Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AufG 1992 §1 Abs2 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des T, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in N, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 8. November 1993, Zl. 11-F/93, betreffend Festnahme; Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Abweisung der Beschwerde, soweit sich diese gegen die Festnahme des Beschwerdeführers gemäß § 35 Z. 2 VStG richtet, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Der Beschwerdeführer, ein ungarischer Staatsangehöriger, war am 5. November 1993 um ca. 10.00 Uhr von Organen des Gendarmeriepostens Hagenbrunn (Bezirk Korneuburg) bei der Durchführung von Steinmetzarbeiten für ein näher bezeichnetes Unternehmen festgenommen und anschließend der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vorgeführt worden.
2. Die genannte Behörde hatte daraufhin mit Bescheid vom 5. November 1993 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 41 Abs. 1 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, mit Wirkung ab
10.30 Uhr die "Festnahme und Anhaltung (Schubhaft), zur weiteren Verfügung der Bezirkshauptmannschaft Tulln", angeordnet. Aufgrund dieses Bescheides war der Beschwerdeführer am selben Tag in vorläufige Verwahrung (Schubhaft) genommen worden.
3. Am 8. November 1993 erhob der Beschwerdeführer gemäß § 51 FrG Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) mit dem Begehren, die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft (die bescheidmäßige Anordnung der Schubhaft) wie auch die Festnahme durch Organe des Gendarmeriepostens Hagenbrunn aufgrund eines Festnahmeauftrages der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg für rechtswidrig zu erklären.
4. Mit Bescheid vom 8. November 1993 wies die belangte Behörde diese Beschwerde gemäß § 52 FrG als unbegründet ab und verpflichtete den Beschwerdeführer zur Erstattung des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes.
Die belangte Behörde stellte als wesentlichen Sachverhalt fest, daß der Beschwerdeführer am Anfang des Jahres 1992 ausschließlich zum Zweck der Arbeitsaufnahme in das Bundesgebiet eingereist sei und zuletzt in A, gemeldet gewesen sei. Er sei vor seiner Einreise in Ungarn bei der Tochtergesellschaft einer namentlich genannten Gesellschaft mbH als Arbeiter beschäftigt gewesen. Nachdem diese Gesellschaft im Jahr 1992 ihre Tätigkeit in Österreich aufgenommen habe, sei der Beschwerdeführer aufgrund des Gesellschaftsvertrages als atypischer stiller Gesellschafter an dem Unternehmen beteiligt. Seit 20. Jänner 1992 habe er auf verschiedenen Baustellen, und zwar gegen ein monatliches Entgelt von S 8.000,--, für die Gesellschaft Arbeiten verrichtet. Am 5. November 1993 sei er in der Betriebsstätte der Gesellschaft in Hagenbrunn bei der Verrichtung von Schleifarbeiten betreten, gemäß § 35 lit. b und § 36 VStG festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vorgeführt worden. Diese Behörde habe sodann bescheidmäßig die Schubhaft über den Beschwerdeführer verhängt und ihn zur Verfügung der Bezirkshauptmannschaft Tulln überstellt; letztere bereite die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer und seine Abschiebung vor.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Soweit sich das Vorbringen des Beschwerdeführers gegen den Festnahmeauftrag der BH Korneuburg nach den Bestimmungen des FrG richte, sei festzuhalten, daß ein solcher Auftrag nicht erteilt worden sei. Die Festnahme sei aus dem Grund der §§ 35 lit. b und 36 VStG erfolgt, sohin als Maßnahme im Verwaltungsstrafverfahren. Da weder ein Festnahmeauftrag nach dem FrG erteilt noch die Festnahme am Ort der Betretung nach den Bestimmungen des FrG vorgenommen worden sei, seien die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen und die damit in Zusammenhang stehenden Beweisanträge obsolet; es erübrige sich daher, darauf näher einzugehen.
Was die Voraussetzungen des § 41 FrG für die Verhängung der Schubhaft anlange, so seien diese im Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides wie auch im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer bzw. zur Sicherung seiner Abschiebung vorgelegen. Dazu sei festzuhalten, daß der Beschwerdeführer lediglich zur illegalen Arbeitsaufnahme nach Österreich eingereist sei, weshalb Grund zur Annahme bestehe, daß er bei Belassung auf freiem Fuß für die Dauer des Verfahrens zur Erlassung und Durchsetzung des über ihn zu verhängenden Aufenthaltsverbotes in Österreich untertauchen, seine illegale Tätigkeit fortsetzen und einem an ihn zu richtenden Auftrag zur Ausreise nicht Folge leisten werde.
5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
6. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers, der von einem seiner Festnahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zugrunde gelegenen Festnahmeauftrag seitens der BH Korneuburg ausgegangen ist und diesen in seiner Beschwerde an die belangte Behörde (wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 FrG) als rechtswidrig bekämpft hat, vertritt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausdrücklich die Auffassung, daß für die Festnahme des Beschwerdeführers an seinem Arbeitsplatz weder ein Festnahmeauftrag nach dem FrG erteilt worden sei noch daß jene "am Ort der Betretung nach den Bestimmungen des FrG" erfolgt sei; vielmehr habe sich die Festnahme auf die §§ 35 lit. b und 36 VStG gestützt und sei "sohin als Maßnahme im Verwaltungsstrafverfahren" vorgenommen worden.
1.2. Nach § 35 Z. 2 VStG dürfen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn begründeter Verdacht besteht, daß der Betretene sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde.
Da die belangte Behörde vorliegend gerade nicht einen "gesetzlich besonders geregelten Fall" für die Zulässigkeit einer Festnahme (wie etwa jenen nach § 85 Abs. 2 FrG) angenommen hat, hätte sie darzulegen gehabt, bei der Begehung welchen Deliktes der Beschwerdeführer auf frischer Tat betreten wurde und in bezug auf welches Delikt der begründete Verdacht bestand, er werde sich der Strafverfolgung entziehen. Die belangte Behörde ist dieser Verpflichtung nicht nachgekommen; der Hinweis, es habe sich bei der besagten Festnahme um eine Maßnahme "im Verwaltungsstrafverfahren" gehandelt, ist inhaltsleer und gibt in keiner Weise Aufschluß darüber, welche strafbare Handlung des Beschwerdeführers zum Gegenstand eines Verwaltungsstrafverfahrens gemacht werden sollte. Darüber, daß der Beschwerdeführer überhaupt bei einer Straftat betreten wurde, die eine Festnahme gemäß § 35 Z. 2 VStG gerechtfertigt hätte, liefert auch der Inhalt der Verwaltungsakten keinen Anhaltspunkt. Sollte die belangte Behörde indes darin, daß der Beschwerdeführer bei einer Beschäftigung betreten worden sei, welche er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen (s. S. 2 der Bescheidbegründung), die zu einer Festnahme nach § 35 Z. 2 VStG berechtigende strafbare Handlung des Beschwerdeführers erblickt haben, so hätte sie dabei verkannt, daß sich insoweit der Beschwerdeführer keines Deliktes schuldig gemacht hat (s. § 28 Abs. 2 Z. 1 lit. a AuslBG).
1.3. Die Abweisung der Beschwerde im Umfang der Bekämpfung der Festnahme nach § 35 Z. 2 VStG war demnach rechtswidrig.
2.1. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, sie habe sich mit seinem Vorbringen (in der an sie gerichteten Beschwerde), die BH Korneuburg sei zur Verhängung der Schubhaft nicht zuständig gewesen, nicht auseinandergesetzt. Im Grunde des § 67 Abs. 1 FrG ("Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens") wäre ausschließlich die BH Tulln zuständig gewesen, da der Beschwerdeführer dort bereits im Jahr 1992 einen Sichtvermerksantrag gestellt habe.
2.2. Dieser Einwand ist verfehlt. Gemäß § 67 Abs. 2 FrG - diese Bestimmung und nicht die des § 67 Abs. 1 leg. cit. ist hier maßgeblich - richtet sich die örtliche Zuständigkeit (u.a.) zur Verhängung der Schubhaft nach dem Aufenthalt. Dieser ist dort, wo sich eine Person tatsächlich befindet, gleichgültig ob erlaubt oder unerlaubt, ob freiwillig oder unfreiwillig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zl. 93/18/0069). Der Aufenthalt des Beschwerdeführers zur Zeit der Erlassung des Schubhaftbescheides vom 5. November 1993 war in der Justizanstalt beim LG Korneuburg. Damit aber war die örtliche Zuständigkeit der BH Korneuburg zur Verhängung der Schubhaft über den Beschwerdeführer gegeben.
3.1. Nach Ansicht des Beschwerdeführers war die Anordnung der Schubhaft und seine Anhaltung in derselben rechtswidrig, weil "nach den gesamten Verfahrensergebnissen" eine Notwendigkeit für diese Maßnahme i.S. des § 41 Abs. 1 FrG nicht bestanden habe. Für die Annahme, der Beschwerdeführer könnte in Österreich untertauchen und so die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes verhindern, fehle es an jedem Tatsachensubstrat; es handle sich um eine bloße Mutmaßung.
3.2. Unter Zugrundelegung der eigenen Angaben des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde an die belangte Behörde (wiederholt in der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde) besteht kein Zweifel, daß er sich - entgegen seiner Meinung - zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides am 5. November 1993 nicht rechtmäßig in Österreich aufhielt. Der Beschwerdeführer hätte nämlich seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes (BGBl. Nr. 466/1992) mit 1. Juli 1993 (§ 15 Abs. 1 leg. cit.) im Hinblick auf § 1 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. (Aufenthalt zur Ausübung einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit) einer Bewilligung gemäß § 1 dieses Gesetzes bedurft, um seinen Aufenthalt zu einem rechtmäßigen zu machen. Wenn aber (schon) der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich unrechtmäßig war, dann war er auch rechtens nicht in der Lage, hier erlaubt einer Beschäftigung nachzugehen.
Von daher gesehen kann der Annahme der belangten Behörde, es bestehe die Gefahr, daß der Beschwerdeführer bei Belassen auf freiem Fuß untertauchen und seine illegale Tätigkeit fortsetzen werde, nicht entgegengetreten werden, hat doch der Beschwerdeführer nie auch nur behauptet, daß er die Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes in Österreich auf andere Weise als durch die Ausübung einer Beschäftigung beschaffen könnte. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers stand der besagten Annahme keineswegs entgegen, daß er vor Verhängung der Schubhaft nie Anstalten unternommen habe, unterzutauchen, sondern im Gegenteil stets mit der Fremdenbehörde kooperiert habe (im Rahmen des Sichtvermerksverfahrens und eines Strafverfahrens nach dem FrG), ist doch nicht zu erkennen, daß und weshalb der Beschwerdeführer auch im Rahmen eines gegen ihn gerichteten Aufenthaltsverbotsverfahrens mit der Behörde "kooperieren" würde.
3.3. Da somit die belangte Behörde die Verhängung der Schubhaft und auch die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft zu Recht als notwendig erachtet hat, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer bis zum Eintritt der Durchsetzbarkeit zu sichern - nicht auch, wie im angefochtenen Bescheid irrigerweise angenommen, zur Sicherung der Abschiebung, setzt doch diese ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot voraus -, liegt insoweit die in der Beschwerde behauptete Rechtswidrigkeit nicht vor.
4. Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist der Verfahrensrüge betreffend unzureichende Sachverhaltsermittlungen und -feststellungen in bezug auf das Vorliegen der Notwendigkeit i.S. des § 41 Abs. 1 FrG der Boden entzogen.
5. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid insoweit, als mit ihm die Beschwerde im Umfang der Bekämpfung der Festnahme des Beschwerdeführers gemäß § 35 Z. 2 VStG als unbegründet abgewiesen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß lediglich über eine Beschwerde zu entscheiden war und der hiefür zustehende Schriftsatzaufwand in der genannten Verordnung mit S 11.120,-- pauschaliert ist.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993180624.X00Im RIS seit
02.05.2001