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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesminister für Inneres vom 15. Juni 1992, Zl. 4.308.081/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Mai 1991, mit dem der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen worden war, ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Bangladeshs, der am 12. Jänner 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat anläßlich seiner Erstbefragung am 21. Jänner 1991 bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich angegeben, er sei seit 1972 Mitglied der "Jateiy Samagtantri Dal (JSD)". Am 4. Dezember 1990 habe sich das Parlament in Bangladesh selbst aufgelöst, der Präsident sei gestürzt, er und seine Regierungsmitglieder verhaftet worden. Dieser Sturz sei durch einen Militärputsch durchgeführt worden. Die Parteiräume der JSD seien gestürmt und geplündert, das Geschäft des Beschwerdeführers sei zerstört und angezündet worden. Leute der Oppositionspartei seien auch in seine Wohnung eingedrungen und hätten nach ihm gesucht. Seither lebe seine Familie im Untergrund, er selbst habe seine Heimat verlassen, um sich und seine Familie zu schützen. In Bangladesh gebe es derzeit eine große Verhaftungswelle, einer Arbeit könne er aufgrund der angespannten politischen Situation dort nicht nachgehen.
Zur Dokumentation seiner politischen Tätigkeit sowie der politischen Situation in seinem Heimatland legte der Beschwerdeführer eine Reihe von Photos und Zeitungsartikeln in Englisch und Bengali vor.
In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid wies der Beschwerdeführer auf die Mangelhaftigkeit seiner Ersteinvernahme, die nicht in seiner Muttersprache Bengali, sondern mit einem pakistanischen Dolmetscher in "Urdu" durchgeführt worden sei, hin und führte aus, daß er Urdu nicht hinreichend gut beherrsche und es angesichts der Geschichte Bangladeshs überhaupt bedenklich sei, einen pakistanischen Dolmetscher zuzuziehen. So sei der Regierungswechsel 1990 nicht durch einen Militärputsch, sondern durch den Druck der demokratischen Massenbewegung ausgelöst worden. Präsident Ershad und seine Regierungsmitglieder seien von der Oppositionskoalition unter Hausarrest gestellt worden, es sei zu Ausschreitungen gegen die JSD gekommen, die mit Präsident Ershad zusammengearbeitet habe. Der Beschwerdeführer selbst sei seit vielen Jahren Mitglied und Aktivist der JSD und ebenfalls ein Opfer dieser Ausschreitungen. Seit seiner Flucht habe die Polizei immer wieder nach ihm gesucht, der Parteiführer der JSD sei unter falschen Anschuldigungen festgenommen worden. Dies drohe auch dem Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr, denn auch die jetzige Regierung verfolge eine undemokratische Politik und dulde keine Opposition. Auch im Berufungsverfahren legte der Beschwerdeführer Photos, die ihn mit dem Führer der JSD zeigten, sowie eine Reihe von Zeitungsausschnitten und eine Stellungnahme zur allgemeinen Lage in Bangladesh vor.
Die belangte Behörde gelangte zu der Auffassung, daß das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere auch die niederschriftliche Einvernahme, keine Anhaltspunkte dafür ergeben habe, daß der Beschwerdeführer "Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes" sei.
Der Beschwerdeführer führt zunächst aus, der angefochtene Bescheid sei deshalb rechtswidrig, weil es die belangte Behörde unterlassen habe, ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1991 den befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu bewilligen. Gemäß dieser Gesetzesstelle kann die Asylbehörde aus Anlaß der Erlassung eines Bescheides, mit dem ein Asylantrag abgewiesen wird, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen einem Fremden von Amts wegen den befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet bewilligen, wenn die Abschiebung rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist oder ihm wegen der Situation in seinem Heimatland aus wichtigen Gründen nicht zugemutet werden kann. Daraus folgt, daß ein Abspruch über die Erteilung einer auf diese Bestimmung gestützten Bewilligung zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht Bestandteil eines einen Asylantrag abweisenden Bescheides sein muß. Auch ist die Frage, ob eine derartige Bewilligung erteilt werden kann, völlig losgelöst von der Frage, ob einem Asylwerber gemäß § 3 AsylG 1991 Asyl zu gewähren ist. Das Fehlen eines solchen Abspruches im angefochtenen Bescheid belastet diesen daher nicht mit Rechtswidrigkeit und stellt somit auch keinen Eingriff in Rechte des Beschwerdeführers dar (vgl. das Erkenntnis vom 26. November 1993, Zl. 93/01/0108).
Der Beschwerdeführer ist jedoch insoweit im Recht, als er die Beweiswürdigung der belangten Behörde bekämpft. Soweit nämlich die belangte Behörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers unter anderem auch deshalb die Glaubwürdigkeit abspricht, weil dieser "auf den für Schlepperorganisationen typischen Wegen nach Österreich eingereist" sei, so hat der Verwaltungsgerichtshof bereits des öfteren ausgesprochen, daß aus der Einreise eines Asylwerbers unter Zuhilfenahme einer "Schlepperorganisation" allein kein Schluß auf die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens eines solchen Asylwerbers gezogen werden kann (Erkenntnis vom 16. Oktober 1991, 91/01/0119), insbesondere, wenn er - so wie der Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall - über ein sehr detailreiches Wissen über politische Entwicklungen verfügt. Von "abstraktem" oder "allgemein gehaltenem Vorbringen" kann im Beschwerdefall nicht die Rede sein. Auch kann die Tatsache, daß der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung seine politische Tätigkeit in Deutschland nicht gesondert erwähnt hat, nicht als ein die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers mindernder Umstand gewertet werden, zumal sich aus der Niederschrift auch nicht ergibt, daß der Beschwerdeführer danach überhaupt gefragt worden ist.
Soweit die belangte Behörde ausführt, daß angesichts "der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu der angeführten sozialen Schicht" nicht davon ausgegangen werden könne, "daß er zur politischen Elite seines Heimatlandes gehörte", ist dies von der Warte der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Schlüssigkeitsprüfung nicht nachvollziehbar, abgesehen davon, daß hiezu nähere Sachverhaltsfeststellungen völlig fehlen.
Ebensowenig kann der Umstand, daß einem Asylwerber durch seinen Heimatstaat ein Reisepaß ausgestellt wurde, für sich allein als Indiz für das Nichtvorliegen von Verfolgung gewertet werden (vgl. das Erkenntnis vom 20. Mai 1992, 92/01/0407). Dazu kommt, daß die belangte Behörde übersehen hat, daß der Reispaß des Beschwerdeführers noch vor dem Sturz des Präsidenten ausgestellt wurde, also in einer Zeit, für die der Beschwerdeführer noch keine Verfolgung behauptet.
Wenn die belangte Behörde ausführt, Polizei und Militär würden nur dann eingreifen, wenn es im Rahmen von Demonstrationen gegen Maßnahmen der Regierung oder etwa im Rahmen des geschilderten Regierungswechsels zu handgreiflichen Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppen komme, also nur, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, so ist ihr entgegenzuhalten, daß dies eine gewissenhafte Erforschung der tatsächlichen Umstände erfordert. Die belangte Behörde hat es aber unterlassen die für eine solche Feststellung notwendigen Erhebungen zu pflegen und festzustellen, ob die vom Beschwerdeführer als "Oppositionsparteien" bezeichneten politischen Gruppierungen, von denen die behaupteten Verfolgungsmaßnahmen ausgingen, als "staatliche Stellen" seines Heimatlandes anzusehen sind, ob also die vormalige Regierung bereits ihre staatliche Autorität an diese Parteien verloren hat. Damit hat sich die belangte Behörde überhaupt nicht auseinandergesetzt.
Aufgrund der vorliegenden Verfahrensmängel kann vom Verwaltungsgerichtshof nicht abschließend beurteilt werden, ob die vom Beschwerdeführer behaupteten, gegen ihn gerichteten Maßnahmen eine Situation geschaffen haben, daß die Furcht des Beschwerdeführers wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, wohlbegründet und dadurch aus objektiver Sicht ein weiterer Verbleib in seinem Heimatland für ihn unerträglich gewesen ist.
Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angeführte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
Schlagworte
Spruch und BegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190279.X00Im RIS seit
20.11.2000