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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Jänner 1993, Zl. 4.327.939/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am 8. Oktober 1991 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich der niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 26. November 1991 gab er im wesentlichen an, seit dem Jahre 1985 Angehöriger der "Pakistan Peoples Party" (PPP) gewesen zu sein; seine Tätigkeit innerhalb dieser Organisation habe in der Verteilung von Werbematerial bestanden. Nachdem diese Partei im Jahre 1990 die Wahlen verloren habe, hätten Anhänger der gegnerischen Partei begonnen, Mitgliedern der PPP "Probleme" zu bereiten; im Juni 1991 sei eine Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes gegen ihn erfolgt. Er sei daraufhin von der Polizei festgenommen, für drei Tage inhaftiert und während dieser Zeit mißhandelt worden. Nach seiner Freilassung sei er nach Karachi geflüchtet, wo er bis zu seiner Ausreise im Untergrund gelebt habe. Mit finanzieller Hilfe seiner Partei sei ihm schließlich die Flucht mit dem Flugzeug gelungen.
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 28. November 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer weiters aus, er habe sich der PPP als Basisarbeiter angeschlossen, da diese Partei eine demokratische Zielsetzung habe. Nach dem Sturz der Regierung im Jahre 1977 durch die Streitkräfte sei der Beschwerdeführer "oft verhaftet und gefoltert" worden. Er habe sich aus Anlaß der Wahlen nach dem "Tod des Diktators am 17. August 1988" sehr engagiert, an Kundgebungen teilgenommen und bei Werbekampagnen mitgewirkt. In der Folge sei er von politischen Gegnern fälschlich beschuldigt worden, ein "Verbrechen" begangen zu haben. Es sei Anklage gegen ihn erhoben worden; die Polizei habe des öfteren versucht ihn zu verhaften, der Beschwerdeführer habe jedoch "untertauchen" können. Durch die Hilfe seiner Familie habe er nach Österreich ausreisen können. Er sei aus politischen Gründen in einen Kriminalfall verwickelt worden und könne sich den Gerichten in Pakistan nicht stellen, so lange in seiner Heimat die Demokratie nicht wieder hergestellt sei. Weiters legte der Beschwerdeführer Kopien von Dokumenten vor, die seine Mitgliedschaft zur "Pakistan Peoples Party" bestätigen sollten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Beschwerdeführer Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1991) sei. So behaupte der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Befragung, daß er wegen unbefugten Waffenbesitzes drei Tage lang inhaftiert gewesen sei; nach den Angaben in seiner Berufung sei er ungerechtfertigt und aus politischen Gründen beschuldigt worden, ein Verbrechen begangen zu haben. Illegaler Waffenbesitz sei jedoch auch in den Mitgliedstaaten der Genfer Konvention mit Strafe bedroht und begründete noch keinen asylrechtlich relevanten Fluchtgrund. Auch eine allenfalls ungerechtfertigte Beschuldigung begründe allein noch nicht die Annahme eines politischen Aspektes des Verfahrens; auch in diesem Fall sei es dem Beschwerdeführer zumutbar, sich dem Gericht zu stellen und den dargelegten Beweismitteln entgegenzutreten. Es könne nicht als glaubhaft angesehen werden, daß dem Beschwerdeführer in Pakistan kein den rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechendes Gerichtsverfahren gewährleistet werde, da Pakistan seit Herbst 1988 ein demokratischer Staat mit einer "regulären" Verfassung sei. Die staatlichen Stellen Pakistans behandelten "rein formell" aufgrund der Gesetze alle Bürger gleich. Sollte es tatsächlich zur Folterung und Mißhandlung des Beschwerdeführers gekommen sein, so könne dies nicht als asylbegründende mittelbare staatliche Verfolgung gewertet werden, da derartige Übergriffe selbständige Handlungen von Einzelpersonen seien, welche sich nicht als politisch, religiös oder ethnisch motivierte, vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen darstellten, auch wenn sie von Organen der Polizei oder Mitgliedern der Regierungspartei gesetzt würden. Auch die politische Tätigkeit für die "Pakistan Peoples Party" könne "derzeit" einen Asylanspruch nicht begründen; die "PPP" sei durch eine größere Anzahl von Abgeordneten im Parlament vertreten. Aufgrund der der erkennenden Behörde vorliegenden Berichte sei eine Verfolgung im Sinne der Konvention wegen der Zugehörigkeit zur PPP ausgeschlossen. Überdies sei es für den Fall, daß der Beschwerdeführer tatsächlich den Behörden als Aktivist der "PPP" oder als Rechtsbrecher bekannt gewesen sei, unwahrscheinlich, daß ihm die Ausreise mit Reisepaß auf dem Luftweg möglich gewesen wäre. An der mangelnden Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers änderten auch die von ihm vorgelegten Dokumente aus im weiteren angeführten Gründen nichts.
Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Soweit die belangte Behörde die Annahme der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers darauf stützt, dieser habe unter Punkt 7 der Niederschrift vom 26. November 1991 (im Wege eines Vordruckes auf dem für die Niederschrift verwendeten Formular) angegeben, nicht vorbestraft zu sein und in seinem Heimatland nicht gesucht zu werden, was im Widerspruch zu den weiteren Angaben, wegen illegalen Waffenbesitzes inhaftiert gewesen zu sein stehe, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer mußte nämlich die Frage, ob er gesucht werde, im vorliegenden Kontext (mit der Frage nach Vorstrafen bzw. nach der Begehung strafbarer Handlungen) nicht zwingend als Frage nach den im folgenden geschilderten Ereignissen sehen, die der Beschwerdeführer als politische Verfolgung wertete. Mangels eines entsprechenden, zur Aufklärung eines allfälligen Widerspruches in den Angaben des Beschwerdeführers geeigneten Vorhaltes während der niederschriftlichen Befragung kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß der Beschwerdeführer die Frage, ob er gesucht werde, als Frage nach strafgerichtlicher Verfolgung ohne politischen Zusammenhang auffaßte und deshalb verneinte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0410).
Weiters hat die belange Behörde entgegen ihrer in § 20 Abs. 1 AsylG 1991 normierten Verpflichtung, ihrer Entscheidung ausschließlich das Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens zugrundezulegen, die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers auch anhand seines - nach Ansicht der belangten Behörde im Widerspruch zu seinen erstinstanzlichen Angaben stehenden - Berufungsvorbringens insoweit beurteilt, als sie ihm vorhielt, im gesamten Verfahren nicht den Versuch unternommen zu haben, die widersprüchlichen Angaben zu klären. Die darin gelegene Rechtswidrigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1994, Zl. 93/01/1191) führt mit den weiteren, noch darzulegenden Gründen, zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß aus einer problemlosen (legalen) Ausreise allein noch nicht der Schluß gezogen werden könne, dem Beschwerdeführer drohe in seinem Heimatland keine Verfolgung (vgl. etwa das bereits zitierte Erkenntnis vom 14. Oktober 1992).
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren angegeben, sofort nach seiner Freilassung nach Karachi geflüchtet und von dort mit (finanzieller) Unterstützung durch seine Partei ausgereist zu sein. Diesen Angaben ist nicht zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer von der Polizei etwa durch Steckbrief gesucht worden wäre.
Nicht gefolgt werden kann der belangten Behörde aber auch darin, daß sie die Ansicht vertritt, der von ihr ohne Angabe von Erkenntnisquellen ihrer Entscheidung zugrundegelegte Umstand, daß Pakistan seit Herbst 1988 wieder ein demokratischer Staat sei und die staatlichen Stellen "rein formell" aufgrund der Gesetze alle Bürger gleich behandelten sowie der daraus gezogene Schluß, daß eine Verfolgung der Mitglieder der "PPP" unglaubwürdig sei, habe dem Beschwerdeführer nicht vorgehalten werden müssen. Vielmehr muß gemäß § 45 Abs. 3 AVG jeder Partei Gelegenheit geboten werden, sich über die als offenkundig behandelten Tatsachen und über das Ergebnis amtlicher Erhebungen zu äußern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 1993, Zl. 93/01/0235). Diesem Gebot ist aber die belangte Behörde nach dem Akteninhalt nicht nachgekommen.
Auch soweit die belangte Behörde davon ausgeht, der Beschwerdeführer habe im erstinstanzlichen Verfahren nur von einer Verfolgung wegen illegalen Waffenbesitzes gesprochen, dies bilde aber keinen Asylgrund, kann ihr nicht gefolgt werden. Unmittelbar vorher hat nämlich der Beschwerdeführer ausgeführt, daß die Anhänger der gegnerischen Partei begonnen hätten, Mitgliedern der "PPP" "Probleme" zu bereiten. Er gab in diesem Zusammenhang weiters an, daß er von Anhängern der gegnerischen Partei wegen unbefugten Waffenbesitzes angezeigt worden sei. Aufgrund dieser Anzeige sei er von der Polizei festgenommen und drei Tage inhaftiert gewesen. Daraus folgt, daß der Vorhalt der belangten Behörde, die Festnahme wegen unerlaubten Waffenbesitzes stehe in keinem Zusammenhang mit der politischen Gesinnung des Beschwerdeführers, aktenwidrig ist. Dafür daß die Schläge durch Polizeibeamte, die der Beschwerdeführer nach seinen Angaben während seiner Festnahme erlitt, keinesfalls auf die politische Einstellung des Beschwerdeführers zurückgeführt werden könnten, sind den Verwaltungsakten keine entsprechenden Ermittlungsergebnisse zu entnehmen.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde - auch im Hinblick auf die Würdigung der Umstände, aus denen der Beschwerdeführer die Glaubhaftmachung einer begründeten Furcht vor Verfolgung ableitete - zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.
Bei dieser Sach- und Rechtslage bedurfte es keines weiteren Eingehens auf das den § 8 AsylG 1991 betreffende Beschwerdevorbringen; die beantragte mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190151.X00Im RIS seit
11.07.2001