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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §69 Abs1 litb;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Hutter, über die Beschwerde des W in L, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich, Berufungssenat I, vom 19. Dezember 1989, Zl. 14/84/3-BK/Gr-1989, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommen- und der Gewerbesteuer für die Jahre 1985 und 1986, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.930,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, der seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, bildete in seinen Jahresabschlüssen für die Jahre 1985 und 1986 Rücklagen für nichtentnommenen Gewinn (1985: S 177.752,--, 1986: S 177.494,--). Die Veranlagungen erfolgten jeweils erklärungsgemäß (Gewinn 1985 S 697.236,--, 1986 S 699.941,--).
Anläßlich einer die Jahre 1985 bis 1987 betreffenden abgabenbehördlichen Prüfung stellte der Prüfer fest, daß die Bildung dieser Rücklagen nach § 11 Abs. 3 EStG 1972 unzulässig gewesen sei, weil in diesen Jahren vorhandene Investitionsrücklagen gemäß § 9 EStG 1972 bestimmungsgemäß zu verwenden gewesen wären. Diese bestimmungsgemäße Verwendung wäre für die in den Jahren 1985 und 1986 angeschafften Wirtschaftsgüter (für 1985 handle es sich um einen
"Mazda Kastenwagen", für 1986 um ein Regal und einen "Toyota Kastenwagen") zwingend vorzunehmen gewesen (siehe Punkt 1 der Niederschrift über die Schlußbesprechung vom 25. Mai 1988). In der Tz. 5 des Betriebsprüfungsberichtes führte der Prüfer aus, daß aufgrund der in den Punkten 2, 4 und 8 der Niederschrift über die Schlußbesprechung dargestellten Prüfungsfeststellungen der Tatbestand der Wiederaufnahme des Verfahrens u.a. hinsichtlich Einkommen- und Gewerbesteuer 1985 und 1986 vorliege. Die Wiederaufnahme des Verfahrens sei von Amts wegen zu verfügen gewesen, weil unter Berücksichtigung der aus dem vorliegenden Prüfungsbericht hervorgehenden Feststellungen das öffentliche Interesse an der Rechtsrichtigkeit über jenes an der Rechtsbeständigkeit des aufgehobenen Bescheides zu stellen sei.
Punkt 2 der Niederschrift enthielt die Aktivierung für einen im Jahr 1985 erfolgten Reifenkauf (Anschaffungskosten S 5.800,--). Aus dieser Aktivierung ergab sich für das Jahr 1985 eine Gewinnerhöhung von S 4.971,--, für 1986 eine Gewinnminderung in Höhe von S 829,--. Punkt 4 der Niederschrift beschäftigte sich mit verschiedenen Unkostenberichtigungen, die für das Jahr 1986 insgesamt zu einer Gewinnminderung von S 827,40,-- führten. Punkt 8 wies für das Jahr 1985 eine Berichtigung gemäß § 16 UStG in Höhe von S 358,-- aus, die den Gewinn dieses Jahres um diesen Betrag minderte. Insgesamt ergab sich aus diesen drei Positionen, auf die sich laut Betriebsprüfungsbericht die amtswegige Wiederaufnahme stützte, für das Jahr 1985 eine Gewinnerhöhung von S 4.613,-- und für das Jahr 1986 eine Gewinnminderung von S 1.776,40. Die Gewinnerhöhung aus der laut Ansicht des Prüfers unzulässigen Rücklagenbildung nach § 11 EStG 1972 betrug 1985 S 177.752,-- und 1986 S 177.494,--.
Das Finanzamt folgte der Ansicht des Betriebsprüfers, nahm die Verfahren betreffend Einkommen- und Gewerbesteuer 1985 und 1986 gemäß § 303 Abs. 4 BAO bescheidmäßig wieder auf und erließ neue, die angeführten Abgaben betreffende Sachbescheide.
In der Berufung wandte sich der Beschwerdeführer gegen die Ermessensübung bei der Verfahrenswiederaufnahme nach § 303 Abs. 4 BAO. Aufgrund des Betriebsprüfungsberichtes lägen nur geringfügige Wiederaufnahmegründe vor, die in keinem Verhältnis zu den sich ergebenden Abgabennachforderungen an Einkommen- und Gewerbesteuer (1985 S 111.899,-- und 1986 S 127.275,--) stünden. Die von der Abgabenbehörde bezüglich der Wiederaufnahme herangezogene Begründung sei bei diesem Sachverhalt - auch unter Beachtung der einschlägigen höchstgerichtlichen Judikatur - jedenfalls unzureichend. So sei mit keinem Wort erklärt worden, warum dem öffentlichen Interesse (Rechtsrichtigkeit) gegenüber dem Interesse des Beschwerdeführers (Rechtsbeständigkeit) der Vorzug gemäß § 20 BAO einzuräumen gewesen sei.
Zu dieser Berufung gab der Betriebsprüfer am 22. September 1988 - amtsintern - eine Stellungnahme ab, in der er als zusätzliche Wiederaufnahmegründe anführte, daß im Anlagenverzeichnis 1985 ein "Mazda KW Bj 81" aktiviert worden und aus dieser Bezeichnung nicht erkennbar gewesen sei, daß es sich bei diesem Kraftfahrzeug um eine LKW gehandelt habe ("betr. vorzeitige Abschreibung"); weiters sei der Privatanteil für die Nutzung eines PKWs u.a. in den Jahren 1985 und 1986 zu niedrig angesetzt worden.
In der abweisenden Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes vom 31. März 1989 blieb diese Stellungnahme unerwähnt.
Im Vorlageantrag betonte der Beschwerdeführer neuerlich, daß zwar die laut Betriebsprüfungsbericht neu hervorgekommenen Tatsachen unbestritten seien, die vorgenommene Wiederaufnahme im Sinne einer Ermessensübung nach § 20 BAO aber nicht begründet werden könne. Aus den im Betriebsprüfungsbericht geltend gemachten Wiederaufnahmegründen hätten sich nur geringfügige Steuerkorrekturen ergeben (so 1985 ein Steuermehrbetrag von S 3.200,--, 1986 ein Minderbetrag von S 1.200,--), durch die keinesfalls die verhältnismäßig hohe Nachforderung aufgrund der Rücklagenauflösung nach § 11 EStG 1972 gerechtfertigt werden könne. Die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offengelegten Sachverhaltes könnten damit durch die Verfahrenswiederaufnahme nicht beseitigt werden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungssenat hielt der Berichterstatter dem Beschwerdeführer die zusätzlichen Wiederaufnahmegründe laut der Stellungnahme des Betriebsprüfers vom 22. September 1988 erstmals vor. Darauf erwiderte der Vertreter des Beschwerdeführers, eine derartige Stellungnahme des Betriebsprüfers sei im bisherigen Verfahren nicht vorgehalten worden, weiters sei die Bezeichnung "Mazda KW" eine allgemein übliche Abkürzung, die er aus der Rechnung übernommen habe, und die Änderung des Privatanteiles beim PKW stelle auch keinen Wiederaufnahmegrund dar.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Bei der Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen sei grundsätzlich den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit gegenüber jenen der Billigkeit der Vorrang einzuräumen, was sich insbesondere aus dem im § 114 BAO verankerten Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ergebe. Es genüge, daß ein einziger Wiederaufnahmegrund vorliege. Nur wenn die steuerlichen Auswirkungen im Zusammenhang mit einer allenfalls in Betracht kommenden Wiederaufnahme des Verfahrens INSGESAMT GESEHEN, absolut oder relativ geringfügig seien, oder wenn andere Umstände hinzukämen, die die Gesamtaufrollung ungerechtfertigt oder unbillig erscheinen ließen, könnte von der Verfügung einer Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen abgesehen werden. Im vorliegenden Fall seien derartige besondere Umstände, die ein Unterbleiben der Wiederaufnahme rechtfertigen könnten, nicht gegeben. Einerseits existierten unbestrittenermaßen mehrere Wiederaufnahmegründe, andererseits könnten die Auswirkungen der Wiederaufnahme des Verfahrens insgesamt gesehen nicht als geringfügig angesehen werden, da sich aufgrund der zu Unrecht in Anspruch genommenen Steuerbegünstigung der Rücklage für nichtentnommenen Gewinn bedeutende steuerliche Auswirkungen ergeben hätten. Neben den im Betriebsprüfungsbericht ausdrücklich angeführten Wiederaufnahmegründen lägen noch weitere Wiederaufnahmegründe vor. Einerseits sei dies der zu niedrig angesetzte Privatanteil für die Nutzung des PKWs in den Jahren 1985 bis 1987 (jeweils S 2.000,--), andererseits habe der Beschwerdeführer im Anlagenverzeichnis für 1985 einen "Mazda KW, Baujahr 1981" als einzigen Anlagenzugang aktiviert. Aus dieser Bezeichnung sei nicht ersichtlich gewesen, ob es sich bei diesem Kraftfahrzeug um einen PKW oder einen LKW gehandelt habe. Aus der Tatsache der Rücklagenbildung gem. § 11 EStG 1972, die bei Anschaffung eines Lastkraftwagens gem. § 11 Abs. 3 EStG 1972 unzulässig gewesen wäre, und auch einer für das angeschaffte Kraftfahrzeug angegebenen Restnutzungsdauer, die eher auf die Anschaffung eines PKWs hingedeutet habe, sei dem Finanzamt nicht ersichtlich gewesen, daß es sich um die Anschaffung eines Kastenwagens gehandelt habe. Die festgestellten Wiederaufnahmegründe mögen zwar jeder für sich betrachtet möglicherweise noch als geringfügig anzusehen sein, sie führten jedoch in ihrer Summe in Verbindung mit den erheblichen steuerlichen Auswirkungen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach sich ziehen würden, dazu, daß die Wiederaufnahme von Amts wegen geboten gewesen sei. Dabei dürfe auch der hohe Grad und die Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit nicht unberücksichtigt bleiben. Im Rahmen der subjektiven Billigkeit sei auch das Verhalten des Abgabepflichtigen entsprechend zu würdigen. Der Beschwerdeführer habe, obwohl ihm bzw. dem steuerlichen Vertreter die Gesetzeslage und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bekannt gewesen sei, WISSENTLICH die Steuerbegünstigung der Rücklage für nichtentnommenen Gewinn in Anspruch genommen und dies - wie ausgeführt - zumindest für das Jahr 1985 in einer Art und Weise dargestellt, daß für das Finanzamt nicht ohne weiters ersichtlich gewesen sei, daß die Steuerbegünstigung zu Unrecht in Anspruch genommen worden sei. Durch die unklare Sachverhaltsdarstellung habe der Beschwerdeführer den Irrtum der Behörde in bezug auf das Vorliegen der Steuerbegünstigung veranlaßt, woraus die erheblichen Auswirkungen aufgrund der Wiederaufnahme des Verfahrens resultierten. Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei auch nicht abzuleiten, daß bei Vorliegen eines relativ geringfügigen Wiederaufnahmegrundes mit erheblicher steuerlicher Auswirkung eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen grundsätzlich nicht möglich sei. Wenn sich die Behörde in den ihr zugewiesenen Grenzen bewege und sich von sachlichen Gesichtspunkten leiten lasse, könne sie berechtigterweise bei Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen den Gründen der Zweckmäßigkeit den Vorrang geben.
In der Beschwerde werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Bei der amtswegigen Wiederaufnahme ist daher zwischen der Rechtsfrage, ob der Tatbestand einer Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens gegeben ist, und der Frage der Durchführung der Wiederaufnahme, die im Ermessen der Behörde liegt, zu unterscheiden. Erst dann, wenn die Rechtsfrage dahingehend geklärt ist, daß ein Wiederaufnahmegrund tatsächlich gegeben ist, hat die Abgabenbehörde in Ausübung ihres Ermessens zu entscheiden, ob die amtliche Wiederaufnahme zu verfügen ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntis vom 21. Dezember 1989, 86/14/0180). Dabei sind der Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG) und § 20 BAO als Ermessensrichtlinien zu berücksichtigen (vgl. Gassner, Verwaltungsgerichtshof und Wiederaufnahme, in: ÖStZ 1986, Seite 51 f). Die Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund neu hervorgekommener Tatsachen bietet die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen; sie dient aber nicht dazu, bloß die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offengelegten Sachverhaltes zu beseitigen (vgl. Stoll, BAO-Handbuch, Seite 724).
Das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen ist im Beschwerdefall grundsätzlich unbestritten. Allerdings darf die Berufungsinstanz die Wiederaufnahme nicht aufgrund von Tatsachen bestätigen, die vom Finanzamt nicht herangezogen worden sind. Aufgabe der Berufungsbehörde bei der Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch das Finanzamt ist nur die Prüfung, ob dieses das Verfahren aus den VON IHM GEBRAUCHTEN Gründen wiederaufnehmen durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Verstößt die Berufungsbehörde gegen diese ihre Beschränkung auf die Sache des Berufungsverfahrens, belastet sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Schließlich kann wohl nur die gemäß § 305 Abs. 1 BAO zuständige Behörde beurteilen, welche Tatsachen und Beweismittel ihr anläßlich der seinerzeitigen Sachentscheidung noch nicht bekannt gewesen sind (siehe hiezu die hg. Erkenntnisse vom 14. Mai 1991, 90/14/0262, und vom 2. März 1993, 91/14/0003).
Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zusätzlich herangezogenen "Wiederaufnahmegründe" des zu niedrigen Privatanteiles für eine PKW-Nutzung und die angeblichen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Bezeichnung des im Jahr 1985 angeschafften Mazda-Kastenwagens im Anlagenverzeichnis sind daher bereits aus diesem Grund unbeachtlich.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens führt stets zur gänzlichen Beseitigung des früheren Bescheides, der das nunmehr wiederaufgenommene Verfahren zum Abschluß gebracht hat. Dies hat zur Folge, daß dann, wenn aufgrund irgendeiner neu hervorgekommenen Tatsache die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig ist, im wiederaufgenommenen Verfahren auch eine Änderung der übrigen Bescheidgrundlagen und Bescheidelemente erfolgen kann, hinsichtlich derer das Vorliegen von neuen Tatsachen und Beweismitteln nicht gegeben ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Februar 1988, 87/13/0039, und vom 28. Februar 1989, 89/14/0019).
Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der amtswegigen Wiederaufnahme eines Abgabenverfahrens handelt es sich - wie erwähnt - um eine Ermessensentscheidung, deren Rechtmäßigkeit unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 20 BAO zu beurteilen ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Dezember 1989, 86/14/0180, und vom 19. September 1990, 89/13/0245). Gemäß § 20 BAO sind Ermessensentscheidungen innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dabei ist dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" die Bedeutung von "Angemessenheit" in bezug auf berechtigte Interessen der Partei und dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das "öffentliche Interesse insbesondere an der Einhebung der Abgaben" beizumessen (vgl. z.B. die
hg. Erkenntnisse vom 14. März 1990, 89/13/0115, und vom 21. September 1990, 89/17/0050).
Eine derartige Interessensabwägung verbietet bei Geringfügigkeit der neu hervorgekommenen Tatsachen in der Regel den Gebrauch der Wiederaufnahmemöglichkeit (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. Oktober 1985, 85/14/0071, vom 26. November 1991, 91/14/0179, und vom 25. März 1992, 90/13/0238, sowie Schimetschek, die Verfahrenswiederaufnahme wegen neuer Tatsachen, in: Finanzjournal 1988, 156 f). Die Geringfügigkeit ist dabei - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - anhand der steuerlichen Auswirkungen der konkreten Wiederaufnahmegründe und nicht aufgrund der steuerlichen Gesamtauswirkungen zu beurteilen, die infolge Änderungen aufgrund anderer rechtlicher Beurteilungen im Sachbescheid vorzunehmen wären. Die Ermessensmaßnahme muß - so gesehen - nicht nur die Beseitigung der Rechtskraft, sondern auch den Umstand rechtfertigen, daß der formale Grund des neuen Bescheides (Wiederaufnahmegrund) zum Ergebnis der neuen Sachentscheidung außer Verhältnis steht (vgl. Stoll, Ermessen im Steuerrecht, Wien 1970, Seite 133, Gassner, Rechtsschutz oder Rechtsverweigerung?, in: ÖStZ 1985, 6 f, sowie die hg. Erkenntnisse vom 17. Februar 1988, 87/13/0039, und vom 28. Februar 1989, 89/14/0019).
Die Auswirkungen der in den Punkten 2, 4 und 8 der Niederschrift zum Betriebsprüfungsbericht dargestellten Wiederaufnahmegründe sind sowohl absolut als auch relativ (die Änderungen gegenüber den erklärten Gewinnen liegen jeweils unter 1 %) geringfügig bzw. unbedeutend; für 1986 führten sie zudem zu Gewinnänderungen zugunsten des Beschwerdeführers. Damit hätte es des Hinzutretens von besonderen Umständen bedurft, die die vorgenommene Wiederaufnahme mit den gewichtigen Änderungen aufgrund anderer rechtlicher Beurteilungen (Nichtanerkennung der gebildeten Rücklagen für nichtentnommenen Gewinn von jeweils über S 170.000,--) noch als billig im Sinne des § 20 BAO hätten erscheinen lassen.
Diese Problematik hat offenbar auch die belangte Behörde erkannt, zumal sie im angefochtenen Bescheid neben der Betonung des "hohen Grades" und der "Offensichtlichkeit" der Rechtswidrigkeit "wissentliche" unberechtigte Inanspruchnahme der Rücklage für nichtentnommenen Gewinn sowie Veranlassung des "Irrtumes der Behörde" durch unklare Sachverhaltsdarstellungen in bezug auf "das Vorliegen dieser Steuerbegünstigung" vorwirft. Diese Vorwürfe sind aber in den Verfahrensergebnissen keineswegs gedeckt und die dagegen erhobenen Einwände des Beschwerdeführers können auch nicht - wie dies die belangte Behörde in der Gegenschrift darzustellen versucht - mit dem Hinweis auf zulässige Schlußfolgerungen aufgrund der Aktenlage abgetan werden.
In den den Steuererklärungen angeschlossenen Jahresabschlüssen waren die Bildung der Rücklage für nichtentnommenen Gewinn, die Entwicklung der Investitionsrücklagen aber auch die Anlagenzugänge offen ausgewiesen. Die Angaben im Anlagenverzeichnis 1985 betreffend den in diesem Jahr angeschafften Kastenwagen, insbesondere die Bezeichnung "Mazda-KW", waren keineswegs derart unklar oder irreführend, daß daraus schlüssig eine bewußte Irrtumsveranlassung im Hinblick auf die gebildeten Rücklagen für nichtentnommenen Gewinn abgeleitet werden konnte. Auch ansonsten sind keine Sachverhaltsfeststellungen oder Beweisergebnisse aktenkundig, die die erstmals im angefochtenen Bescheid erhobenen Vorwürfe der "Wissentlichkeit" bzw. bewußten Irrtumsveranlassung rechtfertigen könnten. Ob die Rechtswidrigkeiten "offensichtlich" waren bzw. einen "hohen Grad" hatten, kann schon deshalb nicht ausschlaggebend sein, weil die Verfahrenswiederaufnahme grundsätzlich nicht dazu dient, bloße Rechtswidrigkeiten in Bescheiden zu beseitigen. Der "hohe Grad" der Rechtswidrigkeiten wird im übrigen dadurch relativiert, daß diese trotz erfolgter ausreichender Offenlegung auch von der Finanzbehörde bei Prüfung der Abgabenerklärungen unerkannt blieben.
Daraus folgt, daß die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens das ihr eingeräumte Ermessen nicht im Sinne des Art. 130 Abs. 2 B-VG ausgeübt hat, zumal sie keine stichhaltigen Gründe für eine Ermessensübung im Sinne der amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens ins Treffen führte. Damit war aber der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 59 Abs. 1 VwGG. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft Stempelgebühren in Höhe von S 360,--, weil die Vorlage des angefochtenen Bescheides nur in einfacher Ausfertigung erforderlich war.
Schlagworte
Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova productaAndere rechtliche BeurteilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1990140044.X00Im RIS seit
11.01.2002Zuletzt aktualisiert am
27.03.2009