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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
FrG 1993 §15;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, in der Beschwerdesache des M in I, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 7. Dezember 1993, Zl. III 150/93, betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen italienischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 Z. 2 und 8 sowie §§ 19, 20 und 21 des Fremdengesetzes (FrG) ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe sich darauf berufen, er betreibe gemeinsam mit einer anderen Person an einem näher bezeichneten Ort in Italien ein Unternehmen, das Spezialmarmorverlegungsarbeiten durchführe. Sein Unternehmen sei im Auftrag der T-AG, damit beschäftigt gewesen, im Einkaufszentrum "C" in V (Österreich) Spezialverlegearbeiten von Marmorplatten durchzuführen. Er und sein Geschäftspartner seien hiefür mehrmals von Montag bis Freitag in V gewesen. Sie hätten im "W" in X (Österreich) genächtigt. Es sei ihnen nicht bekannt gewesen, daß sie eine Beschäftigungsbewilligung hätten beantragen müssen; ebenso sei ihnen nicht bekannt gewesen, daß eine Aufenthaltsgenehmigung erforderlich gewesen sei. Sie seien davon ausgegangen, daß sie mit der Eintragung in das Gästebuch die erforderliche Maßnahme nach dem Meldegesetz erfüllt hätten. Das Wochenende hätten sie immer in Italien verbracht. Sie hätten keinen Wohnsitz in Österreich begründet, zumal ihre Lebensinteressen in Italien gelegen seien. Die von ihm und seinem Geschäftspartner durchgeführten Arbeiten seien Spezialarbeiten, für die jederzeit eine befristete Beschäftigungsbewilligung hätte erlangt werden können. Lediglich aus Unwissenheit sei dies unterblieben. Er sei kein typischer Schwarzarbeiter.
Dazu habe die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer sei mit dem rechtskräftigen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 7. Juli 1993 wegen einer Übertretung des Fremdengesetzes und des Meldegesetzes mit Geldstrafen in der Höhe von je S 1.000,-- bestraft worden, weil er "seit Jänner 1993 nicht in Besitz eines von einer Sicherheitsbehörde erteilten Sichtvermerks war oder ihm mit Bescheid eine Aufenthaltsberechtigung verlängert wurde" bzw. weil er von Jänner 1993 bis 7. Juli 1993 in X, Gasthaus "W", Unterkunft bezogen und es unterlassen habe, sich innerhalb von drei Tagen bei der Meldebehörde anzumelden. Diese zwei Bestrafungen erfüllten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG und stellten eine bestimmte Tatsache dar, welche die Annahme rechtfertige, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde. Außerdem sei auch der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 8 FrG erfüllt, weil der Beschwerdeführer bei einer Beschäftigung betreten worden sei, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht hätte ausüben dürfen. Ob er ein "typischer Schwarzarbeiter" sei, sei bedeutungslos. Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei mit dem Aufenthaltsverbot nicht verbunden, weshalb die §§ 19 und 20 FrG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegenstünden. Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes entspreche den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen. Sie orientiere sich an der Frist des § 55 Abs. 1 VStG. Die vom Beschwerdeführer behauptete Unkenntnis der österreichischen Gesetzeslage könne ihn nicht entschuldigen. Von einem Fremden müsse verlangt werden, daß er sich über die mit dem Aufenthalt von Fremden im Inland zusammenhängenden österreichischen Vorschriften informiere.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und keine Gegenschrift erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Im Hinblick auf die mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 7. Juli 1993 erfolgte rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der Übertretung des § 5 in Verbindung mit § 15 und § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG sowie wegen der Übertretung des § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 und § 22 Abs. 1 Z. 1 Meldegesetz 1991 ist der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG erfüllt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß eine Übertretung des § 3 Abs. 1 Meldegesetz 1991 nach der Aktenlage nicht erfolgt ist, weil der Beschwerdeführer nicht in einer Wohnung, sondern in einem Beherbergungsbetrieb Unterkunft genommen hat.
2. Diese Bestrafungen allein rechtfertigen allerdings noch nicht die Annahme, der Aufenthalt des Beschwerdeführers werde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden oder anderen im Artikel 8 Abs. 2 EMRK genannten Interessen zuwiderlaufen. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich nämlich insofern wesentlich von anderen Fällen, in denen es zu Bestrafungen wegen Übertretungen des Fremdengesetzes und des Meldegesetzes gekommen ist, als es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Fremden handelt, der ohne Rücksicht auf die bestehenden Vorschriften ständigen Aufenthalt in Österreich nehmen wollte. Der Beschwerdeführer hat zwar die Sichtvermerkspflicht verletzt, weil er für seinen Aufenthalt in Österreich, auch wenn dieser - seinen Angaben zufolge - jeweils nur von Montag bis Freitag gedauert hat, gemäß Art. 1 Abs. 3 erster Satz des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik über den Personenverkehr, BGBl. Nr. 373/1972, einen Sichtvermerk benötigt hätte, zumal sein Aufenthalt der Ausübung einer (selbständigen oder unselbständigen) Arbeit gedient hat. Dennoch geht von ihm nicht jene Gefahr für die öffentliche Ordnung, insbesondere für ein geordnetes Fremdenwesen aus, wie dies bei einem typischen "illegalen Einwanderer" der Fall ist, der ohne Rücksicht auf die Sichtvermerkspflicht sich ständig im Bundesgebiet aufzuhalten beabsichtigt. Dasselbe gilt für die Verletzung der Meldepflicht durch den Beschwerdeführer. Dieser hat Unterkunft in einem Beherbergungsbetrieb genommen. Auch wenn es dabei zu einer Verletzung der Meldepflicht gekommen ist, ist dieses Verhalten, ungeachtet seiner Strafbarkeit, im Hinblick auf die Umstände des Falles nicht von solchem Gewicht, daß darauf die Annahme im Sinne des § 18 Abs. 1 gestützt werden könnte.
3. Diese Annahme könnte dann gerechtfertigt sein, wenn man - wie die belangte Behörde dies getan hat - von der Erfüllung auch des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 8 FrG ausgehen könnte. Die Auffassung der belangten Behörde, dieser Tatbestand sei erfüllt, basiert jedoch nicht auf ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen, und zwar aus folgenden Erwägungen:
Der Beschwerdeführer hat in der Berufung vorgebracht, er betreibe mit einem Landsmann an einem näher bezeichneten Ort in Italien ein Unternehmen, welches Spezialmarmorverlegungsarbeiten durchführe. Diese "Firma" sei mit den Verlegungsarbeiten in V beauftragt worden. Diesen Sachverhaltsbehauptungen ist die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht entgegengetreten. Sie hat lediglich ausgeführt, der Beschwerdeführer sei am 7. Juli 1993 von einem Organ des Arbeitsamtes X auf der Baustelle bei einer Beschäftigung betreten worden, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht hätte ausüben dürfen, ohne daß erkennbar wäre, auf Grund welcher Überlegungen sie zu dieser Auffassung gelangt ist. Insbesondere ist nicht erkennbar, warum der Beschwerdeführer, der nach seinen unwiderlegten Behauptungen nicht Arbeitnehmer des ausführenden Unternehmens ist, im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 2 Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz) tätig gewesen sein soll. Dazu wird die belangte Behörde entsprechende Sachverhaltsfeststellungen zu treffen haben.
4. Sollte die belangte Behörde nach Verfahrensergänzung zu dem Ergebnis gelangen, daß auch § 18 Abs. 2 Z. 8 FrG erfüllt sei, ist es - nach Maßgabe des von der belangten Behörde dann festgestellten Sachverhaltes - denkbar, daß die Annahme im Sinne des § 18 Abs. 1 FrG zur Zeit der Erlassung des angefochtenen Bescheides gerechtfertigt war. Die belangte Behörde wird sich aber auch mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob diese Annahme auch noch zur Zeit der Erlassung des Ersatzbescheides bzw. für welchen Zeitraum sie dann noch berechtigt ist. Diesbezüglich sei schon jetzt darauf hingewiesen, daß der von der belangten Behörde zur Begründung für die Gültigkeitsdauer herangezogenen Tilgungsfrist des § 55 Abs. 1 VStG im gegebenen Zusammenhang keine Bedeutung zukommt (siehe das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0474).
5. Da der Sachverhalt, wie oben unter Punkt 3. gezeigt wurde, in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994180006.X00Im RIS seit
13.06.2001