TE Vwgh Beschluss 1994/4/28 94/16/0066

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.04.1994
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §28 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;
ZPO §146 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 94/16/0067

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peternell, über den Wiedereinsetzungsantrag der B in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde und die nachgeholte Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 15. November 1993, Zl. GA 13-7/P-420/1/1/93, betreffend Eingangsabgaben, den Beschluß gefaßt:

Spruch

1.

Der Wiedereinsetzungsantrag wird abgewiesen.

2.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Die belangte Behörde richtete mit Datum vom 15. November 1993 zwei Bescheide an die Beschwerdeführerin, die ihren Rechtsvertretern zugestellt wurden. Der Bescheid mit der Zl. GA 13-7/P-420/1/2/93 betraf einen Aussetzungsantrag; der nunmehr gegenständliche Bescheid mit der GZ. GA 13-7/P-420/1/1/93 betraf die Vorschreibung von Eingangsabgaben. Die von der Beschwerdeführerin erhobene, zur hg. Zl. 94/16/0002 protokollierte Beschwerde richtete sich zwar inhaltlich gegen den Abgabenbescheid, es wurde aber als bekämpfter Bescheid der Bescheid über die Aussetzung genannt und vorgelegt. Diese Beschwerde wurde mit dem hg. Beschluß vom 19. Jänner 1994 gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückgewiesen.

Im nunmehr gegenständlichen Antrag begehrt die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Abgabenbescheid; unter einem wird die Beschwerde nachgeholt.

Aufgrund eines minimalen Tippfehlers (statt der Ziffer 1 die Ziffer 2 in der Geschäftszahl) in der seinerzeitigen Beschwerde sei auch der falsche Bescheid vorgelegt worden. Der Fehler bei der Schreibweise des anzufechtenden Bescheides und die dadurch bewirkte Verwechslung seien als geringfügiges Versehen bei der Korrektur der Beschwerde durch die Rechtsvertretung anzusehen.

Diese Ausführungen können aus folgenden Erwägungen dem Wiedereinsetzungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorgesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, daß die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei (ihrem Vertreter) in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" (beruhend auf § 146 Abs. 1 ZPO in der Fassung des Art. IV Z. 24 der Zivilverfahrensnovelle 1983) unterläuft (hg. Beschluß vom 26. November 1992, Zl. 92/06/0222). Ein solcher "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten (und Behörden) und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist, als an rechtsunkundige Personen (Fasching, Zivilprozeßrecht2, RZ 580).

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung weiters die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl. die Nachweise bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 656 f). Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und die ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein unvorhergesehenes Ereignis dar (hg. Beschluß vom 20. Juni 1990, Zl. 90/16/0042).

Der vorliegende Antrag enthält keinerlei Hinweise darauf, von wem der "Tippfehler" stammt und von wem eine Korrektur (erfolglos) vorgenommen wurde. Jedenfalls wurden den Rechtsvertretern der Beschwerdeführerin ZWEI Bescheide zugestellt und es war zu entscheiden, gegen welchen Bescheid Beschwerde zu erheben sei. Gerade weil es zwei Bescheide mit sehr ähnlichen Geschäftszahlen gab, mußte der Bezeichnung des Bescheides in der Beschwerde und der damit verbundenen Bescheidvorlage besonderes Augenmerk zugewendet werden; die Gefahr der Verwechslung lag von Anfang an vor, sodaß das als "Tippfehler" bagatellisiertes Ereignis durchaus vorhersehbar war.

Wenn bei Korrektur der Beschwerdeschrift, die gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 VwGG die Bezeichnung des angefochtenen Bescheides zu enthalten hat, nicht untersucht wird, ob auch wirklich der eine von den zwei Bescheiden genannt ist, welcher bekämpft werden soll, kann - noch dazu bei einem berufsmäßigen Parteienvertreter - von einem geringen Grad des Versehens keine Rede mehr sein. Vorwerfbar ist nicht der Tippfehler bei der Schreibkraft, sondern die unzureichende Kontrolle trotz der von Anfang an bestehenden Verwechslungsmöglichkeit.

Da es somit zufolge auffallender Sorglosigkeit auf Seiten der Parteienvertreter zur Falschbezeichnung und Falschvorlage des Bescheides kam, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer - nunmehr den richtigen Bescheid bekämpfenden - Verwaltungsgerichtshofbeschwerde abzuweisen. Die unter einem nachgeholte Beschwerde ist verspätet.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994160066.X00

Im RIS seit

06.08.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten