TE Vwgh Erkenntnis 1994/4/26 93/04/0242

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Veröffentlicht am 26.04.1994
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Index

50/01 Gewerbeordnung;

Norm

GewO 1973 §77 Abs1 idF 1988/399;
GewO 1973 §77 Abs2 idF 1988/399;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissärin Mag. Paliege, über die Beschwerde des Dr. KN und der GN in X, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 8. September 1993, Zl. 310.691/3-III/A/2a/93, betreffend Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage (mitbeteiligte Partei: E in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem als Ersatzbescheid für den mit hg. Erkenntnis vom 31. März 1992, Zl. 91/04/0306, aufgehobenen Bescheid vom 10. September 1991 ergangenen Bescheid vom 8. September 1993 erteilte der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten der mitbeteiligten Partei nach Spruch und Begründung im wesentlichen gleichlautend wie im Bescheid vom 10. September 1991 die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Buchbinderei in X, T 41. Zum diesbezüglichen Inhalt des angefochtenen Bescheides wird auf die entsprechenden Ausführungen in dem genannten hg. Erkenntnis vom 31. März 1992 verwiesen. Ergänzend ist auf den Inhalt der Auflage Punkt 2. hinzuweisen, welche wie folgt lautet:

"2. Bei der Durchführung von Arbeiten am westseitigen Arbeitsraum müssen beide Türen, die ins Freie führen, geschlossen gehalten bleiben; diese müssen durch eine Fachfirma so ausgeführt sein, daß sie ein mittleres Schalldämmaß von mindestens 19 dB aufweisen."

Die in diesem Bescheid enthaltene Betriebsbeschreibung enthält u.a. die Bemerkung, Liefertätigkeiten erfolgten höchstens fünfmal am Tag durch einen betriebseigenen Klein-Lkw. Zusätzlich zu der bereits im Bescheid vom 10. September 1991 enthaltenen Begründung führte der Bundesministers in dem jetzt angefochtenen Bescheid vom 8. September 1993 noch aus, entsprechend der im aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes geäußerten Rechtsanschauung habe der Bundesminister im fortgesetzten Ermittlungsverfahren ein ergänzendes medizinisches Sachverständigengutachten folgenden Wortlauts eingeholt:

"I. AUFGABENSTELLUNG

"Mit Schreiben vom 27.1.1993 ersuchte das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten um Ergänzung des in der mündlichen Augenscheinsverhandlung vom 9.5.1988 abgegebenen medizinischen Gutachtens hinsichtlich der Frage, ob auch dann eine Beeinträchtigung der Gesundheit der Nachbarn ausgeschlossen werden könne, wenn nicht ein "normal empfindender Mensch" im Sinne des § 77 Abs. 2 GewO 1973 als Bezugsperson gewählt wird, sondern - ohne Abstellung auf ein in bezug auf die gegenständliche Frage im Gesetz nicht vorgesehenes Kriterium - lediglich von einer "dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden, objektiven Gegebenheiten Rechnung tragenden Durchschnittsbetrachtung" ausgegangen wird.

II. SACHVERHALT

Mit Bescheid vom 19.12.1986 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land dem E die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung bzw. den Betrieb einer Buchbinderei in T 41 - X. Der dagegen von den Nachbarn Dr. KN und GN eingebrachten Berufung wegen unzumutbarer Lärmbelästigungen gab der Landeshauptmann von Oberösterreich mit Bescheid vom 12.6.1967 (richtig: 1987) insofern statt, als eine zusätzliche Auflage vorgeschrieben wurde. Auch gegen diesen Bescheid wurde von den Nachbarn berufen.

Die nächsthöhere Berufungsinstanz - das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten - führte zur Klärung des Sachverhaltes bzw. des Berufungsvorbringens am 9.5.1988 eine Augenscheinsverhandlung unter Beiziehung eines gewerbetechnischen sowie eines ärztlichen Amtssachverständigen durch. Im Rahmen dieses Augenscheines gelangte der ärztliche Amtssachverständige in seinem Gutachten zu dem Schluß, daß

"keine Beeinträchtigungen der Gesundheit bei einem normal empfindenden Menschen im Bereich des Anrainergrundstückes durch den Betrieb der Buchbinderei des E und der damit verbundenen Geräuschkulisse angenommen werden kann"

bzw. "soferne sich die Frequenz der Zu- und Abfahrbewegungen des Klein-LKW im Rahmen bis zu fünf pro Tag bewegt und dieselben außerhalb der Nachtzeit, welche von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr begrenzt ist, sowie außerhalb von Sonn- und Feiertagen erfolgen, kann ebenfalls keine gesundheitliche Beeinträchtigung bzw. Beeinträchtigung des Wohlbefindens einer Bezugsperson im Bereich des Anrainergrundstückes des Dr. N angenommen werden".

Offensichtlich auf diese Feststellung beziehen sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 31.3.1992 (dem 3. aufhebenden Erkenntnis in dieser Causa). Der Verwaltungsgerichtshof rügt darin die bescheiderlassende Behörde, daß sie es unbeachtet ließe, daß die Frage der "Gefährdung des Lebens und der Gesundheit u.a. von Nachbarn" mangels einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung nicht nach dem Maßstab eines "normal empfindenden Menschen" zu beantworten ist, sodern daß hiebei ohne Abstellung auf derartige im Gesetz nicht vorgesehene Kriterien von einer dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden, objektiven Gegebenheiten Rechnung tragenden Durchschnittbetrachtung auszugehen ist.

III. GESUNDHEITSGEFÄHRDUNG DURCH LÄRMIMMISSIONEN

1. Allgemeines

Durch übermäßige Lärmimmissionen können auch gesundheitliche Schäden verursacht werden. Da gibt es einerseits "direkte", das heißt unmittelbar mit der Lärmimmission in Zusammenhang stehende Gesundheitsschäden. Diese betreffen jenes Sinnesorgan, mit dem Schallereignisse empfangen werden, nämlich das Gehör. Schäden in diesem Bereich hängen vom einwirkenden Schallpegel ab. So kommt es bei langdauernder Einwirkung von Schallimmissionen hoher Intensität (ab einem Dauerschallpegel von ca. 85 dB) zur Ausbildung einer sogenannten Lärmschwerhörigkeit.

Auf der anderen Seite gibt es sogenannte "indirekte" Lärmschäden, die nicht das Gehörorgan betreffen und deshalb als "extraaurale" Effekte bezeichnet werden. Es handelt sich dabei um unspezifische, also nicht für Lärm typische Wirkungen im Bereich des Vegetativums. Gesteigerte Lärmeinwirkungen werden als Risikofaktor für das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen angesehen.

Tatsächlich lassen sich durch Lärmimmissionen (im Schallpegelbereich ab etwa 70 bis 80 dB) signifikante vegetative Wirkungen (wie etwa Veränderungen des peripheren Gefäßwiderstandes oder des Mineralstoffhaushaltes) hervorrufen. Die Effekte sind denen unspezifischer Streßreaktionen ähnlich, wie sich anhand der Beeinflussung von Ketecholamin- und Magnesiumspiegel sehen läßt. Diese Reaktionen bedeuten noch keine Gesundheitsschädigung; sie sind vielmehr der Ausdruck einer Aktivitätssteigerung des Organismus. Solche Reaktionen treten täglich unzählige Male auf eine ganz Reihe von exogenen psychischen und physischen Belastungen auf. Allerdings kann eine ständige Überlastung zur Ausbildung reaktiver und in der Folge bleibender Organveränderungen führen, die ein gesundheitsschädliches Ausmaß erreichen.

Epidemiologische Untersuchungen über den Einfluß von Verkehrslärm (der bei weitem wichtigsten umweltbezogenen Lärmkomponente) auf die Gesundheit ("Caerphilly/Speedwell-Studien" - Enviroment International 1990) ergaben bei Personen, die in Gebieten wohnten, wo die Verkehrslärmimmissionspegel (Dauerschallpegel - Leq) über 66 dB(A) lagen, teilweise signifikante Veränderungen bei Parametern, die auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Erkrankungsrisiko hindeuten. In der sogenannten "Berlin-II-Studie" (Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene 1991) wurden erhöhte Risken erst bei Außenschallpegeln (Leq) von tagsüber 70 bis 80 dB(A) festgestellt.

Demnach scheint die Schallpegelkategorie (Leq) 66 bis 70 dB(A) die Schwelle für gesundheitschädliche Lärmeffekte zu sein, die mit epidemiologischen Methoden nachweisbar sind (Babisch/Ising - Epidemiologische Studien zum Zusammenhang zwischen Verkehrslärm und Herzinfarkt; Bundesgesundhbl. 1/92).

2. Betriebskausale Lärmimmissionen

Im Rahmen der bereits zitierten Augenscheinsverhandlung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten wurden auch die von der gegenständlichen Betriebsanlage aus auf das Grundstück der Nachbarn N einwirkenden Schallimmissionen erhoben. Meßpunkt war der der Betriebsanlage zugewandte Vorplatz vor dem Hauseingang der Nachbarn.

Von den unter Verwendung eines Ford Transit durchgeführten LADETÄTIGKEITEN UND FAHRBEWEGUNGEN ergaben sich zum einen für die Ladearbeiten überwiegend schlagende Einzelgeräusche mit Schallpegelspitzen zwischen 60 und 70 dB und zum anderen für die Fahrten mit dem KFZ Motorgeräusche bis 76 dB.

Vom Betrieb der MASCHINEN im Arbeitsraum konnten bei sonstiger Umgebungsruhe leise Maschinengeräusche mit Schallpegeln zwischen 42 und 46 dB erfaßt werden.

Die UMGEBUNGSGERÄUSCHSITUATION ohne Betrieb war durch ständigen an- und abschwellenden Verkehrslärm von einer nahegelegenen Bezirksstraße mit Schallpegelwerten bis 49 dB geprägt. Auf Grund der erhobenen Schallpegelwerte kommen somit nur die mit den Ladetätigkeiten und Fahrbewegungen verbundenen Lärmimmissionen für eine allfällige Gesundheitsgefährdung in Betracht.

Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß nicht einzelne Schallpegelspitzen, sondern die Gesamtsituation maßgeblich ist und im konkreten Fall hinzukommt, daß laut aktenkundigem Betriebsablauf Ladetätigkeiten und KFZ-Fahrten nur sporadisch vorkommen (bis zu 5 mal täglich), sodaß die durchschnittliche Gesamtlärmbelastung durch die Betriebsanlage wesentlich niedriger ist, als es den Spitzenpegeln entspricht. So ergab sich während eines Fahr-/Ladezyklus ein Durchschnittslärmpegel (Leq) von 58 dB (siehe die der Niederschrift beiliegenden Meßpegelschriebe). Unter Berücksichtigung der Häufigkeit dieser Ereignisse gelangte der technische Amtssachverständige der ersten Instanz zu einem (auf acht Stunden bezogenen) Durchschnittslärmpegel von 45,5 dB (siehe Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 19.12.1986).

Eine Gesundheitsgefährdung durch die betriebskausalen Lärmimmissionen ist daher auszuschließen.

Dies gilt auch in Ansehung der besonderen Fragestellung, denn selbstverständlich wurde in den zitierten wissenschaftlichen Untersuchungen über die Auswirkungen von Lärmimmissionen - auf denen dieses Gutachten basiert - nicht der "gesunde, normal empfindende Mensch" selektioniert, sondern ein Gesamtkollektiv untersucht. Die Ergebnisse spiegeln somit den "Durchschnitt der Bevölkerung" wider."

In Erwiderung eines diesbezüglichen Vorbringens der Beschwerdeführer wies der Bundesminister schließlich noch auf den Inhalt der Betriebsbeschreibung hin, wonach Liefertätigkeiten höchstens fünfmal am Tag durch einen betriebseigenen Klein-Lkw erfolgten und bei der Durchführung von Arbeiten im westseitigen Arbeitsraum beide Türen, die ins Freie führten, geschlossen gehalten bleiben und durch eine Fachfirma so ausgeführt sein müßten, daß ein mittleres Schalldämmaß von mindestens 19 dB erzielt werde. Ein tatsächlicher, die Bestimmungen des Genehmigungsbescheides nicht einhaltender Betrieb wäre mit verwaltungspolizeilichen Mitteln zu unterbinden, sei aber bei der Frage der Genehmigungsfähigkeit des eingereichten Projektes nicht zu beachten. Inwieweit der - der Betriebsanlage zuzurechnende - Verkehr beim seinerzeit durchgeführten Augenschein nicht korrekt erhoben worden sein sollte, sei mangels entsprechender Begründung nicht ersichtlich. Bezüglich der von der Drei-Messer-Schneidemaschine ausgehenden, bei den Nachbarn einlangenden Immissionen werde hinsichtlich des Lärms auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, wonach aus der allgemeinen Geräuschkulisse (Umgebungs- und Betriebsgeräusche) das nunmehr bekannte Geräusch der Drei-Messer-Schneidemaschine leise zu hören gewesen sei, verwiesen. Hinsichtlich des Vorbringens, diese Maschine verursache auch Vibrationen, sei festzuhalten, daß bezüglich dieser Immissionsart von den Beschwerdeführern weder im erstinstanzlichen Verfahren noch durch Erhebung diesbezüglicher Einwendungen Parteistellung erworben worden sei, noch sich ein diesbezügliches Vorbringen in der dem Bundesminister vorliegenden Berufung finde. Diese Immissionsart bilde daher keinen zulässigen Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer in dem in den Bestimmungen der Gewerbeordnung normierten Nachbarrechten verletzt, insbesondere in dem Recht auf Nichtgenehmigung einer Betriebsanlage wegen unzumutbarer und gesundheitsgefährdender Belästigungen. In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes tragen die Beschwerdeführer vor, der gewerbetechnische Amtssachverständige habe bei seinen Messungen wichtige Varianten, die durch den Betriebsablauf der projektierten Anlage vorgegeben seien, nämlich die Geräuschentwicklung beim kurzfristigen Öffnen eines Tores, wenn gleichzeitig einzelne oder mehrere oder alle in Betracht kommenden Geräuschemittenten in Betrieb seien, außer acht gelassen. Ferner habe es die belangte Behörde unterlassen, neben Einzelmessungen auch den energieäquivalenten Dauerschallpegel zu ermitteln. Die diesbezügliche Argumentation der belangten Behörde, eine derartige Rechengröße sei auf Grund der nicht auszuschaltenden Fremdgeräusche mit Fehlern behaftet, sei nicht nachvollziehbar, gehöre die Ermittlung des äquivalenten Dauerschallpegels doch längst zum Standardrepertoire bei der Beurteilung von Lärmimmissionen gerade bei Schallereignissen mit schwankendem Lärmpegel. Insbesondere für die Seite des medizinischen Sachverständigen, der gänzlich auf den Lärmmessungen aufbauen müsse und zur Einschätzung der gesundheitlichen Auswirkungen auch die Durchschnittsbelästigung und die Häufigkeit von Spitzenwerten kennen müsse, wäre ein solcher Dauerschallpegel zu ermitteln gewesen. Der ärztliche Sachverständige habe ferner geraten, in Hinkunft keinerlei Groß-Lkws zu verwenden, den betriebseigenen Klein-Lkw zu sanieren, sowie aus Gründen der Lärmdämmung an der Grundstücksgrenze der mitbeteiligten Partei eine Baumgruppe oder eine hohe Hecke zu errichten. Keine dieser Empfehlungen sei in den Bescheidauflagen berücksichtigt. In bezug auf Lieferantenfahrzeuge wäre eine derartige Bescheidauflage allerdings auch sinnlos, weil den Lieferanten nicht vorgeschrieben werden könne, welche Art von Lkws sie bei der Anlieferung verwenden dürften. Überhaupt kein Beweisverfahren sei über die Frage abgeführt worden, wieviele Fahrbewegungen von Lieferanten, Lkw und Angestelltenfahrzeugen bei Auslastung des Betriebes zu erwarten seien. Diesbezügliche Beweisanträge der Beschwerdeführer habe die belangte Behörde zu Unrecht nicht beachtet. Das in diesem Zusammenhang von der belangte Behörde gebrauchte Argument, sie sei an das im Antrag beschriebene Projekt gebunden, sei nicht nachvollziehbar. Eine verbindliche Betriebsbeschreibung, auf die sich die belangte Behörde in der Bescheidbegründung beziehe, liege nicht vor. Das Ansuchen vom 4. Jänner 1986 enthalte hiezu keinerlei Angaben. Im Zuge des Verfahrens habe der Mitbeteiligte diesbezüglich nur völlig schwammige, nicht nachvollziehbare und keineswegs als Betriebsbeschreibung zu qualifizierende Angaben gemacht. Es dürfte eine bekannte Tatsache sein, daß sich Fremdfirmen bei Zustellfahrten nicht die Art des zu verwendenden Fahrzeuges vorschreiben ließen. Der medizinische Amtssachverständige habe in seinem Gutachten vom 9. Mai 1988 erklärt, daß bei konsensgemäßem Betrieb und unter Einhaltung der "obgenannten Vorschreibungen und Empfehlungen (keine Groß-Lkw in Hinkunft, Sanierung des betriebseigenen Klein-Lkw (Achsfederung), höchstmögliche Reduzierung der Zu- und Abfahrtbewegungen desselben, eventuell Unterbrechung des Sichtkontaktes zum Maschinenraum durch eine Hecke, Einhaltung der Nacht-, Sonn- und Feiertagsruhe)" keine Beeinträchtigung der Gesundheit bei einem normal empfindenden Menschen im Bereich des Anrainergrundstückes angenommen werden könne. Entsprechende Auflagen enthalte aber der angefochtene Bescheid nicht. Die im Zuge des Verfahrens durchgeführten Lärmmessungen hätten ergeben, daß bei gemeinsamem Betrieb aller Maschinen bei geschlossenen Türen Schallpegel zwischen 42 und 46 dB(A) zu messen seien. Das von den Behörden erster und zweiter Instanz angenommene Schalldämmaß der Türe von 21 dB(A) sei damit weit überschritten worden. Die genannte Auflage sei somit bei weitem nicht so wirksam, wie ursprünglich angenommen. Im Gutachten des medizinischen Sachverständigen fehlten schließlich Feststellungen darüber, wie ein gesundes, normal empfindendes Kind auf den zu erwartenden Lärm reagieren werde. Eine derartige Feststellung wäre insbesondere für die Prüfung der Frage der Zumutbarkeit erforderlich gewesen.

Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit tragen die Beschwerdeführer weiter vor, rechtlich verfehlt sei die Ansicht der belangten Behörde, daß die privaten Zu- und Abfahrbewegungen von Arbeitnehmern der Betriebsanlage nicht zugerechnet werden könnten, weil diese ihre Fahrzeuge mangels eines betriebseigenen Abstellplatzes auf öffentlichem Grund parken müßten. Da Arbeitnehmer als Erfüllungsgehilfen des Anlageninhabers im Sinne des § 74 Abs. 3 GewO 1973 anzusehen seien, seien aber derartige Immissionen auch dann zu berücksichtigen, wenn die Lärmbelästigung außerhalb der Betriebsanlage selbst verursacht werde. Es seien daher auf jeden Fall der Betriebsanlage die auf Grund der örtlichen Situation (Sackgasse, beengte Verhältnisse) vorzunehmenden Rangierbewegungen, Startgeräusche, das Schlagen von Türen, die Geräusche, die beim Be- und Entladen entstünden, welche Manipulationen bei den Lärmpegelmessungen die Spitzenwerte erzeugt hätten, zuzurechnen. Gänzlich ungeprüft sei auch die Frage geblieben, wo die Arbeitnehmer und Kunden überhaupt ihre Fahrzeuge abstellen könnten. Auf der öffentlichen Straße sei dies weder möglich noch zulässig, da diesfalls ein zweispuriger Verkehr unmöglich wäre. Auf Grund der völlig atypischen Situation, daß weder für eigene Arbeitnehmer noch für Kunden Stellplätze vorhanden seien, ja daß nicht einmal für Lieferanten ein Stellplatz mit einer gewissen Mindestgröße vorgesehen worden sei, müsse davon ausgegangen werden, es werde notgedrungen zu verkehrsbeeinträchtigenden Fahrzeugabstellungen in der näheren Umgebung der Betriebsanlage und daraus resultierend zu lärmintensiven Rangier- und Startvorgängen, Türenschlagen im Bereich der Betriebsanlage kommen. Diese Immissionen seien jedenfalls der Betriebsanlage zuzurechnen und könnten nicht als Zu- und Abfahrbewegungen auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr angesehen werden. Die Behörde habe es nicht nur verabsäumt, die Möglichkeiten des Arbeitnehmer- und Kundenverkehrs einzukalkulieren, auch die Frage der Lieferantenzufahrt und des Abladens sei nicht gelöst worden. Die Bescheidauflage Nr. 11 normiere zwar die Einrichtung eines befestigten Abstellplatzes für Lieferfahrzeuge, ohne jedoch eine bestimmte Fläche vorzuschreiben. Diese Auflage sei damit weder geeignet, Lärm- und Immissionsbelästigungen zu mindern, noch auch sei sie präzisiert, noch in dieser unbestimmten Form durchsetzbar. In rechtsirriger Weise habe sich die belangte Behörde auch in keiner Weise mit dem entscheidungswesentlichen Kriterium des Beurteilungsmaßes, des Ist-Maßes und des Widmungsmaßes auseinandergesetzt, obwohl derartige Feststellungen im Zusammenhang mit der herrschenden Flächenwidmung als Wohngebiet nach den Grundsätzen des sogenannten "Breitenbach-Erkenntnisses (VwSlg. 10.482A/1981)" unverzichtbar seien. Bei der Beurteilung der Störung durch Lärm sei dessen Lautstärke, die Erhöhung des Schallpegels, die Frequenzzusammensetzung des Lärms und des Lärmpegels und der zeitliche Ablauf des Lärms von maßgeblicher Bedeutung. Lärm sei daher nicht gleich Lärm und werde von Menschen völlig unterschiedlich empfunden. Dies treffe insbesondere auf die Drei-Messer-Schneidemaschine zu, die ein "rumpelndes" Geräusch verursache, das vom menschlichen Organismus als besonders unangenehm empfunden werde, weil mit dem hörbaren Geräusch auch eine wahrnehmbare Erschütterung (Körperschall) einhergehe. Dies alles sei auch im übrigen bei der Frage der Gesundheitsgefährdung nicht hinreichend berücksichtigt worden. Zu Unrecht habe die belangte Behörde diesem Vorbringen entgegengehalten, hinsichtlich Erschütterungen hätten die Beschwerdeführer keine Parteistellung erworben, weil natürlich sämtliche Lärmimmissionen in ihrer gesamten Auswirkung stets von dem Vorbringen der Beschwerdeführer umfaßt gewesen seien und sie eine einzelne Auswirkung einer Lärmquelle nie ausgeklammert hätten.

Dieses Vorbringen ist, soweit die Beschwerdeführer einerseits Auflagen, welche den "Empfehlungen" des medizinischen Sachverständigen in seinem Gutachten vom 9. Mai 1988 folgen, vermissen und sie andererseits auf die Notwendigkeit der Ermittlung des energieäquivalenten Dauerschallpegels verweisen, berechtigt.

Wie sich aus der in der Begründung des angefochtenen Bescheides enthaltenen Wiedergabe des Gutachtens des medizinischen Amtssachverständigen vom 9. Mai 1988 ergibt, hat dieser Sachverständige seine (allerdings auf einen "normal empfindenden Menschen" abgestellte) Aussage, es sei keine Beeinträchtigung sowohl der Gesundheit als auch des Wohlbefindens (wobei allerdings entgegen dem Auftrag des § 77 Abs. 2 GewO 1973 nicht zwischen einem gesunden, normal empfindenden Kind und einem ebensolchen Erwachsenen differenziert wird) zu erwarten, nur unter der Voraussetzung getroffen, daß seinen dort genannten "Vorschreibungen und Empfehlungen", u.a. durch "Sanierung des betriebseigenen Klein-Lkw (Achsfederung) und Unterbrechung des Sichtkontaktes zum Maschinenraum durch eine Hecke" entsprochen werde. Dennoch enthält der angefochtene Bescheid hinsichtlich dieser zwei Punkte keine verbindliche Vorschreibung.

Dieses Gutachten wird zwar durch das von der belangten Behörde im ergänzenden Verfahren eingeholte weitere Gutachten dieses Sachverständigen ergänzt. In dieser Ergänzung nimmt der Sachverständige auf diese Fragen nicht mehr weiter Bezug, sondern erklärt den Eintritt einer Gesundheitsgefährdung als allein abhängig von einer bestimmten Höhe des äquivalenten Dauerschallpegels, wobei er allerdings, ohne daß ein solcher im Verfahren erhoben worden wäre, lediglich unter Zugrundelegung der im Verfahren nur erhobenen Werte der einzelnen Schallereignisse sowie eines nicht weiter definierten "(auf acht Stunden bezogenen) Durchschnittslärmpegels" zur Aussage kam, eine Gesundheitsgefährdung sei durch die betriebskausalen Lärmimmissionen auszuschließen. Dem Verwaltungsgerichtshof erscheint daher dieses Gutachten als nicht schlüssig. Dadurch, daß die belangte Behörde dieses Gutachten ihrer Entscheidung zugrunde legte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Aus Gründen der Verfahrensökonomie sieht sich der Verwaltungsgerichtshof noch zu folgenden Hinweisen veranlaßt:

Zur Frage des Belästigungsschutzes nahm der medizinische Amtssachverständige in seinem Gutachten vom 9. Mai 1988 im Anschluß an seine damaligen Ausführungen zur Gesundheitsgefährdung insofern Stellung, als er meinte, eine solche könne hinsichtlich der Beschwerdeführer ausgeschlossen werden, "soferne sich die Frequenz der Zu- und Abfahrbewegungen des Klein-Lkw im Rahmen bis zu fünf pro Tag bewegt, und dieselben außerhalb der Nachtzeit, welche von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr begrenzt ist, sowie außerhalb von Sonn- und Feiertagen erfolgen". Unklar bleibt infolge des räumlichen Zusammenhanges der Ausführungen, ob diese Aussage von der weiteren Voraussetzung ausgeht, daß auch die im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Gesundheitsgefährdung genannten "Vorschreibungen und Empfehlungen" erfüllt werden. Dies könnte nach entsprechender Klarstellung zum Erfordernis weiterer Auflagen führen.

Nicht zu folgen vermag der Verwaltungsgerichtshof angesichts des diesbezüglich eindeutigen Inhaltes des Spruches des angefochtenen Bescheides dem Beschwerdevorbringen über das Fehlen einer "verbindlichen Betriebsbeschreibung". Da diese Betriebsbeschreibung ausdrücklich vorsieht, daß Lieferungen (nur) durch einen betriebseigenen Klein-Lkw und höchstens fünfmal am Tag erfolgen, gehen alle Beschwerdeausführungen, die auf einer anderen Sachverhaltsannahme, insbesondere auf Lieferungen durch Dritte basieren, fehl. Ähnliches gilt hinsichtlich der von den Beschwerdeführern vermißten Lärmmessungen bei geöffenten Türen des Arbeitsraumes, steht einer derartigen Betriebsweise doch die Auflage Punkt 2. entgegen.

Unverständlich ist das Beschwerdevorbringen über die Unwirksamkeit des in dieser Auflage vorgeschriebenen Schalldämmaßes der Türen, ist diese Auflage doch erst die Folge der vorgenommenen Lärmmessungen, bei denen sich die derzeitige Lärmdämmung der Türen als nicht ausreichend erwies.

Verfehlt ist auch die Bezugnahme in der Beschwerde auf das sogenannte Breitenbach-Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 12. Juni 1981, Slg. N.F. Nr. 10.482/A), weil die darin geprägten, von der Beschwerde geltend gemachten Rechtssätze infolge der Änderungen der Gewerbeordnung 1973 durch die Gewerberechtsnovelle 1988 nicht mehr relevant sind.

Was das Vorbringen der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der besonderen Charakterstik des "rumpelnden" Geräusches der Drei-Messer-Scheidemaschine anlangt, sind sie darauf zu verweisen, daß diese besondere Geräuschcharakteristik bereits vom gewerbetechnischen Amtssachverständigen durch einen entsprechenden Zuschlag zum gemessenen Schalldruckpegel berücksichtigt wurde.

Mit Recht vermissen die Beschwerdeführer allerdings im Zusammenhang mit der Beurteilung des Belästigungsschutzes eine Bezugnahme auf das Tatbestandselement der Auswirkung der von der Betriebsanlage ausgehenden Lärmimmissionen auf ein gesundes normal empfindenden Kind im Sinne des § 77 Abs. 2 GewO 1973 (in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1992, BGBl. Nr. 29/1993).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993040242.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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