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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art137 / AllgLeitsatz
Zurückweisung von Wiederaufnahmsklagen burgenländischer Gemeinden im Vorprüfungsverfahren mangels Vorliegen gesetzlicher Anfechtungsgründe; aktive Klagslegitimation für eine Wiederaufnahmsklage auch der Nachfolgegemeinden; keine Täuschung durch das Nichtzustandekommen der von den die Klagen aufgrund politischer Erwägungen zurückziehenden Gemeinden erhofften Finanzausgleichsnovelle; keine neuen Tatsachen bei erst nach dem Einstellungsbeschluß des VfGH eingetretenen FaktenSpruch
Die Wiederaufnahmsklagen werden zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1.a) Am 30. Jänner 1989 langten beim Verfassungsgerichtshof Klagen von 137 Gemeinden (nämlich aller Gemeinden des Burgenlandes mit Ausnahme von Rust) gegen das Land Burgenland und den Bund ein. Diese - zu A1/89 bis A137/89 protokollierten - Klagen waren auf Art137 B-VG gestützt und betrafen vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Finanzausgleichsgesetz (FAG) 1985.
Mit Beschluß vom 23. Juni 1989 leitete der Verfassungsgerichtshof aus Anlaß dieser Klagen gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §8 FAG 1985 idF der Novellen BGBl. 384/1986 und 607/1987, sowie des §21 FAG 1985 ein (G 89-225/89).
b) Mit Schriftsatz vom 25. September 1989 zogen alle klagenden Gemeinden die Klagen unter Anspruchsverzicht zurück.
Mit Beschlüssen vom 27. September 1989, A1-137/89-17 und G89-225/89-22, stellte daraufhin der Verfassungsgerichtshof die Klageverfahren und die Gesetzesprüfungsverfahren ein (§19 Abs3 Z3 VerfGG).
2. Vier der seinerzeit klagenden Gemeinden (nämlich Raiding-Unterfrauenhaid, Grafenschachen, Leithaprodersdorf und Gattendorf-Neudorf) wurden mit Wirkung vom 1. Jänner 1990 durch Verordnungen der Burgenländischen Landesregierung (LGBl. 50, 51, 53 und 54/1989) in jeweils zwei bzw. drei neue Gemeinden getrennt.
3.a) Mit einem beim Verfassungsgerichtshof am 9. Feber 1990 überreichten Schriftsatz brachten (mit Ausnahme von Rust) sämtliche nunmehr bestehenden burgenländischen Gemeinden - die mit 1. Jänner 1990 neu entstandenen Gemeinden (s.o. I.2.) als "Rechtsnachfolger und zwar Gesamthandforderungsgläubiger" der alten Gemeinden - gegen das Land Burgenland und den Bund die vorliegenden Wiederaufnahmsklagen ein.
Sie begehren die Fällung des folgenden Erkenntnisses:
"a) Die Wiederaufnahme des Verfahrens A1-137/89 wird bewilligt.
b) Der in diesem Verfahren ergangene Beschluß des Verfassungsgerichtshofs vom 27.9.1989, A1-137/89-17, wird zur Gänze aufgehoben.
c) Die Wiederaufnahmsbeklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, den Wiederaufnahmsklägern die Kosten des Wiederaufnahmsprozesses binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen."
In der Hauptsache beantragen die klagenden Gemeinden, die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, ihnen teils als Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben gemäß §8 FAG 1985 für die Jahre 1985 bis 1988, teils als Finanzzuweisungen gemäß §21 FAG 1985 für die Jahre 1985 bis 1988 zahlenmäßig bestimmte Beträge oder Beträge, deren Berechnungsmethode genannt wird, (samt Anhang) zu bezahlen.
b) Die Wiederaufnahmsklagen werden wie folgt begründet:
"A) ..." (Darstellung des bisherigen Geschehens - s.o. I.1.).
"B) Aufgrund der durch den Unterbrechungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes erwarteten und befürchteten Flut von Klagen auch anderer Gebietskörperschaften, die in den Genuß einer allfälligen Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des FAG 1985 kommen wollten, fand am 15.9.1989 unter dem Vorsitz des Bundesministers für Finanzen eine Beratung mit der Landesfinanzreferentenkonferenz, den Vertretern des österreichischen Städtebundes, des österreichischen Gemeindebundes, des burgenländischen Gemeindebundes und des Verbandes der sozialistischen Gemeindevertreter Burgenlands statt. Beratungsgegenstand war das Auffinden einer politischen Lösung, um die Klagelawine abzuwenden und die burgenländischen Gemeinden zu veranlassen, die Klagen zurückzuziehen.
Nach ausführlichen Beratungen wurde folgende Vereinbarung einvernehmlich getroffen:
'1. Die Finanzzuweisungsmittel für den Gemeindekopfquotenausgleich gem. §21 FAG 1989, BGBl. Nr. 687/1988, werden mit Wirksamkeit ab 1.1.1989 in einem ersten Verteilungsvorgang länderweise nach der Volkszahl verteilt. Bei jenen Ländern, bei denen der Bedarf (§21 Abs6) dadurch nicht voll abgedeckt werden kann, erfolgt eine Aufstockung auf den Bedarf durch Kürzung der Finanzzuweisungsmittel bei den übrigen Ländern und zwar im Verhältnis ihrer Anteile nach der Volkszahl, wobei jedoch jedem Land der Bedarf zu verbleiben hat. Die finanziellen Auswirkungen ergeben sich aus folgender Tabelle:
Finanzzuweisung gem. §21 FAG 1989
Verteilung der Mittel für 1989
Beträge in 1.000 S
Bedarf FZ dzt. nach VZ Aufstockung/ FZ neu
Kürzung
Burgenl. 48.745 21.127 21.127 + 27.618 48.745
Kärnten 27.763 41.991 41.991 - 11.365 30.626
NÖ 110.325 111.822 111.822 - 1.497 110.325
OÖ 86.686 99.424 99.424 - 12.738 86.686
Salzburg 1.410 34.639 34.639 - 9.375 25.264
Steierm. 151.644 92.923 92.923 + 58.721 151.644
Tirol 6.084 45.945 45.945 - 12.435 33.510
Vorarlb. 458 23.899 23.899 - 6.468 17.431
------- ------- ------- -------- -------
Ö o. Wien 433.115 471.770 471.770 + 32.460 504.230
Wien 119.928 119.928 - 32.460 87.468
------- ------- -------- -------
Summe 591.698 591.698 0 591.698
Da diese Änderung bereits im Jahr 1989 zum Tragen kommt, erfolgt der Ausgleich anläßlich der Zwischenabrechnung für das Jahr 1989 im März 1990.
2. Die Sonderregelung des §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1989, für jene Gemeinden, die aufgrund des Gebietsänderungsgesetzes, BGBl. Nr. 110/1954, an das Bundesland Niederösterreich rückgegliedert worden sind, wird mit Wirksamkeit ab 1.1.1990 in vier Jahresabschnitten wie folgt ausgebaut:
-
1990 wird der Randgemeindeschlüssel so berechnet, daß bei den betroffenen Gemeinden der Unterschiedsbetrag zwischen dem ihnen nach der Volkszahl gebührenden Vervielfältiger (§8 Abs3 dritter Satz) und dem Vervielfältiger nach §8 Abs3 vorletzter Satz FAG 1989 nur mehr zu 75 % in Anrechnung kommt.
-
1991 wird dieser Unterschiedsbetrag auf 50 % und 1992 auf 25 % reduziert. Mit 31.12.1992 tritt die gegenständliche Sonderregelung zur Gänze außer Kraft.
Dadurch ergeben sich für diese Gemeinden in den Jahren 1990 bis 1992 folgende Vervielfältiger:
Vervielfältiger gem. §8 Abs3 FAG 1989 für die Gemeinden, die auf Grund des Gebietsänderungsgesetzes, BGBl. Nr. 110/1954, an das Bundesland Niederösterreich rückgegliedert worden sind:
bis 10.000 Ew. 10.001-20.000 Ew. 20.001-50.000
Ew. u. Städte
m.eig. Statut
1990 2 1/12 2 1/6 2 1/4
1991 1 5/6 2 2 1/6
1992 1 7/12 1 5/6 1 1/12
3. Die von den 137 burgenländischen Gemeinden beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Klagen, betr. die §§8 und 21 FAG 1985, Verfahren A1-137/89, werden sofort, längstens jedoch bis 25.9.1989 (beim Verfassungsgerichtshof einlangend), unter Anspruchsverzicht zurückgezogen.
4. Die Ertragsanteile-Endabrechnungen der FAG-Periode für die Jahre 1985, 1986 und 1987 liegen vor. Die Finanzausgleichspartner anerkennen die Ertragsanteile-Zwischenabrechnung für das Jahr 1988 als endgültige Abrechnung im Sinne des §11 Abs1 FAG 1985. Das Finanzausgleichsgesetz 1985 wird somit von den Finanzausgleichspartnern als abgeschlossen betrachtet.
5. Zur Wirksamkeit dieser Vereinbarung ist eine Novelle zum FAG 1989 erforderlich, die vom Bundesministerium für Finanzen unverzüglich im Einvernehmen mit den anderen Finanzausgleichspartnern ausgearbeitet und sodann als Regierungsvorlage dem Nationalrat zugeleitet wird.
6. Die Länder sowie der Österreichische Städtebund und der Österreichische Gemeindebund sagen zu, sich dafür zu verwenden, daß die Bestimmungen der Finanzausgleichsgesetze 1985 und 1989 nicht neuerlich angefochten werden.
7. Die Finanzausgleichspartner kommen überein, daß die gegenständliche Vereinbarung einen integrierenden Bestandteil des von den Gebietskörperschaften abgeschlossenen Paktums zum FAG 1989 vom 8.11.1988 darstellt und sohin gleichfalls für die FAG Periode 1989 bis 1992 Gültigkeit hat.'
Beweis: vorgelegtes Resümeeprotokoll vom 15.9.1989
C) Ausschließlich aufgrund dieses Ergebnisses und der damit in Aussicht gestellten einhellig paktierten Neuregelung zogen die klagenden Gemeinden mit Schriftsatz vom 25.9.1989 die Klagen zurück.
D) Mit Beschlüssen vom 27.9.1989 stellte der Verfassungsgerichtshof die Verfahren A1-137/89 und wegen des untrennbaren Zusammenhanges auch die Verfahren G89-225/89 ein.
E) Aufgrund der Beratungsergebnisse vom 15.9.1989 wurde die Regierungsvorlage 1112 BlgNR 17. GP, die mit dem getroffenen Kompromiß inhaltsgleich ist, vom Ministerrat einstimmig beschlossen und dem Parlament zugeleitet, nicht aber dem Finanzausschuß zugewiesen. Auch in den Erläuterungen zu dieser Regierungsvorlage wird auf die zwischen Bund, Ländern und Gemeinden getroffene Vereinbarung vom 15.9.1989 hingewiesen.
Beweis: vorgelegte Regierungsvorlage
F) Grund für die Nichtzuweisung an den zuständigen Ausschuß war offensichtlich die entgegen den am 15.9.1989 getroffenen Vereinbarungen nunmehr vom Land Niederösterreich verweigerte Zustimmung. Aus der am 19.1.1990 unter dem Vorsitz des Bundesministers für Finanzen anberaumten Besprechung mit der Landesfinanzreferentenkonferenz und den Vertretern der Gemeindebünde geht eindeutig hervor, daß mit Ausnahme des Vertreters des Landes Niederösterreichs die Vertreter sämtlicher anderen Länder sich zu der am 15.9.1989 getroffenen Vereinbarung bekennen, das Land Niederösterreich allein aber nunmehr seine Zustimmung zu der am 15.9.1989 auch mit dem Land Niederösterreich getroffenen Vereinbarung von der Regelung der Zweitwohnsitzfrage abhängig macht, obwohl selbst aus der Stellungnahme des Landes Niederösterreich zum Entwurf der FAG-Novelle 1989 vom 17.10.1989 hervorgeht, daß die im Entwurf enthaltenen Änderungen dem Ergebnis der Beratungen zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeindebünden vom 15.9.1989 entsprechen. Aus dem Protokoll der Sitzung vom 19.1.1990 ergibt sich eindeutig, daß Niederösterreich entgegen den getroffenen Vereinbarungen nunmehr verlangt, daß mit dem Randgemeindeschlüssel Zug um Zug die Zweitwohnsitzfrage geregelt werden muß.
Beweis: vorgelegte Stellungnahme der NÖ Landesregierung vom 17.10.1989, vorgelegtes Protokoll der Sitzung vom 19.1.1990
G) Die klagenden Gemeinden haben am 25.9.1989 die zu A1-137/89 anhängigen Klagen ausschließlich im Vertrauen auf die am 15.9.1989 einvernehmlich getroffene Vereinbarung und deren Verwirklichung zurückgezogen. Durch die am 19.1.1990 den klagenden Gemeinden bekannt gewordene Tatsache, daß diese Vereinbarung tatsächlich nicht eingehalten wird, wurden die klagenden Gemeinden durch eine der zweitbeklagten Partei zuzurechnende und von ihr zu verantwortende Täuschung zur Zurückziehung der Klagen bewogen und haben daher durch die Nichterfüllung der gemachten Zusage erheblichen Schaden erlitten. Wäre nämlich die FAG-Novelle 1989 entsprechend der Regierungsvorlage beschlossen worden, wäre den klagenden Gemeinden ein Mehrertrag in Höhe von jährlich zumindest 30 Mio S zugeflossen. Es liegt daher jedenfalls ein Wiederaufnahmsgrund im Sinne des gem. §35 VfGG sinngemäß anzuwendenden §530 Abs1 Z. 3 ZPO vor.
H) Eventualiter bringen die klagenden Parteien auch vor, daß auch der Wiederaufnahmsgrund des §530 Abs1 Z. 7 ZPO gegeben ist. Am 19.1.1990 wurden die klagenden Gemeinden aufgrund der an diesem Tag stattgefundenen Beratungen im Bundesministerium für Finanzen endgültig darüber informiert, daß das Zustandekommen der der Klagsrückziehung vom 25.9.1989 zugrundeliegenden Vereinbarung am Widerstand des Landes Niederösterreich scheitert. Damit ist aber den klagenden Gemeinden eine neue Tatsache zur Kenntnis gelangt, die - wäre sie zum Zeitpunkt der Klagsrückziehung bekannt gewesen - nicht zur Zurückziehung der zu A1-137/89 anhängigen Klagen geführt hätte, noch dazu, wo nicht ausgeschlossen werden kann, daß aufgrund der zu G89-225/89 anhängigen Gesetzesprüfungsverfahren eine den klagenden Gemeinden günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte werden können.
Beweis: vorgelegtes Protokoll der Sitzung vom 19.1.1990
I) Die Tatsache der Nichteinhaltung der am 15.9.1989 getroffenen Vereinbarung wurde den klagenden Gemeinden durch das Verhandlungsprotokoll vom 19.1.1990 bekannt. Die Frist des §534 Abs2 Z. 3 und 4 ZPO ist daher gewahrt.
J) Die klagenden Gemeinden bringen weiters vor, daß es sich beim dg Beschluß vom 27.9.1989, A1-137/89 um eine verfahrensbeendende Entscheidung handelt, mit der das Verfahren aus prozessualen Gründen beendet wurde. Auch ein derartiger Beschluß ist eine durch eine Wiederaufnahmsklage anfechtbare Entscheidung (vgl. Fasching, Zivilprozeßrecht, 2. Auflage, 1990, RZ 2038)."
4.a) Das Land Burgenland erstattete eine Äußerung, in der es sich für die Bewilligung der Wiederaufnahme ausspricht. Es bestreitet jedoch, passiv klagslegitimiert zu sein.
b) Der Bund, vertreten durch den Bundesminister für Finanzen, erstattete eine Gegenschrift, in der ausführlich zur Hauptsache Stellung genommen wird.
Zur Wiederaufnahmsklage wird ausgeführt:
"Da der Gegenstand einer Wiederaufnahmsklage die Beseitigung eines staatlichen Hoheitsaktes ist und nicht der Parteiendisposition unterliegt und somit Geständnisse von Tatsachen, die die Wiederaufnahmsgründe begründen oder Tatbestandselemente von solchen bilden, wirkungslos sind (Fasching, Zivilprozeßrecht, 2. Auflage, 1990, RZ 2037), erscheint es aus Sicht der zweitbeklagten Partei nicht notwendig, auf den Sachverhalt, auf den die klagenden Parteien ihre Wiederaufnahmsklage stützen, näher einzugehen. Es ist aber zu betonen, daß der Bundesminister für Finanzen, wie auch aus den Presseberichten allgemein bekannt ist, nach wie vor zu der Vereinbarung der Finanzausgleichspartner vom 15. September 1989 steht und eine Verwirklichung der geplanten Novelle zum FAG 1989 bisher alleine am politischen Widerstand des Landes Niederösterreich gescheitert ist."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Wiederaufnahmsklagen erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof geht - abgesehen von der tieferstehenden Ausnahme - von dem in den Wiederaufnahmsklagen geschilderten Sachverhalt (s.o. I.3.b) aus; dieser ist durch die vorgelegten (in der Klage zitierten) Urkunden belegt; er wird im übrigen vom Land Burgenland ausdrücklich bestätigt und vom Bund nicht bestritten.
Unzutreffend ist jedoch die Behauptung in den Wiederaufnahmsklagen im zweiten Absatz von Abschnitt B(vor Z1):
"Nach ausführlichen Beratungen wurde folgende Vereinbarung einvernehmlich getroffen: ...".
In dem vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Akt über die Beratung Bund/Länder/Gemeindebünde heißt es im Resümeeprotokoll vom 15. September 1989 (S 15) nämlich bloß: "Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, faßt der Vorsitzende, BM LACINA, als Ergebnis zusammen: ...". (Zu dieser Thematik s.u. II.4.).
2. Zur Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklagen wurde erwogen:
a) Dem §34 VerfGG zufolge kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens u.a. in den Fällen des Art137 B-VG stattfinden.
Für die Wiederaufnahme gelten, da §34 VerfGG eine nähere Regelung nicht enthält, nach §35 VerfGG sinngemäß die Bestimmungen der ZPO (§§530 ff.).
b) Im Wiederaufnahmsverfahren sind aktiv und passiv klagslegitimiert die Parteien des Vorprozesses, ihre Gesamtrechtsnachfolger und die von der Rechtskraft der Vorentscheidung erfaßten Einzelrechtsnachfolger (FASCHING, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts2, Wien 1990, RZ 2035).
Die aktive Klagslegitimation der klagenden Gemeinden ist somit gegeben, und zwar auch hinsichtlich jener, die durch Trennung von seinerzeit klagenden Gemeinden entstanden sind (s.o. I.2.).
c) Die Wiederaufnahmsklage ist innerhalb einer Frist von vier Wochen zu erheben (§534 Abs1 ZPO).
Die Wiederaufnahmsgründe werden aus Umständen abgeleitet (s. Abschnitt G der oben zu I.3.b zitierten Wiederaufnahmsklagen), die den klagenden Parteien am 19. Jänner 1990 bekanntgeworden sind. Die Wiederaufnahmsklagen wurden am 9. Feber 1990 überreicht, sohin innerhalb der vierwöchigen Frist eingebracht.
d) Der notwendige Inhalt der Wiederaufnahmsklage (§536 ZPO) wurde von den klagenden Gemeinden vorgebracht.
e) Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg. 8983/1980 folgendes gesagt:
"Der VfGH hat bei der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens in einer Beschwerdesache (§34 erster Satz VerfGG) im Hinblick auf §35 Abs1 VerfGG auch die Bestimmung des §538 Abs1 ZPO über das Vorprüfungsverfahren sinngemäß anzuwenden. Diese Vorschrift legt fest, daß das Gericht vor Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung, und zwar bei Gerichtshöfen in nichtöffentlicher Sitzung, zu prüfen hat, ob die Klage auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe (§§529 bis 531) gestützt und in der gesetzlichen Frist erhoben wurde; mangelt es an einem dieser Erfordernisse (oder ist die Klage wegen eines der im §230 Abs2 angeführten Gründe unzulässig), so ist sie als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet durch Beschluß zurückzuweisen."
Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser Rechtsprechung fest.
3.a) Die klagenden Gemeinden stützen die Wiederaufnahmsklage primär auf §530 Abs1 Z3 ZPO (s. inbesondere Abschnitt F und G der oben zu I.3.b wiedergegebenen Klagsausführungen).
b) Nach §530 Abs1 Z3 ZPO ist das Verfahren auf Antrag einer Partei wieder aufzunehmen, wenn die Entscheidung durch eine der taxativ aufgezählten "betrügerischen" Handlungen (darunter der Täuschung iS des §108 StGB) des Vertreters der Partei, ihres Gegners oder dessen Vertreters erwirkt wurde.
Die die Wiederaufnahme der Verfahren begehrenden Gemeinden tragen vor, sie seien zur Zurückziehung der seinerzeitigen Klagen (die dann zum Beschluß des Verfassungsgerichtshofes über die Einstellung der Verfahren führte) "durch eine der zweitbeklagten Partei" (dem Bund) "zuzurechnende und von ihr zu verantwortende Täuschung" bewogen worden. Dieses Vorbringen kann im Zusammenhalt mit den übrigen Klagsausführungen nur dahin verstanden werden, daß bei den Beratungen vom 15. September 1989 zugesagt worden sei, daß das Finanzausgleichsgesetz in bestimmter (für die klagenden Gemeinden günstiger) Hinsicht abgeändert werde, daß es dazu aber dann in der Folge wegen des Widerstandes des Landes Niederösterreich nicht gekommen sei.
4. Aus dem vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften vorerwähnten (s.o. II.1) Akt über die Beratung Bund/Länder/Gemeindebünde am 15. September 1989 im Bundesministerium für Finanzen geht hervor, daß in dem Gespräch getrachtet wurde, "eine politische Lösung" zu versuchen, "die die burgenländischen Gemeinden veranlassen würde, ihre Klagen zurückzuziehen". Das Ergebnis der Beratungen faßte der Vorsitzende, Bundesminister Lacina, so zusammen, wie dies oben (II.1./letzter Absatz) aus dem Resümeeprotokoll zitiert wurde. Allen Beteiligten war klar, daß es sich hier nicht um eine zivilrechtliche Vereinbarung handelt, sondern um die Absicht, eine politische Lösung zu treffen, die die Elemente einer - nach Auffassung der Anwesenden - anzustrebenden Gesetzesänderung einerseits und eines prozessualen Handelns der klagenden 137 burgenländischen Gemeinden beim Verfassungsgerichtshof andererseits nach sich ziehen sollte. Zwar wird in Z5 der im Resümeeprotokoll wiedergegebenen, das Verhandlungsergebnis zusammenfassenden Stellungnahme des Bundesministers für Finanzen von einer "Vereinbarung" gesprochen, jedoch ist auch aus der Formulierung dieses Punktes klar ersichtlich, daß damit lediglich zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß die im Resümeeprotokoll zusammengefaßten Ziele eine Novelle zum FAG 1989 erforderlich machen und für den Fall des Nichtzustandekommens einer derartigen Novelle keine politische Bindung bestünde. Allen Beteiligten war daher auch klar, daß die handelnden Personen nur eine persönliche Verwendungszusage gegeben haben, den Gesetzgeber aber weder binden, noch vertreten, noch ersetzen können. Eine Täuschung, wie in der Wiederaufnahmsklage behauptet, kommt daher von vornherein nicht in Betracht; die Gruppe, die die Gespräche geführt hat, konnte keine für die gesetzgebende Körperschaft bindende Erklärung abgeben.
Wenn die 137 klagenden burgenländischen Gemeinden in Z3 der im Resümeeprotokoll enthaltenen Zusammenfassung des Verhandlungsergebnisses sich verpflichteten - offensichtlich bedingungslos und ohne auf die erhoffte Novellierung zum FAG 1989 zu warten -, "längstens jedoch bis 25.9.1989 (beim Verfassungsgerichtshof einlangend)" die Klagen "unter Anspruchsverzicht" zurückzuziehen, so konnte dies - erkennbar auch für die 137 burgenländischen Gemeinden - von vornherein nur eine aus politischen Erwägungen zugesagte Vorleistung dieser Gemeinden sein. Wenn sich nun die daran geknüpften Erwartungen - aus Gründen welcher Art auch immer - nicht erfüllt haben, kann darin nicht der Tatbestand des §530 Abs1 Z3 ZPO erblickt werden. Die klagenden Gemeinden haben daher nicht etwa angestrebt, mit den beklagten Gebietskörperschaften (zunächst zeitliches) Ruhen des Verfahrens zu vereinbaren, wobei - in welcher rechtstechnischen Form immer - festgelegt worden wäre, daß nach der angestrebten und erreichten Änderung des FAG 1989 eine Verpflichtung zur Klagsrückziehung bestünde. Sie haben vielmehr - offensichtlich aus politischen Gründen - die Klagen entsprechend der Z3 der Zusammenfassung des Verhandlungsergebnisses fristgerecht und vorbehaltlos (ohne Zustimmung der anderen Prozeßpartei) unter Anspruchsverzicht zurückgezogen.
5.a) Die klagenden Gemeinden bringen eventualiter noch vor, daß auch der Wiederaufnahmsgrund des §530 Abs1 Z7 ZPO gegeben sei. Am 19. Jänner 1990 seien die klagenden Gemeinden endgültig darüber informiert worden, daß das Zustandekommen der der Klagsrückziehung zugrundeliegenden "Vereinbarung" (vom 15. September 1989) endgültig am Widerstand des Landes Niederösterreich scheitere. Damit aber sei den klagenden Gemeinden eine neue Tatsache zur Kenntnis gelangt, die - wäre sie zum Zeitpunkt der Klagsrückziehung bekannt gewesen - nicht zur Zurückziehung der zu A1-137/89 anhängigen Klagen geführt hätte.
b) Gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO ist die Wiederaufnahme des Verfahrens u.a. dann zu bewilligen, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt, deren Vorbringen in früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte. Die Wiederaufnahme eines mit die Sache erledigender Entscheidung abgeschlossenen Verfahrens ist nur möglich, wenn die Entscheidungsgrundlage bereits in dem für ihre Fällung maßgeblichen Zeitpunkt unrichtig oder unvollständig war; die Tatsachen müssen, um an sich als Wiederaufnahmsgrund tauglich zu sein, vor Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes entstanden sein; nach diesem Zeitpunkt entstandene Tatsachen hingegen rechtfertigen keine Wiederaufnahmsklage (Stohanzl, Jurisdiktionsnorm und Zivilprozeßordnung14, Wien 1990, E56 zu §530 ZPO; VfSlg. 9126/1981).
Die neue Tatsache, die die klagenden Gemeinden vorbringen (nämlich das Nichtzustandekommen der Novelle zum Finanzausgleichsgesetz), ist nun aber erst nach dem Einstellungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 27. September 1989 entstanden.
Auch der Wiederaufnahmsgrund nach §530 Abs1 Z7 ZPO ist somit nicht gegeben.
6. Da die Klagen auf keinen der gesetzlichen Anfechtungsgründe (§§530, 531 ZPO) gestützt wurden, waren sie schon deshalb im Vorprüfungsverfahren (vgl. Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, IV. Band, Anm. 2 zu §538 ZPO) als unzulässig zurückzuweisen (vgl. zB VfSlg. 11.313/1987). Es kann daher unerörtert bleiben, ob die Erledigungen des Verfassungsgerichtshofes vom 27. September 1991 (s.o. I.1.b) prozeßbeendende Beschlüsse sind.
Bei diesem Ergebnis war auf das Urteilsbegehren zur gewünschten Sachentscheidung nicht einzugehen.
7. Dies konnte gemäß §34 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Wiederaufnahme, VfGH / Klagen, Finanzausgleich, Wiederaufnahme siehe auch VfGH / WiederaufnahmeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:A501.1990Dokumentnummer
JFT_10088989_90A00501_00