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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Novak, Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des CS in X, vertreten durch die Erziehungsberechtigten OS und ES, diese vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 5. Oktober 1993, Zl. 1082/10-III/4/93, betreffend Berechtigung zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der am 27. Dezember 1975 geborene Beschwerdeführer stieg nach Wiederholung der 5. Klasse im Schuljahr 1991/92 mit einem "Nicht genügend" im Pflichtgegenstand Italienisch in die
6. Klasse auf. Mit Entscheidung vom 1. Juli 1993 sprach die Klassenkonferenz der 6.a - Klasse des Bundes-Oberstufenrealgymnasiums - gemäß § 25 Abs. 1 Schulunterrichtsgesetz, BGBl. Nr. 472/1986 (SchUG) aus, daß der Beschwerdeführer zum Aufsteigen in die 7. Klasse nicht berechtigt sei, weil er in den Pflichtgegenständen Italienisch und Gitarre die Note "Nicht genügend" erhalten habe.
Der Vater des Beschwerdeführers erhob Berufung "gegen die Beurteilung der Leistungen meines Sohnes mit "Nicht genügend" aus Italienisch". Er legte dar, der Beschwerdeführer habe im ersten Semester ein "Nicht genügend" erhalten. Die Beurteilung der schriftlichen Leistungsfeststellungen im zweiten Semester habe (ebenfalls) "Nicht genügend" ergeben. In den Aufzeichnungen der Italienisch unterrichtenden Lehrerin über die mündlichen Leistungsfeststellungen im zweiten Semester schienen die Noten "Befriedigend" und "Gut" auf; dies ergebe die Note "Befriedigend". Die Beurteilung der Mitarbeit sei ebenfalls mit "Gut" aufgezeichnet. Es sei daher folgende Rechnung anzustellen: 5 (erstes Semester) + 5 (schriftliche
Leistungsfeststellungen (zweites Semester) + 3 (mündliche
Leistungsfeststellungen (zweites Semster) + 2 (Mitarbeit (zweites Semester) = 15:4 = 3,75. Der Beschwerdeführer sei daher mit "Genügend" zu beurteilen.
Die Schulbehörde erster Instanz holte eine Stellungnahme der den Gegenstand Italienisch unterrichtenden Lehrerin ein, der auch Aufzeichnungen über die Leistungsfeststellungen angeschlossen waren.
Mit Bescheid vom 29. Juli 1993 wies der Landesschulrat die Berufung gegen die Entscheidung der Klassenkonferenz vom 1. Juli 1993, wonach der Beschwerdeführer zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe nicht berechtigt ist, ab. Begründend stellte die Behörde folgendes fest: Die Mitarbeit in den Monaten Oktober und November 1992 sei mit "überwiegend negativ", am 5. Dezember 1992 mit "Befriedigend", am 11. März 1993 mit "Positiv", im Februar 1993 mit "Genügend", im März 1993 mit "Gut", im Juni 1993 mit "Gut", sowie am 5. und 8. Juni 1993 jeweils mit "Nicht genügend" beurteilt worden. Eine mündliche Prüfung am 3. Juni 1993 und sämtliche Schularbeiten seien mit "Nicht genügend" beurteilt worden. Auf Grund der vom Beschwerdeführer erbrachten Leistungen sei die Beurteilung des Gegenstandes Italienisch richtig. Da der Beschwerdeführer in zwei Pflichtgegenständen die Note "Nicht genügend" erhalten habe, sei die Schulstufe nicht erfolgreich abgeschlossen worden.
Der Vater des Beschwerdeführers erhob Berufung. Er führte aus, die im Bescheid dargestellte Leistungsbeurteilung sei unrichtig, weil sie "Noten enthält, die in der letzten Sprechstunde der betreffenden Lehrkraft am 25. Juni 1993 noch nicht vorhanden waren". Von den "beiden Nicht genügend betreffend die Mitarbeit am 5. und 8. Juni 1993 sei in der Sprechstunde noch keine Spur" gewesen; vielmehr sei die Auskunft erteilt worden, daß die Mitarbeit "Befriedigend" sei. Die mündliche Prüfung vom 3. Juni 1993 sei mit "Genügend" beurteilt und in die Aufzeichnungen eingetragen worden; die schriftliche Überprüfung vom 26. Juni 1993, die mit "Nicht genügend" beurteilt worden sei, sei "nicht angesagt" gewesen; dieses "Nicht genügend" sei daher - ebenso wie jene betreffend die Mitarbeit am 5. und 8. Juni 1993 - "zu streichen".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie führte begründend aus, die Leistungen und Leistungsbeurteilungen des Beschwerdeführers im Pflichtgegenstand "Italienisch" hätten sich wie folgt dargestellt: Schularbeiten am 19. November 1992 und 21. Jänner, 25. März, 6. Mai und 15. Juni 1993 jeweils "Nicht genügend". Mitarbeit im Oktober und November 1992 "überwiegend negativ", am 5. Dezember 1992 "Befriedigend", am 11. März 1993 "Positiv", im Februar und März 1993 "Genügend" und "Gut", am 5. und 8. Juni 1993 "unzureichendes Wissen", im Juni 1993 "Gut" und am 26. Juni 1993 "Nicht genügend". Die vom Schüler gewünschte mündliche Prüfung habe am 3. Juni 1993 stattgefunden und sei mit "Nicht genügend" beurteilt worden. Diese Angaben ergäben sich aus den Unterlagen der Schule (Schularbeitsheft aus Italienisch und den Beurteilungsaufzeichnungen der Lehrerin), an deren Richtigkeit und Genauigkeit kein Zweifel bestehe. Schriftliche und mündliche Prüfungen seien "bezüglich der Leistungsfeststellung" als gleichwertig anzusehen. Da aber die schriftlichen Leistungsfeststellungen, denen unbestritten im Hinblick auf Anzahl, stofflichen Umfang und Schwierigkeit ein erhöhtes Gewicht zukäme, negativ und die Mitarbeit nur "geringfügig positiv" beurteilt worden sei, sei es rechtmäßig gewesen, daß die gesamte Leistung des Schülers im Pflichtgegenstand Italienisch mit "Nicht genügend" bewertet worden sei. Da das Jahreszeugnis in zwei Pflichtgegenständen die Note "Nicht genügend" enthalte, sei die Schulstufe nicht erfolgreich abgeschlossen worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und - ihrer Erklärung nach im Hinblick darauf, daß dem Beschwerdeführer das Parteiengehör nicht gewährt worden sei - von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zunächst ist festzuhalten, daß die Vorgangsweise der Schulbehörden insoweit nicht zu beanstanden ist, als sie die Berufung, die sich ihrem Wortlaut zufolge "gegen die Beurteilung im Gegenstand Italienisch" wandte, als gegen die Entscheidung der Klassenkonferenz über das Nichtaufsteigen gerichtet interpretierten, weil im - hier vorliegenden - Zweifelsfall jener Auslegung einer Parteienerklärung der Vorzug zu geben ist, die zum Ergebnis führt, daß die Partei ein zulässiges Rechtsschutzziel verfolgt. Es entsprach daher dem Gesetz, daß die Schulbehörden die Berufung nicht als gegen die Jahresbeurteilung in Italienisch gerichtet (und somit - weil die Jahresbeurteilung in einem Unterrichtsgegenstand nicht zu den Angelegenheiten der §§ 70 Abs. 1, 71 Abs. 2 SchUG zählt - als unzulässig), sondern als gegen die Entscheidung über das Nichtaufsteigen (vgl. § 25 iVm § 71 Abs. 2 lit. b SchUG) gerichtet auffaßten, wobei sie die Ausführungen der Berufung über die Beurteilung im Unterrichtsgegenstand Italienisch den Berufungsgründen zuordneten. Die Schulbehörde erster Instanz hatte auch ungeachtet des Umstandes, daß die Beurteilung im Pflichtgegenstand Gitarre mit "Nicht genügend" nicht bekämpft wurde, in eine Überprüfung im Sinne des § 71 Abs. 4 erster Satz SchUG einzutreten, weil im Falle der Unrichtigkeit der Beurteilung im Gegenstand Italienisch eine Feststellung nach § 25 Abs. 2 lit. c SchUG in Betracht gekommen wäre.
Die behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit liegt nicht vor. Die Beschwerde macht als Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend, der angefochtene Bescheid nenne unter der Überschrift "Mitarbeit" verschiedene Noten bzw. sonstige Qualifikationsbezeichnungen unter Beisetzung der jeweiligen Daten, ohne konkret auf Beurteilungsstufen des SchUG und der Leistungsbeurteilungsverordnung (LBVO) Bezug zu nehmen; aus den zur Verfügung stehenden Aufzeichnungen gehe nicht klar hervor, welche Art der Leistungsfeststellung welcher Beurteilung zugrunde liege; bei der im angefochtenen Bescheid unter "Mitarbeit" angeführten Leistungsfeststellung vom 26. Juni 1993 habe es sich in Wahrheit um eine (nicht angekündigte) "schriftliche Überprüfung" im Sinne des § 8 LBVO gehandelt. Dabei handelt es sich gegebenenfalls um Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, deren nähere Erörterung sich im Hinblick auf die im folgenden aufgezeigte Aktenwidrigkeit erübrigt, nicht jedoch um eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Aus Gründen der Prozeßökonomie wird betreffend die Anforderungen, die an die Gesetzmäßigkeit der Begründung eines im Grunde des § 71 Abs. 2 lit. b, Abs. 8 SchUG erlassenen Bescheides zu stellen sind, auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. März 1981, Slg. 10391/A, und vom 10. Juni 1985, Zl. 84/10/0278, verwiesen.
Als Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerde unter anderem geltend, die belangte Behörde habe ihrer Entscheidung im Widerspruch zum Akteninhalt die Feststellung zugrunde gelegt, daß die am 3. Juni 1993 durchgeführte mündliche Prüfung mit "Nicht genügend" beurteilt worden sei. Schon dieses Vorbringen führt zum Erfolg der Beschwerde. In den Aufzeichnungen des Lehrers über die Beurteilung der Leistungsfeststellungen für das gesamte Unterrichtsjahr findet sich neben dem Datum "3.6." und dem Wort "Wunschprüfung" die Ziffer "4"; dem entsprechen die Ausführungen in der Stellungnahme vom 6. Juli 1993, wonach diese Prüfung mit "Genügend" beurteilt worden sei. Der Begründung des angefochtenen Bescheides, der zum entsprechenden Vorbringen der Berufung mit keinem Wort Stellung nimmt, kann nicht entnommen werden, aus welchen Gründen die belangte Behörde ungeachtet dieses Akteninhaltes zur Feststellung gelangte, daß diese Prüfung mit "Nicht genügend" beurteilt worden sei.
Dieser Verfahrensfehler kann auch nicht von vornherein als unwesentlich angesehen werden. Wenngleich die Beschwerde nicht bestreitet, daß die Beurteilungen der Schularbeiten (vgl. § 3 Abs. 1 lit. c sublit. aa LBVO) durchwegs auf "Nicht genügend" lauteten, vermag der Verwaltungsgerichtshof - selbst bei Bedachtnahme auf den Umstand, daß dem zuletzt erreichten Leistungsstand das größere Gewicht zuzumessen ist (vgl. § 20 Abs. 1 SchUG) und somit der Schularbeit vom 15. Juni 1993 besondere Bedeutung zukommt - nicht auszuschließen, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der Aktenwidrigkeit zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Es war somit eine von der belangten Behörde im Hinblick auf ihre aktenwidrige Feststellung nicht aufgegriffene Fehlerhaftigkeit der Beurteilung im Unterrichtsgegenstand Italienisch nicht auszuschließen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil für die nicht erforderliche dritte Ausfertigung der Beschwerde kein Ersatz der Stempelgebühren zusteht.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993100223.X00Im RIS seit
02.07.2001Zuletzt aktualisiert am
12.07.2011