Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/19/0907Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Kremla als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über 1. den Antrag des A in L, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in L, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. August 1993, Zl. 4.320.524/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, und 2. in dieser Beschwerdesache den Beschluß gefaßt:
Spruch
1.) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
2.) Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Asylwerber. Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. August 1993 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 22. Oktober 1991 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Mit Bescheid des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 9. November 1993, wurde Rechtsanwalt Dr. K dem Beschwerdeführer zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. August 1993 als Verfahrenshelfer beigegeben; dieser Bescheid wurde dem bestellten Verfahrenshelfer am 3. Jänner 1994 zugestellt.
Mit dem vorliegenden, am 21. Februar 1994 zur Post gegebenen Schriftsatz begehrt der Beschwerdeführer unter gleichzeitiger Nachholung der Beschwerde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist mit folgender Begründung:
Der beigegebene Rechtsanwalt habe nach Durchführung der nötigen Aktenerhebungen die Bescheidbeschwerde konzipiert und vorbereitet und fristgerecht am 11. Februar 1994 zum Diktat an die zuverlässige Kanzleikraft, Frau M., zur Ausfertigung und Postaufgabe übergeben. Die Bescheidbeschwerde sei am Freitag, den 11. Februar 1994, bereits "fertig zur Versendung" gewesen und in der Unterschriftenmappe zur Unterfertigung durch den beigebenen Rechtsanwalt gelegen. Fristende sei Montag, der 14. Februar 1994 gewesen. Die Kanzleikraft, Frau M., habe am 11. Februar 1994 die Unterschriftsmappe an die gleichfalls zuverlässige Kanzleikraft, Frau A., mit dem Auftrag übergeben, die Beschwerde zur Unterschrift vorzulegen und fristgerecht zur Post zu geben. Infolge Erkrankung von Frau M. am 14. Februar 1994 sei die Unterschriftenmappe von Frau A. übersehen worden und unbemerkt, da sie sich unter mehreren Akten auf dem Schreibtisch von Frau M. befunden habe, bis zu deren Rückkehr aus dem Krankenstand am 21. Februar 1994 liegen geblieben. Bei den beiden Mitarbeiterinnen handle es sich um zuverlässige und pflichtbewußte Kanzleikräfte, die die ihnen übertragenen Aufgaben bisher gewissenhaft und ohne, daß ein derartiger Fehler unterlaufen sei, erfüllt hätten. Beiden Mitarbeiterinnen obliege es, die jeweiligen Schriftsätze nach Diktat zur Unterschriftsleistung in der Unterschriftsmappe vorzulegen und die Schriftsätze samt Beilagen zur Post zu geben. Diese Aufgaben seien bisher ohne Versäumnis durchgeführt worden, sodaß für den Rechtsanwalt kein Grund zur erhöhten Kontrolle bestanden habe und er sich habe darauf verlassen können, daß das Kanzleipersonal die ihm aufgetragenen Weisungen ordnungsgemäß und fristgerecht durchführe.
Dem vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag wurden eidesstättige Erklärungen der beiden Kanzleiangestellten sowie eine Kopie der Krankenstandsbescheinigung von Frau M. beigegeben.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. z.B. vom 22. März 1991, 91/10/0018, 20. Jänner 1992, 92/01/1062).
Ein Rechtsanwalt verstößt auch dann gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen wirksame Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumung auszuschließen geeignet sind. Ein Verschulden trifft ihn in einem solchen Fall nur dann nicht, wenn dargetan wird, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des entsprechenden Kanzleiangestellten beruht (vgl. z. B. Beschluß vom 14. Mai 1991, Zl. 91/14/0061 und Beschluß vom 21. April 1993, Zl. 92/01/0232, 0233). Die Art und Intensität der über die Kanzlei ausgeübten Kontrolle ist bereits im Wiedereinsetzungsantag darzutun (vgl. Beschluß vom 20. Jänner 1993, Zl. 92/01/0062, 1063 mwN). Die Grundsätze über die gebotene Sorgfaltspflicht des Rechtsanwaltes gelten nicht nur für einen von den Parteien bevollmächtigten, sondern auch für einen für die Partei zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt (vgl. Beschluß vom 15. Dezember 1988, Zl. 88/08/0278).
Dabei gehört es zu den Organisationserfordernissen, daß in einer Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters eine Endkontrolle stattfindet, die sicherstellt, daß fristwahrende Schriftsätze tatsächlich gefertigt und abgesandt werden. Für diese Ausgangskontrolle ist ein Fristenkalender unabdingbar, in dem das Fristenende vermerkt und diese Fristeintragung erst gestrichen wird, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und zumindest postfertig gemacht worden ist. Nur bei einer solchen Handhabung kann die Eintragung im Fristenkalender ihren Sicherungszweck erfüllen. Eine derartige End- oder Ausgangskontrolle gehört zu den Organisationserfordernissen, die zur Vermeidung von Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen unumgänglich sind.
Kein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten wäre hingegen dann anzunehmen, wenn erst nach Unterfertigung des Schriftstückes und Kontrolle der Vollständigkeit durch den Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe durch einen verläßlichen Angestellten ein Fehler unterlaufen wäre (vgl. Beschluß vom 23. Februar 1993, Zl. 92/15/0234 und vom 21. April 1993, Zlen 93/01/0232, 0233).
Ausgehend vom Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, in dessen Rahmen das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen zu prüfen ist, ist nicht nur ein Verschulden der Kanzleiangestellten des Rechtsanwaltes, sondern auch ein Verschulden des Rechtsanwaltes selbst zu bejahen.
So hat er ausgeführt, daß es den Kanzleiangestellten obliege, die jeweiligen Schriftsätze nach Diktat zur Unterschrift vorzulegen und zur Post zu geben. Daß in seiner Kanzlei ein wirksames Kontrollsystem vorgesehen war, das - für den Fall des Versagens einer Kanzleiangestellten - Fristversäumnisse auszuschließen geeignet war, hat er nicht dargetan, sondern sah er im Gegenteil "keinen Grund zur erhöhten Kontrolle". So hat der Beschwerdeführer-Vertreter nicht einmal das Bestehen eines Fristenkalenders, der ihm eine Ausgangskontrolle ermöglicht hätte, behauptet.
Der Beschwerdeführer-Vertreter überließ vielmehr den Kanzleiangestellten nicht etwa die bloße, im unmittelbaren Anschluß an die Unterfertigung und Kontrolle des Schriftstückes durchzuführende Abfertigung, sondern die Fristwahrung selbst. Von einem als "minderen Grad des Versehens zu wertendes Verschulden des Rechtsanwaltes" kann daher im Beschwerdefall nicht die Rede sein.
Der Wiedereinsetzungsantrag war daher abzuweisen. Damit war die, gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebrachte Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung des § 26 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. ohne weiteres Verfahren mit Beschluß zurückzuweisen.
Es erübrigt sich daher auch ein Abspruch über den Antrag des Beschwerdeführers, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190906.X00Im RIS seit
03.04.2001