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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Mayer, über die Beschwerde des J in H, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Mai 1993, Zl. 4.292.660/3-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers - eines rumänischen Staatsangehörigen, der am 28. Jänner 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist - gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 19. November 1991 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991, daher könne ihm nicht gemäß § 3 leg. cit. Asyl gewährt werden.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 6. Februar 1990 gab der Beschwerdeführer u.a. an, daß er und sein Vater nach der Ausreise seines Bruders im Jahre 1986 wiederholt von Angehörigen der Securitate vorgeladen, verhört und mißhandelt worden seien. Sichtbare Verletzungen habe er nicht davongetragen. Wegen der Zugehörigkeit seiner Familie zur ungarischen Volksgruppe habe man sie schlechter behandelt. Ungarische Schulen seien aufgelöst worden, und er habe in eine rumänische Schule gehen müssen, obwohl er sehr schlecht Rumänisch gesprochen habe. Er habe an der Revolution aktiv teilgenommen, wobei Angehörige des Militärs und der Securitate u. a. von ihm geschlagen worden seien. Daher fürchte er Konsequenzen wegen dieser Handlungen, da die Miliz jetzt daranginge, die Teilnehmer des Revolutionsgeschehens auszuforschen. Im Jahre 1988 sei er beim Versuch, das Land illegal zu verlassen, an der Grenze aufgegriffen, drei Tage angehalten und "fürchterlich" geschlagen worden. Er sei wegen des Fluchtversuches nicht verurteilt und bestraft worden. Nach Ungarn habe er deshalb nicht gehen wollen, weil dort auch ein kommunistisches Regime herrsche. Er habe in ein freies Land mit demokratischer Regierungsform auswandern wollen. Auch sei sein Bruder in Österreich, der ihm helfen könnte.
In der Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, daß das Verfahren deshalb mangelhaft gewesen sei, da ihm nicht die Möglichkeit geboten worden sei, sämtliche Gründe darzulegen, die ihn zur Flucht nach Österreich bewogen hätten. Es seien weiters nicht alle von ihm gemachten Angaben protokolliert worden. Er stamme aus Siebenbürgen und gehöre der ungarischen Volksgruppe an. Er sei daher bereits in der Zeit Ceausescus Verfolgungen und Benachteiligungen ausgesetzt gewesen. Sein Bruder sei 1986 geflüchtet und habe in Österreich Asyl erhalten. Daraufhin sei seine Familie noch mehr verfolgt und regelmäßig zu Verhören durch die Polizei geladen worden. Er sei wiederholt geschlagen worden, weil er nichts darüber gesagt habe, warum sein Bruder geflüchtet sei und mit wem er Kontakt habe. Am 2. Mai 1988 sei er bei einem solchen Verhör derart geschlagen worden, daß sein Knöchel gebrochen worden sei. Er sei dann vier Wochen im Krankenstand gewesen. Auch danach sei er immer wieder bedroht worden, insbesondere damit, daß er - wenn er zum Militär gehe - zum Dienst im Kohlebergwerk eingeteilt würde. In dieser Zeit seien Ungarn, die auffällig gewesen seien, sehr häufig zum Dienst im Kohlebergwerk verpflichtet worden. Viele seien dabei gestorben, oder seien mit schweren gesundheitlichen Schäden zurückgekehrt. Er habe an der Revolution aktiv teilgenommen und Securitate-Angehörige zur Polizei gebracht. Einige Tage später seien diese aber wieder freigelassen worden und würden jetzt an anderen Stellen arbeiten. Es sei damals bereits klar gewesen, daß sich am System nichts geändert habe. Er habe besondere Angst gehabt, weil er sich an der Revolution aktiv beteiligt habe. Die ungarnfeindliche Stimmung sei nach der Revolution noch stärker gewesen. Sie seien von den Rumänen mit Haß verfolgt worden und er habe daher nur eine Verschlechterung der Lage für sich erwartet. Im Falle seiner Rückkehr müßte er wegen seiner aktiven Teilnahme an der Revolution Verfolgung befürchten.
Die belangte Behörde wies die Berufung mit der Begründung ab, daß es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen sei, glaubhaft darzutun, er befinde sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes. Die im Zusammenhang mit der Flucht seines Bruders im Jahr 1986 ins Treffen geführten Maßnahmen stünden in keinem zeitlichen Konnex zu seiner Ausreise. Auch seine Anhaltung aus Anlaß eines Fluchtversuches indiziere keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991. Weiters habe die Revolution im Dezember 1989 die Abhaltung demokratischer Wahlen zur Folge gehabt, durch die die derzeitige Regierung legitimiert sei. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe wegen seiner Teilnahme an der Revolution Verfolgung zu befürchten, sei daher unglaubwürdig. Der Beschwerdeführer habe weiters in bezug auf seine Zugehörigkeit zur ungarischen Minderheit keine konkreten, gegen ihn gerichteten Beeinträchtigungen geltend gemacht. Auch dem Vorwurf des Beschwerdeführers, man habe seine Angaben bei der erstinstanzlichen Einvernahme unvollständig protokolliert, stehe entgegen, daß er die Richtigkeit und Vollständigkeit seines Vorbringens mit seiner Unterschrift bestätigt habe. Da das Ermittlungsverfahren keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Beschwerdeführers vor seiner Ausreise ergeben habe, erscheine es auch nicht glaubwürdig, daß er im Fall seiner Rückkehr politisch motivierte Verfolgung durch die rumänischen Behörden zu befürchten hätte.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des Bescheides und seine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Er erachtet sich in dem Recht auf Gewährung von Asyl und auf Durchführung eines mängelfreien Verfahrens verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Im Hinblick darauf, daß das Verfahren bei der belangten Behörde am 1. Juni 1992 anhängig war, war gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 dieses Gesetz anzuwenden.
Gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hat die belangte Behörde
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ausgenommen in Fällen des § 20 Abs. 2 leg. cit. - von den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens erster Instanz auszugehen. § 20 Abs. 2 leg. cit. sieht vor, daß die belangte Behörde eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen hat, wenn das Ermittlungsverfahren offenkundig mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren noch nicht zugänglich waren oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat. Die belangte Behörde hat sich im Hinblick auf § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren auseinandergesetzt. Wenn die belangte Behörde dabei zu dem Vorbringen des Beschwerdeführers, daß er aktiv an der Revolution teilgenommen habe und nunmehr den rumänischen Behörden zuzurechnende Verfolgungshandlungen zu befürchten habe, ins Treffen führt, es hätten nach der Revolution im Dezember 1989 demokratische Wahlen stattgefunden, weshalb diese Befürchtung nicht glaubwürdig sei, ist ihr entgegenzuhalten, daß für diese Schlußfolgerung ausreichende Tatsachenfeststellungen fehlen. Gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hat die belangte Behörde aber ihrer Entscheidung grundsätzlich das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen. Nur in den Fällen des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 hat die belangte Behörde eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen. Da im vorliegenden Fall keiner der Fälle des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 vorliegt
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dies gilt auch für den Vorwurf in der Berufung, es seien nicht alle Angaben bei der Einvernahme protokolliert worden, im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer das Protokoll der Einvernahme mit seiner Unterschrift bestätigt hat - und somit von den Ergebnissen des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens auszugehen war, hat die belangte Behörde gegen § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 verstoßen, indem sie mit der Änderung der Verhältnisse nach den demokratischen Wahlen in Rumänien argumentiert hat, ohne daß im erstinstanzlichen Verfahren dazu Ermittlungen und Feststellungen vorgenommen worden wären. Diesem Verfahrensmangel kommt auch Relevanz im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG zu, weil im Lichte des Vorbringens des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren betreffend seine aktive Teilnahme an der Revolution und die von ihm nunmehr befürchteten Konsequenzen nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993010658.X00Im RIS seit
20.11.2000