TE Vwgh Erkenntnis 1994/4/19 94/11/0053

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.04.1994
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §7;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. Dezember 1993, Zl. UVS-07/18/00743/93, betreffend Zurückweisung eines Einspruches und Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Verwaltungsstrafsache nach dem Arbeitszeitgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit mit ihm der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Einspruches abgewiesen wird, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 15. Dezember 1993 wurde der Einspruch des Beschwerdeführers vom 12. März 1992 gegen die vom Magistrat der Stadt Wien erlassene Strafverfügung vom 26. September 1991 (mit welcher gegen den Beschwerdeführer wegen insgesamt 154 Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes Geldstrafen im Gesamtbetrag von S 308.000,-- verhängt worden waren) als verspätet zurückgewiesen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist wurde als unbegründet abgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der erste Zustellversuch sei am 5. November 1991 erfolgt. Die Ankündigung eines zweiten Zustellversuches sei im Hausbrieffach an der Abgabestelle zurückgelassen worden. Der zweite Zustellversuch sei am 6. November 1991 erfolgt. Die Hinterlegungsanzeige sei an der Abgabestelle zurückgelassen worden. Die Sendung sei dann beim Postamt 1192 hinterlegt worden. Die Abholfrist habe am 7. November 1991 begonnen. Aus der vom Beschwerdeführer vorgelegten Quittung ergebe sich eine Abwesenheit von der Abgabestelle in der Zeit vom 2. bis 9. November 1991. Der Tag der Rückkehr an die Abgabestelle (9. November 1991) sei ein Samstag gewesen, sodaß der Beschwerdeführer die hinterlegte Sendung am 11. November 1991 hätte beheben können. Der am 12. März 1992 zur Post gegebene Einspruch sei daher verspätet. Die Aussage des Beschwerdeführers, eine Hinterlegungsanzeige nach seiner Rückkehr nicht vorgefunden zu haben, sei nicht ausreichend, die Angabe des Postzustellers im Rückschein, es sei eine solche Anzeige im Hausbrieffach eingelegt worden, zu entkräften, zumal durch die Zeugenaussage des Zustellers die Richtigkeit dieser Angabe bestätigt worden sei.

Der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft gemacht, daß die ordnungsgemäß angebrachte Benachrichtigung von der Hinterlegung durch dritte Personen entfernt worden sei, weshalb der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1.1. Der Beschwerdeführer rügt als Aktenwidrigkeit, daß die belangte Behörde davon ausgehe, der als Zeuge vernommene Zusteller habe die Richtigkeit der Angaben im Rückschein bestätigt. Nach dem Rückschein seien die Ankündigung des zweiten Zustellversuches und die Hinterlegungsanzeige "an der Abgabestelle zurückgelassen" worden. Der Zusteller habe bei seiner Vernehmung hingegen angegeben, er habe die Hinterlegungsanzeige in das Brieffach eingeworfen.

1.2. Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, daß der von ihm aufgezeigte Widerspruch zwischen dem Inhalt des Rückscheines und der Aussage des Zustellers besteht, doch ist aus dem Begründungszusammenhang zu erkennen, daß die belangte Behörde den Angaben des Zustellers bei seiner Zeugenvernehmung, daß er die Hinterlegungsanzeige in den im Türpfeiler eingemauerten Briefkasten eingeworfen habe, Glauben geschenkt hat. Konkrete Gründe, welche die dieser Sachverhaltsfeststellung zugrundeliegende Beweiswürdigung als unschlüssig erkennen ließen, werden vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht und sind auch nicht zu erkennen. Der Ausfüllung des Rückscheines durch den Zusteller lag erkennbar die Auffassung zugrunde, das Einwerfen in den Briefkasten am Türpfeiler sei ein "Zurücklassen an der Abgabestelle". Ein Widerspruch zwischen der Zeugenaussage des Zustellers und dem Inhalt des Rückscheines liegt demnach nicht vor. Der Aussage des Zustellers widersprechende Beweisergebnisse sind nicht vorhanden, sodaß gegen die auf den Angaben des Zustellers beruhenden Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde keine Bedenken bestehen.

1.3. Ausgehend von diesen Sachverhaltsfeststellungen ist die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, daß die Zustellung durch Hinterlegung zunächst im Hinblick auf die Ortsabwesenheit des Beschwerdeführers von der Abgabestelle nicht wirksam war, jedoch gemäß § 17 Abs. 3 vierter Satz Zustellgesetz nach der am 9. November 1991 erfolgten Rückkehr des Beschwerdeführers an die Abgabestelle am 11. November 1991 wirksam geworden ist, zutreffend. Die Zurückweisung des mit Schriftsatz vom 12. März 1992 erhobenen Einspruches als verspätet erfolgte demnach zu Recht, weshalb insoweit die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

2.1. Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG - die Bestimmungen des AVG betreffend die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren - ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

2.2. Zur Versäumung der Einspruchsfrist ist es nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers dadurch gekommen, daß er von der durch Hinterlegung erfolgten Zustellung der Strafverfügung keine Kenntnis erlangt hat, weil er die Hinterlegungsanzeige bei seiner Rückkehr nicht vorgefunden habe.

Die belangte Behörde hat dazu die Auffassung vertreten, der Beschwerdeführer hätte glaubhaft machen müssen, daß die ordnungsgemäß eingebrachte Benachrichtigung von der Hinterlegung durch dritte Personen entfernt worden sei. Diesen Nachweis habe der Beschwerdeführer jedoch nicht zu erbringen vermocht. Auf Grund der Aussage des Zustellers sei eine Entfernung der Verständigung durch unbefugte Personen auszuschließen.

2.3. Bei der Beurteilung des Beschwerdefalles ist zunächst festzuhalten, daß das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung für den Beschwerdeführer bei der gegebenen Sachlage die einzige Möglichkeit darstellt, in der Sache selbst Gehör zu erhalten. Bei der Anwendung und Auslegung der für die Wiedereinsetzung maßgeblichen prozeßrechtlichen Vorschriften dürfen die Anforderungen an die Partei nicht überspannt werden (vgl. den hg. Beschluß vom 25. Oktober 1990, Zl. 90/16/0163). In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, daß das Gesetz nicht den (für die Partei oft unmöglichen) Beweis des Wiedereinsetzungsgrundes verlangt, sondern sich mit der Glaubhaftmachung begnügt, und daß nur grobes Verschulden die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausschließt. Nur dann, wenn der Partei (oder ihrem Vertreter) auffallende Sorglosigkeit bei der Wahrnehmung der Frist zur Last fällt, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich.

2.4. Auf dem Boden dieser Rechtslage ist die Begründung der belangten Behörde für die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages unzureichend. Nach der Aktenlage handelte es sich bei der Zustellung der Strafverfügung um die erste behördliche Zustellung im vorliegenden Verfahren, sodaß der Beschwerdeführer schon deshalb nicht mit der Zustellung der Strafverfügung während seiner einwöchigen Ortsabwesenheit rechnen und entsprechende Vorkehrungen treffen mußte.

Mit der Glaubwürdigkeit der in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde gemachten Angaben des Beschwerdeführers setzt sich die belangte Behörde nicht auseinander, obwohl gerade diese Frage für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungantrag von maßgeblicher Bedeutung gewesen wäre. Den konkreten Vorgang, wie es zur Entfernung der Hinterlegungsanzeige gekommen ist, wird eine Partei nur in den seltensten Fällen bescheinigen können. Sie wird sich, abgesehen von der Behauptung des Fehlens der Hinterlegungsanzeige in der Post, auf die Dartuung von Umständen beschränken müssen, die die Entfernung der Hinterlegungsanzeige als nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen.

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde solche Umstände dargetan, nämlich daß er viele Reklamesendungen erhalte, daß die Post oft außen im Einwurfschlitz stecke und daß das "Postfach" nur eine Tiefe von maximal 15 cm habe. Falls eine Hinterlegungsanzeige eingeworfen worden sei, sei diese nicht "hinuntergefallen". Die Post stecke üblicherweise griffbereit im Einwurfschlitz.

Der als Zeuge vernommene Zusteller hat bestätigt, daß auch Reklamesendungen in den Briefkasten eingeworfen bzw. "in die Türe hineingesteckt" werden.

Angesichts dieser Umstände ist die der Auffassung der belangten Behörde, auf Grund der Aussage des Zustellers sei eine Entfernung der Verständigung durch unbefugte Personen auszuschließen, zugrundeliegende Beweiswürdigung unschlüssig, weil sie durch die vorliegenden Ermittlungsergebnisse nicht gedeckt ist.

2.5. Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde im Zusammenhang mit der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher im genannten Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Als Ersatz für Beilagengebühren konnten nur S 60,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zugesprochen werden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994110053.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten