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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §18 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. November 1993, Zl. SD 535/93, betreffend Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 15. November 1993 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 22. Oktober 1992 (richtig: vom 10. - eingelangt am 11. - November 1992) auf Aufhebung des gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes gemäß § 26 FrG abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, daß gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 22. Oktober 1992 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes ein Aufenthaltsverbot erlassen worden sei. Dieses habe sich im wesentlichen darauf gestützt, daß der Beschwerdeführer im April 1992 vom Jugendgerichtshof Wien u.a. wegen des Verbrechens des Raubes sowie wegen schwerer Körperverletzung und Diebstahles zu einer Freiheitsstrafe von 34 Monaten, davon 25 Monate bedingt auf 3 Jahre Probezeit, rechtskräftig verurteilt worden sei. Bei diesem Aufenthaltsverbot sei darauf Bedacht genommen worden, daß sich der Beschwerdeführer seit seiner Kindheit in Österreich aufhalte und hier mit seinen Eltern lebe. Das Aufenthaltsverbot sei - in der Hoffnung, daß im Hinblick auf das jugendliche Alter des Beschwerdeführers mit der Zeit ein positiver Gesinnungswandel bei ihm zu erwarten wäre - für die Dauer von 10 Jahren ausgesprochen worden. Die belangte Behörde könne in keiner Weise erkennen, daß die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt haben, weggefallen seien. Daran könne weder der Hinweis, daß seit der Deliktsetzung fast drei Jahre vergangen seien, etwas ändern, noch der Umstand, daß sämtliche Familienangehörige des Beschwerdeführers im Bundesgebiet lebten. Diese Kriterien seien bei der Erlassung des Aufenthaltsverbotes berücksichtigt worden. Es könne auch weiterhin kein Zweifel bestehen, daß an der Verhinderung derartiger Delikte, die der Beschwerdeführer als Mitglied einer Jugendbande gesetzt habe, ein immenses öffentliches Interesse bestehe. Selbst in Ansehung der §§ 19 und 20 FrG sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele (Schutz der Rechte und Freiheiten Dritter, Verteidigung der Ordnung, Verhinderung strafbarer Handlungen) dringend geboten. Die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung (gemeint: einer Aufhebung) des Aufenthaltsverbotes wögen schwerer als die - wenn auch beträchtlichen - Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 26 FrG ist das Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.
Nach dieser Bestimmung, die ihren Inhalt nur aus dem Zusammenhalt mit den §§ 18 bis 20 FrG gewinnt, hat sich die Behörde mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein relevanter Eingriff im Sinne des § 19 FrG vorliegt und - gegebenenfalls - die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten ist - und bejahendenfalls - ferner, ob sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes jene Umstände, die zur Beurteilung der öffentlichen Interessen einerseits und der privaten und familiären Interessen andererseits maßgebend sind, zugunsten des Fremden geändert haben, und daran anschließend diese Interessen gegeneinander abzuwägen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/18/0564, mit weiteren Nachweisen).
Der Beschwerdeführer bringt vor, aus der Begründung des Bescheides gehe nicht hervor, daß und warum die belangte Behörde nach wie vor von einer gerechtfertigten "Annahme" im Sinne des § 18 Abs. 1 FrG ausgehe. Zumindest im Zusammenhalt mit § 26 FrG sei jedenfalls zu prüfen, ob die in § 18 Abs. 2 leg. cit. aufgezählten bestimmten Tatsachen nach wie vor die in § 18 Abs. 1 angeführten Annahmen rechtfertigen. Da sich an den in Abs. 2 leg. cit. aufgezählten Tatsachen in aller Zukunft nichts ändern könne, müsse bei der Prüfung, ob sie nach wie vor die Annahmen des Abs. 1 leg. cit. rechtfertigten, auch auf sonstige, weitere Umstände Bedacht genommen werden können. Die belangte Behörde hätte daher die vom Beschwerdeführer im Verfahren aufgezeigte und mit Beweismitteln belegte Veränderung berücksichtigen müssen, die er seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes durchgemacht habe und aus der sich ergebe, daß die Annahme, er könne weiterhin die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit etc. gefährden, nicht mehr gerechtfertigt sei. Der Beschwerdeführer habe im Zuge des Verfahrens vorgebracht und belegt, daß er sich seit der Begehung der Delikte grundlegend geändert habe, daß seit seiner Deliktsetzung fast 3 Jahre vergangen seien, er seine 9-monatige Haftstrafe ordnungsgemäß verbüßt habe und seit seiner Entlassung im Bundesgebiet einer geregelten Beschäftigung nachgehe.
Der Beschwerdeführer ist vorerst darauf zu verweisen, daß die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon ausging, daß die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, nicht weggefallen seien. Damit wurde hinreichend ausgedrückt, daß sich an der Lage der öffentlichen Interessen, die seinerzeit bestimmend für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes waren, seit diesem Zeitpunkt nichts wesentliches zugunsten des Beschwerdeführers änderte und daß sich auch die für die Einschätzung der gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers maßgebenden Umstände nicht in einer die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes rechtfertigenden Weise änderten. Gegen diese Beurteilung der belangten Behörde bestehen keine rechtlichen Bedenken. Gemäß § 26 FrG ist entscheidend, daß sich seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände zugunsten des Fremden geändert haben.
Im vorliegenden Beschwerdefall wurde das Aufenthaltsverbot mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 22. Oktober 1992 - zugestellt am 28. Oktober 1992, rechtskräftig am 11. November 1992 - erlassen. Die belangte Behörde hatte die seither eingetretenen Umstände zu berücksichtigen. Zu seinem Vorbringen, daß seit der Begehung der strafbaren Handlungen fast 3 Jahre vergangen seien, er seine 9-monatige Haftstrafe ordnungsgemäß verbüßt habe und er seither im Bundesgebiet einer geregelten Beschäftigung nachgehe, ist der Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, daß er einerseits wegen der vom Frühjahr 1990 bis ca. September 1991 begangenen strafbaren Handlungen verurteilt worden ist und andererseits er vom 19. Oktober 1991 bis etwa Ende Juli 1992 in Haft war. Damit sind seit Begehung der der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zugrundeliegenden Straftaten bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides rund 26 Monate (- wovon 9 Monate Haftzeit insoweit außer Betracht zu bleiben hat -) verstrichen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 11. November 1993, Zl. 93/18/0503) ist bei der Verhängung eines befristeten Aufenthaltsverbotes davon auszugehen, daß die Behörde das künftige Wohlverhalten des Fremden in ihre Überlegungen einbezogen und damit vorausgesetzt hat. Im Falle der Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes können im Einzelfall dennoch die Voraussetzungen für die Aufhebung eines solchen Aufenthaltsverbotes eintreten, ist doch eine über das bloße Wohlverhalten hinausgehende (entwicklungsbedingte) Änderung der Lebensweise vor allem bei Jugendlichen nicht ausgeschlossen.
Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei seit seiner Verurteilung ein "anderer Mensch" geworden, er führe ein angepaßtes leben und gehe einer geregelten Beschäftigung nach.
Mit der letztgenannten Behauptung zeigt der Beschwerdeführer keine wesentliche Änderung des Sachverhaltes auf, weil die Berufstätigkeit bereits vor Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegeben war. Wenn aber die belangte Behörde davon ausgeht, daß im Hinblick auf den seit der Begehung der Straftaten verstrichenen Zeitraum von 26 Monaten - wovon (wie erwähnt) neun Monate Haftzeit insoweit außer Betracht zu bleiben haben - die behauptete Änderung der Lebensweise den Wegfall der Gefährdung noch nicht rechtfertige, kann ihr nicht entgegengetreten werden. Im übrigen steht der Annahme eines Wohlverhaltens des Beschwerdeführers entgegen, daß er sich ungeachtet des rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes gegen ihn weiterhin in Österreich aufhält. Dieses Fehlverhalten läßt umso mehr die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes im Interesse der öffentlichen Ordnung (im besonderen eines geordneten Fremdenwesens) gerechtfertigt erscheinen.
Zu § 19 FrG meint die Beschwerde, daß die belangte Behörde die Frage, ob die Nichtaufhebung des Aufenthaltsverbotes mit Art. 8 Abs. 2 MRK begründet werden könne, rechtsirrig gelöst habe.
Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides dargelegt, daß sie die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele Schutz der Rechte und Freiheiten Dritter, Verteidigung der Ordnung, Verhinderung strafbarer Handlungen dringend geboten erachte. Dieser Rechtsansicht kann angesichts der Vielzahl und Schwere der der gerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers nicht entgegengetreten werden.
Der Beschwerdeführer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der EGMR in seiner Entscheidung vom 18. Februar 1991 (Moustaquim) die Verletzung des Art. 8 MRK festgestellt habe. Der mit 2 Jahren nach Belgien eingereiste und dort aufgewachsene marokkanische Jugendliche sei wegen nicht weniger als 22 Fakten (darunter zahlreiche Vermögens- und Gewaltdelikte) verurteilt und in weiterer Folge mit einem Aufenthaltsverbot belegt und abgeschoben worden. Der EGMR habe in der Begründung ausgeführt, daß aufgrund der völligen Integration dieses Beschwerdeführers die von Belgien gegen ihn gesetzten Maßnahmen unverhältnismäßig und nicht durch Art. 8 Abs. 2 MRK gedeckt gewesen seien. Dieser Fall sei dem hier gegenständlichen insoweit gleichgelagert.
Dem Beschwerdeführer ist entgegenzuhalten, daß er nicht nur wegen einer größeren Anzahl, sondern auch wegen schwererer strafbarer Handlungen verurteilt wurde, nämlich: 1. wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 2. Deliktsfall StBG, weil er als Mitglied einer Bande unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitgliedes vom Frühjahr 1990 bis ca. September 1991 an mindestens 40 Angriffen teilnahm;
2. wegen des Vergehens des Diebstahles nach § 127, weil er ca. im Sommer 1990 einem Unbekannten eine Jacke im Wert von ca. S 2.500,-- wegnahm; 3. wegen des Vergehens der Bandenbildung nach § 278 Abs. 1 StGB, weil er sich vom Frühjahr 1990 bis September 1991 mit mehreren anderen mit dem Vorsatz verband, daß künftig gemeinsam erhebliche Gewalttaten gegen Leib und Leben bzw. Raubüberfälle verübt werden und daß solche auch ausgeführt wurden, und 4. wegen des Vergehens der teils vollendeten, teils versuchten schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 2 und 15 StGB, weil er am 16. Juni 1990 anderen Faustschläge versetzte und mit den Füßen nach ihnen trat sowie Ende Dezember 1990 und Anfang Jänner 1991 in mindestens 3 Angriffshandlungen versuchte, andere vorsätzlich am Körper zu verletzen, indem er Leuchtpatronen aus Leuchtstiften abschoß, Flaschen und Ziegelsteine warf und mit Holzlatten und Gürteln auf diese losging. Im vorliegenden Beschwerdefall stellt daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes im Hinblick auf die sich in der Vielzahl und Schwere der inkriminierten Verhaltensweisen des Beschwerdeführers manifestierende große Gefahr eine notwendige Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen (Art. 8 Abs. 2 MRK) dar.
Auch die Beurteilung durch die belangte Behörde, daß die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes schwerer wögen als die - wenn auch beträchtlichen - Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, begegnet keinen Bedenken. Aufgrund des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers seit der rechtskräftigen Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Inland haben die für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen öffentlichen Interessen gegenüber den öffentlichen Interessen, die für die Verhängung dieser Maßnahme ausschlaggebend waren, noch an Gewicht gewonnen.
Den erhobenen Verfahrensrügen ist aufgrund des bisher Gesagten der Boden entzogen.
Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993180630.X00Im RIS seit
20.11.2000