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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Aufhebung der Regelung über das Anwesenheitsquorum des Beschwerdeausschusses in der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien mangels jeglicher Determinierung im Gesetz; Beschlußfähigkeit einer Kollegialbehörde mangels gesetzlicher Regelung nur bei Anwesenheit aller MitgliederSpruch
Der letzte Satz des §43 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien, beschlossen in der Vollversammlung der Ärztekammer für Wien am 15. Dezember 1970, genehmigt mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 2. März 1971, Z MA 16 - 80/1971, und kundgemacht in den Mitteilungen der Ärztekammer für Wien, Sondernummer April 1971, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Wiener Landesregierung ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist zu Z90/18/0251 eine Beschwerde gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 18. Oktober 1990, Z Dr. M/Ke, anhängig. Mit diesem Bescheid wird dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Nichtvorschreibung des Nachzahlungsbetrages ab Vollendung des 35. Lebensjahres gemäß §7 Abs3 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien bzw. §78 Abs2 und 3 des Ärztegesetzes im Instanzenzug abgewiesen und ihr gemäß §7 Abs2 und 3 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien für die Zeit vom 1. Februar 1985 bis 30. September 1988 ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von S 64.059,30 vorgeschrieben.
1.2. Aus Anlaß dieser Beschwerde stellt der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf Art139 Abs1 B-VG den Antrag, den letzten Satz des §43 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien, beschlossen in der Vollversammlung der Ärztekammer für Wien am 15. Dezember 1970, genehmigt mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 2. März 1971, Z MA 16 - 80/1971, als gesetzwidrig aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu aus:
Nach dem unwidersprochenen Vorbringen der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift, welches mit dem Inhalt der Verwaltungsakten, insbesondere mit der Niederschrift über die Sitzung des Beschwerdeausschusses vom 18. Oktober 1990 übereinstimmt, sei die einstimmige Beschlußfassung des angefochtenen Bescheides durch die Mitglieder des Beschwerdeausschusses Dr. E G als stellvertretenden Vorsitzenden, Dr. E B, Dr. D S und Dr. E S erfolgt. Ferner sei der - nicht dem Beschwerdeausschuß angehörende - stellvertretende Kammeramtsdirektor Dr. L M anwesend gewesen. Keine dieser Personen gehöre dem Kammervorstand, dem Verwaltungsausschuß oder dem Überprüfungsausschuß an.
Die Ausfertigung des Bescheides vom 18. Oktober 1990 sei von Dr. E G als stellvertretendem Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses, ferner aber auch von Dr. M N als Präsidenten und Dr. W E als Finanzreferenten der Ärztekammer für Wien gefertigt. Die beiden letztgenannten Personen hätten an der Beschlußfassung nicht mitgewirkt, es liege somit ein sogenannter Intimationsbescheid vor, worauf auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift hinweise.
Diese Art der Bescheiderlassung sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig. Allerdings habe der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm gemäß §41 Abs1 VwGG obliegenden Prüfung, ob nicht Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde vorliege, die Frage der gesetzmäßigen Beschlußfassung des Beschwerdeausschusses am 18. Oktober 1990 zu prüfen.
Zur Lösung der Rechtsfrage, ob die Beschlußfassung des Beschwerdeausschusses gesetzmäßig erfolgt sei, habe er somit unter anderem die angefochtene Satzungsbestimmung anzuwenden.
Gegen diese Bestimmung hegt der Verwaltungsgerichtshof das Bedenken, daß der Verordnungsgeber der Satzung seine gesetzlichen Befugnisse überschreite und sohin gegen Art18 Abs2 B-VG verstoße.
Gemäß §79 Abs5 erster Satz des Ärztegesetzes 1984, BGBl. Nr. 373/1984, bestehe der Beschwerdeausschuß aus einem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern. Für den Vorsitzenden und die Mitglieder seien Stellvertreter zu bestellen. Mangels abweichender gesetzlicher Bestimmungen bedeute dies, daß der Beschwerdeausschuß seine Beschlüsse rechtmäßig nur bei Anwesenheit von fünf Mitgliedern, im Verhinderungsfall von Stellvertretern, fassen dürfe.
Da die angefochtene Verordnungsbestimmung - abweichend vom Gesetz - ein geringeres Anwesenheitsquorum, nämlich von drei Mitgliedern, festsetze, sehe sich der Verwaltungsgerichtshof veranlaßt, den Antrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, den letzten Satz im §43 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien, beschlossen in der Vollversammlung der Ärztekammer für Wien am 15. Dezember 1970, genehmigt mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 2. März 1971, Z MA 16 - 80/1991, als gesetzwidrig aufzuheben.
2. Die Vollversammlung der Ärztekammer für Wien sowie die Wiener Landesregierung erstatteten keine Äußerungen.
Der Beschwerdeausschuß des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien verteidigt in seiner Äußerung die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmung und begehrt, dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes keine Folge zu geben.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
3.1. Zur Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsverfahrens:
3.1.1. Der Verwaltungsgerichtshof führt aus, daß er zur Lösung der Rechtsfrage, ob die Beschlußfassung des Beschwerdeausschusses am 18. Oktober 1990 gesetzmäßig erfolgte, §43 Abs1 letzter Satz der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien anzuwenden habe.
3.1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987).
Im gegenständlichen Verfahren kann nicht die Rede davon sein, daß die Annahme des antragstellenden Verwaltungsgerichtshofes über die Präjudizialität denkunmöglich wäre. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.
3.2. In der Sache selbst:
Die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes gegen die Gesetzmäßigkeit des letzten Satzes des §43 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 15. Dezember 1970 sind auch begründet.
3.2.1. Die Abs5 bis 7 des §79 ÄrzteG lauten:
"(5) Der Beschwerdeausschuß besteht aus einem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern. Für den Vorsitzenden und die Mitglieder sind Stellvertreter zu bestellen. Von der Vollversammlung sind für die Dauer ihrer Funktionsperiode der Vorsitzende und sein Stellvertreter mit einfacher Stimmenmehrheit, die weiteren Mitglieder und deren Stellvertreter in je einem Wahlgang nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts, jeweils aus dem Kreis der Kammerangehörigen, zu wählen. Die Mitglieder des Beschwerdeausschusses dürfen dem Kammervorstand, dem Verwaltungsausschuß und dem Überprüfungsausschuß nicht angehören.
(6) Der Beschwerdeausschuß entscheidet mit einfacher Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Eine Stimmenthaltung ist nicht zulässig, der Vorsitzende stimmt zuletzt ab. Die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses sind endgültig und können durch ein ordentliches Rechtsmittel nicht angefochten werden.
(7) Für das Verfahren vor dem Verwaltungsausschuß und dem Beschwerdeausschuß ist das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG 1950) anzuwenden."
§82 ÄrzteG bestimmt:
"In der Satzung sind aufgrund der §§57, 58 und 62 bis 81 nähere Vorschriften über die Aufbringung der Beiträge, die Verwaltung der Fondsmittel, die Zusammensetzung des Verwaltungsausschusses, des Beschwerdeausschusses, die Tätigkeit des Überprüfungsausschusses und schließlich über die Höhe, die Festlegung der Voraussetzungen und das Verfahren für die Gewährung der vorgesehenen Versorgungs- und Unterstützungsleistungen zu treffen."
Der unter der Überschrift "Der Beschwerdeausschuß." stehende §43 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien - die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben - lautet:
"Der Beschwerdeausschuß.
§43
(1) Der Beschwerdeausschuß besteht aus einem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern. Der Beschwerdeausschuß hat eine rechtskundige Person zu den Sitzungen beizuziehen. Für den Vorsitzenden und die Mitglieder sind Stellvertreter zu bestellen. Die Mitglieder des Beschwerdeausschusses werden auf Vorschlag des Kammervorstandes von der Vollversammlung für die Dauer ihrer Funktionsperiode nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes gewählt. Die Mitglieder des Beschwerdeausschusses dürfen dem Kammervorstand, dem Verwaltungsausschuß und dem Überprüfungsausschuß nicht angehören. Zur Beschlußfähigkeit ist die Anwesenheit von mindestens drei Mitgliedern erforderlich.
(2) Der Beschwerdeausschuß entscheidet mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Eine Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Der Vorsitzende stimmt zuletzt ab. Die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses sind endgültig und können durch ein ordentliches Rechtsmittel nicht angefochten werden.
(3) Die Sitzungen werden vom Vorsitzenden (Stellvertreter) einberufen. Über die Sitzung ist ein Beschlußprotokoll zu führen.
(4) ...
...
(7) Für das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuß sind die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG 1950) anzuwenden."
3.2.2. §79 Abs5 ÄrzteG regelt die Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses; in §79 Abs6 ÄrzteG findet sich die Bestimmung, daß der Beschwerdeausschuß mit einfacher Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen (eine Stimmenthaltung ist unzulässig) entscheidet. Eine explizite Regelung über das Anwesenheitsquorum enthält das Gesetz nicht. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 7837/1976 und 10595/1985 ausgesagt hat, kann eine Kollegialbehörde ihren Willen nur durch Beschluß bilden, der durch Abgabe der Stimmen der Mitglieder zustande kommt. Sagt der Gesetzgeber - wie im vorliegenden Fall - über das Anwesenheitsquorum nichts aus, so ist eine Kollegialbehörde nur bei Anwesenheit aller ihr zugehörigen Mitglieder fähig, einen Beschluß zu fassen (vgl. VfSlg. 3086/1956, 7837/1976).
Der Verordnungsgeber kann anderes nur dann verfügen, wenn das Gesetz ihn hiezu ausdrücklich ermächtigt. Es entspricht nämlich nicht dem Art18 Abs2 B-VG, die Regelung des Anwesenheitsquorums ohne jegliche Determinierung im Gesetz der Bestimmung in der Satzung zu überlassen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien kann die allgemeine Aussage des §82 ÄrzteG, daß in der Satzung "nähere Vorschriften über ... die Zusammensetzung ... des Beschwerdeausschusses zu treffen" sind, nicht als Ermächtigung des Verordnungsgebers, ein - vom Gesetz abweichendes - Anwesenheitsquorum festzulegen, verstanden werden. Hätte die Bestimmung des §82 ÄrzteG tatsächlich einen derartigen Inhalt, würde sie dem Bestimmtheitsgebot widersprechen. Die oben wiedergegebene gesetzliche Bestimmung läßt sich aber verfassungskonform auch so deuten, daß sie eine derartige Ermächtigung des Verordnungsgebers nicht enthält. Der Vorwurf des Verwaltungsgerichtshofes, daß die angegriffene Satzungsbestimmung die gesetzliche Ermächtigung zur Verordnungserlassung überschreitet und sohin gegen Art18 Abs2 B-VG verstößt, trifft somit zu.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat daher auszusprechen, daß der letzte Satz des §43 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 15. Dezember 1970 als gesetzwidrig aufgehoben wird.
Die Verpflichtung der Wiener Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VerfGG.
5. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
Schlagworte
Ärzte Versorgung, Ärztekammer, Versorgungsrecht Ärzte, Auslegung verfassungskonforme, Kollegialbehörde, Präsenzquorum, DeterminierungsgebotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:V92.1991Dokumentnummer
JFT_10088787_91V00092_00