TE Vwgh Erkenntnis 1994/5/31 94/14/0013

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.05.1994
beobachten
merken

Index

61/01 Familienlastenausgleich;

Norm

FamLAG 1967 §8 Abs4;
FamLAG 1967 §8 Abs5;
FamLAG 1967 §8 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Hutter, über die Beschwerde der B in M, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom 24. November 1993, GZ 149-5/93, betreffend erhöhte Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Aufwandersatzmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, am 9. Dezember 1993 zugestellten Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin um erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 lit. c und d FLAG für ihren Sohn, der die vierte Klasse einer berufsbildenden höheren Schule besuche, wegen Neurodermitis (atopisches Ekzem) im Instanzenzug abgewiesen. Maßnahmen, wie die Einhaltung einer entsprechenden Diät, führten zu einem Abheilen des Ekzems bzw. zum Abklingen des Juckreizes. Weder im Zeugnis des Amtsarztes noch in der Stellungnahme der Krankenanstalt sei eine wesentliche Beeinträchtigung der schulischen Leistungen oder der Aufnahmefähigkeit hinsichtlich des Lehrstoffes noch eine dauernde und wesentliche Beeinträchtigung im sonstigen Verhalten bestätigt. Es werde lediglich Diät bzw. Salbenbehandlung empfohlen, um der Allergie entgegenzuwirken. Im allgemeinen könne auch die große Erkrankungsgruppe der Allergien nicht als wesentliche Beeinträchtigung in der Schulbildung angesehen werden. Eine Beeinträchtigung der Berufsausbildung infolge der Krankheit liege nicht vor. Wenn der Sohn der Beschwerdeführerin im April 1993 aus der vierten Klasse - aus welchem Grund immer - ausgetreten sei, sei er doch ab dieser Zeit weder in Krankenhausbehandlung gestanden noch hätten akute Anfälle eine dringende ärztliche Behandlung über längere Zeit erforderlich gemacht. Er versuche nun wieder, ab September 1993 die Schule (Berufsausbildung) positiv zum Abschluß zu bringen und stelle dies auch durch die ständige Teilnahme am Schulunterricht mit nur geringen Fehlstunden unter Beweis.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch diesen Bescheid in ihrem Recht auf erhöhte Familienbeihilfe verletzt. Sie behauptet inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragt deshalb Bescheidaufhebung.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung des Landeskrankenhauses vom 7. April 1994 durch die Beschwerdeführerin im Laufe des Beschwerdeverfahrens ist gemäß § 41 VwGG eine unbeachtliche Neuerung. Auf den Inhalt der Bescheinigung, die eine Behinderung des Sohnes der Beschwerdeführerin von 50 vH. infolge der erwähnten Erkrankung bestätigt, war daher nicht einzugehen.

Ob im allgemeinen - wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt - Allergien nicht als wesentliche Beeinträchtigung in der Schulbildung angesehen werden können, es sich dabei also gleichsam um eine nicht beweisbedürftige Tatsache gemäß § 167 Abs. 1 BAO handle, kann dahinstehen, weil es nicht auf eine derartige allgemeine Erfahrung ankommt, sondern auf die Erkrankung des Sohnes der Beschwerdeführerin und die Folgen dieser Krankheit für die Berufsausbildung bzw. die Selbsterhaltungsfähigkeit.

Im Beschwerdefall konnte die belangte Behörde nicht auf Grund positiver Beurteilung der Leistungen des Sohnes der Beschwerdeführerin durch die Schule eine dauernde und wesentliche Beeinträchtigung durch die Krankheit ausschließen, weil der Schüler das Schuljahr 1992/1993 wegen der großen Anzahl von Fehlstunden nicht abgeschlossen hat. Strittig und ungeklärt blieb, ob dies durch die Krankheit verursacht war.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG ist die erhebliche Behinderung durch ein Zeugnis eines inländischen Amtsarztes, einer inländischen Universitätsklinik, einer inländischen Krankenanstalt oder eine entsprechende Bestätigung des Schularztes nachzuweisen.

Derartige Urkunden lagen der belangten Behörde nicht vor. Das mit dem Antrag zu den Akten gekommene ärztliche Zeugnis des Gesundheitsamtes der Bezirkshauptmannschaft (OZ 2 der Verwaltungsakten) und die Krankenhausberichte befassen sich nur mit der Erkrankung, nicht aber mit deren Auswirkungen auf die Berufsausbildung oder die Selbsterhaltungsfähigkeit des Patienten. Im Schreiben der Jugendfürsorgeärztin, die auch die Amtsärztin im Gesundheitsamt der Bezirkshauptmannschaft ist, vom 29. Juni 1992 an das Finanzamt (OZ 10 der Verwaltungsakten) heißt es - ohne weitere Begründung - "eine Beeinträchtigung der Schulausbildung ist derzeit nicht gegeben." Die belangte Behörde hat zwar zur Ergänzung des amtsärztlichen Zeugnisses bei der Amtsärztin durch telefonische Anfrage (vgl. Punkt 3.) des Aktenvermerkes OZ 27/2 der Verwaltungsakten) erhoben, daß diese - entsprechend dem von ihr namens des Bezirkshauptmannes an die belangte Behörde gerichteten Schreibens vom 23. September 1993 - der Meinung sei, es liege keine dauernde und wesentliche Beeinträchtigung in der Berufsausbildung vor. Eine Begründung für diese Ansicht fehlt nach dem angelegten Aktenvermerk dieser telefonischen Mitteilung. Im erwähnten Schreiben des Bezirkshauptmannes vom 23. September an die belangte Behörde heißt es:

"Der Jugendliche ist körperlich altersgemäß entwickelt, hat derzeit Rötungen in beiden Kniekehlen, in beiden Ellebogenbereichen sowie im Handgelenksbereich. Es bestehen keine wesentlichen Beschwerden seitens des Ekzems, eine Lokaltherapie mit Ultrabas sowie diätetische Maßnahmen, (weizenfreie Ernährung) werden durchgeführt. Laut Auskunft der Mutter war der Jugendliche im Schuljahr 1992/93 häufig erkrankt, das Fernbleiben vom Unterricht hatte jedoch meist nicht mit seinen Beschwerden seitens der Neurodermitis zu tun.

Laut Befund der Hautabteilung des LKH Klagenfurt vom 23.12.1992 kam es unter Lokaltherapie zum raschen Abheilen des Ekzems, laut Befund vom 25.1.1993 lagen beim neuerlichen Aufenthalt kaum Beschwerden von Seiten des atopischen Ekzems vor.

Auf Grund dieser Befunde und der Untersuchung am 16.9.1993 liegt bei ... keine erhebliche Behinderung sowie keine dauernde und wesentliche Beeinträchtigung in der Schulbildung vor."

Voraussetzung dafür, daß ein Zeugnis der in § 8 Abs. 6 FLAG genannten Stellen geeignet wäre, das Vorliegen einer erheblichen Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 lit. c oder d FLAG als erwiesen anzunehmen oder zu verneinen, ist nicht nur die Feststellung von Art und Ausmaß des Leidens, sondern auch der konkreten Auswirkungen dieses Leidens auf die Berufsausbildung bzw. die Selbsterhaltungsfähigkeit und zwar in schlüssig und damit nachvollziehbar begründeter Weise (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Oktober 1993, 90/14/0021). Diesen Anforderungen entspricht keines der vorliegenden Zeugnisse. Dies gilt auch für das Schreiben des Bezirkshauptmannes vom 23. September 1993 in Verbindung mit dem mit der Amtsärztin geführten Telefonat. Die Bezugnahme auf die Stichtagsbefunde (16. September 1993 im Gesundheitsamt, 23. Dezember 1992 und 25. Jänner 1993 im Landeskrankenhaus) und auf die subjektive Ansicht der Mutter über die Ursache der Schulabsenzen 1992/93 macht nämlich die sachverständige Schlußfolgerung "... keine dauernde und wesentliche Beeinträchtigung in der Schulbildung" mangels nachvollziehbarer Begründung nicht nachprüfbar. Dies auch in Anbetracht des Langzeitcharakters der Krankheit, der sich für die belangte Behörde aus dem Schreiben der Krankenanstalt vom 20. September 1993 an die Patientenanwältin (OZ 28/1 der Verwaltungsakten) entnehmen ließ. Die belangte Behörde konnte daher die entscheidungswesentlichen Feststellungen in einer auch für den Verwaltungsgerichtshof nachprüfbaren Weise weder im positiven noch im negativen Sinn treffen.

Aus dem Schreiben der Krankenanstalt vom 20. September 1993 ergab sich, daß eine Heilung der Krankheit in schulmedizinischer Sicht nicht möglich sei, sich die Therapie auf eine symptomatische beschränke, der Wert allergener Diät umstritten sei und von einer absoluten Heilungsmöglichkeit bei Neurodermitis nicht gesprochen werden könne.

Die belangte Behörde hätte daher mangels gegenteiliger Sachverständigenausführungen nach Inhalt der Ermittlungsergebnisse Heilbarkeit nicht als erwiesen annehmen können. Ihre eingangs wiedergegebenen Ausführungen über die Wirkungen einer Diät (Abheilen des Ekzems und Abklingen des Juckreizes) können deshalb nicht im Sinne der Feststellung einer Heilbarkeit der Krankheit verstanden werden.

Die in § 8 Abs. 6 FLAG erwähnten Zeugnissen als Nachweis für die Anspruchsvoraussetzungen sind Gutachten. Den im Gesetz erwähnten Sachverständigen (sachverständigen Stellen) kommt nicht die Befugnis zur Entscheidung über den Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe (Zuerkennung oder Versagung) zu. Dies folgt schon aus dem Fehlen entsprechender Rechtsschutzeinrichtungen hinsichtlich der betreffenden Zeugnisse. Verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes führt daher zu dem bereits oben unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 13. Oktober 1993 dargestellte Ergebnis. Eine Abweisung des Antrages allein mit der Begründung, der Antragstellerin sei es nicht gelungen, seinerseits der Behörde ein Zeugnis im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG vorzulegen, widerspräche daher dem Gesetz. Eine derartige Rechtsansicht hat die belangte Behörde auch nicht vertreten und dadurch ihren Bescheid vor inhaltlicher Rechtswidrigkeit bewahrt.

Da von ihr der entscheidungswesentliche Sachverhalt aber - wie bereits oben aufgezeigt - nicht in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festgestellt wurde, war der angefochtene Bescheid - ausgehend von der zum Zeitpunkt seiner Erlassung geltenden Rechtslage - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde jedoch die seit 1. Jänner 1994 geänderte Rechtslage (§ 50d FLAG idF BGBl. 1993/531) zu beachten haben.

Die Entscheidung über Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Danach gebührt über den Pauschbetrag für Schriftsatz hinaus auch kein Ersatz von Umsatzsteuer. Die über die Vorlage einer Ausfertigung des angefochtenen Bescheides (§ 28 Abs. 5 VwGG) hinausgehende Urkundenvorlage war zur Rechtsdurchsetzung nicht notwendig, weil die betreffenden Urkunden in den Verwaltungsakten erliegen und die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung vom 7. April 1994 eine unzulässige Neuerung darstellte. Das betreffende Aufwandersatzmehrbegehren war daher abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994140013.X00

Im RIS seit

01.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten