TE Vfgh Beschluss 1991/10/7 B871/91

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Veröffentlicht am 07.10.1991
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33
ZPO §146 Abs1

Leitsatz

Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages; fälschliche Adressierung des Kuverts kein minderer Grad des Versehens

Spruch

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde wird keine Folge gegeben.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Grundverkehrs-Landeskommission beim Amt der NÖ Landesregierung versagte mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 8. Februar 1991 einem mehrere Grundstücke betreffenden Übergabsvertrag, den der Antragsteller als Übernehmer abgeschlossen hatte, unter Berufung auf im einzelnen angeführte Bestimmungen des NÖ Grundverkehrsgesetzes 1989, LGBl. 6800-0, die Genehmigung.

2. Die vom Antragsteller gegen diesen Bescheid erhobene, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde wies der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 10. Juni 1991 wegen Versäumung der Beschwerdefrist gemäß §19 Abs3 Z1 litb VerfGG zurück. In der Begründung dieses Beschlusses wurde ausgeführt, daß die in §82 Abs1 VerfGG normierte sechswöchige Beschwerdefrist am 3. April 1991 abgelaufen, die Beschwerde aber erst am 4. April 1991 zur Post gegeben worden sei. Infolge der Fristversäumung sei auf den Umstand der Adressierung der Beschwerde an eine unzuständige Stelle (den Verwaltungsgerichtshof) nicht näher einzugehen gewesen.

3. Mit der am 29. Juli 1991 zur Post gegebenen Eingabe begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung und bringt zur Begründung seines Antrages - zusammengefaßt - im wesentlichen folgendes vor:

In der Kanzlei der beiden Beschwerdevertreter, die in der Nähe des Wiener Westbahnhofes wohnten, bestehe seit Jahren die Gepflogenheit, daß täglich abwechselnd einer der beiden Rechtsvertreter bzw. die als Konzipientin tätige Gattin des einen die abzusendenden Poststücke am Abend auf dem Heimweg von der Kanzlei persönlich bei dem in unmittelbarer Nähe des Westbahnhofes gelegenen Postamt 1150 Wien aufgeben. Während die nicht fristgebundenen, bereits in der Kanzlei der Beschwerdevertreter frankierten Schriftstücke im Saal des Postamtes in den dafür bestimmten Behälter eingeworfen würden, würden die fristgebundenen Schriftstücke nicht "eingeschrieben" aufgegeben, sondern persönlich von einem der Beschwerdevertreter (bzw. der Konzipientin) dem am Schalter des Postamtes Diensttuenden übergeben, der zunächst das für diese Poststücke zu entrichtende Porto berechne, sodann diese Summe in das von der Kanzlei der Beschwerdevertreter bereits im vorhinein ausgefüllte Formular der Zahlungsbestätigung einsetze und schließlich den Rundstempel des Postamtes auf das Formular aufdrucke. Während das Original der Bestätigung für die Buchhaltung aufbewahrt werde, werde je eine Ablichtung davon am folgenden Tag in die betreffenden Akten eingeheftet, überdies werde das jeweilige Porto auf der für die Kanzlei bestimmten Gleichschrift des abgesandten Schriftstückes vermerkt.

Am Abend des 3. April 1991, gegen 22 Uhr, habe einer der Beschwerdevertreter die eingangs erwähnte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof - in einem fälschlicherweise an den Verwaltungsgerichtshof adressierten Kuvert - zugleich mit einem (gleichfalls fristgebundenen) an das Arbeits- und Sozialgericht Wien adressierten Schriftsatz im genannten Postamt dem am Schalter Diensttuenden übergeben. Die aufgelaufenen Portogebühren von 11.- S für die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und von 15.- S für den Schriftsatz an das Arbeits- und Sozialgericht Wien, demnach zusammen 26.- S, seien unter Beidruck des Rundstempels des Postamtes mit dem Datum "3.4.91" und der Uhrzeit "22" auf dem hiefür vorgesehenen Formular bestätigt worden, das in der Kanzlei der Beschwerdevertreter durch (handschriftliche Eintragung der) Bezeichnung der zur Post gegebenen Geschäftsstücke vorbereitet worden war.

Es habe trotz umfangreicher Recherchen bei der Post nicht geklärt werden können, weshalb der Freistempelaufdruck auf dem (fälschlicherweise) an den Verwaltungsgerichtshof adressierten Kuvert, das die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof enthalten habe, das Datum "4.4.91" trage. Der im konkreten Fall tätig gewordene Beschwerdevertreter wisse jedoch positiv - er bestätigt dies durch die dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügte eidesstatliche Erklärung - , daß er das die gegenständliche Verfassungsgerichtshofbeschwerde enthaltende Kuvert in der beschriebenen Weise am 3.4.1991 gegen 22 Uhr persönlich zur Post gegeben habe.

Die fälschliche Adressierung des die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof enthaltenden Kuverts an den Verwaltungsgerichtshof beruhe auf einem entschuldbaren Versehen einer über langjährige Erfahrung verfügenden Mitarbeiterin der Beschwerdevertreter und sei daher ein unabwendbares bzw. unvorhersehbares Ereignis, das die rechtzeitge Einbringung der Beschwerde verhindert habe. Im gegebenen Fall habe diese Mitarbeiterin nicht nur aus der mündlichen Anweisung des Beschwerdevertreters, der den Schriftsatz an den Verfassungsgerichtshof verfaßt und das ihn enthaltende Kuvert persönlich zur Post gegeben habe, gewußt, daß das betreffende Kuvert an den Verfassungsgerichtshof zu adressieren war, sie habe dies auch aus der zutreffenden Anführung des Verfassungsgerichtshofes in der Beschwerde selbst - die sie korrigiert und dem Verfasser zur neuerlichen Überprüfung vorgelegt habe - ersehen können. Auf Grund der jahrelangen, verdienten Arbeit dieser Mitarbeiterin, der ein Fehler wie im vorliegenden Fall bisher noch nie unterlaufen sei, hätte der tätig gewordene Beschwerdevertreter ohne neuerliche Überprüfung davon ausgehen dürfen, daß sie die ihr aufgetragene Kuvertierung der Beschwerde auftragsgemäß durchführen werde. Es hieße "die Sorgfaltspflichten (Überwachungspflichten) eines Rechtsanwaltes 'überspannen', wenn diese nunmehr auch nach Überprüfung der Briefe und Fristenschriftstücke, nach deren Unterfertigung, nach deren neuerlichen Kontrolle über die Richtigkeit der Beilagen, nach deren neuerlichen Vorlage und Endunterfertigung nunmehr auch zu überprüfen ist, ob das Kuvert richtig adressiert ist".

II. Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht begründet.

1. Da das VerfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§33 VerfGG) nicht selbst regelt, sind gemäß §35 VerfGG die entsprechenden Bestimmungen (§§146 ff.) der ZPO sinngemäß anzuwenden. Nach §146 Abs1 ZPO ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie duch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Hiebei hindert ein Verschulden der Partei an einer Versäumung die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Die Verschuldensregelung des §146 Abs1 ZPO gilt auch für den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers und dessen Kanzleikraft (§39 ZPO; s. VfSlg. 10295/1984, 10341/1985, 10772/1986; s. auch VfSlg. 10345/1985, 11822/1988). Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist, wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (VfSlg. 9817/1983, 10341/1985), leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch mache.

2. Im gegebenen Fall kann, was die fälschliche Adressierung des die Verfassungsgerichtshofbeschwerde enthaltenden Kuverts an den Verwaltungsgerichtshof betrifft, nicht mehr von (bloß) leichter Fahrlässigkeit gesprochen werden.

Dem Vorbringen des Antragstellers zufolge nahm eine Kanzleikraft der Beschwerdevertreter die unrichtige Adressierung entgegen dem ausdrücklichen, mündlich erteilten Auftrag des in diesem Fall tätig gewordenen Beschwerdevertreters und in Widerspruch zu der im Kopf der Beschwerde enthaltenen Adressierung an den Verfassungsgerichtshof vor. Dazu kommt, daß die Kanzleikraft - folgt man den Angaben des Antragstellers in der Begründung des Wiederaufnahmeantrages - auch in der von ihr im vorhinein ausgefüllten Rubrik "Private Vermerke:" in der Bestätigung des Postamtes über den laut Poststempel am 3.4.1991 eingezahlten Betrag von 26.- S den Vermerk "Bochsbichler - Verw.Gerichtsh.Beschw."

anbrachte. Diese doppelte Fehlerhaftigkeit (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 10341/1985) kann mit Rücksicht darauf, daß die Kanzleikraft die Adressierung sowie die Eintragung entgegen dem ihr erteilten ausdrücklichen Auftrag und abweichend von der Adressierung im Kopf der - von ihr selbst korrigierten, ihr daher bekannten - Verfassungsgerichtshofbeschwerde vorgenommen hatte, nicht als "minderer Grad des Versehens" iS des §146 Abs1 ZPO (iVm §35 VerfGG) gewertet werden (vgl. in diesem Zusammenhang VfSlg. 11822/1988).

Dazu kommt noch ein weiteres: Da - wiederum entsprechend dem Antragsvorbringen - gemäß einer in der Kanzlei der Beschwerdevertreter seit langem und ständig geübten Gepflogenheit nicht eine Kanzleikraft, sondern einer der Beschwerdevertreter selbst das fehlerhaft adressierte Kuvert persönlich zur Post gegeben und selbst die in der erwähnten Weise von der Kanzleikraft im vorhinein fehlerhaft ausgefüllte Bestätigung dem am Postschalter Diensttuenden vorgelegt und von diesem nach Eintragung des Portobetrages und Aufdruck des Poststempels wieder in Empfang genommen hatte, war es ihm sowohl möglich als auch zumutbar, die Richtigkeit der Adressierung des die Verfassungsgerichtshofbeschwerde enthaltenden Kuverts und des "Privaten Vermerkes" auf dem erwähnten Formular der postamtlichen Bestätigung zu prüfen. Dies umso mehr, als der tätig gewordene Beschwerdevertreter dem Antragsvorbringen zufolge gleichzeitig mit der in Rede stehenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde nur eine einzige weitere fristgebundene Eingabe zur Post gegeben hatte.

Unter den besonderen Umständen dieses Falles, in dem die Postaufgabe nicht einer Kanzleikraft anvertraut war, sondern vom Rechtsanwalt selbst besorgt wurde, kann nicht gesagt werden, daß die anwaltliche Sorgfaltspflicht ua. die näheren Umstände der Postaufgabe nicht umfaßt (so etwa VwGH 13.4.1984, 83/02/0391; 30.1.1985, 83/03/0396, 0397) oder daß hinsichtlich der Verwendung eines Kuverts mit richtiger Adresse eine besonders sorgfältige Überwachung nicht geboten (so VwGH 30.9.1986, 86/04/0172) und eine Überprüfung der von der Kanzleikraft durchgeführten Beschriftung des Kuverts entbehrlich war (so VwGH 29.1.1987, 86/02/0120).

3. Bei diesem Ergebnis kann die Frage auf sich beruhen, ob die in Rede stehende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, wie dies der Verfassungsgerichtshof im eingangs erwähnten Beschluß auf Grund des Datums des auf dem Kuvert angebrachten Stempelaufdrucks (4. April 1991) angenommen hatte, verspätet, oder, wie der Antragsteller in der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages vorbringt, rechtzeitig, nämlich am letzten Tage der Frist (3. April 1991, 22 Uhr), zur Post gegeben wurde, denn die Beschwerde muß selbst unter der Annahme, daß die Postaufgabe am 3. April 1991 erfolgt ist, als verspätet eingebracht angesehen werden.

Wie nämlich der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, gilt eine Beschwerde, die in ein an eine andere Behörde adressiertes Kuvert eingelegt und erst von dieser Behörde an den Verfassungsgerichtshof weitergeleitet wurde, nicht am Tage der Postaufgabe, sondern erst am Tage des Einganges beim Verfassungsgerichthof als eingebracht (s. etwa VfSlg. Anh. 7/1950, 6312/1970, 9040/1981). Nur bei ordnungsgemäßer Adressierung an den zuständigen Gerichtshof ist der Tag der Postaufgabe maßgeblich. Im übrigen gilt dies nur in dem - hier nicht gegebenen - Fall, daß die Verfassungsgerichtshofbeschwerde noch am selben Tag, an dem sie der anderen Behörde von der Post zugestellt worden war, beim Verfassungsgerichtshof eingelangt ist, eine Verlängerung des Postlaufes durch die unrichtige Adressierung also nicht eingetreten ist (VfSlg. 7810/1976).

Da hier die an den Verwaltungsgerichtshof adressierte Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof (wo sie laut dem auf dem Kuvert aufgebrachten Eingangsstempel am 5. April 1991 eingelangt ist) beim Verfassungsgerichtshof erst am 8. April 1991 eintraf, war ihre Zurückweisung auch aus diesem Grund unvermeidlich.

4. Da im vorliegenden Fall die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind, war dem Antrag - mit in nichtöffentlicher Sitzung gefaßtem Beschluß (§33 VerfGG) - nicht Folge zu geben (§149 Abs2 ZPO iVm §35 VerfGG).

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B871.1991

Dokumentnummer

JFT_10088993_91B00871_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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