Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
EGVG Art9 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der M in B, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 15. Februar 1993, Zl. St 4-3/93, betreffend Übertretung des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Beschwerdeführerin einer Verwaltungsübertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG schuldig erkannt, weil sie durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet gewesen sei und das bei Teilnehmern an der "Bruderschaftsfeier" bzw. bei Zuschauern auch tatsächlich Ärgernis erregt habe, wobei diese teilweise ihren Ärger gegenüber der Gendarmerie auch kundgetan hätten, die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört, indem sie gemeinsam mit anderen (namentlich genannten) Personen am 29. Juli 1990 um ca. 12.00 Uhr in St. Christoph a.A. im Rahmen der "Bruderschaftsfeier" am Beginn der Autoweihe durch den Abt des Stiftes Stams, als dieser vom Parkplatz des Hotels "Hospiz" zur Autoweihe in die B 197 hätte einfahren wollen, die Autoweihe gestört habe, indem sie sich mit anderen Gleichgesinnten vor das Auto des Abtes gestellt habe, um das Einfahren des Autos in die B 197 zu verhindern, was letztlich aufgrund des Einschreitens der Gendarmerie zwar nicht gelungen sei, allerdings zu einer aufsehenerregenden Störung der Autoweihe geführt habe. Über die Beschwerdeführerin wurde deshalb eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Tag) verhängt.
Nach der Begründung habe die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Landeck im wesentlichen vorgebracht, die gegenständliche, gegen den Umweltschädiger bzw. Umweltzerstörer "Fahrzeugverkehr" gerichtete friedliche Protestaktion könne niemals geeignet sein, bei unbefangenen Menschen Ärgernis zu erregen. Würden derartige friedliche Protestaktionen den Tatbestand des Art. IX EGVG erfüllen, so hieße das, daß Minderheiten grundsätzlich mit Verwaltungsstrafverfahren zu rechnen hätten, wenn sie ihre Anliegen öffentlich artikulierten. Nach der genannten Bestimmung komme es darauf an, wie unbefangene Menschen auf die gegenständliche Protestaktion reagierten. Unbefangene, demokratisch gesinnte Menschen könne ein Protest der gegenständlichen Art nicht verärgern. Nicht einmal die Mehrheit der anwesenden Personen habe sich über die Protestaktion geärgert. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei nicht einmal ein "Herumschreien" unter allen Umständen geeignet, Ärgernis zu erregen und die Ordnung an öffentlichen Orten zu stören.
Demgegenüber vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß die gegenständliche "Protestaktion" geeignet sei, bei unbefangenen, rechtstreuen Durchschnittsmenschen, auch wenn diese keine "Auto- oder Fortschrittsverherrlicher" seien, Ärgernis zu erregen. Es gehe nicht darum, Meinungsäußerungen von Minderheiten zu verbieten oder hintanzuhalten, allerdings könne auch in einem demokratischen Rechtsstaat die Freiheit der Meinungsäußerung nicht schrankenlos sein, sondern müßten auch bei der Inanspruchnahme von Grundrechten gewisse Regeln eingehalten werden. Es gehe daher nicht um den Inhalt der damaligen Meinungsäußerung, sondern um die Form bzw. die Art und Weise, wie und zu welchem Zeitpunkt die Meinungsäußerung erfolgt sei. Daß sich die Mehrheit der Anwesenden bzw. Beobachter des gegenständlichen Vorfalles geärgert hätten, sei nicht Tatbestandsmerkmal des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG. Nach der von der Beschwerdeführerin angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei "Herumschreien" nicht unter allen Umständen geeignet, bei einem unbefangenen, rechtstreuen Durchschnittsmenschen Ärgernis zu erregen, das heiße, daß es - wie im Fall der Beschwerdeführerin - immer auf den konkreten Fall ankomme. Die Teilnahme an der "Protestaktion" werde von der Beschwerdeführerin selbst nicht in Abrede gestellt. Der aufgrund des Ermittlungsverfahrens als erwiesen feststehende, im Spruch festgehaltene Sachverhalt erfülle sämtliche Tatbestandsmerkmale des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 16. November 1993, B 548/93-5, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. In ihrer auftragsgemäß verbesserten Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin - ihrem gesamten Vorbringen nach - Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand nahm, hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Strafsenat erwogen:
Nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Tatbild der "Ordnungsstörung" durch zwei Elemente gekennzeichnet: Zum ersten muß der Täter ein Verhalten gesetzt haben, das objektiv geeignet ist, Ärgernis zu erregen. Zum zweiten muß durch dieses Verhalten die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört worden sein (vgl. etwa das Erkenntnis vom 9. Juli 1984, Zl. 84/10/0080).
Nach dem Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde als ordnungsstörendes Verhalten lediglich das "Vor-das-Auto des-Abtes Stellen" angenommen. Eine ins Gewicht fallende Behinderung des Ablaufes der in Rede stehenden Veranstaltung wurde von der Behörde nach dem Inhalt des Spruches hingegen nicht festgestellt. Das der Beschwerdeführerin im Spruch des angefochtenen Bescheides vorgeworfene Verhalten erfüllt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes für sich alleine - ohne eine ins Gewicht fallende Behinderung des Ablaufes der Veranstaltung - nicht die Voraussetzung des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG. Ein darüber hinausgehendes Verhalten der Beschwerdeführerin, das die Schlußfolgerung der belangten Behörde getragen hätte, es sei "zu einer (aufsehenerregenden) Störung der Autoweihe" gekommen, wurde nicht festgestellt.
Auf Grund dieser Erwägungen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Neben dem Schriftsatzaufwand konnte ein gesonderter "Beschwerdeaufwand" nicht zugesprochen werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993100213.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
17.05.2009