Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn, Dr. Germ, Dr. Höß und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des G in S, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) vom 20. Juli 1993, Zl. 102766/3-II/2/93, betreffend Zurückweisung eines Einspruchs gegen eine Disziplinarverfügung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Über den Beschwerdeführer wurde mit Disziplinarverfügung der Bundespolizeidirektion St. Pölten (BPDion) vom 8. April 1992 die Disziplinarstrafe des Verweises verhängt. Die Rechtsmittelbelehrung in dieser Disziplinarverfügung hatte folgenden Wortlaut:
"Gemäß § 132 BDG 1979 steht sowohl Ihnen als auch dem Disziplinaranwalt das Recht zu, innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch zu erheben. Ein Einspruch setzt die Disziplinarverfügung außer Kraft und die Disziplinarkommission hat zu entscheiden, ob ein Verfahren einzuleiten ist."
Der Beschwerdeführer gab seinen gegen diese Disziplinarverfügung erhobenen, "an die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres" (DK) per Adresse 1010 Wien, Herrengasse 7, gerichteten Einspruch am letzten Tag der dafür offenen Frist zur Post; dieser Einspruch wurde mit handschriftlicher Verfügung eines Beamten des Innenministeriums vom 29. April 1992 der BPDion abgetreten, bei welcher er erst nach Ablauf der 14-tägigen Einspruchsfrist einlangte.
Mit Bescheid der BPDion vom 4. November 1992 wurde dieser Einspruch "unter Bedachtnahme auf § 33 Abs. 3 AVG im Zusammenhalt mit § 105 Abs. 1 BDG 1979" als verspätet zurückgewiesen. Begründend führte die BPDion aus, im BDG sei nicht geregelt, wo der Einspruch einzubringen sei. Nach Auffassung der BPDion habe der Einspruch sowohl bei der BPDion als auch bei der DK, auf welche die Zuständigkeit bei rechtzeitigem Einspruch sukzessorisch übergehe, eingebracht werden können. Der Beschwerdeführer habe seinen Einspruch an das Bundesministerium für Inneres (Herrengasse 7) gerichtet, während sich die DK in 1090 Wien, Liechtenwerder Platz 5, befinde. Die unzuständige Abteilung im Innenministerium (Kanzleistelle I) habe den Einspruch "in Beachtung des § 6 Abs. 1 AVG" der BPDion zugesandt. Da der Beschwerdeführer den ihm zur Einspruchserhebung zur Verfügung gestandenen Zeitraum voll genützt und die Sendung erst zum spätestmöglichen Zeitpunkt zur Post gegeben habe, habe durch das Ministerium "eine fristgerechte Einbringung nicht mehr bewirkt" werden können. Der Einspruch sei daher innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist bei der zuständigen Behörde nicht eingelangt, weshalb mit Zurückweisung vorzugehen sei.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung und brachte vor, er habe die Frist zur Erhebung seines Einspruchs gewahrt, weil er sie innerhalb der Frist zur Post gegeben und an die DK adressiert habe. Ob die DK ihren Sitz in der Herrengasse oder am Liechtenwerder Platz habe, sei in diesem Zusammenhang unerheblich.
Diese Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20. Juli 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Nach herrschender Lehre sei der Einspruch gegen eine Disziplinarverfügung bei jener Dienstbehörde einzubringen, die diese Disziplinarverfügung erlassen habe. Der Beschwerdeführer habe jedoch seinen Einspruch nicht bei der BPDion, sondern beim unzuständigen Bundesministerium für Inneres eingebracht, welches ihn gemäß § 6 Abs. 1 AVG "auf Gefahr des Einschreiters" an die zuständige BPDion weitergeleitet habe. Dort sei der Einspruch allerdings erst nach Ablauf der Einspruchsfrist eingelangt, weshalb er zu Recht als verspätet zurückgewiesen worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht darauf verletzt, daß die gegen ihn erlassene Disziplinarverfügung auf Grund seines (rechtzeitigen) Einspruchs außer Kraft getreten sei.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Disziplinarverfügung und der Einspruch dagegen sind in
den §§ 131 und 132 BDG 1979 geregelt.
Hat ein Beamter vor dem Dienstvorgesetzten oder vor der Dienstbehörde eine Dienstpflichtverletzung gestanden, so kann nach § 131 BDG 1979 die Dienstbehörde hinsichtlich dieser Dienstpflichtverletzung ohne weiteres Verfahren schriftlich eine Disziplinarverfügung erlassen. Die Disziplinarverfügung ist auch dem Disziplinaranwalt zuzustellen. In der Disziplinarverfügung darf nur der Verweis ausgesprochen oder eine Geldbuße bis zur Höhe von 10 v.H. des Monatsbezuges - unter Ausschluß der Haushaltszulage -, auf den der Beamte im Zeitpunkt der Erlassung der Disziplinarverfügung Anspruch hat, verhängt werden.
Der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt können gemäß § 132 BDG 1979 gegen die Disziplinarverfügung innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch erheben. Der rechtzeitige Einspruch setzt die Disziplinarverfügung außer Kraft, die Disziplinarkommission hat zu entscheiden, ob ein Verfahren einzuleiten ist.
Nach dieser gesetzlichen Konstruktion ist der Einspruch gegen eine Disziplinarverfügung kein ordentliches Rechtsmittel, sondern ein Fall der sogenannten sukzessiven Kompetenz (so auch Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, S. 410).
Ausgehend von dieser Rechtslage ist im Beschwerdefall die Rechtsfrage zu lösen, welche Behörde über die allfällige Verspätung eines solchen Einspruches wegen Versäumung der 14-tägigen Frist zu entscheiden hat.
Die Auffassung, ein verspäteter Einspruch sei mit Bescheid der Disziplinarbehörde zurückzuweisen, welche die Disziplinarverfügung erlassen hat, wurde in der Lehre (Schwabl-Chilf, Disziplinarrecht2, S. 231) vertreten. Sie steht indes mit der im Falle der sukzessiven Kompetenz gegebenen Rechtslage nicht im Einklang. Bereits die Prüfung der Rechtzeitigkeit des Einspruches obliegt vielmehr der weisungsfrei gestellten Behörde, auf welche die Zuständigkeit übergeht (vgl. die entsprechende Vorgangsweise für den Fall des Leistungsfeststellungsverfahrens; siehe dazu Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Dezember 1993, Zl. 93/09/0425). Ganz allgemein ist dazu zu ergänzen, daß es eine Beeinträchtigung des Rechtsschutzes darstellen würde, wäre jener Behörde, deren Bescheid in seinem Bestand in einem Fall der sukzessiven Kompetenz gefährdet erscheint, die Prüfung der formellen Voraussetzungen des dagegen erhobenen Rechtsbehelfes übertragen. Fragwürdig - insbesondere auch aus der Sicht des Rechtes auf den gesetzlichen Richter - wäre es etwa auch, wenn die "neue" Behörde (bzw. das Gericht) im Falle der erst in dem bei ihr laufenden Verfahren festgestellten Verspätung verpflichtet wäre, die Sache zwecks Zurückweisung an die vorher damit befaßte Verwaltungsbehörde zurückzuverweisen.
Aus diesen Erwägungen folgt, daß die BPDion nicht zur Zurückweisung eines Einspruches gegen ihre Disziplinarverfügung wegen Verspätung zuständig war. Da die belangte Behörde dies im angefochtenen Bescheid verkannt und den Zurückweisungsbescheid der BPDion nicht aus diesem Grunde ersatzlos behoben hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, auf S. 581 f angeführte Judikatur). Da der Beschwerdeführer mit seinem Einspruch rechtzeitig an die für dessen Erledigung zuständige DK herangetreten ist, wird diese im fortgesetzten Verfahren zu entscheiden haben, ob ein Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer einzuleiten ist (§ 132 zweiter Satz BDG 1979).
Bei welcher Behörde ein Einspruch einzubringen ist, beantwortet das Gesetz nicht; im konkreten Fall geht dies auch aus der Rechtsmittelbelehrung in der Disziplinarverfügung der BPDion vom 8. April 1992 nicht hervor. Die in der Lehre (Kucsko-Stadlmayer, aaO, S. 569; Schwabl-Chilf, Disziplinarrecht2, S. 231) vertretene Auffassung, der Einspruch sei (ausschließlich) bei der Behörde einzubringen, welche die Disziplinarverfügung erlassen hat, überzeugt nicht. Es war vielmehr abgesehen davon, daß die dem Beschwerdeführer erteilte Rechtsmittelbelehrung diese Frage in einer für den Rechtsunterworfenen unzumutbaren Weise offen gelassen hat, bei der gegebenen Gesetzeslage zulässig, diesen Einspruch entweder an die Dienstbehörde oder aber auch "an die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres" zu adressieren, wobei es für die Rechtzeitigkeit dieses Einspruches keine Rolle spielte, daß die damit angerufene DK ihren Sitz nicht in der Herrengasse, sondern am Liechtenwerder Platz hat.
Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive BescheideEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993090390.X00Im RIS seit
11.07.2001