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L34003 Abgabenordnung Niederösterreich;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerde des O in X, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 12. August 1992, Zl. II/1-BE-523-77/1-92, betreffend Nachsicht von Gemeindeabgaben (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde X), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 22. Jänner 1992 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 18. September 1989, die ihm vorgeschriebene Ergänzungsabgabe zur Wasseranschlußabgabe in Höhe von S 14.399,-- (einschließlich 10% USt) und Kanaleinmündungsabgabe in Höhe von S 23.404,70 (einschließlich 10 % USt), insgesamt somit einen Betrag von S 37.803,70, gemäß § 183 Abs. 1 NÖ AO 1977 durch Abschreibung nachzusehen, als unbegründet abgewiesen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sein Nettoeinkommen 1991 mit S 80.377,-- (monatlich S 6.698,--) beziffert. Bezüglich seiner Vermögensverhältnisse habe der Beschwerdeführer ausgeführt, er sei Eigentümer einer kleinen Likörstube, deren veraltete Einrichtung völlig wertlos und unverwertbar sei. Dem Warenvorrat (rd. S 10.000,--) stünden Abgabenschulden in gleicher Höhe gegenüber, weshalb der Verkehrswert der Likörstube mit Null anzunehmen sei.
In der Begründung des Bescheides heißt es weiters, laut amtswegig eingeholtem Grundbuchsauszug vom 17. Oktober 1991 sei im Lastenblatt der 1.452 m2 großen Liegenschaft des Beschwerdeführers in X 6 (lediglich) eine Hypothek in der Höhe von S 120.000,-- zugunsten des Landes Niederösterreich eingetragen. Der Einheitswert sei "laut FA-Wien-Umgebung vom 16.3.1983" mit S 345.000,-- ausgewiesen.
Das Tatbestandsmerkmal der Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles sei aus folgenden Gründen nicht erfüllt:
Der Beschwerdeführer verfüge über ein monatliches Nettoeinkommen aus seiner Pension - ohne Berücksichtigung der Sonderzahlungen - von mehr als S 9.500,--. Die Kredite seien nach seinen eigenen Angaben zurückgezahlt; es hafte lediglich noch die gerichtliche Extabulationsgebühr aus. Der vom Beschwerdeführer für 1991 hochgerechnete Verlust aus dem Gewerbebetrieb in der Höhe von S 22.100,-- könne bei der Berechnung des Einkommens nicht abgezogen werden, wenn man bedenke, daß der Beschwerdeführer 70 Jahre alt, Empfänger einer Eigen- und einer Witwerpension sei und für ihn die angegebenen erwarteten Verluste keineswegs überraschend seien. Auch die übrigen geltend gemachten "Ausgaben" vermöchten das genannte Tatbestandsmerkmal nicht zu begründen; viele Mitbürger mit ähnlichen Einkommensverhältnissen hätten solche in gleicher Weise zu tragen.
Schließlich wird noch auf die Möglichkeit der Bewilligung von Zahlungserleichterungen (Stundung, Raten) gemäß § 161 Abs. 1 NÖ AO 1977 hingewiesen.
In der dagegen erhobenen Vorstellung führte der Beschwerdeführer nach Hinweis auf die Aktenlage aus, er sei 71 Jahre alt, alleinstehend und krank. Seit dem Tag der Antragstellung sehe er keiner Verbesserung, sondern einer ständigen Verschlechterung seiner Einkommenssituation entgegen. Dies dokumentiere sich unter anderem darin, daß er dringend notwendige Reparaturen an seinem Einfamilienhaus nicht zu finanzieren vermöge, was zu einer kontinuierlichen Ausweitung der anstehenden Hausschäden führen müsse und eine katastrophale Wohnsituation erwarten lasse. Versuche, mittelfristige Reparaturkredite zu erlangen, seien im Hinblick auf sein Alter sowie seine Tilgungsmöglichkeiten gescheitert. Sein monatliches Einkommen im Jahre 1991 betrage höchstens S 6.698,--; der Verlust aus dem Gewerbebetrieb sei sehr wohl ein Umstand, der das Einkommen vermindere. Es sei weiters im Falle eines Nachsichtsansuchens auf die Einkommensverhältnisse des Nachsichtswerbers im Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen. Bereits zu diesem Zeitpunkt seien die Einkommensverhältnisse derart gewesen, daß die Einbringung der gegenständlichen Gemeindeabgaben seinen Nahrungsstand ernsthaft gefährdet hätte. Die Einkommenssituation habe sich, wie schon gesagt, verschlechtert; er müsse sich sogar die Stempelgebühren für die "zahlreichen Stundungsansuchen" an die mitbeteiligte Stadtgemeinde ausborgen. Der Hinweis auf Möglichkeit der Bewilligung von Zahlungserleichterungen erscheine nicht zielführend, weil nicht anzunehmen sei, daß sich seine Einkommenssituation bessere; in Ermangelung geringfügigster Ersparnismöglichkeiten sei eine etwaige spätere Abgabenbezahlung nicht abzusehen.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Vorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen; dies im wesentlichen mit folgender Begründung:
Der Beschwerdeführer habe seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offengelegt. Demnach habe sein monatliches Nettoeinkommen im Jahre 1990 - gemäß dem Bescheid des Finanzamtes Wien-Umgebung vom 18. April 1991 bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von S 115.098,--, abzüglich von Verlusten aus dem Gewerbebetrieb von S 9.524,-- und Sonderausgaben von insgesamt S 2.336,--, sohin unter Zugrundelegung eines zu versteuernden Einkommens von S 103.228,-- und der hierauf entfallenden Einkommensteuer von S 6.204,-- - S 8.085,-- betragen. Für das Jahr 1991 gehe der Beschwerdeführer von einem monatlichen Nettoeinkommen von (lediglich) ca. S 6.698,-- aus, indem er von seiner Eigenpension und der Witwerpension von insgesamt netto S 134.816,-- nicht nur den hochgerechneten Verlust aus dem Gewerbebetrieb von S 22.100,-- sowie eine Lohnsteuernachzahlung 1990 von S 1.638,-- und eine Lohnsteuervorauszahlung von S 1.700,--, sondern auch Ausgaben der privaten Lebensführung von insgesamt ca. S 29.000,--, wie beispielsweise Versicherungsprämien und Darlehensrückzahlungen, welche jedoch das Nettoeinkommen nicht schmälerten, in Abzug gebracht habe. Sohin stünden dem Einkommen 1990 gemäß dem Einkommenssteuerbescheid des Finanzamtes Wien-Umgebung vom 18. April 1991 von S 97.024,-- (monatlich S 8.085,--) bzw. für das Jahr 1991 von ca. S 109.000,-- (monatlich netto ca. S 9.110,--) unberichtigt eine Kanaleinmündungsabgabe im Ausmaß von S 23.404,70 und eine Ergänzungsabgabe zur Wasseranschlußabgabe im Ausmaß von S 14.399,--, insgesamt daher S 37.803,70, deren Nachsicht begehrt werde, gegenüber.
Im Vermögen des Beschwerdeführers befinde sich - abgesehen von der wertlosen Einrichtung seines Gastgewerbebetriebes - das Mietrecht an dem Lokal, in welchem er das Gastgewerbe betreibe, sowie die in X 6 gelegene (nach Grundstücksnummern näher genannte) Liegenschaft mit einem Flächenausmaß von 1.452 m2, deren Einheitswert gemäß dem Bescheid des Finanzamtes Wien-Umgebung vom 16. März 1983 S 345.000,-- betrage; diese Liegenschaft sei mit einem Veräußerungsverbot belastet. Da der Beschwerdeführer sein Liegenschaftsvermögen zu verwerten nicht in der Lage sei, müsse er die Ergänzungsabgabe zur Wasseranschlußabgabe und die Kanaleinmündungsabgabe aus seinen Einkünften bestreiten.
Die belangte Behörde verkenne nicht, daß die Tilgung der Abgabenschuldigkeiten im Betrag von insgesamt S 37.803,70 belastend sei; eine Unbilligkeit im Sinne des § 183 Abs. 1 NÖ AO 1977 liege jedoch nicht vor: Der Beschwerdeführer sei nämlich - obwohl ihm verwertbares Vermögen nicht zur Verfügung stehe - in der Lage gewesen, aus seinem laufenden Einkommen ein Darlehen von S 540.000,-- bei der Bausparkasse der Österreichischen Sparkassen - etwa im Jahre 1988 durch monatliche Zahlungen von S 6.155,-- und am 24. Jänner und 1. März 1991 durch Zahlung von jeweils S 3.134,-- sowie am 13. März 1991 durch eine letztmalige Zahlung von S 8.816,-- - zu tilgen. Es sei auch nicht hervorgekommen, daß es dem Beschwerdeführer weder in den vergangenene Jahren, in denen er Zahlungen zur Darlehenstilgung habe leisten können, möglich gewesen noch gegenwärtig möglich sei, für die im Zuge der Errichtung seines Einfamilienhauses anläßlich der Verwirklichung der abgabenrechtlichen Tatbestände (Kanaleinmündungsabgabe und Ergänzungsabgabe zur Wasseranschlußabgabe) zu erwartenden Abgabenforderungen Vorsorge zu treffen. Der Einwand in der Vorstellung, mangels geringfügigster Einsparungsmöglichkeiten sei eine spätere Abgabenbezahlung nicht abzusehen, vermöge die belangte Behörde schon angesichts der im Verfahren vor der mitbeteiligten Stadtgemeinde dargelegten Einkommenslage nicht zu überzeugen. Der Umstand, daß die mit der Darlehensrückzahlung im Zeitpunkt der Antragstellung verbundenen finanziellen Belastungen seit der im März 1991 erfolgten Tilgung dieses Darlehens weggefallen seien, erhelle außerdem, daß der Beschwerdeführer jedenfalls seit März/April 1991 zumutbarerweise Vorsorge für die Tilgung der gegenständlichen Abgabenschuldigkeiten zu treffen imstande gewesen sei, seien doch die vom Beschwerdeführer "verkrafteten", aus seinem Einkommen bestrittenen Zahlungen ungleich höher gewesen als die von ihm durch die Abstattung der genannten Abgaben zu gewärtigenden. In diesem Zusammenhang werde auf die Obliegenheit, die Tilgung abgabenrechtlicher Verbindlichkeiten gegenüber anderen nicht hintanzustellen, verwiesen.
Was das Vorstellungsvorbringen betreffend das Einfamilienhaus anlange, für welches der Beschwerdeführer die Baubewilligung am 30. Jänner 1978 und die Benützungsbewilligung mit Bescheid vom 1. Juni 1989 erlangt habe, sei folgendes zu sagen: Abgesehen von dem Umstand, daß der Beschwerdeführer die behauptete Reparaturbedürftigkeit seines neu errichteten Einfamilienhauses nicht ausreichend konkretisiert habe, sei zufolge der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, insbesondere seiner Einkommenslage, mit der "Einziehung" der Abgabenschuldigkeiten ein - gemessen an § 183 NÖ AO 1977 - atypischer Vermögenseingriff nicht verbunden; mit anderen Worten: Das Vorliegen einer besonderen Notlage sei bei verständiger Wertung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens der mitbeteiligten Stadtgemeinde und des Vorstellungsvorbringens nicht hervorgekommen. An diesem Ergebnis vermöge auch der Hinweis auf Alter und Gesundheitszustand nichts zu ändern, sei der Beschwerdeführer doch offenkundig in der Lage, seinen in W gelegenen Gastgewerbebetrieb zu führen und zu betreiben.
Zusammenfassend könne zwar gesagt werden, daß der Beschwerdeführer durch die Abstattung der Kanaleinmündungsabgabe in der Höhe von S 23.404,70 und der Ergänzungsabgabe zur Wasseranschlußabgabe im Betrag von S 14.399,-- starke Belastungen zu gewärtigen habe, ohne daß jedoch ein mit der "Verwirklichung der Tatbestände" der beiden genannten Abgaben atypischer und unzumutbarer, zur Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führender Vermögenseingriff im Sinne des § 183 NÖ AO 1977 hervorgekommen sei. Bei diesem Ergebnis vermöge die belangte Behörde als Aufsichtsbehörde - insbesondere angesichts des schon erwähnten Umstandes der monatsweisen Tilgung eines nicht unerheblichen Darlehens durch den Beschwerdeführer - der mitbeteiligten Stadtgemeinde nicht entgegenzutreten, wenn diese auf den Umstand, wonach viele Mitbürger mit ähnlichen Einkommensverhältnissen die Belastungen in gleicher Weise zu tragen hätten, und auf die Möglichkeit der ratenweisen Abgabenentrichtung, verwiesen habe. Die Nachsicht gemäß § 183 NÖ AO 1977 sei nämlich ihrem Wesen nach der vom Gesetzgeber als ultima ratio vorgesehene Rechtsbehelf zur Beendigung von Abgabenschuldverhältnissen.
Abschließend werde zum Vorstellungsvorbringen, die mitbeteiligte Stadtgemeinde negiere den Verlust aus dem Gewerbebetrieb mit der Begründung, er sei nicht überraschend entstanden, obwohl dieser das Einkommen erheblich vermindere und nicht beabsichtigt herbeigeführt worden sei, ausgeführt, daß dies soweit zutreffe, als der Verlust aus dem Gewerbebetrieb den Gesamtbetrag der Einkünfte des Beschwerdeführers vermindere, wenngleich - wie bereits dargestellt - in diesem Umstand kein Sachverhalt zu erblicken sei, der eine Unbilligkeit bewirke. Schließlich sehe sich die belangte Behörde zu dem Hinweis veranlaßt, daß es - bei Anlegung des Maßstabes einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise - einem Unternehmer obliege, das Unternehmen, dessen wirtschaftliche Hoffnungen fehlschlügen, zu beenden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Nach dem gesamten Inhalt seines Vorbringens erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Abgabennachsicht verletzt. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten nur
teilweise vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 183 Abs. 1 NÖ AO 1977 können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist dabei tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 183 NÖ AO 1977 vorgesehene Ermessensentscheidung. Wird die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (vgl. etwa zum inhaltsgleichen § 236 Abs. 1 BAO das hg. Erkenntnis vom 22. September 1992, Zl. 92/14/0083).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere auch zum inhaltsgleichen § 236 Abs. 1 BAO, setzt der Tatbestand der "Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles" das Vorliegen eines in den subjektiven Verhältnissen des Steuerpflichtigen oder des Steuergegenstandes gelegenen Sachverhaltselementes voraus, aus dem sich ein wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den in jenem subjektiven Bereich entstehenden Nachteilen ergibt. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährden würde. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, daß die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme. Einbußen an vermögenswerten Interessen, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren können, stellen eine Unbilligkeit dagegen nicht dar. Jedenfalls muß es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen. Eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann gegeben sein, wenn bei Anwendung des Gesetzes im Einzelfall ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Die Abgabennachsicht soll der Abgabenbehörde die Möglichkeit eröffnen, eine infolge der besonderen Umstände des Einzelfalles eingetretene besonders harte Auswirkung der Abgabenvorschriften, die der Gesetzgeber, wäre sie vorhersehbar gewesen, vermieden hätte, zu mildern (vgl. hiezu beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 21. Mai 1992, Zl. 88/17/0218, und vom 30. Juli 1992, Zl. 90/17/0403, sowie die dort jeweils angeführte weitere Rechtsprechung).
Bei der Entscheidung über ein Nachsichtsansuchen ist stets die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung zu berücksichtigen (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 22. September 1992, Zl. 92/14/0083). Für die Sachentscheidung der Vorstellungsbehörde ist jene Sach- und Rechtslage maßgeblich, die zum Zeitpunkt des letztinstanzlichen gemeindebehördlichen Bescheides bestanden hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1992, Zl. 88/17/0222).
Im Nachsichtsverfahren ist es Sache des Nachsichtswerbers, im Sinne der ihn treffenden Mitwirkungspflicht einwandfrei und unter Ausschluß jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1992, Zl. 88/17/0218).
Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung hinsichtlich einer Unbilligkeit im Sinne des § 183 Abs. 1 NÖ AO 1977 darauf, daß eine in diesem Sinne "unzumutbare Härte" deshalb nicht vorliege, weil der Beschwerdeführer, obwohl ihm verwertbares Vermögen nicht zur Verfügung stehe, in der Lage gewesen sei, aus seinem laufenden Einkommen ein Darlehen von S 540.000,-- im Jahre 1988 durch monatliche Zahlungen von S 6.155,-- und am 24. Jänner 1991 und 1. März 1991 durch Zahlungen von jeweils S 3.134,-- sowie am 13. März 1991 durch eine letztmalige Zahlung von S 8.816,-- zu tilgen.
In der Beschwerde wird dem insoweit entgegengetreten, der Beschwerdeführer habe seinen Bausparkassenkredit nur dadurch tilgen können, weil ihm - wie er der Behörde mitgeteilt habe - dazu eine betraglich gerade ausreichende Abfertigungszahlung (aus seinem beendeten aktiven Dienstverhältnis) zur Verfügung gestanden sei. Er habe also die Kredittilgungen keineswegs aus seinen laufenden Einkünften bestreiten können.
Diesem Vorbringen des Beschwerdeführers kann - entgegen der von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vertretenen Meinung - das aus § 41 VwGG ableitbare Neuerungsverbot nicht entgegengehalten werden. Die belangte Behörde hat entgegen der Vorschrift des § 36 Abs. 1 letzter Satz VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens insofern nicht vollständig vorgelegt, als darin weder der verfahrensgegenständliche Antrag noch sonstige Verfahrensvorgänge hinsichtlich der Offenlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers (von einer derartigen Offenlegung gehen sowohl der gemeindebehördliche als auch der angefochtene Bescheid aus) enthalten sind. Nun bestimmt § 38 Abs. 2 VwGG, daß der Verwaltungsgerichtshof, wenn die Behörde die Vorlage der Akten unterläßt und wenn er die Behörde auf diese Säumnisfolge vorher ausdrücklich hingewiesen hat, auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers erkennen kann. Hat die Behörde die Akten nur teilweise vorgelegt, kann der Verwaltungsgerichtshof, insoweit die Akten fehlen, auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers entscheiden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. April 1993, Zl. 91/17/0121, sowie die dort angeführte hg. Rechtsprechung).
Es muß daher davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer ein entsprechendes Vorbringen bereits auf Verwaltungsebene erhoben hat.
Mit diesem Vorbringen hat sich weder die Gemeindebehörde noch die belangte Vorstellungsbehörde gehörig auseinandergesetzt. Sie haben insbesondere keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen für ihre Annahme getroffen, die Tilgung eines Darlehens in der Höhe von S 540.000,-- sei aus dem "laufenden Einkommen" des Beschwerdeführers erfolgt. Derart belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, da sie diese Frage weder selbst klärte noch zum Gegenstand der Aufhebung des Gemeindebescheides machte.
Im übrigen ist hinsichtlich der "Versicherungen und Kreditverpflichtungen" zu bemerken, daß eine sich hierauf erstreckende Beurteilung nicht möglich ist, solange nicht feststeht, um welche Verpflichtungen es sich hiebei handelt.
Da die belangte Behörde schon aus den dargelegten Gründen die Rechtslage hinsichtlich der eine Rechtsvoraussetzung für eine Nachsicht gemäß § 183 Abs. 1 NÖ AO 1977 darstellenden Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.
Schlagworte
Inhalt der Vorstellungsentscheidung Aufgaben und Befugnisse der Vorstellungsbehörde Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1992170235.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
22.09.2008