Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §13a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Bernard und Dr. Riedinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde der H in B, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 31. August 1993, Zl. 15/25-12/1993, betreffend Übertretung des Tiroler Landes-Polizeigesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem näher umschriebenen Ort ihren Hund ungenügend beaufsichtigt, sodaß es möglich gewesen sei, daß dieser eine namentlich genannte Person beißen konnte. Dadurch habe sie eine Übertretung nach § 8 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit § 6 Abs. 1 des Tiroler Landes-Polizeigesetzes LGBl. Nr. 60/1976 begangen. Über sie wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, beim Bezirksgericht Reutte sei wegen desselben Vorfalles ("Mißachtung ihrer Verwahrungspflicht") ein gerichtliches Strafverfahren wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 StGB anhängig, welches zur gegenständlichen Verwaltungsübertretung im Verhältnis der Konsumtion stehe, übersieht sie den § 30 Abs. 1 VStG. Danach sind u. a. gerichtlich und verwaltungsbehördlich strafbare Handlungen auch dann unabhängig voneinander zu verfolgen, wenn diese strafbaren Handlungen durch ein und dieselbe Tat begangen worden sind. Das Tiroler Landes-Polizeigesetz enthält keine Bestimmung, wonach eine Übertretung des Gesetzes nicht verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden ist, wenn sie auch den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt.
2. Zum Beschwerdevorbringen, die Beschwerdeführerin wäre über die Möglichkeit, bei der belangten Behörde einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zu stellen, zu belehren gewesen, ist anzumerken, daß eine Manuduktionspflicht in Ansehung der Antragstellung auf Bewilligung der Verfahrenshilfe nach dem VStG nicht besteht. Die Unterlassung einer entsprechenden Belehrung oder Anleitung vermag daher Rechte des Beschuldigten nicht zu verletzen.
3. Die Beschwerdeführerin bestreitet, die in Rede stehende strafbare Handlung begangen zu haben. Sie führt in diesem Zusammenhang aus, daß sie die mündliche Verhandlung vor der belangten Behörde, in der sie ihre Version des Herganges des Vorfalles hätte darstellen können - daß ihr Hund den dort als Zeugen vernommenen Anzeiger nicht gebissen hätte - aus gesundheitlichen Gründen nicht habe besuchen können. Sie habe sich vor der Verhandlung auch schriftlich entschuldigt und habe dieser Entschuldigung ärztliche Bestätigungen angeschlossen.
Die Beschwerdeführerin wurde nach der Aktenlage mit Ladung vom 14. Juni 1993 zu der für den 31. August 1993 anberaumten Verhandlung geladen. Die Ladung wurde ihr am 17. Juni 1993 zugestellt. Darin wurde zum Ausdruck gebracht, daß zwar ihr persönliches Erscheinen vor der Behörde nicht notwendig sei und sie einen Vertreter zur Verhandlung entsenden könne. Die Ladung enthält aber den weiteren Hinweis, daß sie dann, wenn sie aus wichtigen Gründen, wie Krankheit, Gebrechlichkeit oder Urlaubsreise, nicht kommen könne, dies sofort mitteilen könne, damit allenfalls der Termin verschoben werden könne. Schließlich enthält die Ladung eine Belehrung darüber, daß sie damit rechnen müsse, daß die Verhandlung ohne ihre Anhörung durchgeführt und die Entscheidung gefällt werde, wenn sie ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes die Ladung nicht befolge.
Mit Schreiben an die belangte Behörde vom 18. August 1993 (bei dieser eingelangt am 24. August 1993), vom 23. August 1994 (ebenfalls eingelangt am 24. August 1993) und zwei Schreiben vom 26. August 1993 (eingelangt am 27. und am 30. August 1993) brachte die Beschwerdeführerin vor, daß sie aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Verhandlung erscheinen könne. Am 30. August 1993 langte bei der belangten Behörde überdies eine fachärztliche Bestätigung vom 26. August 1993 ein, wonach die Beschwerdeführerin "gegenwärtig nicht an einem gegen sie geführten Prozeß teilnehmen" könne, "ohne daß ein wahrscheinlich nicht mehr zu behebender Schaden entsteht". Ein weiteres ärztliches Attest eines praktischen Arztes vom 30. August 1993, wonach die Beschwerdeführerin "wegen einer Erkrankung nicht reise- und verhandlungsfähig" sei, langte erst am 1. September 1993 bei der belangten Behörde ein.
Die Beschwerdeführerin hat in eindeutiger Weise dargetan, daß sie an der Verhandlung vom 31. August 1993 ihrer Auffassung nach aus gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen könne. Sie hat damit von der ihr angebotenen Möglichkeit einer Entschuldigung aus wichtigen Gründen, die zur Verschiebung der Verhandlung führen könne, Gebrauch gemacht (auf den letztgenannten Umstand hat sie mehrfach hingewiesen). Sie hat ferner vorgebracht, daß - da bei dem Vorfall nur sie und der Zeuge anwesend gewesen seien - eine Entsendung eines Vertreters nicht in Betracht komme. Auf den Vorhalt der belangten Behörde in einer Note vom 24. August 1993, wonach eine Krankheit nur bei einem Krankenhausaufenthalt ein Nicht-Erscheinen rechtfertige, antwortete sie (im ersten Schreiben vom 26. August 1993), daß davon in der Ladung keine Rede gewesen sei, daß man auch ohne Krankenhausaufenthalt verhandlungsunfähig sein könne und daß sogar eine Urlaubsreise als Entschuldigungsgrund gelte.
Angesichts dieser Sachlage erachtet es der Verwaltungsgerichtshof als wesentlichen Verfahrensmangel, daß die Verhandlung am 31. August 1993 in Anwesenheit eines Vertreters der Erstbehörde (der Bezirkshauptmannschaft Reutte), aber in Abwesenheit der Beschwerdeführerin durchgeführt wurde und daß der angefochtene Bescheid nach Durchführung der Einvernahme des Anzeigers als Zeugen verkündet wurde. Der Beschwerdeführerin wurde dadurch die Möglichkeit genommen, persönlich ihre Verantwortung als Beweismittel in das Verfahren einzubringen. Sie wurde dadurch in ihrem Vertrauen auf die in der Ladung vorgezeichnete Vorgangsweise der Behörde im Falle einer von ihr vorgebrachten Entschuldigung getäuscht. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ist auch zu entnehmen, was sie in der Verhandlung - in Konfrontation mit dem Zeugen - vorgebracht hätte. Sie hat damit unmißverständlich ihre Vernehmung als Beweismittel beantragt. Die belangte Behörde hätte jedenfalls die für den 31. August 1993 anberaumte Verhandlung verschieben müssen.
Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994020051.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
06.07.2018