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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftsführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in E, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. Jänner 1993, Zl.4.342.201/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Pakistans, reiste am 29. Dezember 1992 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.
Bei der niederschriftlichen Befragung durch das Bundesasylamt gleichfalls am 29. Dezember 1992 gab er an, Anfang Juni (1992) eine Woche inhaftiert und hiebei geschlagen und mittels Elektroschock gefoltert worden zu sein; er sei Angehöriger der oppositionellen "PPP (Pakistan People Party)" und vermute in der Mitgliedschaft zu dieser Organisation den Grund für seine Verhaftung. Ziel und Aufgabe dieser Partei sei nämlich das Aufzeigen der korrupten Vorgangsweise der derzeit herrschenden Regierung, weshalb auch öfters Demonstrationen dieser Partei gegen die Regierungspartei stattgefunden hätten. Am 18. November 1992 sei er kurz vor Abhaltung einer weiteren Demonstration von Polizeikräften in Faisalabad verhaftet und für zwei Tage angehalten, dabei jedoch weder verletzt noch mißhandelt worden. Er sei nach diesen zwei Tagen deshalb entlassen worden, weil er durch seine Inhaftierung nicht an der geplanten Demonstration in Islamabad habe teilnehmen können. Zwei Tage nach der Haftentlassung sei sein Lebensmittelgeschäft von unbekannten Tätern, vermutlich Angehörigen der regierenden "IJI"-Partei in Brand gesteckt worden. Er habe zwar eine Anzeige an die Polizei wegen der Brandstiftung erstattet, jedoch auf Anraten seiner Partei sich entschlossen, das Land zu verlassen. Er werde überdies seit 20. Dezember 1992 per Haftbefehl, ausgestellt von der Polizei in Faisalabad, gesucht. Er habe dennoch legal und mit seinem Reisepaß am 25. Dezember 1992 seine Heimat über Karatchi verlassen; er sei per Transitflug über Moskau nach Belgrad geflogen. Die legale Ausreise erkläre er damit, daß die Sicherheitsbehörden landesweit noch nicht in Kenntnis von dem Haftbefehl gewesen sein dürften; außerdem habe ihn seine Partei finanziell und organisatorisch unterstützt. Für den Fall seiner Rückkehr nach Pakistan befürchte er, daß jene Leute, die sein Lebensmittelgeschäft angezündet hätten, auch ihm möglicherweise nach dem Leben trachteten. Außerdem nehme er an, daß er von den Behörden wegen seiner Mitgliedschaft zur "PPP" und der Teilnahme an diversen Demonstrationen verhaftet werden würde.
Mit Bescheid vom 29. Dezember 1992 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl ab.
In seiner dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer - im wesentlichen ausgehend von seinen Angaben im erstinstanzlichen Verfahren - ergänzend aus, die Behörden Pakistans seien nicht in der Lage und nicht gewillt, der Verfolgung durch Mitglieder der "IJI"-Partei Einhalt zu gebieten. Auch könne die Annahme der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers nicht darauf gestützt werden, daß - trotz der vom Beschwerdeführer gegebenen Erklärung - eine legale Ausreise aufgrund des gegen ihn bestehenden Haftbefehles unmöglich gewesen sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Dem Beschwerdeführer sei es während seines Asylverfahrens in keiner Weise gelungen, glaubhaft zu machen, politisch verfolgt zu werden. So könne er den Grund für seine Inhaftierung Anfang Juni 1992 und dafür, daß er dabei geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert worden sei, nicht angeben und vermute diesen nur in seiner Mitgliedschaft bei der "PPP". Auch die Brandstifter, die das Lebensmittelgeschäft nach den Angaben des Beschwerdeführers angezündet hätten, vermute er nur im Kreise der gegnerischen Regierungspartei. Konkrete Beweise oder Angaben diesbezüglich könne er jedoch nicht namhaft machen. Auch wenn es tatsächlich während der einwöchigen Inhaftierung zu Mißhandlungen gekommen sein sollte, könnten diese - auch wenn sie von Organen der staatlichen Behörden gesetzt würden - nicht als "asylbegründende mittelbare staatliche Verfolgung" gewertet werden, da in derartigen Übergriffen nur selbständige Handlungen von Einzelpersonen zu erblicken seien. Es wäre für den Beschwerdeführer auch möglich gewesen, sich des Schutzes bzw. der Anzeige- oder Beschwerdemöglichkeit bei einer übergeordneten Behörde zu bedienen. Es sei überdies auch unglaubwürdig, daß dem Beschwerdeführer der Haftgrund nicht mitgeteilt worden sei, oder daß er diesen nicht aus den Fragen hätte erschließen können. Der Beschwerdeführer habe überdies sein Vertrauen in die staatlichen Behörden auch dadurch gezeigt, daß er den Brandanschlag auf sein Lebensmittelgeschäft zur Anzeige gebracht habe.
Pakistan sei seit Herbst 1988 wieder ein demokratischer Staat mit einer regulären Verfassung; es existiere sehr wohl eine funktionierende Gerichtsbarkeit in Pakistan, welche keinen Anlaß gebe, in die staatlichen Stellen kein Vertrauen zu setzen. Derzeit sei - wie der belangten Behörde aus Berichten der österreichischen Vertretungsbehörde in Islamabad bekannt sei - eine Verfolgung im Sinne der "Konvention 1951" durch die pakistanischen Behörden wegen Zugehörigkeit zur "PPP" auszuschließen. Diese Partei sei auch mit einer Reihe von Abgeordneten im pakistanischen Parlament vertreten. Eine allfällige Verfolgung durch Mitglieder der "IJI"-Partei sei nicht als asylbegründende Verfolgung zu werten, da eine Zurechnung der Handlungen dieser Partei zum pakistanischen Staat nicht möglich sei. Auch die legale Ausreise aus Pakistan trotz des bestehenden Haftbefehls sei ein weiteres Indiz dafür, daß den pakistanischen Behörden eine Verfolgung des Beschwerdeführers nicht angelastet werden könne; die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang gegebene Erklärung erscheine unglaubwürdig.
Da die politische Situation auch schon vor der Ausreise des Beschwerdeführers aus Pakistan gegeben gewesen sei, sei die belangte Behörde davon ausgegangen, daß eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu diesem Ergebnis einer Beweisaufnahme entbehrlich gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer macht mit Recht die mangelnde Schlüssigkeit der von der belangten Behörde bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen geltend.
Die belangte Behörde begründet ihre Auffassung, der Beschwerdeführer habe eine begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft (vgl. § 3 Asylgesetz 1991) machen können, zunächst damit, dieser habe mit seinem gültigen Reisepaß trotz eines gegen ihn gerichteten Haftbefehles ausreisen können.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß aus einer problemlosen (legalen) Ausreise alleine noch nicht der Schluß gezogen werden könne, dem Beschwerdeführer drohe in seinem Heimatland keine Verfolgung (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 18. September 1991, Zl. 91/01/0037 und 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0410). Ebensowenig ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Umstand, daß ein Asylwerber einen gültigen Reisepaß seines Heimatstaates besitzt, für sich allein ein Hindernis für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. nur das bereits erwähnte Erkenntnis vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0410).
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren angegeben, sein Heimatland wenige Tage nach Ausstellung des Haftbefehles verlassen zu haben, wobei er die Hilfe seiner Partei genossen habe. Er erachte es auch für möglich, daß der Haftbefehl den Behörden noch nicht landesweit bekannt gewesen sei. Von diesen Angaben ausgehend und im Hinblick darauf, daß die belangte Behörde keine Feststellungen darüber traf, welche Vorkehrungen die Behörden des Heimatstaates des Beschwerdeführers gegen die Ausreise von Personen getroffen haben, die mit Haftbefehl gesucht werden, vermag der Umstand, daß der Beschwerdeführer problemlos (mit Unterstützung seiner Partei) ausreisen konnte, die Schlußfolgerung der belangten Behörde, es bestehe kein ausreichender Anhaltspunkt für wohlbegründete Furcht vor Verfolgung, nicht zu tragen. Ebenso kann sich die Annahme der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer behaupteten Folterungen während seiner Haft seien nur Übergriffe von Einzelpersonen auf kein entsprechendes Verfahrensergebnis stützen.
Nicht gefolgt werden kann der belangten Behörde aber auch darin, daß sie die Rechtsansicht vertritt, der von ihr ohne Angabe von Erkenntnisquellen ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Umstand, daß Pakistan seit Herbst 1988 wieder ein demokratischer Staat sei und daß die staatlichen Stellen rein formell aufgrund der Gesetze alle Bürger gleich behandelten sowie, daß eine Verfolgung der Mitglieder der "PPP" nach den Mitteilungen der österreichischen Vertretungsbehörde in Islamabad ausgeschlossen werden könne, habe dem Beschwerdeführer nicht vorgehalten werden müssen, weil ihm das innenpolitische Geschehen in seinem Heimatland, das sich vor seiner Ausreise ereignet habe, bekannt habe sein müssen. Vielmehr muß gemäß § 45 Abs. 3 AVG jeder Partei insbesondere Gelegenheit geboten werden, sich über die als offenkundig behandelten Tatsachen und über das Ergebnis amtlicher Erhebungen zu äußern. Diesem Gebot ist die belangte Behörde aber - wie sie selbst ausführt - nicht nachgekommen.
Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde - auch im Hinblick auf die Würdigung der Umstände, aus denen der Beschwerdeführer die Glaubhaftmachung einer begründeten Furcht vor Verfolgung ableitet - zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3
lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190059.X00Im RIS seit
20.11.2000