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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
StVO 1960 §4 Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Bernard und Dr. Riedinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des D in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 27. Juli 1993, Zl. 02/03/92 035/7, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 27. Juli 1993 wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 3 lit. b in Verbindung mit § 4 Abs. 5 StVO für schuldig befunden und hiefür bestraft, weil er am 23. Juni 1991 um 13.15 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw an einem bestimmten Ort aufgrund seines Verhaltens mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle von diesem Verkehrsunfall verständigt habe. Über ihn wurde eine Geldstrafe von S 4.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage) verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 4 Abs. 5 StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Nach dem klaren Wortlaut des zweiten Satzes dieser Gesetzesstelle darf eine Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle nur dann unterbleiben, wenn alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, einander Namen und Anschrift nachgewiesen haben (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Februar 1988, Zl. 87/03/0158, und vom 30. April 1992, Zl. 92/02/0101).
Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, daß er wegen einer anderen als der ihm im Verfahren vor der ersten Instanz zur Last gelegten Tat bestraft wurde. Den Ausführungen, daß der Tatvorwurf der ersten Instanz auf den Angaben der Zeugin U. beruhe, während er mit dem angefochtenen Bescheid wegen einer anderen (einer dem von der Zeugin U. geschilderten Ereignis zeitlich vorgelagerten) Tat bestraft worden sei, kommt Berechtigung zu.
Von der Erstbehörde wurden Verfolgungshandlungen dahin gesetzt, daß dem Beschwerdeführer der von der Zeugin U. beobachtete Unfallhergang und die sodann unterlassene Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zur Last gelegt und er wegen dieses Tatvorwurfs in der Folge auch für schuldig erkannt wurde. Erst das in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde durchgeführte Beweisverfahren hat - gestützt auf die Aussagen des Beschwerdeführers und der Zeugin A. - ergeben, daß der Beschwerdeführer mit seinem Pkw aus einem Schrägparkplatz, der sich ungefähr schräg gegenüber dem Abstellplatz der Geschädigten (am linken Fahrbahnrand) befunden habe, bergab zurückgeschoben habe. Bei diesem Manöver des Zurückschiebens sei es zu einer Berührung der beiden Fahrzeuge im Bereich der Stoßstangen gekommen, woraus ein Schaden am Fahrzeug der Geschädigten resultiert habe. Das Fahrzeug des Beschwerdeführers habe dabei keinen Schaden erlitten. Der Beschwerdeführer sei gemeinsam mit der Zeugin A. ausgestiegen, habe den Schaden besichtigt und eine Visitenkarte hinter den Scheibenwischer des Fahrzeuges der Geschädigten gesteckt. Danach sei er ein Stück gerade bergauf gefahren, habe umgedreht und sei wieder bergab gefahren. Im Zuge dieser Vorbeifahrt am Fahrzeug der Geschädigten sei es zu einer Berührung mit herabhängenden Stoßstangenteilen gekommen und so das von der Zeugin U. wahrgenommene Knirschen bzw. Schleifen verursacht worden. Der Beschwerdeführer habe danach seine Fahrt fortgesetzt.
Ausgehend von diesen Feststellungen haben daher nach Meinung des Gerichtshofes zwei Vorfälle stattgefunden, wobei nur bei dem vom Beschwerdeführer und der Zeugin A.
geschilderten Vorfall ein Sachschaden am Fahrzeug der Unfallgegnerin verursacht wurde. Nur dieser Vorfall hätte daher den Beschwerdeführer zu einer Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verpflichtet.
Da die belangte Behörde die Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers aber aus einem Sachverhalt abgeleitet hat, der erst in der Verhandlung vom 8. Juni 1993 hervorgekommen ist, hat sie eine Befugnis in Anspruch genommen, die durch § 66 Abs. 4 AVG nicht gedeckt ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2) vorgenommen worden ist. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung beträgt die Verjährungsfrist für die gegenständliche Verwaltungsübertretung 6 Monate.
§ 32 Abs. 2 leg. cit. bestimmt, daß Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u. dgl.) ist, und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf den Eintritt einer allfälligen Verfolgungsverjährung, auch wenn sie vom Beschwerdeführer nicht eingewendet wurde, Bedacht zu nehmen (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Zl. 82/03/0112, Slg. N.F. Nr. 11.525/A). Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen ergibt sich, daß innerhalb der Frist der Verfolgungsverjährung keine taugliche Verfolgungshandlung gesetzt wurde. Die belangte Behörde hat daher dadurch, daß sie den Vorwurf einer Straftat, die am 23. Juni 1991 begangen wurde, erst am 27. Juli 1993 in der gegenständlichen Form präzisiert hat, den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, sodaß er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen bzw. der Höhe nach unrichtig verzeichneten Stempelgebührenaufwand für die Vorlage von Beschwerdebeilagen.
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Allgemein Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Erklärung und Umfang der Anfechtung Anfechtungserklärung Identitätsnachweis MeldepflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993020228.X00Im RIS seit
11.07.2001