TE Vfgh Erkenntnis 1991/12/2 B900/89

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Veröffentlicht am 02.12.1991
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6500 Jagd, Wild

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
AVG §8
AVG §10 Abs2
AVG §13 Abs3
Nö JagdG 1974 §111

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Zurückweisung einer Berufung des namens einer Jagdgesellschaft eingeschrittenen Vertreters aufgrund der Annahme mangelnder Vertretungsbefugnis; Mißachtung der Parteienrechte durch Unterlassung der Prüfung der Vertretungsbefugnis

Spruch

Die beschwerdeführende Jagdgesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Jagd- und Wildschadenskommission der Marktgemeinde Michelhausen (Bezirk Tulln) entschied mit dem nach mündlicher Verhandlung erlassenen Bescheid vom 18. September 1986 über einen vom Beteiligten R F gegen die beschwerdeführende Jagdgesellschaft geltend gemachten Wildschaden und sprach ihm Ersatz in Höhe von 54.608,40 S zu. Gegen diesen Bescheid erhob J K (der für die Jagdgesellschaft als Revierjäger tätig ist und für diese auch im erstinstanzlichen Verfahren eingeschritten war) namens der Jagdgesellschaft Berufung. Die Oberkommission für Jagd- und Wildschäden am Sitz der Bezirkshauptmannschaft Tulln gab dem Rechtsmittel nach einer Ergänzung des Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 28. Dezember 1988 Folge, behob den erstinstanzlichen Bescheid und wies den Ersatzanspruch des Beteiligten ab. Dieser ergriff gegen die Rechtsmittelentscheidung Berufung an die Landeskommission für Jagd- und Wildschäden beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung. Die Landeskommission gab der Berufung des Beteiligten mit Bescheid vom 19. Juni 1989 Folge, behob den Bescheid der Oberkommission und wies die von J K namens der Jagdgesellschaft gegen den erstinstanzlichen Bescheid eingebrachte Berufung als unzulässig zurück. In der Begründung dieses Berufungsbescheides stellte die Landeskommission das Verwaltungsgeschehen gerafft dar und führte sodann (nach einer inhaltlichen Wiedergabe der §§27 Abs2 und 111 Abs1 des Nö JagdG 1974) folgendes aus:

"Nach dem Bericht des Schriftführers der Oberkommission vom 17.5.1989 ist die Jagdgesellschaft Rust, bestehend aus dem Jagdleiter Komm.Rat G P und Konsul D P, bereits seit mehreren Jagdperioden Pächterin des gegenständlichen Genossenschaftsjagdgebietes. Aufgrund der Aktenlage (AV d. Oberkommission vom 25.11.1986) sei von der Oberkommission angenommen worden, daß J K vom Jagdausübungsberechtigten als Bevollmächtigter im Sinn des §111 NÖ JG bestellt und dem damaligen Obmann der Kommission sowie dem Jagdausschuß bekanntgegeben wurde. Eine ausdrückliche Bestellung des J K gemäß §111 NÖ JG. für die laufende Jagdperiode sei nicht erfolgt.

Im Verfahren vor der Oberkommission hat der Jagdleiter der Jagdgesellschaft Rust Komm.Rat G P als Zeuge am 6.7.1987 (Einvernahme im Rechtshilfeweg durch die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung) folgendes angegeben:

'Ich habe von beiden Wildschäden (Juni und August 1986) durch Herrn Direktor G erfahren (5020 Salzburg, Reichenhaller Straße).

Die Übermittlung war persönlich. Zur Erläuterung: Herr G ist von mir bevollmächtigt und beauftragt sich um das Revier im Tullnerfeld jagdlich und wirtschaftlich zu kümmern. ...

Herr Direktor G war und ist bevollmächtigt, mich in allen wirtschaftlichen und jagdlichen Angelegenheiten, also auch in Fragen von Jagd- und Wildschäden, zu vertreten. Er war von allem Anfang an schon bei der Pachtung der Jagd der Gesprächspartner, insbesondere des Jagdausschusses. Dies ist allen Mitgliedern des Jagdausschusses sowie auch dem Revierjäger K bekannt. Herr F hat auch die meiste Korrespondenz an Herrn G geleitet und das schon seit Jahren zur Kenntnis genommen. ...'

Diese Aussage wurde von dem ebenfalls als Zeugen vernommenen Dir. W G bestätigt. Er gibt ferner an, daß J K von Komm.Rat P als örtlicher Jagdleiter schriftlich bevollmächtigt worden sei, alle die Jagd und damit zusammenhängenden Angelegenheiten unmittelbar und selbständig zu besorgen. So beispielsweise habe er die Erstellung des jährlichen Abschußplanes, die Aufsicht des Revieres, den Umfang und die Art der Fütterungen u.s.w. eigenverantwortlich und selbständig zu besorgen. Lediglich aus dem Grund, weil zwischen K und F keine Gesprächsbasis bestehe, habe ihn Komm.Rat P gebeten, in Fragen, welche eine Konfrontation K/F ergeben könnte, tätig zu werden. Dies sei speziell bei Wildschadensforderungen durch F der Fall; nicht aber in Wildschadensfragen bei anderen Grundbesitzern. In diesen Fällen agiere K vollkommen selbständig und ohne Komplikationen.

Aus diesen Zeugenaussagen, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlaß besteht, geht eindeutig hervor, daß der Jagdleiter der Jagdgesellschaft Rust, Komm.Rat G P, den Revierjäger J K nicht ermächtigt hat, ihn in Wildschadensangelegenheiten des Geschädigten R F zu vertreten. Aufgrund der Aktenlage ist eine ordnungsgemäße Bestellung des J K als Bevollmächtigter im Sinn des §111 des NÖ Jagdgesetzes 1974 nicht erfolgt. Eine Sanierung des Vertretungsmangels des J K liegt im Hinblick auf die Zeugenaussagen des Jagdleiters Komm.Rat G P vom 6.7.1987 nicht vor. Daraus ergibt sich, daß dem J K die erforderliche Legitimation zur Einbringung einer Berufung gegen die Entscheidung der Jagd- und Wildschadenskommission für die Marktgemeinde Michelhausen vom 18.9.1986 fehlte. Aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid der Oberkommission für Jagd- und Wildschäden am Sitz der Bezirkshauptmannschaft Tulln aufzuheben und die Berufung des J K gegen die Entscheidung der Jagd- und Wildschadenskommission für die Marktgemeinde Michelhausen vom 18.9.1986 wegen mangelnder Parteistellung gemäß §8 AVG 1950 zurückzuweisen."

2. Der Bescheid der Landeskommission ist Gegenstand der vorliegenden Beschwerde der Jagdgesellschaft nach Art144 B-VG mit dem Begehren, diese Entscheidung aufzuheben.

II. Die Beschwerde ist, da sämtliche Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig. Sie erweist sich auch als gerechtfertigt.

1. Die Behörde zweiter Instanz nahm ebenso wie die der ersten Instanz an, daß J K zur Vertretung der Jagdgesellschaft befugt ist, und traf über die von ihm namens der Jagdgesellschaft erhobene Berufung eine Sachentscheidung. Wären im Berufungsverfahren vor der Behörde zweiter Instanz Zweifel über die Vertretungsbefugnis des Einschreiters hervorgekommen, die nach einer Klarstellung, daß eine Vertreterbestellung gemäß §111 NÖ JagdG 1974 nicht stattgefunden hat, weiter bestanden hätten, so wäre die Rechtsmittelinstanz in Handhabung der §§10 Abs2 und 13 Abs3 AVG verpflichtet gewesen, den Einschreiter unter Fristsetzung zum Nachweis der Bevollmächtigung zu verhalten; der Oberkommission vorliegende Aussagen des zeugenschaftlich vernommenen Jagdleiters und eines weiteren Zeugen hätten sie dieser im Falle von Zweifeln gegebenen Verpflichtung nicht enthoben, weil die Zeugenaussagen unter einem völlig anderen Aspekt, nämlich dem der in §107 NÖ JagdG 1974 vorgesehenen Geltendmachung von Wildschäden durch den Geschädigten beim Jagdausübungsberechtigten (oder dessen Bevollmächtigten), abgelegt worden waren und daher keineswegs ein Vorgehen nach §13 Abs3 AVG als aussichtslos erwiesen.

Sieht sich nun die Behörde dritter Instanz veranlaßt, einen Vollmachtsmangel im dargelegten Sinn anläßlich einer weiteren, an sie gerichteten Berufung wahrzunehmen, so tritt sie gleichsam an die Stelle der Vorinstanz und hat wie diese vorzugehen, maW klarzustellen, ob das an die Behörde zweiter Instanz ergriffene Rechtsmittel vom (nach der damaligen Verfahrenslage: obsiegenden) Rechtsmittelwerber anerkannt wird. Die belangte Behörde sah von einem solchen Vorgehen jedoch überhaupt ab; sie unterließ es sogar, der beschwerdeführenden Gesellschaft eine Gleichschrift der Berufung des Beteiligten (in der die Legitimationsfrage aufgeworfen worden war) zur Kenntnis zu bringen. Ein derartiges Vorgehen, mit dem die Parteienrechte im Verwaltungsverfahren schlechthin mißachtet werden, wertet der Verfassungsgerichtshof als willkürliche, das Gleichheitsrecht verletzende Gesetzeshandhabung (s. dazu die ständige Rechtsprechung zum Gleichheitsgebot, zB VfSlg. 11682/1988).

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrechtes aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis erübrigte es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf die Umsatzsteuer.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Vertreter (Verwaltungsverfahren), Vollmacht, Parteistellung Jagdrecht, Jagdrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B900.1989

Dokumentnummer

JFT_10088798_89B00900_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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