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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des HS in X, vertreten durch Dr. A., Rechtsanwalt in I, gegen den Gemeinderat der Gemeinde Karres, vertreten durch den Bürgermeister, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht mangels Erledigung eines Devolutionsantrages in einer Bausache, zu Recht erkannt:
Spruch
Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in Verbindung mit § 62 Abs. 2 VwGG und § 73 Abs. 2 AVG wird dem Antrag des HS vom 8. August 1991, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einbringung der Berufung gegen den Baubewilligungsbescheid vom 8. September 1986 gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG nicht stattgegeben. Die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Karres vom 8. September 1986 wird als verspätet zurückgewiesen.
Die Gemeinde Karres hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Karres vom 8. September 1986 wurde FS aufgrund seines Ansuchens vom 8. Juli 1986 die Bewilligung zur Errichtung eines Werkstättenanbaus an das bestehende Objekt auf einer Bauparzelle erteilt. Der Beschwerdeführer, der bereits zum Zeitpunkt der Einbringung des Bauansuchens Miteigentümer dieses Grundstückes war, war nicht in das Bauverfahren miteinbezogen worden, auch der Baubewilligungsbescheid vom 8. September 1986 wurde ihm nicht zugestellt. Mit Schreiben vom 8. Februar 1991 beantragte der Beschwerdeführer die Zustellung des Baubewilligungsbescheides zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters. Mit Schreiben vom 22. Februar 1991 urgierte der Beschwerdevertreter die Zustellung des Baubewilligungsbescheides. Mit einem weiteren Schreiben vom 19. Juni 1991 wies der Beschwerdevertreter auf die bisherigen Schreiben vom 8. Februar 1991 sowie vom 22. Februar 1991 hin und beantragte neuerlich die Bescheidzustellung. In einem Schreiben vom 11. Juli 1991 an den Bürgermeister der Gemeinde Karres führte der Beschwerdevertreter aus, aufgrund seines Schreibens vom 19. Juni 1991 habe sich der Gemeindesekretär mit dem Beschwerdevertreter in Verbindung gesetzt und ihm zu seiner Überraschung mitgeteilt, daß der bezügliche Baubescheid bereits an ihn übersendet worden sei. Der Beschwerdevertreter habe hiezu bemerkt, daß dieser Bescheid in seiner Kanzlei jedenfalls nie eingelangt sei und darauf hingewiesen, daß gelegentlich Mängel im Postzustellwesen festzustellen seien. Der Gemeindesekretär habe hierauf eine nochmalige Zusendung des Baubewilligungsbescheides versprochen. Da der Beschwerdevertreter entgegen dieser ausdrücklichen Zusage bis zum heutigen Tage nicht im Besitze des Baubescheides sei, wiederhole er ebenso höflich wie dringend das Ersuchen um Übersendung des Baubewilligungsbescheides.
Mit Schreiben vom 1. August 1991, eingelangt in der Kanzlei des Beschwerdevertreters am 2. August 1991, teilte der Bürgermeister der Gemeinde Karres dem Beschwerdevertreter mit, daß ihm beiliegend eine Kopie des Baubewilligungsbescheides übermittelt werde. Eine Kopie des Baubewilligungsbescheides sei bereits am 25. Februar 1991 per Einschreibebrief an den Beschwerdevertreter geschickt worden, eine Ablichtung des diesbezüglichen Schreibens einschließlich einer Ablichtung des Rückscheines, wonach die Sendung am 27. Februar 1991 in der Kanzlei des Beschwerdevertreters von einer Arbeitnehmerin übernommen wurde, wurde diesem Schreiben beigelegt. Überdies wurde darauf hingewiesen, daß auch am 26. Juni 1991 wieder eine Kopie des Baubewilligungsbescheides an das Büro des Beschwerdevertreters geschickt worden sei, diesmal nicht eingeschrieben. Eine Ablichtung des Begleitschreibens vom 26. Juni 1991 war ebenfalls beigelegt.
Mit Schriftsatz vom 8. August 1991 brachte der Beschwerdevertreter beim Gemeindevorstand der Gemeinde Karres einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und gleichzeitig die Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 8. September 1986 ein. Der Antrag auf Wiedereinsetzung war damit begründet, daß dem Schreiben des Gemeindeamtes Karres vom 1. August 1991 in Kopie die Übernahmebestätigung der Kanzlei des Beschwerdevertreters vom 27. Februar 1991 beigeschlossen gewesen sei. Das Schreiben der Gemeinde sei Anlaß für eine intensive Suche in der Kanzlei des Beschwerdevertreters nach dem angeblich am 27. Februar 1991 übernommenen Baubescheid gewesen, die jedoch ohne Erfolg geblieben sei. Daraufhin habe der Beschwerdevertreter ein ausführliches Gespräch mit sämtlichen Kanzleibediensteten geführt, die vom Einlangen des Bescheides keine Kenntnis hatten. Es könne daher dem Nichtvorliegen des betreffenden Bescheides in der Kanzlei nur folgender Sachverhalt zugrundeliegen: Wie sich aus dem Rückschein ergebe, habe Frau W, eine besonders sorgfältig und genau arbeitende Sekretärin, ein Poststück der Gemeinde Karres am 27. Februar 1991 übernommen und auch die Übernahmsbestätigung unterfertigt. Neben diesem Schreiben des Gemeindeamtes habe sie naturgemäß auch zahlreiche andere Schriftstücke vom Postbeamten übernommen, welche sie alle - vorerst ungeöffnet - in der Postmappe der Kanzlei gesammelt habe. Die gesamte Post sei an diesem Tage von der Chefsekretärin Frau E geöffnet worden, wobei üblicherweise die den Kuverts entnommenen Schriftstücke auf einem Stapel - und getrennt davon - die leeren Kuverts auf einem weiteren Stapel gesammelt und in der Folge, nachdem alle Schriftstücke in der Postmappe abgelegt worden seien, die leeren Kuverts weggeworfen würden. Frau E sei im Februar 1974 in die seinerzeitige Rechtsanwaltssozietät eingetreten; seit Auflösung dieser Kanzleigemeinschaft, sohin seit 1. August 1983 bis dato sei sie in der Kanzlei des Beschwerdevertreters als Kanzleileiterin tätig. Während dieser nunmehr 17 Jahre währenden Mitarbeit habe sie sich als außerordentlich verläßliche, gewissenhafte und auch durchaus belastungsfähige Sekretärin erwiesen, die immer alle in der Kanzlei anfallenden Tätigkeiten vorzüglich beherrsche. Am 23. Februar 1991, sohin vier Tage vor dem gegenständlichen Vorfall, habe sich Frau E den rechten Unterarm gebrochen. Aufgrund des frischen Gipsverbandes sei sie daher nicht in der Lage gewesen, Schreibarbeiten zu verrichten, sie habe jedoch weiterhin stundenweise ihren Dienst in der Kanzlei versehen, um die übrigen Sekretärinnen von allen jenen Tätigkeiten, die ihr mit dem gebrochenen Arm eben möglich gewesen seien, zu entlasten, zumal der Beschwerdevertreter am 22. Februar 1991 einen zweiwöchigen Urlaub angetreten und naturgemäß eine große Anzahl von Diktatbändern zurückgelassen habe. Da das Öffnen der Poststücke auch mit eingegipstem Arm möglich gewesen sei, habe eben Frau E am 27. Februar 1991 diese Tätigkeit übernommen. Es sei nun nicht anders zu erklären, als daß das Kuvert, das angeblich den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Karres enthielt, wohl aufgrund der Überlastung des Schreibtisches und auch der eingeschränkten Bewegungsfreiheit der E irrtümlich ungeöffnet auf den Stapel der bereits geöffneten Kuverts gelangt und in der Folge in den Papierkorb geworfen worden sein müsse. Eine andere Möglichkeit für das Nichtvorliegen des Bescheides sei nicht denkbar, da keinem der fünf Mitarbeiter die Existenz dieses Bescheides bekannt sei. Erhärtet werde dies dadurch, daß der Vertreter des Beschwerdeführers nach der Zustellung vom 27. Februar 1991 mit Schreiben vom 19.6., 11.7. und 29.7.1991 an die Gemeinde Karres immer wieder dringend um die Übermittlung des Baubescheides ersucht habe. Entschieden wende sich der Beschwerdevertreter gegen die Behauptung, im Schreiben der Gemeinde vom 1. August 1991, wonach (ein zweites Mal) am 26. Juni 1991 der Bescheid - allerdings nicht eingeschrieben - dieser Kanzlei zugestellt worden sei. Dem Antrag war eine eidesstattliche Erklärung der E, die Erklärung des Vertreters des Berufungswerbers, eine Verletzungsanzeige der Klinik Innsbruck, sowie eine Reisebestätigung eines Reisebüros vom 12.2.1991 beigelegt.
Mit Eingabe vom 22. September 1992, gerichtet an den Gemeinderat der Gemeinde Karres, beantragte der Beschwerdeführer den Übergang der Zuständigkeiten zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der rechtzeitigen Einbringung der Berufung und über die Entscheidung der Berufung gegen den Baubewilligungsbescheid vom 28. Juli 1986. Dieser Antrag wurde laut Aufgabeschein am 24.9.1992 beim Postamt 6010 Innsbruck aufgegeben und ist am 25. September 1992 laut Übernahmsbestätigung im Gemeindeamt Karres eingelangt.
Mit der am 30. Juli 1993 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Beschwerde wegen Untätigkeit des Gemeinderates der Gemeinde Karres betreffend den Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung aufgrund des Devolutionsantrages stellte der Beschwerdeführer den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst erkennen und dem Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der fristgerechten Einbringung einer Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 8. September 1986 bewilligen und in Stattgebung der Berufung den bekämpften Baubewilligungsbescheid dahingehend abändern, daß das Bauansuchen des Bauwerbers Franz Sailer abgewiesen werde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, daß die Säumnisbeschwerde zu Recht erhoben wurde, weil der am 24. September 1992 nachweislich zur Post gegebene Devolutionsantrag vom 22. September 1992 am 25. September 1992 bei der Gemeinde eingelangt ist, bis zum Einlangen der Säumnisbeschwerde mehr als sechs Monate verstrichen sind und die belangte Behörde über den Devolutionsantrag des Beschwerdeführers nicht entschieden hat (vgl. § 27 VwGG).
Gemäß § 73 Abs. 1 AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlagen den Bescheid zu erlassen. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung geht, sofern der Bescheid der Partei nicht innerhalb dieser Frist zugestellt wird, auf ihren schriftlichen Antrag die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei der Oberbehörde einzubringen. Der Antrag ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
Da nach dem vorgelegten Verwaltungsakt der Gemeindevorstand weder über den Wiedereinsetzungsantrag noch über die Berufung des Beschwerdeführers entschieden hat, ist gemäß § 73 Abs. 2 AVG die Zuständigkeit zur Entscheidung aufgrund des Devolutionsantrages vom 22. September 1992 auf den Gemeinderat übergegangen. Dem Verwaltungsakt können keine Hinweise dafür entnommen werden, daß die Verzögerung des Gemeindevorstandes nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen sei. Angesichts der eingetretenen Devolution und in der Folge der Säumnis des Gemeinderates hat der Verwaltungsgerichtshof über den Wiedereinsetzungsantrag und in der Folge über die Berufung anstelle des Gemeinderates zu entscheiden.
In der Sache selbst hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG in der hier anzuwendenen Fassung der Novelle 1990, BGBl. Nr. 357, ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die mit einem Rechtsnachteil verbundene Versäumung einer Frist zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt im Hinblick auf § 12 AVG in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, E Nr. 33 f, zu 71 AVG, und die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 656, zitierte Judikatur). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmung des § 71 Abs. 1 lit. a AVG in Verbindung mit § 12 AVG nur dann in Betracht, wenn dem Antragsteller oder seinem Vertreter entweder kein oder nur ein minderer Grad des Verschuldens angelastet werden kann.
Der vom Beschwerdevertreter geschilderte Vorgang, wonach die gesamte Post geöffnet wird, üblicherweise die den Kuverts entnommenen Schriftstücke auf einem Stapel - und getrennt davon - die leeren Kuverts auf einem weiteren Stapel gesammelt und in der Folge, nachdem alle Schriftstücke in der Postmappe abgelegt wurden, die leeren Kuverts weggeworfen werden, stellt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes einen groben Organisationsmangel dar, der - da dies nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Kanzlei des Rechtsfreundes üblich war - auch nicht mehr als minderes Versehen eingestuft werden kann. Bei der geschilderten "Überlastung" des Schreibtisches ist bei der gewählten Methode von zwei Stapeln auf einem Schreibtisch, von denen einer unbesehen weggeworfen wird, das Eintreten eines Umstandes, wie er dem Wiedereinsetzungsantrag zugrundeliegt, nämlich daß ein ungeöffnetes Poststück mit dem Kuvert weggeworfen wird, geradezu vorprogrammiert, wenn nicht vor dem Wegwerfen die geleerten Kuverts dahin überprüft werden, ob sich in ihnen noch Schriftstücke (oder Beilagen) befinden. Daß eine solche Kontrollmaßnahme vorgenommen worden sei, wurde im Wiedereinsetzungsantrag nicht einmal behauptet. Das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes ist daher schon aufgrund des Vorbringens des Beschwerdevertreter zu verneinen, sodaß der Antrag auf Wiedereinsetzung abzuweisen war.
Bei dieser Sachlage erübrigt sich ein Eingehen darauf, ob die Gemeinde Karres den Baubewilligungsbescheid auch ein zweites Mal - diesmal uneingeschrieben - an die Kanzlei des Beschwerdevertreters übermittelt hat oder nicht, ebenso ist eine Auseinandersetzung mit dem Fragenkomplex entbehrlich, ob der Wiedereinsetzungsantrag verspätet gestellt wurde, weil dem Beschwerdevertreter allenfalls schon anläßlich des Gespräches mit dem Gemeindesekretär nach dem 19. Juni 1991 aber vor dem 11. Juli 1991 bekannt geworden sein mußte, daß der diesbezügliche Baubewilligungsbescheid bereits an die Kanzlei des Beschwerdevertreters übersendet worden war.
Aufgrund der Zustellung des Baubewilligungsbescheides am 27. Februar 1991 wurde die dagegen am 8. August 1991 eingebrachte Berufung nach Ablauf der gemäß § 63 Abs. 5 AVG festgesetzten Frist von zwei Wochen erhoben; die Berufung war daher als verspätet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993060159.X00Im RIS seit
20.11.2000