TE Vwgh Erkenntnis 1994/5/24 93/04/0113

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Veröffentlicht am 24.05.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
GewO 1973 §198 Abs5 idF 1988/399;
GewO 1973 §198 Abs5;
GewO 1973 §74 Abs3 impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissärin Mag. Paliege, über die Beschwerde der B Ges.m.b.H. in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. Mai 1993, Zl. MA 63 - B 668/92, betreffend Vorschreibung einer früheren Sperrstunde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem in der gegenständlichen Verwaltungssache im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. Mai 1993 wurde für den Gastgewerbebetrieb der Beschwerdeführerin in der Betriebsart eines Kaffeerestaurants in Wien, T-Gasse 11 "die Vorverlegung der Sperrstunde von 2.00 Uhr auf 24.00 Uhr nur jeweils für die Nächte von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag in den Monaten Juli und August" vorgeschrieben. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die für das Gastgewerbe in der Betriebsart eines Kaffeerestaurants im Standort Wien, T-Gasse 11 festgesetzte gesetzliche Sperrstunde betrage 2.00 Uhr. Auf Grund der - im angefochtenen Bescheid vollinhaltlich wiedergegebenen - Niederschriften über die bei den Mietern des Hauses Wien, K-Gasse 7/6 durchgeführten Schallpegelmessungen "betreffend Freitag, den 5. Dezember 1991, von 23.45 Uhr bis 3.00 Uhr" (offensichtlich die Nacht von Donnerstag auf Freitag), "betreffend 6. Dezember 1991, von 23.30 Uhr bis 0.30 Uhr" (offensichtlich die Nacht von Freitag auf Samstag), "betreffend Samstag, den 11. Juli 1992, von 0.00 Uhr bis 2.30 Uhr", "betreffend Mittwoch, den 22. Juli 1992, von 23.30 Uhr bis 3.00 Uhr" (offensichtlich die Nacht von Dienstag auf Mittwoch), "betreffend Samstag, den 15. August 1992, von 0.00 Uhr bis 2.00 Uhr" und "betreffend Mittwoch, den 19. August 1992, von 0.15 Uhr bis 2.00 Uhr" und der daraus von den Amtssachverständigen gezogenen technischen und medizinischen Schlußfolgerungen führte die belangte Behörde weiters aus, daß der von der Behörde erster Instanz gewählten Meßstelle nicht die Bindungswirkung ihres Bescheides vom 13. September 1991 gemäß § 66 Abs. 2 AVG entgegenstehe. Bei den Mietern des Hauses Wien, K-Gasse 7 handle es sich im Hinblick auf die Möglichkeit der Belästigung durch die Betriebsanlage der Beschwerdeführerin um Nachbarschaft im Sinne des § 198 Abs. 5 GewO 1973. Die Ermittlungen der Behörde erster Instanz seien entsprechend den von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Vorgaben erfolgt. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, der Lärm sei nicht unmittelbar vor der Betriebsanlage gemessen worden, entspreche - mit Ausnahme der Abfahrten von PKWs und Motorrädern und des Zuschlagens der Autotüren - nicht den Tatsachen. In der Niederschrift über die Schallpegelmessung vom 11. Juli 1992 werde festgehalten, daß die Unterhaltung der Gäste, solange sich diese im Bereich direkt vor dem Lokal befunden hätten, am stärksten empfunden worden sei, zumal sich die Meßstelle unmittelbar gegenüber dem Lokal befunden habe und daher der Abstand der Gäste zur Wohnung in jenem Moment am kürzesten gewesen sei, in dem sie sich vor dem Lokal befunden hätten. Dies bedeute, daß die Störgeräusche der Gäste dann am lautesten gewesen seien, wenn sich diese direkt vor dem Lokal aufgehalten hätten und seien damit auch die Fahrbewegungen der Fahrzeuge vor dem Lokal am lautesten wahrnehmbar. Somit seien jene Störgeräusche, die direkt (unmittelbar) vor der Betriebsanlage verursacht worden seien, gemessen worden. Es erübrige sich daher darauf einzugehen, ob unter "unmittelbar vor der Betriebsanlage" nur jener Bereich zu verstehen sei, welcher durch die seitlichen Begrenzungen der Front einer Betriebsanlage zum einen und durch die gegenüberliegende Straßenseite zum anderen begrenzt sei, oder ob darunter die gesamte Hausfront jenes Hauses, in welchem der Gastgewerbebetrieb etabliert sei, bis zum gegenüberliegenden Gehsteig zu verstehen sei. Allein aus dem Umstand, daß in den Niederschriften regelmäßig eine runde Anzahl an Personen angeführt werde, welche die Betriebsanlage betreten bzw. verlassen hätten, könne nicht geschlossen werden, daß die Amtssachverständigen falsche Tatsachen festgestellt bzw. protokolliert hätten. Das Verhalten der Gäste, welches bei der Schallpegelmessung erfaßt worden sei, sei in den Niederschriften genau beschrieben worden. Damit werde der Behörde ermöglicht jedes einzelne beschriebene Verhalten auf seine strafrechtliche Relevanz zu prüfen. Es finde sich kein Anhaltspunkt dafür, daß das Vorbeifahren am Lokal sowie das Gehen zum und vom Lokal, das Unterhalten, das Lachen und das Zurufen vor dem Lokal sowie die Musik aus dem Lokal dem Tatbestand des Art. VIII EGVG zu unterstellen wäre. In der Niederschrift über die Schallpegelmessung vom 15. August 1992 werde sogar dezidiert von einem disziplinierten Verhalten der Gäste vor dem Lokal gesprochen. Beurteile man die örtliche Situation ohne den gegenständlichen Gastgewerbebetrieb, so ergäben sich Störgeräusche nur im Zusammenhang mit dem Fahrzeugverkehr, wobei unter Berücksichtigung der eindeutig den Gästen zuzurechnenden Fahrbewegungen die Verkehrsfrequenz im Winter etwa 50 Fahrbewegungen pro Stunde und im Sommer etwa 10 bis 15 Fahrbewegungen mehr betrage. Diese Verkehrsdichte entspreche der typischen Größenordnung für untergeordnete Straßen im städtischen Wohngebiet und seien die durch den Fahrzeugverkehr verursachten Störungen auch aufgrund der längeren Pausen zwischen den einzelnen Fahrbewegungen von geringer Auffälligkeit. Die Störgeräusche der durchfahrenden PKWs seien durchschnittlich mit 51 dB (A-bew) bis 60 dB (A-bew) gemessen worden. Die Zu- und Abfahrten mit Personenkraftwagen und Motorrädern sowie das Zuschlagen von Fahrzeugtüren seien zwar teilweise unmittelbar im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Gastgewerbebetrieb zu bringen, jedoch nicht als betriebskausal zu werten, da im Hinblick auf die Bestimmung des § 198 Abs. 5 GewO 1973 die örtlichen Verhältnisse, welche auf eine Veränderung durch einen Gastgewerbebetrieb zu untersuchen seien, auf den Bereich unmittelbar vor der Betriebsanlage beschränkt seien. Die Messung dieser Geräusche habe Werte bis zu 70 dB (A-bew) ergeben. Aber auch bezüglich dieser Störgeräusche sei zu berücksichtigen, daß sie nicht ständig, sondern nur sporadisch aufträten. Die Störgeräusche, welche ausschließlich auf den Betrieb des Lokales der Beschwerdeführerin zurückzuführen seien, seien jedenfalls das Sprechen, Lachen und das Zurufen der Gäste unmittelbar vor der Betriebsanlage sowie das Gehen zum und vom Lokal. Dieses Verhalten der Gäste werde durchschnittlich mit 50 dB (A-bew) bis 55 dB (A-bew) und mit Spitzen bis 69 dB (A-bew) gemessen. Der durch Gäste verursachte Fahrzeugverkehr habe durchschnittlich 10 Fahrbewegungen betragen. Für die Beurteilung, ob die Nachbarschaft wiederholt durch ein nicht strafbares Verhalten von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage des Gastgewerbebetreibenden unzumutbar belästigt werde, sei daher im vorliegenden Fall von dem Verhalten vor dem Lokal jener Personen auszugehen, die Gäste gewesen seien oder Gäste werden wollten. Weiters seien auch die Fahrbewegungen der Gäste des Lokales zu berücksichtigen, da ohne den Gastgewerbebetrieb der Beschwerdeführerin die Fahrbewegungen geringer wären. Nicht zu berücksichtigen seien hingegen die Abfahrbewegungen sowie das Starten und das Zuschlagen von Fahrzeugtüren, da sich diese Vorgänge auf Grund der Niederschriften nicht dem Bereich "unmittelbar vor der Betriebsanlage" zuordnen ließen. Aus den Meßergebnissen sei ableitbar, daß das relevante Verhalten von Gästen jahreszeitlich bedingt unterschiedlich sei und die Störgeräusche auch von der Frequenz der Besucher abhängig sei. Bei den Schallpegelmessungen am Wochenende im Juli und August hätte sich ständig eine größere Anzahl von Gästen vor dem Lokal aufgehalten, die Gäste seien während des Lokalbesuches, offensichtlich auch zu "Lüftungszwecken", immer wieder auf die T-Gasse gegangen und hätten sich dabei auch unterhalten. Demnach habe im Bereich vor dem Lokal nie Ruhe geherrscht. Das Ergebnis der Messungen am Mittwoch im Juli und August sei unterschiedlich gewesen; einmal sei eine unzumutbare Belästigung der Nachbarn, einmal keinerlei Belästigung festgestellt worden. Die Störgeräusche, die durch die Gespräche, das Lachen und Zurufen bei den Nachbarn ständig einwirkten, führten nach den schlüssigen Feststellungen des medizinischen Sachverständigen aufgrund der Meßergebnisse infolge ihrer Intensität, ihres impulsartigen Charakters und ihres Informationsgehaltes zu Störungen des Schlafes in allen seinen Qualitäten (Einschlafen, Durchschlafen, Schlaftiefe). Die Folgen seien Beeinträchtigungen von vegetativen Organen und Organsystemen (z.B. Magen-Darmstörungen, Blutdruckschwankungen, etc.). Auch führe chronischer Schlafentzug zu psychischen und physischen Erschöpfungszuständen. Der vermehrte Individualverkehr und der nur sporadisch auftretende Gästelärm im Dezember seien hingegen vom medizinischen Sachverständigen nicht als gesundheitsgefährdend qualifiziert worden. Durch die sehr hohe Personenfrequenz und das dauernde Verweilen der Personen vor dem Lokal und der ungünstig wirkenden Informations- und Impulshaftigkeit der durch diese verursachten Geräusche, welche insgesamt kein strafbares Verhalten darstellten, werde die Nachbarschaft zumindest nach 24 Uhr unzumutbar belästigt. Daß teilweise die Störgeräusche durch das Starten der Fahrzeuge bzw. Motorräder und das Zuschlagen der Türen höher seien als durch das Sprechen, Lachen und das Zurufen der Gäste der Beschwerdeführerin vermöge an dieser Beurteilung nichts zu ändern, da die Unzumutbarkeit von Störgeräuschen nicht alleine aus der Pegeldifferenz vom Grundgeräuschpegel (im vorliegenden Fall 37 bzw. 38 dB (A-bew)) resultiere, sondern andere Kriterien, wie Häufigkeit der Störgeräusche (Vervielfachung der Störereignisse) sowie die Bewertung nach subjektiven Kriterien (Informationsgehalt, zwangsläufige Aufmerksamkeit, Zuwendung) maßgebender seien. Da der dauernde Aufenthalt von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage und das dabei geübte Verhalten, welches die Nachbarschaft unzumutbar belästige, nur während der wärmeren Jahreszeit auftrete und außerdem von der Besucherfrequenz abhänge, seien die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 198 Abs. 5 GewO 1973 nicht für das ganze Jahr und alle Wochentage gegeben. Im Hinblick auf die Messungen am Wochenende im Juli und August und die während dieser Monate herrschenden konstanten klimatischen Verhältnisse sowie vergleichbare Gästefrequenz an Freitagen und Samstagen müsse angenommen werden, daß es jedenfalls an Freitagen und Samstagen in der Zeit vom 1. Juli bis einschließlich 31. August zu einem vermehrten Aufenthalt von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage und dem beschriebenen belästigenden Verhalten komme. Da in den übrigen Monaten der warmen Jahreszeit (Mai, Juni und September) keinerlei Ermittlungen durchgeführt worden seien und auch für Wochentage im Juli und August keine einheitlichen, aussagekräftigen Ergebnisse vorlägen, fehle es an konkreten Tatsachen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 198 Abs. 5 GewO 1973 auch während dieser Monate und an allen Tagen der Woche. Demnach sei auch das von der Beschwerdeführerin nachgereichte Privatgutachten der physikalisch-technischen Versuchsanstalt für Wärme- und Schalltechnik vom 14. Juni 1991 nicht von verfahrensentscheidender Bedeutung, zumal die in diesem ausgewiesene Schallpegelmessung auch nur während der kalten Jahreszeit vorgenommen worden sei. Auf Grund des vorliegenden Ermittlungsergebnisses sei daher die Vorschreibung einer früheren Sperrstunde nur für die Nächte von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag in der Zeit vom 1. Juli bis einschließlich 31. August gerechtfertigt. Im Hinblick auf die der Behörde vorliegenden sehr detaillierten Erhebungsergebnisse und die auf diesen aufbauenden und nachvollziehbaren begründenden Gutachten der Amtssachverständigen, deren Schlüssigkeit auch durch die Berufungsausführungen nicht in Frage gestellt habe werden können, sei es entbehrlich, der Beschwerdeführerin eine Frist zur Nachreichung eines weiteren Privatgutachtens einzuräumen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich ihrem gesamten Vorbringen zufolge in dem gesetzlich gewährleisteten Recht verletzt, daß die Sperrstunde des gegenständlichen Gastgewerbebetriebes nicht von 2.00 Uhr auf 24.00 Uhr für die Nächte von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag in den Monaten Juli und August vorverlegt wird. Die Beschwerdeführerin bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - zusammengefaßt - vor, der angefochtene Bescheid sei im fortgesetzten Verfahren nach dem auf § 66 Abs. 2 AVG gestützten Zurückverweisungsbescheid der belangten Behörde vom 13. September 1991 ergangen, in welchem diese bindend festgestellt habe, daß eine neuerliche Entscheidung in der Sache nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu ergehen habe und als geeignete Meßstellen für Lärmmessungen nur Aufenthaltsräume und Wohnungen in der Königsklostergasse 6 in Frage kämen. In der Annahme, die belangte Behörde werde - der bestehenden Bindungswirkung Rechnung tragend - eine mündliche Verhandlung durchführen, habe die Beschwerdeführerin keine gesonderten Einwendungen gegen die Niederschrift vom 14. Mai 1993, welche das Verhandlungsergebnis nicht richtig und vollständig wiedergebe, erhoben. Ungeachtet der Tatsache, daß die belangte Behörde im vorerwähnten Aufhebungsbescheid eine bindende Festlegung des Meßstandortes ausgesprochen, sich jedoch darüber hinweggesetzt habe, habe die Beschwerdeführerin - entgegen den Ausführungen der belangten Behörde - die Nachbareigenschaft der Bewohner des Hauses K-Gasse 7 in Abrede gestellt, da dieses Haus, wie auch aus der planlichen Darstellung in dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Gutachten der Versuchsanstalt für Wärme- und Schalltechnik am technologischen Gewerbemuseum ersichtlich sei, mit seiner Front zur K-Gasse hinweise, während die Lokalität in der T-Gasse eben durch dieses Objekt K-Gasse 7 abgedeckt werde. Das als geeigneter Meßpunkt genannte Objekt K-Gasse 6 liege gegenüber dem Haus K-Gasse 7 und habe Sichtkontakt zum Betriebsstandort. Die belangte Behörde lege auch nicht näher dar, warum sie zum Ergebnis gelange, daß auch die Bewohner des Objektes K-Gasse 7 als Nachbarschaft für die Anwendung des § 198 Abs. 5 GewO 1973 in Betracht zu ziehen seien. Obwohl die belangte Behörde eine Vorverlegung der Sperrstunde von 2.00 Uhr auf 24.00 Uhr für die Nächte von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag in den Monaten Juli und August verfügt habe, geben die Messungen vom Juli und August 1992 - soweit sie nicht einen Mittwoch betreffen - ausschließlich Aussagen über die Nacht von Freitag auf Samstag wieder; Messungen für die Nacht von Samstag auf Sonntag seien keine durchgeführt worden. Die belangte Behörde begründe auch nicht näher, warum sie zur Ansicht gelange, daß auch für diese Nächte eine Vorverlegung der Sperrstunde trotz fehlender objektivierbarer Beweise gegen sie gerechtfertigt sei. Obwohl das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Gutachten der physikalisch-technischen Versuchsanstalt für Wärme- und Schalltechnik von einem Grundgeräuschpegel von 45 bis 51 dB ausgehe, komme die belangte Behörde zu einem Grundgeräuschpegel von 37 bzw. 38 dB (A-bew), ohne diesen Widerspruch jedoch aufzuklären bzw. zu begründen. Der angefochtene Bescheid trage als Datum der Willensbildung den 18. Mai 1993. Tatsächlich habe die belangte Behörde aber Ermittlungsergebnisse vom 25. Mai 1993 berücksichtigt. Der angefochtene Bescheid sei daher auch insofern rechtswidrig, als er nicht das für die Willensbildung maßgebliche richtige Datum zu erkennen gebe. Die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Niederschriften über die Meßergebnisse hätten unzweideutig ergeben, daß es in der T-Gasse einen sehr erheblichen Durchzugsverkehr gebe, was insbesondere auch durch die Gutachtensergebnisse, die die Beschwerdeführerin mit der Eingabe vom 25. Mai 1993 vorgelegt habe, bestätigt werde. Daher bestehe ein erheblicher Dauerschallpegel, dessen Messung jedoch den Niederschriften, die dem angefochtenen Bescheid als lärmtechnische Gutachten zugrundelägen, nicht zu entnehmen sei. Gerade die von der belangten Behörde angestellten Überlegungen über die spezifisch der Betriebsanlage der Beschwerdeführerin zuzurechnenden Lärmbeeinträchtigungen setze aber zwangsläufig eine Gegenüberstellung zu dem für die örtlichen Verhältnisse von vornherein maßgeblichen Dauerschallpegel voraus. Dies habe jedoch die belangte Behörde ungeachtet des entsprechenden Berufungsvorbringens nicht releviert und auch keinerlei Messungen dahingehend durchgeführt. Es widerspreche den Erfahrungen des täglichen Lebens, daß innerhalb der hier relevanten Meßergebnisse jeweils eine runde Zahl von Personen wahrgenommen worden sein soll. Daß eines der an den Meßerhebungen teilnehmenden Organe permanent Personen im Auge behalten hätte, sei den Niederschriften nicht zu entnehmen und fehlten auch jegliche Zählprotokolle. In den Niederschriften scheinten vielmehr nur summarische Zahlenangaben auf. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, bei einer auf der Grundlage der allgemeinen Lebenserfahrung vorgebrachten Kritik an Begutachtungsergebnissen von Amts wegen ergänzende Ermittlungen zu pflegen, um die Schlüssigkeit eines Beweismittels überprüfen zu können. Dies umso mehr, weil der Beschwerdeführerin die Erbringung eines "Gegenbeweises" schlechterdings unmöglich sei, da die Beschwerdeführerin von den tatsächlich durchgeführten Messungen nicht informiert worden sei. Der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin habe bei der Zusammenkunft vom 14. Mai 1993 auf die nach den Umsatzergebnissen völlig unrealistischen Zahlenangaben in den Meß-Niederschriften hingewiesen. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Umsatzzahlen der betreffenden Tage ergebe sich, daß eine derartige Gästefrequenz mit rund 100 Prozent überhöht sei. Die Frage, ob ein Verhalten strafbar sei oder nicht unterliege keiner Sachverständigenbeurteilung, sondern stelle eine Rechtsfrage dar. Daher seien die dahingehenden Schlußfolgerungen in einem Meßgutachten von vorneherein als Entscheidungsgrundlage ungeeignet. Die Niederschriften enthielten Schlußfolgerungen zur verwaltungsstrafrechtlichen Qualifikation. Es fehle jedoch eine hinreichend detaillierte Beschreibung des jeweiligen Verhaltens, um daraus erst den rechtlich relevanten Schluß auf seine Strafwürdigkeit ziehen zu können. Die belangte Behörde übernehme nur die von Sachverständigenseite getroffene kursorische rechtliche Würdigung eines Verhaltens als nicht strafbar, ohne daß nachvollziehbar wäre, worin das jeweils nicht strafbare, aber unzumutbar belästigende Verhalten gelegen sein soll. Der Bescheidbegründung sei zu entnehmen, daß die am lautesten wahrgenommenen Störgeräusche einerseits von Fahrzeugen herrührten, andererseits die Zurufe, das Johlen und die Unterhaltung der Gäste dazu angetan seien, das Durchschlafen zu verhindern und zu einem "Immer-wieder-Aufwachen" führten. Eben dieses Johlen und laute Schreien sei jedoch z.B. in der Niederschrift vom 5. Juli 1989 ausdrücklich als strafbares Verhalten qualifiziert worden. Es erscheine von vorneherein ausgeschlossen, daß sich der Strafbarkeitsmaßstab seither dahingehend geändert haben sollte, daß ein solches Verhalten als üblich zu qualifizieren wäre und es stünde dies auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den einschlägigen Tatbeständen der ungebührlichen Lärmerregung. Der Wortlaut des § 198 Abs. 5 GewO 1973 lege die Annahme nahe, daß es sich bei der für ein darin geregeltes behördliches Einschreiten maßgeblichen Verhaltensweise um eine solche handeln müsse, die Personen als Gäste hervorrufen. Sowohl bevor jemand ein Gästelokal betrete wie auch hernach sei er aber nicht mehr Gast dieser Lokalität. Es sei aber weder mit dem Wortlaut der maßgeblichen Bestimmung vereinbar noch stelle es einen objektiv nachvollziehbaren Maßstab dar, auch solche Personen und ihr Verhalten als relevant anzusehen, die "Gäste werden wollten" wie dies von der belangten Behörde getan werde, da dies Ermittlungen über psychische Vorgänge in den betreffenden Personen voraussetzen würde. Die belangte Behörde setze sich auch über das gesetzliche Tatbestandselement hinweg, wonach nur ein solches Gästeverhalten, das entsprechend der hier maßgeblichen Rechtslage unmittelbar vor der Betriebsanlage gesetzt werden müsse, heranzuziehen sei. Bereits auf Grund der Erfahrungen des täglichen Lebens sei es selbstverständlich, daß auch ein besonders lautes Verhalten (z.B. Johlen und Unterhaltung der Gäste), das außerhalb dieses Bereiches gesetzt werde, zu hohen Spitzenpegeln führen könne. Spruch und Begründung des angefochtenen Bescheides stünden im Widerspruch. Während im Spruch des angefochtenen Bescheides die Sperrstunde "für die Nächte vom Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag" vorverlegt werde, gehe die belangte Behörde in der Begründung davon aus, daß eine "vergleichbare" Gästefrequenz nur an Freitagen und Samstagen angenommen werden müßte. Für Sonntag fehlten nicht nur entsprechende Meßergebnisse, sondern auch den Abspruch tragende Begründungsausführungen. Hinzu komme, daß im angefochtenen Bescheid ausgeführt werde, daß bei Schlechtwetter ein Nachbarn beeinträchtigendes Gästeverhalten von vorneherein nicht zu erwarten sei. Die Annahme, daß an allen vom Bescheidspruch erfaßten Nächten der Monate Juli und August klimatische Verhältnisse bestünden, die ein nach Annahme der belangten Behörde beeinträchtigendes Gästeverhalten erwarten ließen, entbehre jedoch nicht nur entsprechender Ermittlungen im gegenständlichen Verfahren, sondern auch einer Grundlage in den Erfahrungen des täglichen Lebens. Bekanntlich würden gerade in den Monaten Juli und August oftmals Gewitter auftreten, die ein belastendes Gästeverhalten von vorneherein ausschlössen. Dazu komme des weiteren, daß sich die Vorverlegung der Sperrstunde letztendlich nur auf zwei Wochenendmessungen stützen könne, nämlich jene vom 11. Juli 1992 und vom 15. August 1992. Bei letzterem handle es sich um einen Feiertag und ein sogenanntes langes Wochenende, das von vorneherein außerordentliche Betriebsverhältnisse gezeigt habe. Derartige Situationen träten jedoch nur ausnahmsweise auf. Das Gesetz fordere jedoch, daß die Nachbarschaft wiederholt unzumutbar belästigt sein müsse. Davon könne aber bei den für den Bescheidspruch maßgeblichen Ermittlungsergebnissen keine Rede sein.

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 198 Abs. 5 GewO 1973 - in der im Beschwerdefall im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides anzuwendenden Fassung vor der Gewerberechtsnovelle 1992, BGBl. Nr. 29/1993 - hat die Gemeinde, wenn die Nachbarschaft wiederholt durch ein nicht strafbares Verhalten von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage des Gastgewerbetreibenden unzumutbar belästigt wurde, oder wenn sicherheitspolizeiliche Bedenken bestehen, eine spätere Aufsperrstunde oder eine frühere Sperrstunde vorzuschreiben.

Dem Tatbestandsmerkmal der "unzumutbaren Belästigung" im Sinne des § 198 Abs. 5 GewO 1973 kann hiebei keine im wesentlichen andere Bedeutung beigelegt werden als dem Begriff der unzumutbaren Belästigung im Sinne der für die Betriebsanlagen geltenden Vorschriften (§ 77 Abs. 1 und § 84 GewO 1973), wobei die Frage der Zumutbarkeit einer durch die Ausübung eines Gastgewerbes bewirkten Störung der Nachbarschaft mangels einer weiteren gesetzlichen Determinierung ausschließlich unter Bedachtnahme auf die gegebenen örtlichen Verhältnisse zu beantworten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1993, Zl. 93/04/0052, AW 93/04/0011, und die dort zitierte weitere Judikatur). Ein weiteres essentielles Tatbestandsmerkmal im Sinne dieser Bestimmung bildet der Umstand, daß diese unzumutbare Belästigung durch "ein nicht strafbares Verhalten von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlange des Gastgebwerbetreibenden" hervorgerufen wurde und weiters, daß eine derartige unzumutbare Belästigung "wiederholt" erfolgte.

Der Verwaltungsbehörde obliegt es daher, in dem von ihr durchgeführten Verfahren festzustellen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem Tatbestand einer derart qualifizierten wiederholten unzumutbaren Belästigung der Nachbarschaft entspricht. Die entsprechenden Ermittlungen sind an Ort und Stelle, d.h. bei der im Immissionsbereich liegenden Nachbarschaft, vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1991, Zl. 90/04/0313).

Soweit sich die Beschwerdeführerin darauf beruft, die von der Verwaltungsbehörde erster Instanz zur Durchführung der Lärmmessungen gewählte Wohnung im Haus K-Gasse 7 läge nicht im Immissionsbereich der Nachbarschaft im Sinne der vordargestellten Rechtslage, ist dies für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, da nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid die Messung in einem straßenseitigen Kabinett bei offenem Fenster stattgefunden hat, von welchem aus sowohl die Eingangssituation der gegenständlichen Betriebsanlage wie auch die Gesamtverkehrssituation in der Theobaldgasse klar übersehbar war. Auch stand der gemäß § 66 Abs. 2 AVG von der belangten Behörde erlassene Zurückverweisungsbescheid vom 13. September 1991 der Durchführung der Lärmmessung in dieser Wohnung nicht entgegen, da die Ausführungen der belangten Behörde in diesem Bescheid, welche Objekte als geeignete Meßstellen in Betracht kommen, keine tragenden Gründe darstellen, welchen eine bindende Wirkung im Sinne der Beschwerdeausführungen beigemessen werden könnte.

Entscheidendes Kriterium für eine Maßnahme nach § 198 Abs. 5 GewO 1973 ist - wie oben ausgeführt - nicht (schlechthin) die Vermeidung einer unzumutbaren Belästigung der Nachbarschaft oder die Begegnung dahingehender Bedenken, sondern daß die unzumutbare Belästigung durch "ein nicht strafbares Verhalten von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage des Gastgewerbetreibenden" hervorgerufen wurde, und weiters, daß diese "wiederholt" erfolgte; lediglich im Hinblick auf die festgestellten (tatbestandsbegründenden) Sachverhaltsumstände hat die Behörde eine - durch diese Sachverhaltsumstände bestimmte - frühere Sperrstunde (oder spätere Aufsperrstunde) vorzuschreiben. Hiebei hat sie zu berücksichtigen, daß die rechtserhebliche Kausalität der Gewerbeausübung für die Belästigung jedenfalls auch dann anzunehmen ist, wenn das Verhalten der Gäste unmittelbar vor und nach dem Lokalbesuch zu einer Beeinträchtigung der Nachbarschaft führt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/04/0058).

Im Verfahren nach § 198 Abs. 5 GewO 1973 hat die Behörde ihre Ermittlungen und Messungen in Ansehung der von ihr als relevant angesehenen Lärmeinwirkungen bei der im Emissionsbereich liegenden Nachbarschaft vorzunehmen und des weiteren im gegebenen Zusammenhang auch anhand konkreter, hiefür geeigneter Sachverhaltsfeststellungen in rechtlicher Hinsicht darzulegen, inwiefern die von ihr angenommene wiederholte "unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft" auf ein nicht strafbares Verhalten von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage der Beschwerdeführerin ursächlich zurückzuführen ist. Hiebei ist insbesonders auch auf die entsprechenden Bestimmungen der Landespolizeigesetze zur Abgrenzung der strafbaren von nicht strafbaren Verhalten Bedacht zu nehmen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Februar 1991, Zl. 90/04/0313 und vom 19. Mai 1992, Zl. 92/04/0018).

Die belangte Behörde erachtete die Störgeräusche, welche ausschließlich auf den Betrieb des Lokales der Beschwerdeführerin zurückzuführen sind, wie Sprechen, Lachen und Zurufen der Gäste unmittelbar vor der Betriebsanlage sowie das Gehen zum und vom Lokal als eine solche unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft im Sinne des § 198 Abs. 5 GewO 1973, welche zur Vorverlegung der Sperrstunde führte. Der medizinische Sachverständige bewertete im Zusammenhang mit der festgestellten Schallpegelmessung am 19. August 1992 die Zurufe, das Johlen und die Unterhaltung der Gäste als am lautesten wahrgenommene Störgeräusche, die dazu angetan seien, das Durchschlafen zu verhindern und zu einem "Immer-wieder-Aufwachen" führten. In diesem Zusammenhang fehlen Begründungsdarlegungen im angefochtenen Bescheid, die in einer für den Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbaren Weise die Annahme der belangten Behörde, hiebei handle es sich um ein nicht strafbares Verhalten von Gästen, rechtfertigen.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher - ohne daß sich das Erfordernis einer Erörterung der in der Beschwerde erhobenen weiteren Verfahrensrügen ergab - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer Sachverständiger Beweismittel Sachverständigenbeweis Technischer Sachverständiger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993040113.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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