TE Vwgh Erkenntnis 1994/3/17 92/06/0218

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Veröffentlicht am 17.03.1994
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Index

L80005 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Salzburg;
L81705 Baulärm Salzburg;
L82000 Bauordnung;
L82005 Bauordnung Salzburg;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §52;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §8;
BauPolG Slbg 1973 §9 Abs1;
BauRallg;
ROG Slbg 1977 §12 Abs1 Z2 litc;
ROG Slbg 1977 §12 Abs1 Z3 lita;
ROG Slbg 1977 §9 Abs1 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder sowie die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Müller und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des FB und der SB in G, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 31. August 1992, Zl. 1/02-32.576/3-1992, betreffend Wiederaufnahme eines Bauverfahrens (mitbeteiligte Partei: Gemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Salzburg hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In der über das Ansuchen eines näher bezeichneten Bauwerbers um Erteilung der baubehördlichen Bewilligung zur Errichtung einer Wasserkraftanlage (Kleinkraftwerk) im Bereich der Marktgemeinde anberaumten Bauverhandlung wendeten die Beschwerdeführer u.a. (soweit für dieses Beschwerdeverfahren erheblich) ein, sie befürchteten, daß von dem zu errichtenden Objekt unzumutbare Lärmemissionen ausgehen könnten. Weiters befürchteten sie, daß durch den Betrieb der Turbine und des Generators Erschütterungen auftreten könnten, sodaß sie diesbezüglich einen Nachweis über die erschütterungsfreie Lagerung der Maschinen verlangten.

Mit Bescheid des Bürgermeisters dieser Marktgemeinde vom 29. September 1989 wurde dem Bauwerber die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung dieser Wasserkraftanlage nach Maßgabe der eingereichten Pläne unter Vorschreibung verschiedener Auflagen erteilt. Insbesondere wurde aufgetragen:

"Vor Baubeginn hat der Einschreiter die Messung des Grundgeräuschpegels und des energieäquivalenten Dauerschallpegels durch einen hiezu befugten Fachmann vornehmen zu lassen. Die Wasserkraftanlage ist so zu errichten und zu betreiben, daß es nicht zu einer Belästigung der Nachbarschaft kommt. Sollten anläßlich der baubehördlichen Überprüfung für die Nachbarschaft unzumutbare Schallemissionen durch die Turbine oder den Generator festgestellt werden, werden die notwendigen Schalldämmaßnahmen vorgeschrieben. Die Turbine und der Generator sind so zu errichten und zu betreiben, daß keine Schwingungen oder Erschütterungen auftreten können."

Nach der Aktenlage ist dieser Bescheid (der auch den Beschwerdeführern zugestellt wurde) in Rechtskraft erwachsen.

Mit der am 7. Juni 1990 beim Bürgermeister jener Marktgemeinde eingebrachten Eingabe begehrten die Beschwerdeführer die Wiederaufnahme jenes Bauverfahrens. Zusammenfassend führten sie darin aus, daß die Wasserkraftanlage zwischenzeitlich errichtet und in Betrieb genommen worden sei. Nach Aufnahme des Betriebes habe sich herausgestellt, daß es im Bereich ihres Wohnhauses zu erheblichen Lärmbelästigungen gekommen sei, wobei der Lärm in seiner Stärke und Intensität, aber auch hinsichtlich der Geräuschart, variiert habe. Sie seien davon ausgegangen, daß diese Lärmbelästigungen ihre Ursache in einer nicht einwandfreien Ausführung der technischen Anlage des Kraftwerkes hätten, wobei auch von seiten des Betreibers Versuche unternommen worden seien, technische Verbesserungen herbeizuführen.

Erstmals am Montag, dem 28. Mai 1990, gegen ca. 18.00 Uhr sei im Bereich des Wohnhauses der Beschwerdeführer ein stark dröhnendes, vibrationsartiges Geräusch aufgetreten, welches in dieser Intensität und Geräuschart zuvor nicht wahrgenommen worden sei. Dabei hätten die Wände im Wohnzimmer und Schlafzimmer merklich vibriert und es sei ein stark dröhnender, fast prellartiger Ton in der Wand zu hören gewesen. Am Morgen des darauffolgenden Tages sei dieses Geräusch neuerlich aufgetreten. Erst aufgrund der in dieser Art zuvor nicht aufgetretenen Vibrations- und Dröhngeräusche sei für sie erkennbar geworden, daß eine wesentliche Mitursache des Auftretens dieser durch den Betrieb des Kraftwerkes im Bereich ihrer Liegenschaft ausgelösten unzumutbaren Immissionen besonders ungünstige, bodenmechanische bzw. baugeologische Verhältnisse sein müßten. Aufgrund der Stärke der Vibrationen sei erkennbar geworden, daß aller Wahrscheinlichkeit nach sowohl unter ihrem Wohnhaus als auch unter dem Krafthaus eine Felsformation verlaufe, über die die vom Kraftwerk ausgehenden Erschütterungs- und Schallwellen übertragen würden. Im Zeitpunkt der Erlassung der Baubewilligung sei die Baubehörde erster Instanz davon ausgegangen, daß der Betrieb jenes Krafthauses, wenn überhaupt, nur zu geringfügigen Lärm- und Erschütterungsimmission führe, welche durch geeignete bautechnische Maßnahmen auf ein derart geringes Ausmaß gemindert werden könnten, daß sie für den Nachbarn nicht mehr als Belästigung wahrnehmbar seien. Dabei sei jedoch unterlassen worden, auf die für die Übertragung derartiger Lärm- und Erschütterungsemissionen maßgeblichen konkreten bodenmechanischen und baugeologischen Verhältnisse Bedacht zu nehmen. Da die unzumutbaren und geradezu unerträglichen Beeinträchtigungen im Bereich ihres Wohnhauses nunmehr bereits über einen Zeitraum von mehreren Monaten hindurch immer wieder aufgetreten seien, dies jeweils dem Projektbetreiber zur Kenntnis gebracht, der auch von behördlicher Seite angehalten worden sei, eine Besserung der Situation zu erreichen, könne wohl davon ausgegangen werden, daß von dessen Seite alle zur Verfügung stehenden technischen Maßnahmen, um diesbezüglich noch eine Verbesserung für die Nachbarschaft zu erreichen, bereits ausgeschöpft worden seien. Am 1. Juni 1990 sei ihnen vom zuständigen Bauleiter mitgeteilt worden, daß nicht mehr beabsichtigt sei, bautechnische Maßnahmen zu setzen, um eine Beseitigung dieser Immissionen zu erreichen. Damit stehe für sie fest, daß eine Beseitigung dieser Immissionen durch Vornahme von baulichen oder maschinenbautechnischen Maßnahmen im Bereich des Krafthauses sowie im Bereich des Generators oder der Turbine nicht mehr zu erwarten sei und die Ursache der aufgetretenen und nach wie vor auftretenden Beeinträchtigungen nicht in einer mangelhaften baulichen oder maschinenbautechnischen Ausführung des Krafthauses oder der Kraftwerksanlagen liegen könne, sondern vielmehr in sonstigen Umständen, vor allem in den ungünstigen baugeologischen Verhältnissen sowie der Art und Beschaffenheit der Kraftwerksanlage überhaupt in Verbindung mit der besonderen räumlichen Nähe ihres Wohnhauses zum Kraftwerk zu suchen sei. Es lägen daher in mehrfacher Hinsicht Gründe für eine Wiederaufnahme des Baubewilligungsverfahrens vor, wobei sie erst jetzt von diesen Wiederaufnahmegründen Kenntnis erlangt hätten (das Vorbringen wurde in der Folge hinsichtlich verschiedener Aspekte ergänzt).

Mit Bescheid vom 8. November 1991 hat die (infolge Übergang der Zuständigkeit gemäß § 73 AVG zur Entscheidung berufene) Gemeindevertretung der mitbeteiligten Marktgemeinde den Wiederaufnahmsantrag abgewiesen. Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, daß neue Tatsachen und Beweismittel nicht hervorgekommen seien, wobei auch ein neues Beweisverfahren keinen im Hauptinhalt des Spruches der Baubewilligung anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte, weil andere und strengere Auflagen nicht mehr möglich seien, als daß die Anlage so zu betreiben sei, daß keine Schwingungen oder Erschütterungen auftreten könnten.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Teil des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde die dagegen von den Beschwerdeführern erhobenen Vorstellung abgewiesen (der weitere Teil des angefochtenen Bescheides ist nicht beschwerdegegenständlich). Diesbezüglich wurde nach einer eingehenden Wiedergabe des Ganges des Verwaltungsverfahrens begründend ausgeführt, es sei unbestritten, daß das baubehördliche Verfahren durch die Gemeinde ordnungsgemäß durchgeführt worden sei und es stehe ebenso fest, daß es im Haus der Beschwerdeführer zu störenden Lärmimmissionen gekommen sei, die bislang nicht zu beheben gewesen seien. Bei diesen Störungen handle es sich jedoch nicht um Tatsachen, die schon früher bestanden hätten (gemeint: vor Erlassung des Bescheides, mit dem das wiederaufzunehmende Verfahren abgeschlossen wurde). Demnach sei der Wiederaufnahmsantrag von der Gemeinde zu Recht abgewiesen worden. Die auftretenden Störungen seien entweder im Zuge des Überprüfungsverfahrens zu beheben, oder es könnte unter Umständen zu einer Aufhebung der Bewilligung gemäß § 68 Abs. 3 AVG kommen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Zutreffend verweisen die Beschwerdeführer darauf, daß sie als derartige neu hervorgekommene Tatsachen (im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b AVG) nicht die erst nach Bescheiderlassung und Fertigstellung des Kraftwerkes aufgetretenen Erschütterungen, sondern die dadurch erst zutage getretenen (naturgemäß) bereits im wiederaufzunehmenden Verwaltungsverfahren gegebene, ihrer Beurteilung nach außergewöhnliche Bodenbeschaffenheit ansehen, was somit von der belangten Behörde verkannt wurde.

Die Beschwerdeführer bringen in diesem Zusammenhang vor, die vom Kraftwerk aufgrund der besonderen Bodenbeschaffenheit ausgehenden Immissionen seien als "erheblich im Sinne des § 12 Abs. 1 Z. 3 lit. a iVm § 12 Abs. 1 Z. 2 lit. c des Salzburger ROG zu qualifizieren" (sie verweisen dabei auch auf ein im wasserrechtlichen Überprüfungsverfahren eingeholtes Gutachten, wonach diese Lärmimmissionen, die durch das Kraftwerk ausgingen, im Wohnzimmer ihres Hauses bei geschlossenen Fenstern als Dauergeräusch von 41 - 44 dB (A) wahrzunehmen seien), weshalb bei Kenntnis dieser Tatsachen die baubehördliche Bewilligung aufgrund des Versagungstatbestandes des § 9 Abs. 1 lit. a des Salzburger Baupolizeigesetzes nicht hätte erteilt werden dürfen.

Der Niederschrift über die Bauverhandlung am 18. August 1989 zufolge war das Grundstück, auf dem das Kraftwerk errichtet werden sollte (und dann auch errichtet wurde), im Flächenwidmungsplan als Bauland - erweitertes Wohngebiet - ausgewiesen. Die belangte Behörde bringt in der Gegenschrift vor, es befinde sich jetzt (sichtlich aufgrund einer Änderung des Flächenwidmungsplanes) im Kerngebiet.

Zutreffend verweisen die Beschwerdeführer darauf, daß nach § 12 Abs. 1 Z. 3 lit. a iVm § 12 Abs. 1 Z. 2 lit. c des Salzburger Raumordnungsgesetzes 1977 (ROG 1977), LGBl. Nr. 26/1977, diese Bestimmungen idF LGBl. Nr. 52/1984, im Kerngebiet - wie auch im erweiterten Wohngebiet -, soweit für den Beschwerdefall erheblich, (nur) Betriebe zulässig sind, die keine erheblichen Geruchs- oder Lärmbelästigungen oder Erschütterungen für die Nachbarschaft verursachen. Das fragliche Kraftwerk ist rechtlich als "Betrieb" im Sinne dieser Bestimmungen zu werten. Nach § 9 Abs. 1 des Salzburger Baupolizeigesetzes (BaupolG), LGBl. Nr. 117/1973, in der hier anzuwendenden Fassung, LGBl. Nr. 75/1988, ist dem Bauansuchen die Bewilligung zu versagen, wenn (u.a.) die bauliche Maßnahme der durch den Flächenwidmungsplan gegebenen Widmung widerspricht (lit. a), oder wenn dadurch ein subjektiv-öffentliches Recht einer Partei verletzt wird (lit. g). Auf die Einhaltung der einzelnen Widmungskategorien besitzt der Nachbar nicht schlechthin ein subjektiv öffentliches Recht, doch ist ein solches dann anzunehmen, wenn die bestimmte Widmungskategorie - so wie hier - auch einen Immissionsschutz gewährleistet (vgl. Hauer, Salzburger Baurecht, S 64, mit weiteren Hinweisen auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes Slg. Nr. 6958/A, Nr. 3168/A u.a.).

Träfe das Vorbringen der Beschwerdeführer zu, daß auf dem Grundstück des Bauwerbers ein solches Kraftwerk, das beim Betrieb keine derartigen "erheblichen" Immissionen für die Nachbarschaft (i.S. der zitierten Bestimmungen des ROG 1977) verursache, aufgrund der (nach den Behauptungen der Beschwerdeführer: nachträglich hervorgekommenen) besonderen geologischen Gegebenheiten gar nicht errichtet werden könnte, wäre dieses Vorbringen demnach geeignet, "einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid" herbeizuführen, nämlich die Abweisung des Antrages auf Erteilung der Baubewilligung (und nicht nur allenfalls andere oder "genauere" Auflagen, wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vorbringt).

Um aber beurteilen zu können, ob aufgrund der behaupteten besonderen geologischen Gegebenheiten ein Kraftwerk, das beim Betrieb derartige - wie die oben dargestellten - Immissionen verursacht, überhaupt gar nicht errichtet bzw. bewilligt werden kann (abstrakte Eignung des Vorbringens, die Wiederaufnahme zu erwirken), bedarf es eines besonderen Fachwissens und daher der Einholung eines Sachverständigengutachtens, um über den Wiederaufnahmeantrag entscheiden zu können.

Dadurch, daß die belangte Behörde diese Mängel des Bescheides der Gemeindevertretung nicht erkannte, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Person des Bescheidadressaten Gutachten neues Wiederaufnahme Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker Bautechniker Ortsbild Landschaftsbild

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1992060218.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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