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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über den Antrag der Volksbank reg. Gen.m.b.H., vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in X, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 4. März 1993, Zl. VA/B-8345/11-92-May/S, betreffend Beitragsnachverrechnung, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung wird stattgegeben.
Begründung
Mit Schriftsatz vom 30. März 1994 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Begründet wurde dieser Antrag im wesentlichen damit, daß der Kanzleileiterin des Beschwerdevertreters, A, im Zuge eines Verbesserungsverfahrens von diesem der Auftrag erteilt worden sei, zwei weitere Beschwerdeausfertigungen herzustellen und diese zur Unterfertigung vorzulegen. Der Beschwerdevertreter habe nach Vorlage der Beschwerdeausfertigungen allerdings feststellen müssen, daß die Seiten 11 und 12 nicht in der richtigen Reihenfolge geheftet gewesen seien. Deshalb habe er der Kanzleileiterin den Auftrag erteilt, die beiden Ausfertigungen der Beschwerde richtig zu heften und nochmals zur Durchsicht und Unterfertigung vorzulegen. Danach habe der Beschwerdevertreter wichtige Termine außerhalb seiner Kanzlei wahrzunehmen gehabt. Aufgrund eines Irrtums der Kanzleikraft seien allerdings die richtig zusammengehefteten Beschwerden gleich in die Postablage gegeben und ohne Unterfertigung abgeschickt worden. Die Postkontrolle, bei der die Post bei Kuvertierung nochmals durchgesehen und in ein Postbuch eingetragen werde, obliege ebenfalls der Kanzleileiterin, die aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung - sie sei seit rund acht Jahren in der Rechtsanwaltskanzlei tätig - eine besondere Vertrauensstellung genieße. Aufgrund eines Irrtums habe sie allerdings offensichtlich übersehen, daß die Ausfertigungen der Beschwerde nicht unterfertigt seien. Bislang sei ihr noch niemals ein derartiges oder ein ähnliches Mißgeschick unterlaufen, sodaß sie als eine absolut zuverlässige, ausgezeichnete und vertrauenswürdige Kanzleikraft zu bezeichnen sei, die nach Auffassung ihres Dienstgebers über höchste Qualifikationen für diesen Berufsbereich verfüge. Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers sei erst mit Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 1994, Zl. 83/08/0262, der Irrtum seiner Kanzleileiterin bekannt geworden.
Als Beweis wurden zwei "eidesstättige Erklärungen" des Beschwerdevertreters und seiner Kanzleileiterin vorgelegt.
Nach § 46 Abs. 1 VwGG in der Fassung BGBl. Nr. 564/1985, ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verschulden des Vertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Wenn einem Angestellten des Vertreters im Zusammenhang mit der Einhaltung einer Frist ein Fehler unterläuft, hat das die Partei selbst nur dann nicht zu vertreten, wenn ihr bevollmächtigter Vertreter der ihm zumutbaren Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten nachgekommen ist, dem Vertreter selbst an der Versäumung keinerlei Verschulden, insbesondere auch nicht in Form der "culpa in custodiendo", trifft. Lediglich rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann der Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer verläßlichen Kanzleikraft überlassen. Im übrigen trifft ihn aber an Irrtümern seiner Angestellten bei Vernachlässigung der ihm zumutbaren Überwachungspflicht ein Verschulden (vgl. etwa das Erkenntnis vom 2. Oktober 1989, Zl. 89/04/0049).
Muß ein Rechtsanwalt während der Erledigung eines Mängelbehebungsauftrages vor Unterfertigung aller Beschwerdeausfertigungen andere Termine außerhalb der Kanzlei wahrnehmen, trägt die Kanzleikraft während der Abwesenheit die Aktenstücke in der irrigen Meinung, bereits alle Ausfertigungen seien hergestellt, weisungswidrig ab und gibt sie zur Post, und vergißt der Rechtsanwalt nach seiner Rückkehr im Drange der Geschäfte einmal auf den unterbrochenen Arbeitsvorgang, sodaß er hierauf erst durch Zustellung des Einstellungsbeschlusses aufmerksam wird, so handelt es sich um ein unvorhergesehenes Ereignis, dem nur ein minderer Grad des Versehens zugrunde liegt (vgl. z.B. den Beschluß vom 7. August 1992, Zl. 92/14/0127).
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994080070.X00Im RIS seit
20.11.2000