Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der Y in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. Mai 1993, Zl. SD 545/92, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 27. Mai 1993 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 6 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von drei Jahren erlassen.
Die Beschwerdeführerin habe am 18. Februar 1992 bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Istanbul die Erteilung eines Sichtvermerkes mit einer Gültigkeitsdauer bis 14. Mai 1992 beantragt, als Reiseziel "O in W, S-Gasse 15" genannt, und als Reisezweck "Arbeit" angegeben. Sie habe eine Einzelsicherungsbescheinigung des Arbeitsamtes Angestellte in Wien vorgelegt, aus der ihre Absicht, bei der "Firma" O als Musikerin tätig zu werden, ersichtlich gewesen sei. Am 20. Februar 1992 sei sie in Österreich eingereist und habe bei ihrem Gatten, der bereits seit drei Jahren im Bundesgebiet lebe, Unterkunft genommen. Obgleich der Sichtvermerk der Beschwerdeführerin bis 14. Mai 1992 gültig gewesen sei, habe sie bereits wenige Tage nach ihrer Einreise, und zwar am 6. März 1992, ohne irgendeinen Hinweis auf ihren Beruf, ihre (in Aussicht genommene) Beschäftigung oder (zugesicherte) Arbeitserlaubnis die Erteilung eines weiteren Sichtvermerkes beantragt. Obwohl die Beschwerdeführerin bei einer späteren Vernehmung darauf beharrt habe, nach Österreich gekommen zu sein, um hier als Künstlerin zu arbeiten, und die Einzelsicherungsbescheinigung nicht etwa nur benützt habe, um zu ihrem Gatten nach Österreich zu gelangen, sei die belangte Behörde überzeugt, daß die Beschwerdeführerin schon bei der Stellung des Sichtvermerksantrages in der Türkei die Absicht gehabt habe, in Österreich zu bleiben und hier die eheliche Gemeinschaft mit ihrem Gatten aufzunehmen, sie aber den leichteren Weg, mit Hilfe einer Einzelsicherungsbescheinigung eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, anstatt sich um die Nachzugsgenehmigung für die Aufnahme der ehelichen Gemeinschaft in Österreich zu bemühen, gewählt habe. Dafür spreche nicht nur der Zeitpunkt des in Wien gestellten Sichtvermerksantrages, sondern auch die Tatsache, daß die Beschwerdeführerin, auch als es zu keinem Engagement gekommen sei, in Österreich geblieben sei. Den Beweis dafür, daß und wie lange sie sich um ein Engagement als Sängerin bemüht habe, sei sie übrigens schuldig geblieben. Außerdem habe die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 3. Mai 1993 selbst ausgeführt, den Sichtvermerk in Istanbul beantragt zu haben, weil ihr Ehegatte in Österreich wohne und arbeite. Tatsache sei jedoch, daß sie sich nicht unter diesem Gesichtspunkt um eine Einreiseerlaubnis zum Zweck der Aufnahme der ehelichen Gemeinschaft - naturgemäß nicht für eine Dauer von drei Monaten - bemüht habe. Aufgrund des gegebenen Sachverhaltes sei daher der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 6 FrG erfüllt; auch die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme sei gerechtfertigt.
Zur Frage der Zulässigkeit wies die belangte Behörde darauf hin, daß das Familienleben der Beschwerdeführerin und ihres Gatten zunächst dadurch einen Eingriff erfahren habe, daß einer der Ehepartner eine (vorübergehende) Beschäftigung in Österreich aufgenommen habe. Ob die Beschwerdeführerin ihrem Gatten nachfolgen und gemeinsam mit ihm im Bundesgebiet leben dürfe, sei in dem dafür vorgesehenen Verfahren zu klären. Daraus, daß die Beschwerdeführerin dieses Verfahren umgangen habe, lasse sich nicht ableiten, daß der Eingriff in das derzeitige Familienleben unzulässig sei. Entsprechende Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, d.h. einer ordnungsgemäßen Handhabung der Fremdenpolizei, sei aus generalpräventiven Gründen dringend geboten. Aus den gleichen Gründen zeige auch ein Vergleich des öffentlichen Interesses an der Verhinderung einer Umgehung der Bestimmungen für den Nachzug von Ehepartnern gegenüber den durch das Verhalten der Beschwerdeführerin herbeigeführten Auswirkungen auf ihre Lebenssituation, daß die privaten Interessen im Beschwerdefall nicht überwögen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die Beschwerde vertritt die Ansicht, daß § 18 Abs. 2 Z. 6 FrG schon deshalb nicht hätte herangezogen werden dürfen, weil die Beschwerdeführerin vor Inkrafttreten des Fremdengesetzes (1. Jänner 1993) die Erteilung eines Sichtvermerkes beantragt und in das Bundesgebiet eingereist sei, und es sich bei der Übergangsbestimmung des § 88 Abs. 1 FrG um eine "rein verfahrensrechtliche Bestimmung" handle.
1.2. Dazu, daß diese Auffassung verfehlt ist, und das vorliegende bei Inkrafttreten des Fremdengesetzes anhängig gewesene Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zufolge des § 88 Abs. 1 leg. cit. nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes weiterzuführen ist, genügt es, im Grunde des § 43 Abs. 2 VwGG auf die bisherige dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (etwa das Erkenntnis vom 8. Juli 1993, Zl. 93/18/0196) zu verweisen. Allen aus dem Blickwinkel des "§ 3 Abs. 2 lit. g" des Fremdenpolizeigesetzes erstatteten Beschwerdeeinwänden ist demnach der Boden entzogen.
2.1. Die Beschwerde wirft der belangten Behörde vor, sie habe "in keiner Weise erhoben, welche Angaben der Beschwerdeführerin nunmehr unrichtig waren". Da die Beschwerdeführerin in Österreich jedenfalls eine Arbeit habe aufnehmen wollen und sie zu diesem Zweck eine Sicherungsbescheinigung und letztlich auch eine Arbeitserlaubnis erhalten habe, wodurch der von ihr angegebene Reisezweck erfüllt erscheine, sei es der belangten Behörde nicht möglich gewesen, festzustellen, daß dieser Reisezweck unrichtig sei. Die Behörde habe auch keine Ermittlungen darüber gepflogen, daß sich die Beschwerdeführerin - nachdem ihr erstes Engagement geplatzt sei - in Österreich um eine weitere Anstellung bemüht habe; durch ihre sowie ihres Gatten Einvernahme hätte die Behörde in Erfahrung bringen können, daß die Beschwerdeführerin diesbezüglich nicht geringe Anstrengungen unternommen habe. Schließlich sei im bekämpften Bescheid nicht näher ausgeführt, weshalb die Erlangung eines Sichtvermerkes aufgrund des Vorliegens einer Sicherungsbescheinigung ein "leichterer Weg" gewesen sei, als es das Bemühen um eine Nachzugsgenehmigung gewesen wäre.
2.2. Keine dieser Verfahrensrügen ist zielführend. Der Gerichtshof kann - im Rahmen der ihm insoweit zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) - nicht finden, daß die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung (siehe die Sachverhaltsdarstellung oben I.1.) in ihrer Gesamtheit unschlüssig wäre. Die ungeachtet der Gültigkeit ihres (ersten) Sichtvermerkes noch bis 14. Mai 1992 schon kurz nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet erfolgte Stellung eines weiteren Antrages auf Erteilung eines Sichtvermerkes seitens der Beschwerdeführerin ohne jeglichen Hinweis auf ihren Beruf (Künstlerin bzw. Musikerin), die (ihr angeblich von einem Arbeitgeber zugesicherte) Beschäftigung als Musikerin und die (für sie in Aussicht genommene) Beschäftigungsbewilligung wie auch der Umstand, daß die Beschwerdeführerin trotz Scheiterns ihres (behaupteten) Engagements als Musikerin (Sängerin) weiterhin in Österreich blieb, obwohl es ihr laut ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 6. Mai 1992 an die Bundespolizeidirektion Wien nicht möglich sei, ohne die Mitglieder ihrer Musikergruppe (deren Einreisesichtvermerke "widerrufen" worden seien) aufzutreten, lassen die daraus gewonnene Feststellung, die Beschwerdeführerin habe bereits zu dem Zeitpunkt, als sie in der Türkei (erstmals) einen Sichtvermerk beantragt habe, die Absicht gehabt, bei ihrem Gatten in Österreich zu bleiben, als mit der Lebenserfahrung nicht in Widerspruch stehend erscheinen. Dies umso mehr, als die Beschwerdeführerin in ihrer der belangten Behörde gegenüber abgegebenen schriftlichen Äußerung vom 3. Mai 1993 erklärte, den Sichtvermerk beim österreichischen Generalkonsulat in Istanbul im Februar 1992 beantragt zu haben, "da ihr Ehegatte in Österreich wohnt und arbeitet, hier aufrecht gemeldet ist und eine Arbeitsbewilligung besitzt". Angesichts dieser Beweisergebnisse war es für die belangte Behörde durchaus entbehrlich, Ermittlungen über allfällige Versuche der Beschwerdeführerin, anderweitig ein Engagement zu bekommen, durchzuführen. Im Lichte der unbedenklichen Beweiswürdigung ist es schließlich unwesentlich, daß die belangte Behörde nicht näher dargetan hat, warum der Weg über die Einzelsicherungsbescheinigung "leichter" sei als der über eine "Nachzugsgenehmigung", um eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen.
2.3. Bei dieser Sachlage stößt es auf keine Bedenken, wenn die belangte Behörde zu der Annahme gelangte, die Beschwerdeführerin habe einer österreichischen Behörde gegenüber unrichtige Angaben über den Zweck und die beabsichtigte Dauer ihres Aufenthaltes gemacht, und solcherart den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 6 FrG als verwirklicht ansah. Gleichfalls keinem rechtlichen Einwand begegnet die darauf gründende Beurteilung, daß der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich die öffentliche Ordnung gefährde (§ 18 Abs. 1 leg. cit). Dazu kommt noch, daß sich die Beschwerdeführerin ab Rechtskraft der Ungültigerklärung ihrer Sichtvermerke (ab 30. April 1992) unerlaubt in Österreich aufhält - ein Verhalten, das geeignet ist, die Gefährdung der öffentlichen Ordnung, näherhin eines geordneten Fremdenwesens, durch die Beschwerdeführerin noch deutlich zu unterstreichen.
3. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung bejahte die belangte Behörde - ausgehend von der Annahme, es greife das Aufenthaltsverbot in relevanter Weise in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin ein - das Dringend-geboten-sein dieser Maßnahme (§ 19 FrG) zu Recht, wurde doch das gewichtige öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen von der Beschwerdeführerin in zweifacher Hinsicht beeinträchtigt, wobei auch ihr Verbleiben im Bundesgebiet auch nach und trotz der Ungültigerklärung ihrer Sichtvermerke die öffentliche Ordnung nicht unerheblich gefährdet.
4. Auch § 20 Abs. 1 FrG wurde von der belangten Behörde nicht - wie die Beschwerde meint - "falsch ausgelegt". Bei der nach dieser Bestimmung vorzunehmenden Interessenabwägung war hinsichtlich der Intensität der Bindung der Beschwerdeführerin zu ihrem Gatten einerseits darauf Bedacht zu nehmen, daß die Ehepartner vor der Einreise der Beschwerdeführerin schon lange Zeit freiwillig getrennt gelebt hatten (der Ehegatte der Beschwerdeführerin war bereits seit drei Jahren in Österreich aufhältig), andererseits darauf, daß der demnach erst wieder eine engere Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrem Gatten herbeiführende Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich zum weitaus überwiegenden Teil unrechtmäßig war und diesem zudem eine Einreise aufgrund eines durch unrichtige Angaben erwirkten Sichtvermerkes vorausgegangen war. Von daher gesehen kam dem besagten privaten Interesse kein wesentliches Gewicht zu. Die Schlußfolgerung der belangten Behörde, die Auswirkung des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihres Gatten wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme, ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen.
5. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993180531.X00Im RIS seit
20.11.2000