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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des Y in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Jänner 1993, Zl. 4.328.848/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Jänner 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines ghanesischen Staatsangehörigen, der am 1. November 1991 in das Bundesgebiet eingereist war und am 13. November 1991 den Asylantrag gestellt hatte, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 22. September 1992, mit welchem festgestellt worden war, daß beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zuträfen, abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer hat bei seiner am 29. Juni 1992 vor der Bundespolizeidirektion Graz erfolgten niederschriftlichen Befragung im wesentlichen angegeben, er sei seit dem Jahre 1988 aktives eingetragenes Mitglied der revolutionären Vereinigung CDR sowie der illegalen GDM (Ghana Democratic Movement) und habe dort u.a. auch regierungsfeindliche Demonstrationen organisiert. Offiziell sei er als Tischler in einem Regierungsbetrieb beschäftigt gewesen. Am 10. Juli 1991 sei er im Zuge einer Demonstration in M von Spezialbeamten des Militärs festgenommen worden, weil es bei diesen Zusammenstößen während der Demonstration 6 Tote gegeben habe. Er sei dabei ebenfalls verletzt worden, sodaß die Festnahme im Krankenhaus erfolgt sei. Zwei Wochen später sei er zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach etwa zwei Monaten Haft sei er an Malaria erkrankt und in das staatliche Krankenhaus gebracht worden, von wo er nach etwa zehntägigem Aufenthalt geflohen sei. In seiner Berufung gegen den abweislichen erstinstanzlichen Bescheid bekräftigte er diese Angaben, nannte jedoch als Datum der seiner Festnahme vorausgegangenen Demonstration den 7. Oktober 1991. Nach seiner Verhaftung sei er in ein Militärlager, gebracht worden, wo er vor ein Militärgericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt worden sei, da er öffentlich gegen die Regierung aufgetreten sei. Nach zwei Monaten sei er an Malaria erkrankt und sei in das staatliche Krankenhaus eingeliefert worden, wo er zehn Tage geblieben sei. Am 10. Tag habe es einen Stromausfall im Krankenhaus gegeben und er habe diese Gelegenheit genützt, um aus dem Krankenhaus zu fliehen. Ende Oktober sei er zu Fuß nach Togo geflohen, von dort sei er per Autostop nach Lagos/Nigeria gereist, wo ihm Freunde ein Flugticket nach Sofia besorgt hätten.
Die belangte Behörde begründete die Abweisung der Berufung im wesentlichen damit, dem Beschwerdeführer sei es insgesamt nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen, es werde vielmehr davon ausgegangen, daß er eine Verfolgung aus den im § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründen nicht zu gewärtigen gehabt habe bzw. für den Fall einer etwaigen Rückkehr in die Heimat zu befürchten habe. Die angeblichen Mitgliedschaften bei den vom Beschwerdeführer genannten Organisationen seien fraglich, da die CDR (Committee of Defence of the Revolution) eine regimekonforme Organisation sei, während die GDM (Ghana Democratic Movement) oppositionelle Ziele verfolge. Des weiteren ging die belangte Behörde davon aus, daß dem Vorbringen von Asylwerbern, "die auf den für Schlepperorganisationen typischen Wegen und mit dem in diesen Fällen zu beobachtenden formularmäßigen Vorbringen nach Österreich eingereist sind, eher geringere Glaubwürdigkeit" zukomme. Die Verhaftung sei auch nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht wegen der sogenannten "regierungsfeindlichen Aktivitäten", sondern im Zusammenhang mit dem "Ableben" von 6 Menschen erfolgt. Die Verfolgung müsse aber entweder von staatlichen Stellen des Heimatlandes des Asylwerbers ausgehen oder der betreffende Staat müsse nicht in der Lage oder gewillt sein, die von anderen Stellen ausgehende Verfolgung hintanzuhalten. Es könnten auch nur solche Maßnahmen des Staates bzw. der ihm zurechenbaren Organe als Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention angesehen werden, die aus einem der dort genannten Gründe erfolgten und ein bestimmtes Ausmaß an Intensität und Qualität überschritten. Es müßten auch konkret gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden, was die belangte Behörde bereits deshalb verneinte, weil die angebliche Flucht des Beschwerdeführers aus dem Krankenhaus "mehr als unwahrscheinlich" gewesen sei, weil "zu lebenslanger Haft verurteilte Personen wohl nicht in andere als Inquisitenspitäler gebracht" worden seien, aus welchen ein Entkommen nicht möglich wäre. Ebenso bestünden Divergenzen in den Zeitangaben der angeblichen Verhaftung. Im Falle auch von zu Unrecht erhobenen Strafvorwürfen sei es dem Betroffenen zuzumuten, "sich wie jeder Staatsbürger wie in jedem anderen Staat dem Gericht zu stellen und die aufgebotenen Vorwürfe zu entkräften".
Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, daß diese Begründung - auch insoweit sie nicht gänzlich an der Sache vorbeigeht - unschlüssig ist. Daraus, daß die belangte Behörde zu Unrecht in Anwendung des § 25 Abs. 1 erster Satz AsylG 1991 dieses Gesetz bereits auf das vorliegende Verfahren in Anwendung brachte, obwohl zum Stichtag 1. Juni 1992 das Verfahren in erster Instanz noch anhängig war, gemäß § 25 Abs. 1 AsylG 1991 dieses Verfahren also "nach den bisherigen Bestimmungen" (d.h. nach dem AsylG 1968) hätte zu Ende geführt werden müssen, erwuchs dem Beschwerdeführer kein Nachteil, weil sich der dem Asylgesetz 1968 zugrundeliegende Flüchtlingsbegriff des Kapitels 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention mit jenem des § 1 Z. 1 AsylG 1991 deckt. Geht nämlich die belangte Behörde davon aus, nur eine der vom Beschwerdeführer genannten angeblich oppositionellen Organisationen sei tatsächlich oppositionell, die zweite von ihm genannte (CDR) sei vielmehr eine regimekonforme Organisation und wollte sie diesen Widerspruch im Rahmen ihrer Beweiswürdigung heranziehen, hätte sie dem Beschwerdeführer Gelegenheit bieten müssen, im Rahmen des Parteiengehörs zu diesem von ihr aufgezeigten angeblichen Widerspruch Stellung zu nehmen. Aus welchem Grunde die belangte Behörde als Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ein angeblich "formularmäßiges, für Asylwerber, die auf den für Schlepperorganisationen typischen Wegen nach Österreich eingereist sind, typisches Vorbringen" heranzieht, ist unerfindlich, da aus dem Akt keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen sind, daß der Beschwerdeführer durch Inanspruchnahme einer "Schlepperorganisation" eingereist sei. Mit dem Akteninhalt in Widerspruch steht auch die Erwägung der belangten Behörde, die Verhaftung des Beschwerdeführers sei weniger wegen der regierungsfeindlichen Aktivitäten, sondern eher im Zusammenhang mit dem "Ableben" von sechs Menschen erfolgt, gibt doch der Beschwerdeführer bereits bei seiner Erstbefragung an, daß die gewaltsame Tötung dieser sechs Menschen im Zusammenhang mit einer regierungskritischen Demonstration erfolgt war, als deren Organisator der Beschwerdeführer zumindest im Verdacht stand. Insoweit die belangte Behörde eine "konkret, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlung" nicht zu erkennen vermag, sei darauf verwiesen, daß der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen, welches in diesem Punkte von der belangten Behörde nicht als unglaubwürdig erachtet wurde, von einem Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Erfolgt eine derartige Verurteilung aus den im Kapitel 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, muß von einer asylrechtlichen Relevanz dieser unzweideutig gegen den Beschwerdeführer selbst gerichteten Maßnahme ausgegangen werden. Es erscheint auch nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer geschilderte Flucht als unwahrscheinlich abtut. Die von ihr dazu angestellten Vermutungen entbehren ebenso der Grundlage wie die Annahme, europäische Maßstäbe ohne entsprechende in das Ermittlungsverfahren einbezogene Feststellungen auf außereuropäische Länder übertragen zu können. Eine generelle Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers läßt sich auch aus den divergierenden Zeitangaben hinsichtlich der Teilnahme an der Demonstration und der Verhaftung des Beschwerdeführers nicht ableiten, da es sich hier möglicherweise um einen Zahlensturz handelt (10.7.91 - 7.10.91), der - beabsichtigt die belangte Behörde daran Konsequenzen zu knüpfen - dem Beschwerdeführer gemäß § 37 AVG vorzuhalten gewesen wäre. Weitere "Divergenzen" oder "Verständigungsschwierigkeiten im Rahmen der Einvernahme" wie sie die belangte Behörde in ihrer Begründung ausführt, wurden vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. Völlig unverständlich jedoch erweist sich die Begründung des angefochtenen Bescheides, wenn sie dem Beschwerdeführer empfiehlt, auch zu Unrecht erhobene Strafvorwürfe im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens entkräften zu sollen, übersieht sie doch, daß nach den Behauptungen des Beschwerdeführers durch ein Militärgericht bereits die Verurteilung des Beschwerdeführers zu lebenslanger Haft ausgesprochen wurde, ohne daß es ihm offenbar gelungen wäre, die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zu entkräften, wie es die belangte Behörde nun offenbar verlangt.
Da die belangte Behörde daher mehrfach Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a, b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190275.X00Im RIS seit
20.11.2000