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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §299 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde der Miteigentumsgemeinschaft W und E in H, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom 10. September 1990, Zl. 30.273-3/90, betreffend Aufhebung eines Bescheides, mit dem Umsatzsteuer für das Jahr 1988 nicht festgesetzt wurde, gemäß § 299 Abs. 2 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin - eine Miteigentumsgemeinschaft, die in den Jahren 1982 bis 1984 ein Zweifamilienhaus in Hall in Tirol errichtet und hiefür im Hinblick auf die Vermietung desselben ab dem Jahre 1984 Vorsteuern von S 141.691,89 (1982), von S 106.389,86 (1983) und von S 40.621,71 (1984) in Anspruch genommen hatte - teilte dem zuständigen Finanzamt mit Schriftsatz vom 1. Dezember 1988 mit, daß die Miteigentümer "ihren Grundbesitz in H mit Schenkungsvertrag vom 12. Feber 1988 und Wirkung zum 1.1.988 ihrer Schwester geschenkt" hätten. Die Hausbesitzgemeinschaft sei somit seit 1. Jänner 1988 aufgelöst und beziehe keinerlei Einnahmen mehr. In der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1988 wurde mit ähnlicher Begründung die Nichtfestsetzung der Steuer beantragt.
Das Finanzamt folgte diesem Antrag und erließ einen Bescheid, mit dem die Umsatzsteuer für das genannte Jahr gemäß § 21 Abs. 7 UStG nicht festgesetzt wurde.
Diesen Bescheid hob die belangte Behörde innerhalb der Jahrsfrist unter Bezugnahme auf § 299 Abs. 2 BAO auf; dies nach Darstellung des Sachverhaltes im wesentlichen mit der Begründung, die Schenkung eines der Vermietung dienenden Zweifamilienhauses erfülle "als dauernde Herausnahme aus dem Bereich des Unternehmens" den Eigenverbrauchstatbestand des § 1 Abs. 1 Z. 2 lit. a UStG. Die Übertragung des Grundstückes auf die Schwester der Miteigentümer sei nämlich für außerhalb des Unternehmens der Miteigentumsgemeinschaft gelegene Zwecke erfolgt. Da der Tatbestand des Eigenverbrauches den Fortbestand des Unternehmens nicht erfordere, erfasse er auch die Entnahme aller dem Unternehmen dienenden Gegenstände bei Beendigung des Unternehmens mit Untergang der Unternehmereigenschaft (siehe hiezu das Urteil des BFH, BStBl 1987 II 655). Für die Ermessensübung sei unter Bedachtnahme auf die Ermessensbestimmung des § 20 BAO "im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung" dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit gegenüber dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit von Abgabenbescheiden der Vorrang eingeräumt worden.
Mit Beschluß vom 1. Oktober 1991, B 1231/90-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab. Mit weiterem Beschluß vom 4. Dezember 1991 wurde über nachträglichen Antrag der Beschwerdeführerin die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Vor dem Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin Rechswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Sie erachtet sich "in ihrem Recht verletzt, daß die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides für das Jahr 1988 nicht hätte ergehen dürfen, hilfsweise, daß dies nur nach Einräumung des rechtlichen Gehörs hätte erfolgen dürfen". Zur Begründung verweist die Beschwerdeführerin in ihrem Ergänzungsschriftsatz auf die Ausführungen in der Urbeschwerde, die sie als Verletzung einfachgesetzlicher Bestimmungen mit dem Bemerken relativiert, daß im Zweifel einer verfassungskonformen (verfassungswidrige Ergebnisse vermeidenden) Auslegung einfachgesetzlicher Bestimmungen der Vorzug zu geben sei. Sie bestreitet insbesondere das Vorliegen eines umsatzsteuerpflichtigen Eigenverbrauches.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichte Abweisung der Beschwerde beantragt.
Mit Beschluß vom 14. September 1993, Zl. A 27/93, hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 140 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, den zweiten Halbsatz des § 6 Z. 9 lit. a UStG in der mit der Stammfassung identischen Fassung des Abschnittes III Art. I Z. 3 des Abgabenänderungsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 557, als verfassungswidrig aufzuheben.
Mit Erkenntnis vom 10. Dezember 1993, G 122, 153/93, hat der Verfassungsgerichtshof u.a. aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles die in Rede stehende Gesetzesstelle als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 31. Dezember 1994 in Kraft tritt, ohne daß frühere Bestimmungen wieder in Wirksamkeit treten. Die vom Beschwerdeführer in der gegenständlichen Beschwerdesache angeregte Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf den durch den angefochtenen Bescheid ausgelösten Rechtsgang erscheine überflüssig, weil das auf diesem Bescheid beruhende Verfahren von der ihn treffenden gesetzlichen Anlaßfallwirkung mit erfaßt werde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin meint zunächst, die belangte Behörde habe über ihre Berufung deswegen als unzuständige Behörde entschieden, weil § 260 Abs. 2 BAO in Verbindung mit § 270 leg. cit. bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung anordne, daß über Umsatzsteuer betreffende Berufungen der Berufungssenat und nicht die Finanzlandesdirektion als monokratische Behörde zu entscheiden habe.
Mit diesem Vorbringen verkennt die Beschwerde, daß die belangte Behörde nicht über eine Berufung der Beschwerdeführerin entschieden, sondern eine Aufsichtsmaßnahme im Sinne des § 299 BAO ergriffen hat. Die für die Entscheidung über Berufungen maßgebenden Organisationsnormen sind daher nicht heranzuziehen; mangels einer Regelungslücke kommt auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften von vornherein nicht in Betracht. Der angefochtene Bescheid ist daher nicht von einer unzuständigen Behörde erlassen worden.
Gemäß § 299 Abs. 2 BAO kann ein Bescheid von der Oberbehörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden. Eine solche Maßnahme ist gemäß § 302 Abs. 1 leg. cit. nur bis zum Ablauf eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides der Unterbehörde zulässig.
Nach der Aktenlage ist der angefochtene Bescheid innerhalb der eben erwähnten Jahresfrist erlassen worden; insofern besteht auch zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kein Streit. Strittig ist dagegen, ob der im angefochtenen Bescheid angenommene Grund für die Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides vorliegt, die Nichtfestsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 1988 sei inhaltlich rechtswidrig gewesen.
Ob die Nichtfestsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 1988 rechtswidrig war, hängt nach Lage des Beschwerdefalles davon ab, ob die Schenkung der beiden Miteigentumsanteile an dem zuvor dem Unternehmen der Beschwerdeführerin dienenden Zweifamilienhaus einen umsatzsteuerpflichtigen Eigenverbrauch darstellt.
Da der Verfassungsgerichtshof den zweiten Halbsatz des § 6 Z. 9 lit. a UStG in der schon genannten Fassung mit Wirkung für den vorliegenden Beschwerdefall als Anlaßfall aufgehoben hat, steht der Umstand, daß der maßgebende Sachverhalt allenfalls den Tatbestand der aufgehobenen Gesetzesstelle erfüllt, der Steuerbefreiung nach dem für den Anlaßfall verbleibenden ersten Satz dieser Gesetzesstelle nicht entgegen.
Da sich somit der erstinstanzliche Bescheid, mit dem Umsatzsteuer für das Jahr 1988 nicht festgesetzt worden war, im Lichte des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nicht als rechtswidrig erweist, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994150061.X00Im RIS seit
20.11.2000