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L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 27. Oktober 1993, Zl. R/1-V-92126/00, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien : 1. P in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in M, 2. Marktgemeinde W, vertreten durch den Bürgermeister) zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit einem am 24. September 1990 bei der mitbeteiligten Gemeinde eingelangten Ansuchen beantragte der Erstmitbeteiligte die Erteilung einer Baubewilligung für den Zubau zu einer bestehenden Kleingarage auf dem Grundstück Nr. 405/8. Dem beigelegten kotierten Plan zufolge soll die Garage eine Gesamtlänge von 12,025 m aufweisen. Dem Plan kann eine Darstellung des konsentierten Bestandes (s. § 97 Abs. 1 Z. 1 lit. d der NÖ Bauordnung 1976) auf der Liegenschaft des Beschwerdeführers nicht entnommen werden. Über das Bauansuchen beraumte der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde mit Ladungsbescheid vom 11. März 1991 eine mündliche Verhandlung für den 22. März 1991 an, zu der auch der Beschwerdeführer als Anrainer unter Hinweis auf die Säumnisfolgen des § 42 AVG geladen wurde; die Zustellung der Ladung an den Beschwerdeführer ist ausgewiesen. In der Verhandlung vom 11. März 1991 brachte der Beschwerdeführer vor: "Meine Wohnzimmerfenster werden durch die Errichtung der Garage (Garagenzubau) beeinträchtigt".
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 18. Juni 1991 wurde dem Erstmitbeteiligten die beantragte Bewilligung erteilt. Die Ausführung des Vorhabens habe nach Maßgabe der Sachverhaltsdarstellung und der Baubeschreibung sowie der mit der Bezugsklausel versehenen Planunterlagen zu erfolgen.
In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe sich in der Bauverhandlung vom 22. März 1991 gegen das Bauansuchen ausgesprochen, auf die Einhaltung der Bestimmung des § 87 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 besitze der Beschwerdeführer einen Rechtsanspruch, die Erstbehörde habe keinen medizinischen Sachverständigen beigezogen, überdies wäre die Einholung eines Gutachtens eines technischen Sachverständigen betreffend die Messung der Beeinträchtigung der Belichtung der Wohnräume des Beschwerdeführers erforderlich gewesen. Der genehmigte Zubau gefährde die Gesundheit des Beschwerdeführers sowie seiner Mitbewohner, da es, durch die Lage des Wohnhauses des Beschwerdeführers bedingt, zu einem vollständigen Fehlen einer natürlichen Belichtung kommen würde.
Mit Bescheid vom 18. Mai 1992 gab der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters keine Folge. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Errichtung einer Kleingarage an der Grundstücksgrenze zum Anrainer in einem Maximalausmaß von 12 m sei gestattet, wobei die lichte Höhe von 2,5 m nicht überschritten werden dürfe.
Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Vorstellung gab die belangte Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 27. Oktober 1993 keine Folge. Begründet wurde diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Einwand des Beschwerdeführers in der Bauverhandlung nur so verstanden werden könne, daß er die Ansicht vertrete, daß der Zubau zur bestehenden Garage mit einer Länge von ca. 3,80 m und einer Höhe von 2,50 m unzulässig sei. Wie der Gemeinderat richtig erkannt hatte, lasse § 87 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 die Errichtung einer Kleingarage im seitlichen Bauwich bis zu einer Länge von 12 m und einer Höhe von 2,50 m zu. Selbst wenn man davon ausgehe, daß ein Bebauungsplan nicht vorliege, könne nicht ernsthaft angenommen werden, daß ein im Verhältnis zur bestehenden Garage geringfügiger Zubau in einem auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung stehen würde, zumal der Zubau niedriger ausgeführt werden solle, als die bestehende Garage. Die bestehende Garage inklusive Zubau habe eine Länge von ca. 12 m und eine lichte Breite von 3,6 m, es sei klar, daß diese Garage für maximal 2 Personenkraftwagen verwendet werden könne. Es entspreche den Erfahrungen des täglichen Lebens, daß die Immission von 2 Personenkraftwagen das örtlich zumutbare Ausmaß im Bauland-Wohngebiet nicht überschreiten könnten. Die Einholung eines medizinischen bzw. technischen Sachverständigengutachtens sei daher im vorliegenden Fall - ungeachtet der eingetretenen Präklusion - gar nicht erforderlich.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und ebenso wie die erstmitbeteiligte Partei, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:
Bereits in einem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde im Falle einer beschränkten Parteistellung des Berufungswerbers, wie es für Nachbarn im Baubewilligungsverfahren typisch ist, auf jenen Themenkreis eingeschränkt ist, in dem diese Partei mitzuwirken berechtigt ist. Sowohl die Berufungsbehörde als auch die Aufsichtsbehörde sowie die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes sind durch eine gemäß § 42 AVG eingetretene Präklusion auf die Prüfung rechtzeitig erhobener Einwendungen beschränkt. Der Beschwerdeführer wurde ordnungsgemäß unter Hinweis auf Säumnisfolgen des § 42 AVG zur Verhandlung von 22. März 1991 geladen. Es war daher sowohl die Überprüfungsbefugnis der Berufungsbehörde als auch der Gemeindeaufsichtsbehörde auf jenen Themenkreis eingeschränkt, den der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen während der Bauverhandlung vom 22. März 1991 umschrieben hat. Dieses Vorbringen läßt sich, wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, nur dahingehend interpretieren, daß der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Belichtung seiner Wohnzimmerfenster die Errichtung des Garagenzubaues im Seitenabstand für unzulässig hielt.
Gemäß § 118 Abs. 9 der Niederösterreichischen Bauordnung werden subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören insbesondere die Bestimmungen über 1. den Brandschutz; 2. den Schutz vor anderen Gefahren, die sich auf die Anrainergrundstücke ausdehnen können; 3. die sanitären Rücksichten wegen ihres Einflusses auf die Umgebung;
4. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung. Da die Aufzählung des § 118 Abs. 9 der Niederösterreichischen Bauordnung keine erschöpfende ist, kann angenommen werden, daß zu den unter dem Gesichtspunkt der Nachbarrechte relevanten Bestimmungen nicht nur jene über die Bebauungsweise , die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien gehören, sondern alle jene, die die Bebaubarkeit eines Grundes beschränken und sohin regelmäßig dem Interesse der Nachbarn dienen.
§ 120 Abs. 3 der NÖ Bauordnung 1976 in der Fassung der Novelle LGBl. 8200-6 (im folgenden: BO) lautet:
"Eine Bewilligung gemäß § 92 oder § 93 ist in Gemeinden, in denen nur ein vereinfachter Bebauungsplan gemäß Abs. 1 gilt - abgesehen vom § 100 Abs. 2 - zu versagen, wenn
1. das geplante Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht;
2. das Vorhaben außerhalb eines zusammenhängend bebauten Ortsgebietes geplant ist und die geordnete Entwicklung der Bau- und Siedlungstätigkeit der Gemeinde gefährdet.
In Baulandbereichen, für die noch keine Regelung der Bebauung getroffen wurde, gelten die auf die vorherrschende Bebauung zutreffenden Bestimmungen dieses Gesetzes."
Da für den gegenständlichen Bauplatz ein Bebauungplan bisher nicht erlassen wurde, gelten die Übergangsbestimmungen des § 120 BO (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Jänner 1989, Zl. 88/05/0171). Nach Abs. 4 dieser Bestimmung ist eine Bewilligung gemäß § 92 oder § 93 BO in einer Gemeinde, in der noch kein Bebauungsplan und auch kein vereinfachter Bebauungsplan gilt, zu versagen, wenn das geplante Vorhaben einer Bestimmung des Abs. 3 widerspricht. Für den Fall des Fehlens eines Bebauungsplanes kommt den Nachbarn nach den Übergangsbestimmungen des § 120 Abs. 3 und 4 BO ein Rechtsanspruch darauf zu, daß ein Vorhaben, welches zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht, wegen Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte nicht bewilligt wird (siehe das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 1992, Zl. 92/05/0064 m.w.N.). In diesem Erkenntnis wurde auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dahingehend zusammengefaßt, daß die genannte Übergangsregelung den geordneten Weiterausbau einer Ortschaft zu gewährleisten habe. In die Beurteilung der Frage, ob ein Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch stehe, seien daher alle jene Liegenschaften einzubeziehen, die miteinander nach der überwiegend herrschenden faktischen Bebauung ein im wesentlichen einheitliches, zusammenhängendes Ganzes bilden, da nur auf diese Weise dem Sinn der angeführten Übergangsregelung entsprechend ein einem Bebauungsplan ähnlicher Beurteilungsmaßstab geschaffen werden könne. Die Prüfung des Vorhabens habe alle Merkmale zu umfassen, die Gegenstand eines Bebauungsplanes sein können; erforderlich seien konkrete Feststellungen zunächst über die Grenzen des Bezugsbereiches. Diesbezügliche Feststellungen können dem Akt aber nicht entnommen werden. Ebenso fehlt eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob das Bauvorhaben mit der bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht, wobei die GESAMTE GARAGE nach der geplanten Bauführung zu berücksichtigen wäre und nicht nur der geplante Zubau mit einer Länge von 3,87 m. Eine isolierte Betrachtung des Zubaues würde die Wirkung, die das (gesamte) Garagengebäude in bezug auf die bestehende Bebauung entfaltet, nicht berücksichtigen und dem Sinn der gesetzlichen Regelung nicht entsprechen. Da der Beschwerdeführer rechtzeitig die Unzulässigkeit der Errichtung der Garage im Seitenabstand geltend gemacht hat und in bezug auf die Bebaubarkeit der Seitenabstandsfläche auch ein Mitspracherecht hat, wäre die Aufsichtsbehörde gehalten gewesen, den Bescheid des Gemeinderates zu beheben. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Mit Erledigung der Beschwerde ist der Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993050287.X00Im RIS seit
03.05.2001Zuletzt aktualisiert am
07.08.2009