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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der M in B, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Juli 1993, Zl. 4.338.622/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Nigerias, hat am 13. April 1992 beantragt, ihr Asyl zu gewähren. Anläßlich ihrer Einvernahme am 15. April 1992 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gab sie im wesentlichen an, in Nigeria keiner politischen Organisation angehört zu haben und auch nicht aus politischen oder ethnischen Gründen verfolgt worden zu sein. Durch die Behörde sei sie auch wegen ihrer christlichen Religion keinerlei Verfolgungen ausgesetzt gewesen, doch habe es "Probleme mit den Moslems" gegeben. Sie habe seit ihrer Verehelichung mit ihrem Gatten in K gewohnt. Dort sei es im Februar 1992 zwischen Moslems und Christen zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen. Dabei sei das Haus ihres Gatten von den Moslems angezündet worden, obwohl sich weder dieser noch sie selbst an den Kämpfen beteiligt hätten. Die Moslems hätten wahllos die Häuser von Christen angezündet. Aus Angst vor den Moslems und da sie in Nigeria keine Unterkunft mehr gehabt hätten, habe sich die Beschwerdeführerin mit ihrem Gatten entschlossen, Nigeria zu verlassen. Am 8. März 1992 sei sie nach Bulgarien geflogen. Da sie kein Geld mehr gehabt hätten, sei ihr Gatte in Bulgarien zurückgeblieben.
Mit Bescheid vom 6. Mai 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling sei. Dieser Bescheid wurde nach dem Akteninhalt der Beschwerdeführerin am 22. Juni 1992 zugestellt. In ihrer Berufung verwies sie auf die im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe und ergänzte ihr Vorbringen dahin, daß die Moslems, die das Haus der Beschwerdeführerin und ihres Gatten angezündet hätten, diese hätten töten wollen. Die Beschwerdeführerin habe auch keine Hilfe durch die nigerianischen Behörden oder durch die dortige Polizei erhalten, da diese auf seiten der Moslems stünden. Ihr Gatte und sie hätten die Heimat verlassen, weil sie bei einem weiteren Angriff der Moslems "sicher ums Leben gekommen wären".
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Im Vorgehen der "Moslems" sei keine den staatlichen Stellen zurechenbare Verfolgung zu erkennen. Aus dem Vorbringen in der Berufung, die Polizei und die staatlichen Behörden stünden auf Seite der Moslems, weshalb die Beschwerdeführerin keinen Schutz erhalten hätte, könne nicht der Schluß gezogen werden, daß ihr tatsächlich kein Schutz gewährt worden wäre, zumal sie einen Versuch Schutz zu erlangen, nicht einmal behauptet habe. Einer etwaigen (neuerlichen) Verfolgung durch "Moslems" hätte die Beschwerdeführerin dadurch entgehen können, daß sie die Möglichkeit der "nationalen Fluchtalternative in den christlich dominierten Süden des Landes" genutzt hätte.
Die Beschwerdeführerin bekämpft diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon ausgegangen, daß von ihr bereits das AsylG 1991 anzuwenden sei, dies im Hinblick auf die Bestimmung des § 25 Abs. 2 erster Satz dieses Gesetzes, weil das gegenständliche Asylverfahren "am bzw. nach dem 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängig war". Diese Auffassung trifft aber - wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich dargelegt hat - aufgrund der Auslegung der genannten Bestimmung sowie der des § 25 Abs. 1 erster Satz AsylG 1991 nicht zu, da das erstinstanzliche Verfahren erst durch Zustellung (Erlassung) des Bescheides am 22. Juni 1992 beendet wurde. Dies führt zwar noch nicht zwangsläufig dazu, daß die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten verletzt wurde, ist doch die belangte Behörde zu ihrer abweislichen Entscheidung deshalb gelangt, weil sie die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 AsylG 1991 verneint hat, wobei diese Bestimmung keine inhaltliche Änderung gegenüber dem nach § 1 AsylG (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention geltenden Flüchtlingsbegriff brachte. Die unrichtige Gesetzesanwendung durch die belangte Behörde wirkte sich aber dahingehend aus, daß sie der Auffassung war, sie habe gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen und sie es offenbar aus diesem Grunde unterlassen hat, dem Berufungsvorbringen durch die Aufnahme der angebotenen Beweise (neuerliche Einvernahme der Beschwerdeführerin) Rechnung zu tragen, wodurch ein wesentlicher Verfahrensmangel insoweit begründet wurde, als dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, Verfolgungen ohne staatlichen Schutz ausgesetzt gewesen zu sein, asylrechtliche Relevanz nicht abgesprochen werden kann. Zutreffend verweist in diesem Zusammenhang die Beschwerdeführerin nämlich darauf, daß aus ihrem Vorbringen, wonach die Polizei und die staatlichen Behörden auf der Seite der Moslems stünden und sie deshalb keinen Schutz erhalten hätte, nicht schon der Schluß gezogen werden könne, die Beschwerdeführerin habe nicht ausgeführt, tatsächlich keinen Schutz erhalten zu haben.
Darüber hinaus kann der Gerichtshof der Argumentation der belangten Behörde nicht folgen, eine asylrechtlich relevante Verfolgung sei "zusätzlich unglaubwürdig, habe doch die Beschwerdeführerin angegeben, weder aus politischen noch aus religiösen oder ethnischen Gründen in ihrem Heimatland einer Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein". Nach dem Akteninhalt hat nämlich die Beschwerdeführerin anläßlich ihrer Einvernahme am 15. April 1992 ausdrücklich angegeben, zwar nicht von den Behörden ihres Heimatstaates aus religiösen Gründen verfolgt zu werden, doch "Probleme mit den Moslems" zu haben; sie hat in der Folge diese "Probleme" näher dargelegt.
Zutreffend verweist die Beschwerdeführerin schließlich noch darauf, daß Verfahrensergebnisse, wonach eine inländische Fluchtalternative für die Beschwerdeführerin gegeben gewesen sei, sich dem Akt zumindest nicht ohne weiteres entnehmen lassen; die Beschwerdeführerin ist nach ihren Angaben nach den Unruhen im Februar bereits Anfang März 1992 aus Nigeria ausgereist, hat sich also offenbar selbst nicht nach dem von ihr als Fluchtgrund gewerteten Ereignis längere Zeit in einem anderen Landesteil Nigerias aufgehalten. Jedenfalls aber hätte der Beschwerdeführerin die Annahme der belangte Behörde, sie wäre in einem anderen Teil ihres Heimatlandes in Sicherheit gewesen, vorgehalten werden müssen.
Da es nicht ausgeschlossen erscheint, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, wobei auf das weitere Beschwerdevorbringen nicht näher einzugehen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Grundsätzliches zur Rechtmäßigkeit und zur Rechtsverletzungsmöglichkeit Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Parteiengehör Allgemein Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1994190246.X00Im RIS seit
27.11.2000