TE Vfgh Erkenntnis 1991/12/13 V186/91

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Veröffentlicht am 13.12.1991
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8500 Straßen

Norm

Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde St. Martin am Tennengebirge vom 10.10.69 über die Erklärung der Obersteinerstraße zur Gemeindestraße II. Klasse
Sbg LandesstraßenG 1972 §29 Abs2

Leitsatz

Gesetzmäßigkeit einer Gemeindeverordnung betreffend Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße II. Klasse infolge Deckung mit den Beschlüssen der Gemeindevertretung

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist zur Zahl 88/06/0066 eine Beschwerde gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 24. April 1987, Z1/04-26.988/16-1987, anhängig, mit dem einer Vorstellung gegen einen (Berufungs-)Bescheid der Gemeindevertretung der Gemeinde St. Martin am Tennengebirge nicht Folge gegeben wurde. Im gemeindebehördlichen Verfahren war gemäß den §§4 und 7 des Salzburger Landesstraßengesetzes 1972 (Sbg. LStG) ausgesprochen worden, daß der vor dem Verwaltungsgerichtshof beschwerdeführende Eigentümer einer an der Obersteinerstraße gelegenen Liegenschaft an der Sanierung dieser Straße mit 15 Bewertungspunkten beteiligt sei, weshalb er zu den Kosten der Sanierung einen Betrag von S 13.493,40 zu leisten habe. Die Obersteinerstraße sei mit Verordnung der Gemeindevertretung vom 20. September 1983 als Gemeindestraße II. Klasse übernommen worden. "In dem dieser Verordnung zugrundeliegenden Beschluß der Gemeindevertretung vom 10. Oktober 1969 sei festgestellt worden, daß die Sanierung durch die Gemeinde durchgeführt werde, jedoch die Mitfinanzierung der Interessenten noch nach der Punktebewertung der Genossenschaft durch deren Mitglieder zu erfolgen habe."

1.2. Der Verwaltungsgerichtshof stellte in dieser Beschwerdesache unter Bezugnahme auf Art139 B-VG den Antrag, "die mit 'Kundmachungs-Verordnung' vom 20. September 1983 kundgemachte Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde St. Martin am Tennengebirge vom 10. Oktober 1969 über die Erklärung der Obersteinerstraße zur Gemeindestraße II. Klasse als gesetzwidrig aufzuheben".

Zur Antragslegitimation führt der Verwaltungsgerichtshof aus, daß die Salzburger Landesregierung ihre Entscheidung auf die "Verordnung der Gemeindevertretung vom 20. September 1983" stütze. Für die Erledigung der beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerde sei daher die mit "Kundmachungs-Verordnung" vom 20. September 1983 kundgemachte Verordnung der Gemeindevertretung vom 10. Oktober 1969 präjudiziell.

Gegen die Gesetzmäßigkeit dieser Verordnung hegt der Verwaltungsgerichtshof folgendes Bedenken:

Gemäß §29 Abs2 Sbg. LStG erfolge die Bestimmung (Umwandlung) von Gemeindestraßen als solche I. oder II. Ordnung aufgrund von Verordnungen der Gemeindevertretung.

Am 10. Oktober 1969 habe die Gemeindevertretung der Gemeinde St. Martin am Tennengebirge den Beschluß gefaßt, den am 30. Dezember 1966 zustandegekommenen Gemeindevertretungsbeschluß, laut welchem die Obersteinerstraße vorübergehend als Interessentenstraße erklärt worden war, mit Wirkung vom 10. Oktober 1969 aufzuheben.

Nach der Aktenlage sei die Kundmachung dieses Gemeindevertretungsbeschlusses erst mit "Kundmachungs-Verordnung" vom 20. September 1983 mit folgendem Wortlaut erfolgt:

"Aufgrund eines einstimmigen Gemeindevertretungsbeschlusses vom 10. Oktober 1969 wird nach dem Salzburger Landesstraßengesetz vom 11.12.1972, Abschnitt V, §27, 28, 29 und 30, die 'Obersteinerstraße' als Gemeindestraße II. Klasse kundgemacht bzw. verordnet."

Der Wortlaut dieser sogenannten Kundmachungs-Verordnung vom 20. September 1983 finde nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im Beschluß der Gemeindevertretung vom 10. Oktober 1969 keine Deckung: Mit dem Beschluß vom 10. Oktober 1969 sei nämlich lediglich die Erklärung der Obersteinerstraße zur Interessentenstraße aufgehoben worden. Eine (neuerliche) Einreihung dieser Straße als Gemeindestraße II. Klasse sei nicht beschlossen worden. Im übrigen bestehe nach der Aktenlage kein Nachweis (in Form einer Verordnung) dafür, daß die Obersteinerstraße im Zeitpunkt ihrer Erklärung zur öffentlichen Interessentenstraße eine Gemeindestraße II. Klasse war. Auch dem Protokoll über die Sitzung der Gemeindevertretung vom 16. September 1983, in der festgestellt worden sei, daß der angeführte Gemeindevertretungsbeschluß vom 10. Oktober 1969 gefaßt worden war, sei zu entnehmen, daß entsprechende weitere Unterlagen nicht aufzufinden seien.

Da der am 20. September 1983 vom Bürgermeister kundgemachten Verordnung ein Beschluß der Gemeindevertretung gemäß §29 Abs2 Sbg. LStG also nicht zugrundezuliegen scheint, sehe sich der Verwaltungsgerichtshof veranlaßt, die Aufhebung der Verordnung als gesetzwidrig zu beantragen.

2. Die Gemeindevertretung der Gemeinde St. Martin am Tennengebirge hat die Verordnungsakten vorgelegt und in ihrer Äußerung die Ansicht vertreten, daß die Umwandlung der Obersteinerstraße in eine Gemeindestraße II. Ordnung in der Gemeinderatsitzung vom 16. September 1983 unter Pkt. 5 der Tagesordnung erfolgt sei.

Die Salzburger Landesregierung verweist lediglich auf die Gegenschrift der Aufsichtsbehörde vom 27. Juli 1987 an den Verwaltungsgerichtshof, in der aber zur Gesetzmäßigkeit der Verordnung nicht Stellung genommen wird.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

3.1. Zur Frage der Zulässigkeit des Normenprüfungsantrages:

Der Verfassungsgerichtshof erachtet sich nicht für berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987).

Da in diesem Fall der Verwaltungsgerichtshof die Präjudizialitätsfrage offensichtlich denkmöglich beantwortete und auch sonstige Prozeßhindernisse nicht vorliegen, ist der Normenprüfungsantrag in vollem Umfang zulässig.

3.2. Zur Sache selbst:

Der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes ist nicht begründet.

3.2.1. Aufgrund der von der Gemeindevertretung der Gemeinde St. Martin vorgelegten Verordnungsakten ist zunächst folgendes festzuhalten:

Im Sitzungsprotokoll vom 18. Jänner 1948 ist unter Pkt. 4 (Antrag des Forstamtes auf Holzlagerung) von der Obersteinerstraße als "Gemeindeweg (Obersteinweg)" die Rede.

Im Sitzungsprotokoll vom 22. März 1951 wird zum Tagesordnungspunkt "2. Erledigung des Schreibens der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau ... betreffend Feststellung der Gemeindestraßen, Interessentenstraßen, Privatstraßen etc. im hiesigen Gemeindegebiet" folgendes festgehalten:

"Zu Punkt 2. beschließt die Gemeindevertretung mit Stimmenmehrheit (8:3) den Obersteinerweg als Gemeindestraße

2. Klasse zu erklären."

Aus dem Sitzungsprotokoll vom 30. Dezember 1966 geht hervor, daß der Bürgermeister der Gemeindevertretung mitteilte, daß für die Gewährung eines sogenannten AIK-Kredites das Vorhandensein einer öffentlichen Interessentenstraße (Interessenten-Wegegenossenschaft) erforderlich sei. Es wäre daher die Obersteinerstraße, "die seit jeher eine Gemeindestraße 2. Ordnung ist", durch Beschluß der Gemeindevertretung als öffentliche Interessentenstraße zu erklären.

Dem Sitzungsprotokoll ist weiters zu entnehmen, daß die Gemeindevertretung über Antrag des Bürgermeisters einstimmig die Obersteinerstraße mit Wirkung vom 1. Jänner 1967 bis auf weiteres als öffentliche Interessentenstraße erklärte.

Unter Punkt 3 des Sitzungsprotokolles vom 10. Oktober 1969 heißt es:

"Die anwesenden Gemeindevertreter faßten den einstimmigen Beschluß, den am 30.12.1966 zustande gekommenen Gemeindevertretungsbeschluß, laut welchem die Obersteinerstraße vorübergehend als Interessentenstraße erklärt worden war, mit Wirkung vom 10.10.1969 aufzuheben. Für die Bewilligung eines AIK-Darlehens betreffend den im Jahre 1967 durchgeführten Ausbau und Asphaltierung der Obersteinerstraße war es damals notwendig die gegenständliche Straße für den Zeitraum der Großinstandsetzung als Interessentenstraße zu erklären."

Aus dem Sitzungsprotokoll vom 16. September 1983 ergibt sich schließlich, daß aufgrund eines schriftlichen Ansuchens der Wegegenossenschaft "Oberstein" an die Gemeindevertretung zwecks Übernahme dieses Weges durch die Gemeinde festgestellt wurde,

"daß bei der Gemeindevertretungssitzung, am 10.10.1969 die vorübergehende Oberstein-Interessentenstraße, wieder in ihren ursprünglichen Rang als 'Obersteinergemeindestraße 2. Klasse', rückversetzt wurde und daher der ursprüngliche Gesetzeszustand zu gelten hat."

Weiters heißt es in diesem Protokoll:

"Nunmehr hat seitens der Gemeinde eine Kundmachung über diese Materie 14 Tage an der Gemeindetafel zu erfolgen.

...

Die Gemeindevertretung nahm diese Erklärungen bzw. wurden alle Diskussionsbeiträge zur Kenntnis genommen."

In der Zeit vom 20. September 1983 bis 4. Oktober 1983 wurde sodann folgender, vom Bürgermeister unterschriebener Anschlag an der Gemeindetafel ausgehängt:

"KUNDMACHUNG - VERORDNUNG

Aufgrund eines einstimmigen Gemeindevertretungsbeschlusses vom 10. Oktober 1969, wird nach dem Salzburger Landesstraßengesetz vom 11.12.1972, Abschnitt V, §27, 28, 29 und 30, die 'Obersteinerstraße' als Gemeindestraße II.Klasse kundgemacht bzw. verordnet."

3.2.2. Aus dieser Darstellung der Aktenlage ergibt sich folgende rechtliche Konsequenz:

Gemäß §29 Abs2 des Salzburger Landesstraßengesetzes 1972 (Anlage zur Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 22. November 1972, LGBl. Nr. 119, mit der das mit Gesetz vom 22. Juni 1948, LGBl. Nr. 41, wieder in Kraft gesetzte Landesstraßengesetz, LGBl. Nr. 28/1934, neu verlautbart wird) erfolgt die Bestimmung (Umwandlung) von Gemeindestraßen als solche I. oder II. Ordnung aufgrund von Verordnungen der Gemeindevertretung.

Mit dem Gemeindevertretungsbeschluß vom 10. Oktober 1969, auf den sich die "Kundmachungs-Verordnung" vom 20. September 1983 beruft, wurde beschlossen, einen "am 30.12.1966 zustande gekommenen Gemeindevertretungsbeschluß ... aufzuheben". Da laut Sitzungsprotokoll vom 22. März 1951 die Gemeindevertretung beschlossen hatte, den Obersteiner Weg als Gemeindestraße 2. Klasse zu erklären, ergibt sich daraus, daß - wie im Sitzungsprotokoll vom 16. September 1983 ausgeführt wird - die "Oberstein-Interessentenstraße wieder in ihren ursprünglichen Rang als 'Obersteinergemeindestraße 2.Klasse' rückversetzt wurde".

Das Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes, daß die angefochtene Verordnung in den Beschlüssen der Gemeindevertretung keine Deckung finde, trifft daher nicht zu.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Straßenverwaltung, Gemeindestraße, Verordnungserlassung, Verordnung Kundmachung, Geltungsbereich einer Verordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:V186.1991

Dokumentnummer

JFT_10088787_91V00186_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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