Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §39 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 31. März 1993, Zl. MA 64-11/26/93, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 11.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf das hg. Erkenntnis vom 24. September 1991, Zl. 91/11/0037, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom 22. Februar 1991 betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf. Grund hiefür waren letztlich wesentliche Verfahrensmängel in Ansehung der Annahme des Vorliegens einer die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers indizierenden bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967.
Mit dem vorliegend angefochtenen Ersatzbescheid sprach die belangte Behörde neuerlich gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers für Kraftfahrzeuge der Gruppe B aus (für die Zeit vom 24. August 1990 bis 24. Februar 1992).
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Wie schon in ihrem Bescheid vom 22. Februar 1991 erblickt die belangte Behörde auch im vorliegend angefochtenen Ersatzbescheid die bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 1 und 2 KFG 1967 in dem vom Beschwerdeführer verschuldeten Verkehrsunfall vom 18. Jänner 1990, bei dem eine Person getötet und aufgrund dessen der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. April 1990 rechtskräftig wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung gemäß § 80 StGB verurteilt wurde. Im Vorerkenntnis bemängelte der Verwaltungsgerichtshof das Fehlen konkreter Feststellungen über die näheren Umstände der Begehung dieser strafbaren Handlung, bei der der Beschwerdeführer gegen das Überholverbot des § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 verstoßen hatte, als Grundlage für die Annahme des Vorliegens "besonders gefährlicher Verhältnisse" bzw. "besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderern Straßenbenützern" im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967. Konkret führte der Gerichtshof aus, es sei mangels näherer Ausführungen über die nach Meinung der belangten Behörde "angepaßte" Fahrgeschwindigkeit nicht ersichtlich, ob der von ihr angenommene, im Nichteinhalten einer "angepaßten" Fahrgeschwindigkeit gelegene weitere Verstoß gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Rechtsvorschriften die durch das verbotswidrige Überholen herbeigeführte Verkehrssituation wesentlich verschärft habe. Hinsichtlich der Fahrgeschwindigkeit hielt der Gerichtshof weiters fest, es sei in Anbetracht des auf der Fahrbahn aufgebrachten Rauhasphaltes selbst unter Berücksichtigung der von der belangten Behörde als maßgeblich erachteten Komponenten der "feuchten Fahrbahn" und der "abgefahrenen Reifen" nicht evident, daß eine Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 20 % im gegebenen Zusammenhang entscheidend ins Gewicht falle. Mit dem Hinweis auf das Vorhandensein einer "feuchten Fahrbahn" werde über die Intensität der dadurch bewirkten, in ungünstigerer Bremsverzögerung als bei völlig trockener Fahrbahn gelegenen Beeinträchtigung nichts ausgesagt und es fehle eine Auseinandersetzung mit dem dahin zu verstehenden Vorbringen des Beschwerdeführers, der Zustand der Fahrbahn sei einer (völlig) trockenen Fahrbahn gleichzuhalten gewesen und daher ohne Einfluß auf das mit dem Überholen verbundene Unfallrisiko geblieben. Hinsichtlich der "abgefahrenen Reifen" hätte es, um daraus ein besonderes Gefahrenmoment ableiten zu können, einer Konkretisierung dahin bedurft, ob und in welchem Umfang dieser Mangel die Lauffläche des jeweiligen Reifens betroffen und sich aufgrund der gegebenen Fahrbahnbeschaffenheit ausgewirkt hat. Darüber wäre allenfalls ein Gutachten eines kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen einzuholen gewesen.
Im vorliegend angefochtenen Bescheid wird zunächst wie schon im Bescheid vom 22. Februar 1991 ausgeführt, dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. April 1990 sei zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer bei Dunkelheit auf einer feuchten Straßenstrecke einen Pkw, dessen Vorderräder teilweise kein meßbares Profil aufgewiesen hätten, mit 120 km/h gelenkt und trotz Gegenverkehrs einen Traktor überholt habe, wodurch es zum Frontalzusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug gekommen sei. Zur Frage des Vorliegens "besonders gefährlicher Verhältnisse" heißt es sodann im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer habe unerlaubterweise zwei Fahrzeuge unmittelbar hintereinander bei Dunkelheit, nasser Fahrbahn und mit überhöhter Geschwindigkeit trotz Gegenverkehrs zu überholen versucht. Zum unerlaubten Überholen trotz Gegenverkehrs (§ 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960) kämen daher noch die durch Dunkelheit eingeschränkten Sichtverhältnisse und die überhöhte Geschwindigkeit, welche ein Reagieren des Entgegenkommenden auf das extrem gefährliche Überholmanöver des Beschwerdeführers erheblich erschwert habe. Diese Tatsachen allein rechtfertigten die Annahme besonders gefährlicher Verhältnisse im Sinne des § 66 Abs. 2 KFG 1967, wobei erschwerend sei, daß laut Angabe des Meldungslegers die Fahrbahn feucht und das Fahrzeug des Beschwerdeführers mit teilweise abgefahrenen Vorderreifen ausgestattet gewesen sei.
Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die schon im Vorerkenntnis aufgezeigten Verfahrensmängel zu beheben, wozu die belangte Behörde gemäß § 63 Abs. 1 VwGG verpflichtet war. Zunächst ist unerfindlich, worauf sich die Annahmen der belangten Behörde stützen, der Beschwerdeführer habe "unerlaubterweise ZWEI FAHRZEUGE unmittelbar hintereinander" und bei "nasser" Fahrbahn überholt. Dem Gerichtsurteil, auf welches sich die belangte Behörde ausdrücklich beruft, ist derartiges nicht zu entnehmen. Von der Einholung des Gerichtsaktes abgesehen wurde nach der Aktenlage ein ergänzendes Beweisverfahren nicht durchgeführt. Auch im angefochtenen Bescheid fehlen wiederum konkrete Ausführungen zur Relevanz der "feuchten Fahrbahn" und der "teilweise abgefahrenen Vorderreifen" für das Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse. Die belangte Behörde begnügt sich im wesentlichen mit der (im Vergleich zu ihrem Bescheid vom 22. Februar 1991) etwas eingehenderen Umschreibung des aus der "gekürzten Urteilsausfertigung" ersichtlichen Sachverhalts. Der zusätzliche Hinweis auf die "durch Dunkelheit eingeschränkten Sichtverhältnisse" sagt über die tatsächliche Sichtweite nichts aus. Davon abgesehen erscheint die Annahme von "Dunkelheit" (und nicht etwa bloß Dämmerung) zum Zeitpunkt des Unfalles (gegen 6.55 Uhr) selbst in Anbetracht des Umstandes, daß es sich um den 18. Jänner handelte, nicht hinreichend geklärt. Bemerkt sei, daß der Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien ausdrücklich auf Bestrafung des Beschwerdeführers wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung "unter besonders gefährlichen Verhältnissen" gemäß § 81 StGB lautete, das Strafgericht aber dieser Qualifikation nicht gefolgt ist (die dafür maßgebenden Gründe sind der "gekürzten Urteilsausfertigung" nicht zu entnehmen). Abgesehen von der bereits erwähnten Verpflichtung nach § 63 Abs. 1 VwGG hätte auch dieser aus dem von ihr eingeholten Gerichtsakt ersichtliche Umstand die belangte Behörde dazu veranlassen müssen, ihre im Gegensatz dazu stehende Wertung der Tatumstände als "besonders gefährliche Verhältnisse" durch zusätzliche Ermittlungen und konkrete Ausführungen in der dargelegten Richtung zu untermauern. Das Fehlen derartiger Ermittlungen und Ausführungen hat zur Folge, daß auch der angefochtene Bescheid in der Frage des Vorliegens einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. f erster Fall KFG 1967 mit wesentlichen Verfahrensmängeln behaftet ist.
Was die in der Gegenschrift vorgetragene Meinung anlangt, das Verhalten des Beschwerdeführers erfülle den Tatbestand des § 66 Abs. 2 lit. f zweiter Fall KFG 1967 ("mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern"), ist wie schon im Vorerkenntnis (Seite 8f) festzuhalten, daß es die belangte Behörde auch insoweit unterlassen hat, ein vollständiges Ermittlungsverfahren im Sinne des § 37 AVG durchzuführen und eine schlüssige Begründung zu geben. In Ansehung der in der Gegenschrift neuerlich behaupteten "Gleichwertigkeit" der Tat vom 18. Jänner 1990 mit den in § 66 Abs. 2 KFG 1967 beispielsweise aufgezählten bestimmten Tatsachen genügt der Hinweis auf die diesbezüglichen Ausführungen im Vorerkenntnis (Seite 3f).
Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer bereits im Pauschalsatz für Schriftsatzaufwand enthalten ist und für den angefochtenen Bescheid Stempelmarken nur in Höhe von S 90,-- zu entrichten waren. Die Vollmacht wurde bereits anläßlich der ersten Beschwerdeführung verwendet.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993110093.X00Im RIS seit
19.03.2001