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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ASVG §227 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde der E in USA, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 13. April 1993, Zl. MA 14 - J 2/92, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen von S 3.035,-- und der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten Aufwendungen von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom 24. Dezember 1986, bei der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt eingelangt am 31. Dezember 1986, beantragte die am 1. März 1922 geborene Beschwerdeführerin - sinngemäß - die "Wiedergutmachung" (gemeint offenbar im Sinne eines Pensionsanspruches unter Anwendung der §§ 500 ff ASVG) und brachte dazu vor, bis Dezember 1938 die Schule, und zwar die "Privatschule für Knaben und Mädchen, Malzgasse 16" besucht zu haben. Sie habe Wien im Dezember 1938 mit einem Kindertransport nach England verlassen. Über Aufforderung der mitbeteiligten Partei legte die Beschwerdeführerin in der Folge durch die nunmehr einschreitende Beschwerdevertreterin Personaldokumente, eine Bescheinigung gemäß § 506 ASVG und einen Versicherungs- und Beschäftigungsverlauf vor, wonach sie "von 1928 bis 1938 Volksschule und Gymnasium" besucht habe. Einem ebenfalls vorgelegten Formular "Antrag auf Alterspension" zufolge besuchte die Beschwerdeführerin von 1936 bis 1938 "Gymnasium Wien, Novaragasse", war - nach einer von der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt eingeholten Meldeauskunft vom 24. Oktober 1990 - vom 1. Jänner 1938 bis 13. Oktober 1938 als Schülerin in Wien 2., Rennbahnstraße 41, und vom 13. Oktober 1938 bis 9. Juni 1940 in Wien 2., Hollandstraße 18 (diesfalls als "Private") gemeldet und wurde mit letztgenanntem Datum nach "Amerika" abgemeldet. Über Aufforderung der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt legte die Beschwerdeführerin schließlich eine "wahrheitsgemäße Erklärung" vor, wonach sie "in der Zeit März 1938" die "Schule Malzgasse" in Wien 2. besucht habe, wozu die Beschwerdevertreterin ergänzend mitteilte, daß die Beschwerdeführerin "in der jüdischen Schule in der Malzgasse die Hauptschule besucht" habe.
Mit Schreiben vom 28. Jänner 1992 teilte dazu die Israelitische Kultusgemeinde Wien mit, "daß es sich bei gegenständlicher Schule um die Schule des "Wiener Talmud-Torah-Schulvereins" handelt, die als Volks- und Hauptschule mit Öffentlichkeitsrecht geführt wurde". Es erhebe sich allerdings die Frage, ob die Beschwerdeführerin, die im Jahre 1938 bereits 16 Jahre alt gewesen sei, tatsächlich bis Dezember 1938 diese Schule besucht habe oder ob sie nicht die "Frauengewerbeschule des Dr. Krüger-Heimes" in 1020 Wien, Malzgasse 7, gemeint haben könnte. Von beiden Schulen seien die Unterlagen verloren gegangen. In einer ergänzenden Stellungnahme dazu wiederholte die Beschwerdevertreterin, daß die Beschwerdeführerin in der Malzgasse die Hauptschule besucht habe.
Mit Bescheid vom 17. März 1992 lehnte die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt die Begünstigung für die Zeit vom 4. März 1933 bis 31. März 1959 gemäß §§ 500 ff ASVG ab. Nach der Begründung dieses Bescheides habe die Beschwerdeführerin seit dem 1. Juli 1927 bis zur Emigration weder Beitragszeiten noch Ersatzzeiten zurückgelegt, sie habe auch nicht das 15. Lebensjahr zwischen dem 12. März 1938 und dem 9. Mai 1945 vollendet, es lägen bei ihr auch die in § 502 Abs. 1 ASVG aufgezählten Tatbestände (Haft, Strafe, Anhaltung oder Arbeitslosigkeit) nicht vor und es seien auch die Voraussetzungen zur Anwendung des § 502 Abs. 7 ASVG nicht erfüllt.
Die Beschwerdeführerin erhob Einspruch, worin sie (neuerlich) angab, bis zum Jahr 1938 die Hauptschule und anschließend bis zu ihrer Emigration "im Dezember 1939" die Gewerbeschule in der Malzgasse (Krüger-Heim) besucht zu haben. Dazu legte sie Eidesstättige Erklärungen zweier Zeugen vor und verwies auf den Pensionsakt ihrer (1925 geborenen) Schwester, die die gleiche Schule besucht habe.
In ihrer Stellungnahme zum Vorlagebericht der mitbeteiligten Partei vom 4. August 1992 führte die Beschwerdeführerin noch aus, daß die Frauengewerbeschule des Dr. Krüger-Heimes in Wien 2., Malzgasse 7, in den Jahren ab 1933 mit Öffentlichkeitsrecht ausgestattet gewesen sei und es sei der Abschluß dieser Gewerbeschule damals allgemein so gewertet worden, als ob man nach einer Lehre die Gesellenprüfung abgelegt hätte. Dazu legte sie Ablichtungen eines Berichtes des Präsidiums und Vorstandes der Israelitischen Kultusgemeinde Wien vor, aus welchem hervorgehe, daß die Frauengewerbeschule des Dr. Krüger-Heimes dort als "sogenannte vollständige Lehranstalt" geführt worden sei, im Gegensatz zu den "Bibel- und hebräischen Schulen". Dazu regte sie die Einholung eines "Gutachtens der Kultusgemeinde Wien und des Stadtschulrates Wien" an.
Aufgrund einer diesbezüglichen Anfrage der Einspruchsbehörde teilte der Stadtschulrat für Wien mit Schreiben vom 8. Oktober 1992 mit, daß im Jahre 1924 die ehemalige jüdische zweijährige Fachlehranstalt für Damenkleidermachen und Wäschewarenerzeugung des Vereins "Dr. Krüger-Heim" in Wien 2., Malzgasse 7, errichtet worden sei. Die Errichtung einer dreijährigen Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe sei ab dem Schuljahr 1935/36 erfolgt. Nach den beim Stadtschulrat aufliegenden Unterlagen sei die zweijährige Fachschule bis Ende Schuljahr 1937/38 mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet gewesen. Mit Verordnung des Bundesministeriums für Handel und Verkehr, BGBl. Nr. 336/1937, habe das Abgangszeugnis über den erfolgreichen Besuch der zweijährigen Fachlehranstalt den Nachweis der ordnungsgemäßen Beendigung des Lehrverhältnisses (Gesellenbrief, Lehr- und Gesellenprüfungszeugnis) im Kleidermachergewerbe ersetzt. Im Jahre 1938 sei vom Schulerhalter um Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes für die dreijährige höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe angesucht worden. Dem Ansuchen des Schulerhalters sei seitens des Stadtschulrates für Wien nicht Folge geleistet worden, aus der Aktenlage gehe jedoch hervor, daß das Öffentlichkeitsrecht zu verleihen gewesen wäre, dies aber offensichtlich aus politischen Gründen nicht erfolgt sei. Ende 1938 sei die Einstellung der Schulen des Vereins "Dr. Krüger-Heim" erfolgt und der Verein aufgelöst worden. Im Anstaltsgebäude seien in der Folge seitens der Auswanderungsabteilung der jüdischen Kultusgemeinde diverse Kurse abgehalten worden, die mit Bewilligung der GESTAPO durchgeführt worden seien. Nähere Angaben könnten nicht gemacht werden, da weder Kataloge noch Schülerstammblätter der Schulen des Vereins Dr. Krüger-Heim auflägen.
Nach der Stellungnahme der mitbeteiligten Partei vom 1. Dezember 1992 sei mit dieser Auskunft des Stadtschulrates für Wien für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen, da diese die fragliche Schule erst ab dem Schuljahr 1938/39 besucht zu haben behaupte, während sie zuvor - also bis zum Schuljahr 1937/38 - die Hauptschule besucht habe.
Erwiesenermaßen habe jedoch die zweijährige Fachlehranstalt für Damenkleidermachen und Wäschewarenerzeugung des Vereins "Dr. Krüger-Heim" ab dem Schuljahr 1938/39 das Öffentlichkeitsrecht nicht mehr besessen, wobei die Gründe hiefür ohne Bedeutung seien. Die Anerkennung der behaupteten Schulzeit als Ersatzzeit gemäß § 228 Abs. 1 Z. 3 in Verbindung mit § 502 Abs. 7 ASVG komme daher nicht in Betracht.
Die Beschwerdeführerin führte dazu aus, daß sie im Dezember 1938 mit einem Kindertransport Wien verlassen habe. Hinsichtlich der Angaben über besuchte Schulen sei es verständlich, daß sie nach über 50 Jahren und den schweren Jahren der Verfolgung manche Ereignisse und Fakten nicht mehr genau in Erinnerung habe. Tatache sei, daß sie nach der Hauptschule kurzfristig im Gymnasium in der Novaragasse gewesen sei und ihre Eltern sie aufgrund der Abstammung in eine jüdische Schule eintragen ließen. Die von der Pensionsversicherung der Angestellten durchgeführten Erhebungen beim Stadtschulrat für Wien seien insoferne überflüssig, da allgemein bekannt sei, daß nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten im März 1938 innerhalb kürzester Zeit jüdische Schulen geschlossen worden seien und das Öffentlichkeitsrecht entzogen worden sei.. Richtig sei aber, daß im "Dr. Krüger-Heim" bis in den Herbst 1938 Unterricht erteilt worden sei; dieser sei erst nach der Reichskristallnacht im November 1938 endgültig eingestellt worden.
Dieser Stellungnahme lag eine Eidesstättige Erklärung eines Zeugen bei, der angab, mit der Familie der Beschwerdeführerin in Wien in sehr guter und freundschaftlicher Beziehung gestanden zu sein und aus persönlicher Erinnerung zu wissen, daß die Beschwerdeführerin "nach Abschluß der Talmud-Torah-Hauptschule ganz kurze Zeit das Gymnasium in der Novaragasse Wien 2." besucht habe und in die Gewerbeschule Krüger-Heim, Malzgasse, umgeschult worden sei. Diese Schule habe sie "bis Sommerferien 1938" besucht. Ende 1938 sei sie wegen der damals herrschenden Umstände mit einem Schülertransport nach England gefahren.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde den Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt als unbegründet abgewiesen. Nach Zitierung der angewendeten Gesetzesbestimmungen des § 502 ASVG führt die belangte Behörde begründend aus, es stehe aufgrund der Aktenlage fest, daß die Beschwerdeführerin nach dem 1. Juli 1927 bis zur Auswanderung keine Beitragszeiten gemäß § 226 ASVG bzw. Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 ASVG in der Pensionsversicherung der Angestellten zurückgelegt habe. Unbestritten sei ferner ihre Zugehörigkeit zu dem in § 500 ASVG genannten Personenkreis, sowie die Tatsache, daß sie am 12. März 1938 den Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich gehabt habe. Die Beschwerdeführerin habe nach der Aktenlage die für eine Begünstigung gemäß § 502 Abs. 1 und 4 ASVG erforderliche Vorversicherungszeit in der Pensionsversicherung der Angestellten nicht aufzuweisen. Auch als Ersatzzeiten anrechenbare Schulzeiten im Sinne des § 227 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 228 Abs. 1 Z. 3 ASVG lägen im gegenständlichen Fall nicht vor, da die Beschwerdeführerin nach Vollendung des 15. Lebensjahres keine Schule im Sinne des § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG besucht habe. Nach der Aktenlage habe die Beschwerdeführerin die fragliche Schule des Vereins "Dr. Krüger-Heim" erst ab dem Schuljahr 1938/39 besucht. Zu diesem Zeitpunkt habe die genannte Schule nach Mitteilung des Stadtschulrates für Wien jedoch nicht mehr das Öffentlichkeitsrecht besessen; daran könne auch die Tatsache nichts ändern, daß sie bis Ende des Schuljahres 1937/38 mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet gewesen sei. Auch § 502 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 4 ASVG könne nicht zur Anwendung gelangen, weil die Beschwerdeführerin nicht aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß gehabt habe, am Erwerb von Beitrags- und Ersatzzeiten der in § 502 Abs. 6 ASVG genannten Art vor der verfolgungsbedingten Auswanderung gehindert gewesen sei. Sie hätte nämlich auf Grund ihres damaligen Alters "vor der Auswanderung Beitrags- oder Ersatzzeiten zurücklegen können". Ebenso sei § 502 Abs. 1 letzter Satz ASVG mangels einer der Auswanderung vorangehenden oder nachfolgenden Beitrags- oder Ersatzzeit nicht anwendbar. Da die Beschwerdeführerin keinen begünstigungsfähigen Tatbestand in der Pensionsversicherung der Angestellten aufzuweisen habe, habe dem gegenständlichen Einspruch der Erfolg versagt bleiben müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der angefochtene Bescheid wurde der Beschwerdevertreterin am 28. April 1993 zugestellt (und damit ihr gegenüber erlassen), sodaß die belangte Behörde zu Recht die Bestimmungen des § 502 ASVG in der Fassung vor der Änderung des § 502 Abs. 6 ASVG durch Art. I Z. 148 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1993 - SRÄG 1993, BGBl. Nr. 335, angewendet hat; ob der Beschwerdeführerin, die vor dem Kalenderjahr 1938 das 6. Lebensjahr vollendet hat, in Anwendung des § 502 Abs. 6 ASVG in der Fassung des genannten SRÄG 1993 (in Kraft getreten gemäß § 551 Abs. 1 Z. 1 ASVG mit 1. Juli 1993) ein Anspruch auf begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten zusteht, ist daher in diesem Verfahren nicht zu beurteilen.
Die Beschwerdeführerin stützt sich in ihrer Beschwerde
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der Sache nach - darauf, daß ihr gemäß § 502 Abs. 4 ASVG die Anrechnung der Auswanderungszeiten als Versicherungszeiten zustehe, weil sie eine der in § 502 Abs. 4 genannten Versicherungszeiten, nämlich Schulzeiten im Sinne des § 227 Abs. 1 Z. 1 (in Verbindung mit § 228 Abs. 1 Z. 3 ASVG) erworben habe. Sie habe am 1. März 1937 das 15. Lebensjahr vollendet; "von 1936 bis März 1938" habe sie das Gymnasium in der Novaragasse besucht. Aufgrund der Ereignisse im März 1938 sei ein Besuch des Gymnasiums in der Novaragasse für sie nicht mehr möglich gewesen und sie sei von ihren Eltern in die jüdische Schule Malzgasse umgeschult worden. Dies ergebe sich auch aus
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in der Beschwerde näher bezeichneten - "wahrheitsgemäßen Erklärungen", wonach sie "das Krüger-Heim Malzgasse bis zu den Sommerferien 1938" besucht habe. Aus dem im Pensionsakt erliegenden Schreiben des Stadtschulrates für Wien vom 8. Oktober 1992 gehe hervor, daß das Dr. Krüger-Heim in Wien 2., Malzgasse, bis Ende des Schuljahres 1937/38 mit Öffentlichkeitsrecht ausgestattet gewesen sei. Aus der Aktenlage gehe somit eindeutig hervor, daß die Beschwerdeführerin nach Erreichung ihres 15. Lebensjahres "zwei mit Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schulen besucht" und erst nach Erreichung ihres 16. Lebensjahres von der Schule abgegangen sei. Überdies gehe aus der Erklärung des Stadtschulrates hervor, daß "dem Dr. Krüger-Heim" auch im Jahre 1938/39 Öffentlichkeitsrecht "nach heutigen Kriterien" zu verleihen gewesen wäre und dies ausschließlich aus politischen Gründen nicht erfolgt sei. Da es aber der Sinn der §§ 500 ff ASVG sei, gerade jene schweren Schäden, welche dem Personenkreis der §§ 500 ff ASVG aufgrund der damaligen Lage zugefügt worden sei, zu beheben, sei es nach Auffassung der Beschwerdeführerin auch rechtswidrig, die damalige Entscheidung des Wiener Stadtschulrates, welche nach den nunmehr geltenden, herrschenden politischen Kriterien und Ansichten als unrichtig angesehen werden müsse, bei einer Entscheidung über die Gewährung einer Begünstigung nach den §§ 500 ff ASVG heranzuziehen.
Dem zuletzt erwähnten Argument der Beschwerdeführerin vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anzuschließen: Es ist nämlich in dieser Allgemeinheit unzutreffend, daß es Sinn der §§ 500 ASVG sei, Schäden, welche dem Personenkreis des § 500 ASVG zugefügt wurden, schlechthin zu beheben. Gemäß § 500 werden Personen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, Personen die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 begünstigt. Die verwiesenen Bestimmungen des § 502 enthalten jeweils typisierte Formen der Schädigung (z.B. Untersuchungshaft, Verbüßung einer Freiheitsstrafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Auswanderung u.ä.) und sehen die Wiedergutmachung dieser sozialversicherungsrechtlichen Nachteile unter jeweils näher genannten Voraussetzungen vor. Zu diesen Voraussetzungen gehört (fallbezogen) u.a. der Erwerb einer Versicherungszeit in der Zeit seit dem 1. Juni 1927, wobei auch Ersatzzeiten gemäß § 228 ASVG in Betracht kommen. Gemäß § 228 Abs. 1 Z. 3 ASVG gelten als Ersatzzeiten aus der Zeit vor dem 1. Jänner 1956 in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt, Zeiten der in § 227 Abs. 1 Z. 1 angegebenen Art. In der zuletzt genannten Gesetzesbestimmung werden verschiedene Typen von Schul- bzw. Ausbildungs- oder Studienzeiten zu Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung erklärt, wobei nur der Schulbesuch an einer inländischen öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten mittleren Schule mit mindestens zweijährigem Bildungsgang, oder einer Höheren Schule, Akademie oder verwandten Lehranstalt berücksichtigt wird. Diese klare gesetzliche Bestimmung schließt es aus, sie auch auf Schulzeiten anzuwenden, während derer die betreffende Schule, wenn auch aus Gründen der politischen Verhältnisse des Jahres 1938, kein Öffentlichkeitsrecht hatte.
Der angefochtene Bescheid ist daher nicht mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet, wenn die belangte Behörde mängelfrei davon ausgehen durfte, daß die Beschwerdeführerin vor ihrer Auswanderung ein Schuljahr im Sinne des § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG nicht zurückgelegt hat.
Die Beschwerdeführerin behauptet in ihrer Beschwerde nicht mehr, daß sie die mit Öffentlichkeitsrecht ausgestattete zweijährige Fachlehranstalt für Damenkleidermachen und Wäschewarenerzeugung des Vereins "Dr. Krüger-Heim" auch schon vor dem März 1938 besucht habe; sie bringt vielmehr ausdrücklich vor, erst aufgrund der Ereignisse des März 1938 von den Eltern in diese Schule "umgeschult" worden zu sein und diese Schule bis zu den Sommerferien 1938 besucht zu haben. Vorher (d.h. bis März 1938) habe die Beschwerdeführerin "das Gymnasium in der Novaragasse" besucht.
Die Beschwerdeführerin hat zwar (teilweise im Gegensatz dazu) im Verwaltungsverfahren wiederholt vorgebracht, vor dem Besuch der genannten zweijährigen Fachschule die HAUPTSCHULE besucht zu haben, dessenungeachtet sind aber auch - damit teilweise im Widerspruch stehende - Angaben der Beschwerdeführerin aktenkundig, im angegebenen Zeitraum "bis zum Jahr 1938" das genannte Gymnasium besucht zu haben. Da weder die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt noch die belangte Behörde in diese Richtungen Ermittlungen angestellt haben, liege insoweit allenfalls ein - in der Beschwerde allerdings nicht ausdrücklich gerügter, vom Verwaltungsgerichtshof aber unter Umständen von Amts wegen aufzugreifender - Verfahrensmangel vor, dies jedoch unter der Voraussetzung, daß das Unterbleiben einer diesbezüglichen Schulanfrage insoweit auf das Ergebnis des Verfahrens hätte von Einfluß sein können, als die Feststellung von Ersatzzeiten gemäß § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG auch für den Zeitraum vor März 1938 in Betracht gekommen wäre.
Es ist dem Verwaltungsgerichtshof zwar verwehrt, anstelle der belangten Behörde eine von dieser allenfalls versäumte Beweisaufnahme nachzuholen und in Ergänzung des Ermittlungsverfahrens zur Feststellung des Sachverhaltes selbst Beweise aufzunehmen, er kann aber Beweise aufnehmen, um zu prüfen, ob ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt und er ist demnach berechtigt, zur Prüfung dieser Frage sowie zu jener, ob die belangte Behörde unter Vermeidung des gegebenen Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, eine Beweisaufnahme durchzuführen (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. Dezember 1978, Slg. Nr. 9723/A).
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher eine Anfrage an das Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium Wien 2. gerichtet, welches die Archive des ehemaligen Gymnasiums bzw. Realgymnasiums Wien 2., Novaragasse 30, verwahrt, ob die Beschwerdeführerin unter den aktenkundigen persönlichen Daten dort aufscheint. Mit Schreiben vom 15. September 1993 hat die Direktion dieser Schule bekanntgegeben, daß die Beschwerdeführerin das Realgymnasium in Wien 2., Novaragasse 30, "bis zum 3. Juli 1937" besucht habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Auskunft den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zur Stellungnahme übermittelt. Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt hat dazu ausgeführt, daß aus dieser Bestätigung für den vorliegenden Fall nichts gewonnen werden könne, da diese Zeit des Schulbesuches - im Hinblick auf ihre zeitliche Lagerung - der Anerkennung einer Ersatzzeit gemäß § 228 Abs. 1 Z. 3 ASVG nicht zugrunde gelegt werden könne. Die belangte Behörde hat ebenfalls darauf hingewiesen, daß die Beschwerdeführerin nach Vollendung des 15. Lebensjahres an dieser Schule kein neues Schuljahr mehr begonnen habe. Die Beschwerdeführerin erstattete keine Stellungnahme.
Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, daß das Unterbleiben der Schulanfrage insoweit ohne Einfluß auf das Ergebnis des Verwaltungsverfahrens geblieben ist, als die belangte Behörde festgestellt hat, daß die Beschwerdeführerin jedenfalls im Schuljahr 1937/1938 bis März 1938 keine Schule im Sinne des § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG besucht hat.
Es kann demnach auf sich beruhen, ob die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, daß die Beschwerdeführerin die mehrfach erwähnte Fachschule "erst ab dem Schuljahr 1938/39" oder - wie die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde behauptet - schon ab März 1938 besucht hat, weil auch für den Fall, daß das Beschwerdevorbringen zuträfe (und die davon abweichende Feststellung der belangten Behörde unschlüssig wäre) kein volles Schuljahr nach Vollendung des 15. Lebensjahres vorläge (vgl. dazu u.a. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juli 1980, Zl. 2377/77, und vom 21. April 1986, Zl. 86/08/0072 mwH).
Im Hinblick darauf, daß die Beschwerdeführerin - nach ihrem eigenen Vorbringen - die zweijährige Fachschule (damals noch: mit Öffentlichkeitsrecht) jedenfalls bis zum Ende des Schuljahres 1937/1938 besucht hat, kommt auch die Anwendung des § 502 Abs. 7 ASVG nicht in Betracht, wonach bei der Anwendung der Vorschriften der Abs. 1 bis 5 § 228 Abs. 1 Z. 3 mit der Maßgabe gilt, daß Schuljahre, die aus einem der in § 500 genannten Gründe abgebrochen werden mußten, als vollendet gelten.
Die belangte Behörde ist daher aufgrund ihrer Tatsachenfeststellungen, aber auch unter Berücksichtigung des davon teilweise abweichenden Beschwerdevorbringens im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß die Beschwerdeführerin nach dem 1. Juli 1927 und vor ihrer Auswanderung keine Ersatzzeiten im Sinne des § 228 Abs. 1 Z. 3 in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG (und zwar auch nicht in Anwendung des § 502 Abs. 7 ASVG) zurückgelegt hat.
Die Beschwerde mußte daher gemäß § 42 Abs. 1 ASVG als unbegründet abgewiesen werden. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Beweisaufnahme durch den VwGH Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel Sachverhalt VerfahrensmängelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993080145.X00Im RIS seit
20.11.2000