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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in B, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Dezember 1993, Zl. 4.343.352/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aufgrund der Beschwerde und der angeschlossenen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Dezember 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines irakischen Staatsangehörigen, der am 24. August 1993 in das Bundesgebiet eingereist ist, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. September 1993, betreffend Asylgewährung abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Nach den unbestritten gebliebenen Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides habe der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 3. August 1993 im wesentlichen angegeben, sein Bruder A sei bereits im Jahre 1975 wegen seiner Mitgliedschaft bei "einer kommunistischen Partei" für drei Jahre inhaftiert gewesen und damals hätten die Probleme der Familie des Beschwerdeführers mit dem Geheimdienst begonnen. Geheimdienstleute seien immer wieder in das Haus des Beschwerdeführers gekommen, hätten seine Familie beschimpft und seine Mutter einmal sogar geschlagen. Der Beschwerdeführer sei befragt worden, ob in seiner Wohnung Zusammenkünfte der verbotenen kommunistischen Partei stattgefunden hätten. Auch hätte man von ihm Namen von Besuchern und Freunden wissen wollen. Anläßlich der Festnahme seines zweiten Bruders L im Jahre 1979 seien das Haus durchsucht und viele Gegenstände mitgenommen worden. Man habe auch einen Akten- und einen Reisekoffer mit privaten Sachen seines dritten Bruders, den man der Mitgliedschaft zur Al-Daawa Partei beschuldigt habe, beschlagnahmt. L sei wieder entlassen, der andere Bruder jedoch hingerichtet worden. Ein weiterer Bruder namens S sei zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er die politischen Aktivitäten von L den Behörden nicht gemeldet habe. Ein anderer Bruder namens X habe im Jahre 1978 den Irak verlassen müssen, da der irakische Geheimdienst nach ihm wegen seiner Mitgliedschaft zur kommunistischen Partei gefragt hätte. Die ganze Familie sei auf der "sogenannten schwarzen Liste" gestanden. Der Beschwerdeführer sei kurz nach der Verhaftung seines Bruders L "immer wieder" verhört worden. Er habe damals bei der Armee gedient und sei, nachdem er zuvor eine "sehr angenehme" Tätigkeit im Büro auszuüben gehabt habe, nach den Verhören an die vorderste Front im Krieg gegen den Iran geschickt worden. Dort sei er bis zu seiner Verhaftung im Jahre 1986 stationiert gewesen. Er sei verhaftet worden, weil er den Behörden die politischen Aktivitäten seines Bruders L nicht gemeldet habe. Deswegen sei er auch von einem Militärgericht zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Während seiner Untersuchungshaft sei er verhört, geschlagen und mißhandelt worden. Nach Verbüßung der Haftstrafe habe er wieder in seiner Armeeinheit gedient, bis er im Jahre 1990 aus der Armee entlassen worden sei. Er habe in der Folge in Bagdad als Taxifahrer gearbeitet. Anfang 1991 sei es im Zuge dieser Tätigkeit zu einem "Zwischenfall" gekommen. Sein Taxi habe während einer Fahrt einen Schaden erlitten und er sei stehengeblieben um den Schaden zu reparieren. Eine Polizeistreife sei gekommen, habe ihn nach seinem Ausweis gefragt und zur nächsten Sicherheitsdienststelle "mitgenommen". Man habe nämlich den Beschwerdeführer, da sich die Autopanne vor dem Haus eines wichtigen politischen Funktionärs ereignet hätte, verdächtigt, er habe beabsichtigt diesen Funktionär zu töten. Der Beschwerdeführer habe die Nacht in der Polizeistation verbringen müssen, sei aber am nächsten Tag entlassen worden, nachdem die Beamten von der Zufälligkeit der Autopanne überzeugt gewesen seien. Im August 1993 - eine frühere Ausreise sei ihm nicht möglich gewesen - sei der Beschwerdeführer ausgereist. Er habe befürchtet, "irgendwann aus einem nichtigen Grund inhaftiert" zu werden, wenn er den Irak nicht verlasse. Im Falle seiner Rückkehr müßte er mit seiner Hinrichtung rechnen, weil er illegal ausgereist sei.
In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe der Beschwerdeführer diese Angaben im wesentlichen wiederholt.
Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung im wesentlichen damit begründet, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Weder könnten die Maßnahmen gegen die Mitglieder seiner Familie im Asylverfahren des Beschwerdeführers "Berücksichtigung finden", noch stellten die Verhöre im Jahre 1979, noch die Festnahme nach der Autopanne im Jahre 1991 Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes 1991 dar. Auch die Versetzung an die Front im Zuge des Krieges gegen den Iran lasse nicht den Schluß auf eine "politisch motivierte Verfolgungshandlung" zu, da "in einem solchen Krieg jeder verfügbare Mann falls nötig zum direkten Kampfeinsatz herangezogen werden kann". Die Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer zweijährigen Haftstrafe im Jahre 1986 wegen der unterlassenen Information der Behörden über die verbotenen Aktivitäten seines Bruders L sei offenbar in einem fairen Prozeß erfolgt, da "sogar die Untersuchungshaft vom Strafausmaß abgezogen" worden sei. Im Falle "politischer Motivation" - d.h. um "einen politischen Gegner nachhaltig auszuschalten" - wäre der Beschwerdeführer wohl zu einer wesentlich längeren Haftstrafe verurteilt worden. Außerdem müsse festgestellt werden, daß die vorgebrachten Vorfälle im Zeitpunkt der Ausreise bereits zwischen zwei und sieben Jahren zurückgelegen und daher auch aus diesem Grund nicht mehr beachtlich seien. Die Befürchtung jedoch, irgendwann aus einem nichtigen Grund abermals inhaftiert zu werden, falle "unter die Kategorie der abstrakten Möglichkeiten" und sei schon deshalb nicht asylrelevant.
Dem hält der Beschwerdeführer im wesentlichen entgegen, daß die Verfolgungshandlungen gegen die Angehörigen seiner Familie deshalb relevant seien, weil sie die Regimefeindlichkeit seiner Familie zeigten und daher auch die gegen den Beschwerdeführer selbst gerichteten Verfolgungsmaßnahmen glaubhaft und nachvollziehbar machten. Die gegen ihn gerichteten Maßnahmen erreichten insgesamt jedenfalls die für eine Anerkennung als politischer Flüchtling erforderliche Qualität und Quantität. Dies gelte nicht nur für seine Versetzung an die Front, sondern insbesondere auch für die dem Beschwerdeführer "im Gefängnis widerfahrenen Mißhandlungen und Folterungen und zusätzlichen Verfolgungshandlungen", die er bei seiner Ersteinvernahme ausführlich dargelegt habe. Daß diese Mißhandlungen und Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit keine individuellen Verfolgungshandlungen im Sinne der Konvention darstellten, sei "schlichtweg unrichtig". Hätte die belangte Behörde die verfügbaren Länderberichte studiert, so hätte sie zum Ergebnis gelangen müssen, daß derartige Übergriffe keineswegs solche von Einzelpersonen seien, sondern zur systematischen Verfolgung politisch Andersdenkender im Irak gehörten. Wenn die belangte Behörde schließlich mit der zeitlichen Dimension argumentiere, so übersehe sie, daß die Verfolgungshandlungen sich bis zur Ausreise des Beschwerdeführers ausgedehnt hätten, jedenfalls aber bis zu seiner Ausreise für ihn die "konkrete Gefahr" bestanden habe, weiteren Übergriffen und Verfolgungshandlungen der irakischen Behörden ausgesetzt zu sein.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun.
Voraussetzung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 ist die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Bloß subjektiv empfundene Furcht vor Verfolgung genügt nicht; es müssen vielmehr (allenfalls drohende) Maßnahmen dargetan werden, die sowohl aus objektiver Sicht, als auch unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes einen weiteren Verbleib im Heimatland unerträglich erscheinen lassen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. September 1993, Zl. 92/01/1041), wobei Umstände, die schon längere Zeit vor der Ausreise zurückliegen, nicht beachtlich sind (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. April 1993, Zl. 92/01/0966).
Gemessen an dieser Rechtslage kann dahingestellt bleiben, ob die gegen den Beschwerdeführer gesetzten Maßnahmen an sich als Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 zu qualifizieren wären. Denn es lag im Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers im August 1993 nach seinen eigenen Angaben die letzte Festnahme bereits mehr als zwei Jahre zurück und es hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren unbestrittenermaßen auch nicht behauptet, daß er während dieses Zeitraumes weiteren Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen sei oder solche wohlbegründet zu befürchten gehabt hätte. Die nicht näher begründete Befürchtung, "irgendwann aus einem nichtigen Grund inhaftiert" zu werden, geht (für sich alleine) über eine bloß subjektiv empfundene Furcht vor Verfolgung nicht hinaus.
Ist aber nach den Angaben des Beschwerdeführers - die im Asylverfahren die zentrale Erkenntnisquelle darstellen - ein verfolgungsfreier Zeitraum von mehr als zwei Jahren objektiviert, so durfte die belangte Behörde - insoweit frei von Rechtswidrigkeit - die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Ergebnis verneinen.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtverletzungen nicht vorliegen, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Im Hinblick auf diese Entscheidung erübrigt sich eine Entscheidung des Berichters über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190259.X00Im RIS seit
20.11.2000