TE Vfgh Erkenntnis 1991/10/16 B96/91

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Veröffentlicht am 16.10.1991
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn sind all jene Fälle gleichzuhalten, die bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988). Anlaßfallwirkung der Aufhebung der Wortfolge "nach Z. 4" in §94d Z6 StVO 1960 mit E v 12.10.91, G190/91.

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Das Land Salzburg (Salzburger Landesregierung) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen des Beschwerdevertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 30. November 1990, Z9/01-99/18/1-1990, wurde der Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Salzburg vom 20. März 1990, Z1/06/060212/90/001, durch den dem Antragsteller "gemäß §45 Abs4 StVO 1960 die straßenpolizeiliche Ausnahmebewilligung von der Parkzeitbeschränkung im Rahmen der Kurzparkzonenregelung (Zone 8) zum Parken des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen KB 1 BAT" erteilt worden war, aufgehoben.

2. In seiner auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde macht der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter insofern verletzt worden zu sein, als es sich im gegenständlichen Verfahren "um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches handelt und gemäß §63 Abs2 der Salzburger Gemeindeordnung in 2. Instanz der Gemeinderat der Landeshauptstadt Salzburg zur Entscheidung" zuständig gewesen wäre.

3. Die Salzburger Landesregierung hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie unter Hinweis auf die geltenden gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen der StVO 1960 die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. 1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat bei der ihm obliegenden Prüfung der Frage, ob der angefochtene Bescheid unter Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes zustandekam, auch die Zuständigkeitsvorschrift des §94d Z. 6 StVO 1960 anzuwenden, weil sich nur aus dem Ausschluß der Zuständigkeit der Gemeindeorgane die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides ergibt.

Mit Erk. v. 12. Oktober 1991, G190/91, hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "nach Z. 4" in §94d Z. 6 StVO 1960 in der Fassung der 6. StVO-Novelle 1976, BGBl. 412, auf, weil der Gesetzgeber der verfassungsrechtlichen Bezeichnungspflicht bei der Aufzählung der in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallenden, in der StVO 1960 geregelten Angelegenheiten nur unzureichend nachgekommen ist: er ordnete unter der Z. 6 des §94d StVO 1960 die Bewilligung von Ausnahmen gemäß §45 StVO 1960 von den von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich erlassenen Beschränkungen und Verboten einschränkend nur unter der Voraussetzung dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu, daß die Ausnahmen Beschränkungen und Verbote "nach Z. 4" und nicht auch andere von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich erlassene Verkehrsbeschränkungen betreffen.

Die Zuständigkeit der belangten Behörde stützte sich, wie dargelegt, unter anderem auf die aufgehobene Norm. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides sohin die als verfassungswidrig befundene Vorschrift an. Nach der Lage des Falles ist es offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

3. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).

Die Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren fand am 12. Oktober 1991 statt.

Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 25. Jänner 1991 - also noch vor Beginn der Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren - eingelangt.

Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Es ist daher auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid wegen der Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt wurde sowie, daß der Bescheid aufgehoben wird (vgl. etwa VfSlg. 10736/1985).

4. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 abgesehen.

5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von

S 2.500,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B96.1991

Dokumentnummer

JFT_10088984_91B00096_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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