Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in M, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 1993, Zl. 4.328.010/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am 26. November 1991 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich der niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 29. November 1991 gab er im wesentlichen an, seit dem Jahre 1987 Angehöriger der "PPP (Pakistan Peoples Party)" zu sein; seine Tätigkeit innerhalb der Organisation habe in der Verteilung von Werbematerial und in der Mitgliederwerbung bestanden. Nachdem die Partei im Oktober 1990 die Wahlen verloren habe, sei er im Dezember 1990 für eine Woche von der Polizei unter dem Vorwurf, an verbotenen Plätzen plakatiert zu haben, festgenommen worden. Nach seiner Freilassung sei er von Angehörigen der Muslim League belästigt worden, sodaß er des öfteren auf dem Weg zur Arbeit große Angst gehabt habe, da er Mißhandlungen befürchtet hätte. Er habe sich deshalb mit einem Anwalt unterhalten, der ihm den Rat gegeben habe, er solle ins Ausland gehen und erst zurückkommen, wenn die politische Lage "wieder in Ordnung" sei. Daraufhin sei der Beschwerdeführer am 1. Oktober 1991 von Karachi nach Istanbul ausgereist.
Mit Bescheid vom 11. August 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer vor, daß ihm in seiner Heimat Verfolgung drohe. Seine Familienangehörigen seien ebenso wie er Mitglieder der "nicht zugelassenen Arbeiterpartei". Er sei ins Gefängnis gebracht, geschlagen worden und gegen Bestechungsgelder freigekommen. Sein Vater befinde sich noch immer im Gefängnis, ihm solle unter falschen Anschuldigungen der Prozeß gemacht werden. Wegen seiner Zugehörigkeit und seiner Tätigkeit für die Arbeiterpartei sei eine Rückkehr nach Pakistan nicht zumutbar; er müßte mit harten Strafverfolgungsmaßnahmen rechnen.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Das Ermittlungsverfahren habe keine Hinweise dafür ergeben, daß der Beschwerdeführer Verfolgung aus den im § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 genannten Gründen zu gewärtigen habe. Pakistan sei seit Herbst 1988 wieder ein demokratischer Staat mit einer regulären Verfassung. Die Mitglieder der Oppositionspartei "PPP" würden in der Heimat des Beschwerdeführers nicht verfolgt. Diese Partei sei keineswegs verboten oder nicht zugelassen, sondern durch eine größere Anzahl von Abgeordneten im Parlament vertreten. Die staatlichen Stellen Pakistans behandelten rein formell aufgrund der Gesetze alle Bürger gleich. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei daher unglaubwürdig. Die behaupteten Belästigungen durch Angehörige der Muslim League könnten nicht als Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention angesehen werden, da sie das "geforderte Ausmaß an Intensität und Qualität" nicht überschritten; der Beschwerdeführer erwähne überdies konkrete Vorkommnisse in diesem Zusammenhang nicht. Auch die Festnahme im Jahre 1990 liege - sollte sie überhaupt stattgefunden haben - schon zu lange zurück, um asylrechtlich beachtlich zu sein.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen - die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 11. August 1992 erledigenden - Bescheides davon ausgegangen, daß von ihr bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden sei, dies im Hinblick auf die Bestimmung des § 25 Abs. 2 erster Satz dieses Gesetzes, weil das gegenständliche Asylverfahren "am bzw. nach dem 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängig war". Diese Auffassung trifft aber nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu (vgl. nur das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831). Die belangte Behörde hätte daher im vorliegenden Beschwerdefall das (bei ihr erst nach dem 1. Juni 1992 anhängig gewordene) Verwaltungsverfahren gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz AsylG 1991 nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen gehabt. Daß sie demgegenüber - anders als die Behörde erster Instanz - die materiellen Bestimmungen des AsylG 1991 angewendet hat, bedeutet zwar noch nicht zwangsläufig eine zu seiner Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, setzt doch eine solche eine damit verbundene Rechtsverletzung des Beschwerdeführers voraus. Diese kann jedoch im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden, hat doch die belangte Behörde in der irrigen Annahme, das neue Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 nicht zu berücksichtigen zu haben, sich mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt.
Selbst dann aber, wenn dieses Vorbringen zusammen mit den Angaben des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren dahin beurteilt werden müßte, daß ein Asylgrund im Sinne des § 1 AsylG (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 18/1974) nicht vorliegt, macht doch der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, bei der nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre:
Es kann nämlich der belangten Behörde nicht gefolgt werden, wenn sie die Ansicht vertritt, der von ihr ohne Angabe von Erkenntnisquellen ihrer Entscheidung zugrundegelegte Umstand, daß Pakistan seit Herbst 1988 wieder ein demokratischer Staat sei und daß die staatlichen Stellen rein formell aufgrund der Gesetze alle Bürger gleich behandelten, sodaß eine Verfolgung der Mitglieder der "PPP" nicht stattfinde, dem Beschwerdeführer nicht habe vorgehalten werden müssen. Vielmehr muß gemäß § 45 Abs. 3 AVG jeder Partei insbesondere Gelegenheit geboten werden, sich über die als offenkundig behandelten Tatsachen und über das Ergebnis amtlicher Erhebungen zu äußern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 1993, Zl. 93/01/0235). Diesem Gebot ist aber die belangte Behörde dem Akteninhalt nach nicht nachgekommen.
Da somit Rechtsvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde allenfalls zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 und Z. 3 lit. c VwGG aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil mit dem pauschalierten Schriftsatzaufwand auch der Ersatz der Umsatzsteuer abgegolten ist.
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Grundsätzliches zur Rechtmäßigkeit und zur Rechtsverletzungsmöglichkeit Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Parteiengehör Allgemein Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190163.X00Im RIS seit
27.11.2000