen verkannt habe.

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu. In Ansehung von Bescheidbeschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 Abs. 1 VwGG den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes zu prüfen. Der Verwaltungsgerichtshof ist aber an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt nicht gebunden, wenn der Sachverhalt von dieser in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde, der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkte der Ergänzung bedarf oder Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können; insbesondere kann der Verwaltungsgerichtshof die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung nachprüfen (vgl. z.B. hg. Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0706). Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, daß die Erwägungen der belangten Behörde bei Würdigung seines Vorbringens als unglaubwürdig nicht zu überzeugen vermögen und ergänzungsbedürftig sind. Die dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde vorgehaltene Möglichkeit, sich auch von einem, zu Unrecht erhobenen Verdacht, ein rein kriminelles Delikt begangen zu haben, zu reinigen, kann ja nur unter der Voraussetzung angenommen werden, daß dieser gegen den Beschwerdeführer erhobene Vorwurf keinen anderen als den Zwecken der Strafrechtspflege dienen sollte. Bereits in seiner Ersteinvernahme hat aber der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, daß die Erhebung ungerechtfertigter Beschuldigungen gegen unbequeme politische Gegner zur politischen Waffe erhoben worden sei. Auf dieses Vorbringen geht die belangte Behörde mit keinem Wort ein. Aus welchen Erwägungen sie darüberhinaus das Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft abtut, er könnte nach einer bereits erfolgten Haftentlassung noch einmal ungerechtfertigt inhaftiert und geschlagen werden, bleibt gänzlich im Dunkeln. Als ergänzungsbedürftig ist auch die Würdigung der belangten Behörde in Ansehung der vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente zu erkennen, da allfällige, sich daraus ergebende Widersprüche in zeitlicher Hinsicht ihm nach der Aktenlage entgegen der auch im Asylverfahren geltenden Regelung des § 45 Abs. 3 AVG gar nicht vorgehalten wurden und nicht dargetan, welche Widersprüche im einzelnen vorliegen sollten.

Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind aber auch wesentlich, weil die belangte Behörde bei ihrer Vermeidung zur Annahme der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers und damit zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde ist nämlich das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers - wäre es als glaubwürdig zu erachten - nicht von vornherein ungeeignet, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG 1991 darzutun. Denn daß die Möglichkeit der wiederholten ungerechtfertigten Inhaftierung und Mißhandlung des den Behörden seines Heimatlandes als aktives Mitglied der PPP bekannten Beschwerdeführers auch aus objektiver Sicht eine Situation geschaffen habe, in der die Furcht des Beschwerdeführers wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, wohlbegründet und ihm dadurch ein weiterer Verbleib in seinem Heimatland unerträglich sei, kann ohne nähere Begründung nicht verneint werden (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/01/0019).

Des weiteren ist die Beweiswürdigung der belangten Behörde, wonach es unglaubwürdig sei, daß der Beschwerdeführer im Falle einer politischen Verfolgung von seinem Heimatstaat im Luftwege hätte ausreisen können, durch nichts begründet.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung, BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen AllgemeinAngenommener Sachverhalt (siehe auch Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein und Sachverhalt Verfahrensmängel)Verfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994190274.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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