TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/9 92/06/0176

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Veröffentlicht am 09.06.1994
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §66 Abs4;
B-VG Art119a Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde der Gemeinde T, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 10. Juli 1992, Zl. Ve1-550-1861/5, betreffend Abweisung eines Bauansuchens (mitbeteiligte Parteien: 1. I S und 2. W S in T, beide vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und den mitbeteiligten Parteien zusammen Aufwendungen von S 10.380,-- jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren der mitbeteiligten Parteien wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem am 17. Mai 1990 bei der Baubehörde erster Instanz eingelangten Gesuch kam die erstmitbeteiligte Partei (kurz: Bauwerberin) um Genehmigung zur Errichtung eines Anbaues zu einem bereits bestehenden Wohnhaus im Gebiet der beschwerdeführenden Gemeinde ein; nach den Angaben im Gesuch war Grundeigentümer die zweitmitbeteiligte Partei.

In der hierüber am 31. August 1990 abgehaltenen Bauverhandlung (in der Kundmachung werden beide mitbeteiligten Parteien als Bauwerber bezeichnet; in der Verhandlungsschrift scheint als Bauwerber die erstmitbeteiligte Partei auf, vertreten durch die zweitmitbeteiligte Partei als Grundeigentümer) erklärte der beigezogene Sachverständige, daß im Bereich des geplanten Bauvorhabens eine Aufweitung der die Straße begrenzenden Hauswände bestehe, sodaß der Eindruck eines "Ortsangers" entstehe. Gleichzeitig weise die Straße, talauswärts gesehen, eine Rechtskrümmung auf, was wieder im Zusammenwirken der bestehenden Hauswände zwischen zwei näher bezeichneten Häusern raumbildend sei, wobei die talauswärts gelegene Begrenzung des "Angers" der Bühel im Straßenverlauf über einen bestimmten Bach sei, taleinwärts gelegen ein weiterer Bach, gleichfalls ein Bühel im Straßenverlauf. Zur Erhaltung dieses Angereindruckes dürfe die Baufluchtlinie, die durch die straßenseitige Hauswand (zu ergänzen: des bestehenden Wohnhauses, das umgebaut werden solle) gegeben sei, nicht überschritten werden. Dem widersprach die Bauwerberin mit näherer Begründung. Auch die beschwerdeführende Gemeinde brachte vor (erkennbar in ihrer Eigenschaft als Eigentümerin eines angrenzenden Grundstückes), daß gemäß einem näher bezeichneten Gemeinderatsbeschluß die Baubehörde ersucht werde, die Baufluchtlinie zweier näher bezeichneter Häuser einzuhalten. Da in der bestehenden "Siedlung" ein einheitliches Ortsbild bestehe, werde die Baubehörde ersucht, ein ortsplanerisches Gutachten über das vorgesehene Bauvorhaben einzuholen.

Die Bauwerberin trat dem in der Folge entgegen und brachte (soweit für das Beschwerdeverfahren erheblich) zusammenfassend vor, daß kein geschlossener Siedlungscharakter vorliege und auch das Orts- und Straßenbild durch die beabsichtigte Bauführung in keiner Weise verschlechtert, vielmehr sogar verbessert werde. Auch übermittelte sie der Behörde eine diesbezügliche Stellungnahme eines Architekten, der ausführte, daß das Bauvorhaben das Orts-, Straßen- und Landschaftsbild in keinem Fall nachteilig beeinfluße. Der Großteil der Bauten in nächster Umgebung zum geplanten Bauvorhaben sei viel näher an die Landesstraße herangebaut worden, als dies beim fraglichen Anbau vorgesehen sei. Der Versagungstatbestand nach § 31 Abs. 4 lit. d der Tiroler Bauordnung (TBO) liege nicht vor.

Der von der Gemeinde beigezogene Sachverständige erklärte (unter Bedachtnahme auf die Stellungnahme dieses Architekten) und unter Hinweis auf seine Stellungnahme in der Bauverhandlung, daß die Hauswände entlang der Landesstraße zwischen diesen beiden Bächen einen "Raum" bildeten. Er führte dann weiter aus:

"Beginnend vom Haus D und dem gegenüberliegenden Haus, wo die Gebäude am nächsten zur Straße stehen, erhalten die Gebäude nordwestlich der Landesstraße bis zum Gebäude der Werkstatt gegenüber der Tankstelle einen in etwa einheitlichen Abstand von ca. 5 bis 6 m, während dessen analog des Hauses gegenüber Kaufhaus D das Werkstattgebäude wieder sehr knapp bzw. direkt an der Landesstraße steht.

Durch dieses beidseitige Heranführen der Gebäude an die Landesstraße im Zusammenwirken mit Straßensteigungen zum äußeren und inneren X-Bach wird dadurch schon raumbildende Wirkung erzeugt.

Analog dazu verhält sich die Situierung der Gebäude auf der anderen Straßenseite - südwestlich der Landesstraße -, wo beginnend mit Haus D die Gebäude bis zur Trafik vor der Tankstelle einen unterschiedlichen Abstand aufweisen. Haus D und Gebäude mit Trafik stehen sehr knapp an der Landesstraße, die drei dazwischenliegenden Objekte, und dazu zählt auch das Haus S, haben einen größeren Abstand. Mit der Krümmung der Landesstraße zwischen äußerem und innerem X-Bach bzw. zwischen Kaufhaus D und den Gebäuden beiderseits der Landesstraße im Bereich der Tankstelle, wird ein Straßenraum geschaffen, der auch als kleinteiliges in sich abgeschlossenes Ortsbild angesehen werden kann.

In die den Straßenraum begrenzende Hauswand kann ein "schlankes O" eingeschrieben werden. Solche Formen sind immer Lösungen zur Schaffung von Straßenraum und Ortsgestaltung, wie - auch allen bekannt - solche Straßenbilder seit alters her bekannt sind.

Dieser Ortsteil zwischen äußerem und innerem X-Bach unterscheidet sich somit wohltuend von Straßenbildern, in denen Gebäude lediglich parallel mit gleichem Abstand zur Straße stehen.

Gutachterliche Äußerung:

Die vor angeführten Überlegungen sollten zur Bewahrung eines Teiles des Ortsbildes von T nicht gestört werden, was in jedem Fall eintritt, wenn in dem Bereich, in dem nach dem Haus D die Raumbildung des Straßenbildes beginnt, eine Einschneidung bzw. Einengung durch Vorbauten vor der derzeitigen Hauswand des Gebäudes S vorgenommen wird.

Dieser "Straßenraum" wird in der Typologie der Dorfbilder auch als "Ortsanger" bezeichnet und sollte in jedem Fall erhalten werden, da solche Formen leider immer mehr durch unbedachte Vorbauten verloren gehen."

Zur Stellungnahme des Architekten sei anzumerken, heißt es im Gutachten weiter, daß dieser überwiegend das Erscheinungsbild des geplanten Gebäudes beurteile und nicht dessen Gesamteinwirkung auf den Straßenraum, wie nunmehr vom Gutachter beschrieben. Ein Gebäude möge isoliert gesehen zwar alle Bedingungen der TBO und TBV erfüllen, im Zusammenwirken mit anderen Gebäuden jedoch nachhaltig stören. Deshalb könne ein Gebäude in einem Straßenraum nicht für sich allein gesehen werden; das geplante Bauvorhaben sei durch das Vorspringen vor die derzeitige durch den Bestand gegebene Baufluchtlinie geeignet, das Orts- und Straßenbild grob zu stören. Zusammenfassend komme er zum Ergebnis, daß gemäß § 6 Abs. 4 TBO bauliche Anlagen von Verkehrsflächen - soweit kein Bebauungsplan bestehe - soweit entfernt sein sollten, daß sie das Orts- und Straßenbild nicht beeinträchtigten. Deshalb könne er einem Vorbau und damit einer Veränderung der bestehenden Baufluchtlinie nicht zustimmen.

Dem Gutachten ist eine planliche Darstellung (auf Grundlage eines Katasterplanausschnittes) angeschlossen.

Hierauf wies die Baubehörde erster Instanz mit Bescheid vom 22. Februar 1991 das Bauansuchen gemäß § 31 Abs. 4 iVm § 6 Abs. 4 TBO ab. Der Begründung ist zu entnehmen, daß sie sich der Beurteilung des beigezogenen Sachverständigen zur Gänze anschloß. Festzuhalten ist, daß im Bescheid beide mitbeteiligten Parteien als Bauwerber bezeichnet werden, und auch seither durchwegs als Bauwerber auftreten, wie auch unbeanstandet als solche angesehen werden.

Dagegen erhoben die mitbeteiligten Parteien (kurz: Bauwerber) Berufung. Mit Berufungsbescheid vom 19. Juli 1991 wies die Baubehörde zweiter Instanz die Berufung als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid; zusammenfassend billigte sie die Gründe der ersten Instanz.

Dagegen erhoben die Bauwerber Vorstellung an die belangte Behörde. Diese holte ein ergänzendes Gutachten zur Frage der Beeinträchtigung des Orts- und Straßenbildes im Sinne des § 6 Abs. 4 TBO ein.

In diesem Gutachten vom 7. Feburar 1992 kam der (Amts-)Sachverständige hinsichtlich der Frage, inwieweit die Straßenaufweitung im fraglichen Bereich als erhaltenswerter Ortsanger zu werten sei, zu folgender Beurteilung:

"Die gesamte Siedlungstätigkeit im Tal beschränkt sich im wesentlichen auf eine Bebauung beidseitig der Durchzugsstraßen. Der Siedlungsraum ist naturbedingt so eingeengt, daß kaum eine andere Siedlungsform möglich war. Damit war auch der vorhandene Siedlungsraum seit jeher sehr eingeschränkt und es war auch kaum Platz für größere Abstände von der Verkehrsfläche oder für Zwischenschaltung von Grünräumen als Abstandsfläche. Durch den massiven Ausbau der Fremdenverkehrsbetriebe wurde dieser Umstand nochmals drastisch verschärft. Daß in diesem Zusammenhang oftmals viel zu nahe an die Hauptverkehrsfläche herangebaut wurde, beweisen die unzähligen Beispiele und wird auch auf den beiliegenden Fotos dokumentiert.

Weiters vertritt der Sachverständige die Ansicht, daß ein Ortsanger keine typische Tiroler Erscheinung im Straßen- und Ortsbild ist und vielmehr aus den Siedlungsgebieten stammt, welche im weiten Flachland genügend Ausweiterungsmöglichkeiten hatten. Zudem wird festgestellt, daß der Ortsanger Bestandteil des Straßenraumes war, also dem öffentlichen Bereich zuzuschreiben war, welcher neben dem Ortsbild auch Ruhepol war. Im gegenst. Fall handelt es sich um private Vorgartenflächen, welche nicht diese Kriterien aufweisen und nicht diese Funktion haben können. In den beiliegenden Lageplänen, in welchen dieser Ortsanger eingetragen wurde, weist auch an der Nordwestseite einen ortsangerähnlichen Charakter auf. Der Ortsaugenschein und die beiliegenden Fotos zeigen eindeutig, daß es sich hier ausschließlich um asphaltierte Parkflächen oder Bereich vor Geschäftslokalen handelt. Im übrigen ist auch der Abstand der Gebäude von der Verkehrsfläche so gering, daß von einer Aufweitung an dieser Straßenseite nicht gesprochen werden kann. Die Südwestseite der Landesstraße auf welcher sich auch die gegenst. Gp. befindet, liegt wie im Gutachten des Sachverständigen angeführt, an einer Krümmung der Landesstraße. Die Baufluchtlinie ist einheitlich, das heißt geradlinig. Es ergeben sich dadurch unterschiedliche Abstände von der Verkehrsfläche, da die Baufluchtlinie als Sehne zur gebogenen Straßenfluchtlinie derzeit angelegt ist. Im § 6 Abs. 4 TBO ist jedoch festgelegt, daß bei Gebäuden, die einen einheitlichen Abstand von der Verkehrsfläche haben, auch bei weiteren baulichen Anlagen mind. dieser Abstand einzuhalten ist. Nunmehr ist jedoch der Abstand zur Verkehrsfläche, wie angeführt, uneinheitlich, wobei jedoch die Baufluchtlinie einheitlich ist. Im Sinne einer Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs und auch im Hinblick auf das Orts- und Straßenbild wäre es jedoch durchaus vertretbar, wenn für diesen Bereich eine einheitliche Baufluchtlinie als Beurteilungsgrundlage herangezogen wird, welche mind. 5 m hinter der Straßenfluchtlinie liegt. Damit wären auch die Sichtverhältnisse im gekrümmten Bereich der Landesstraße aus ha. Sicht noch gewährleistet.

Durch diese Festlegung, wäre der Bau in der vorliegenden Form mit geringfügigen Abänderungen ausführbar. Betroffen von der Baufluchtlinie wäre die Südweststrecke, an welcher sich der Erker befindet. Hier müßte es zu einer Änderung in der Bauausführung kommen.

Dies wäre auch im Sinne des Orts- und Straßenbildes wünschenswert, da derzeit das Gebäude auch im Hinblick auf das südlich gelegene Objekt wesentlich weiter in Richtung Straßenflucht vorspringt."

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 17. März 1992 führte der Sachverständige aus, daß der im Gutachten geforderte Abstand von 5 m des Zubaues von der Verkehrsfläche einen allgemein üblichen Abstand von Verkehrsflächen darstelle (wird näher dargelegt). Auch der Ausschnitt des zukünftigen Flächenwidmungsplanes für diesen Bereich und die nähere Umgebung sehe eine Baufluchtlinie im Abstand von 5 m von der Straßenfluchtlinie vor. Mit dem gegenständlichen Bauvorhaben werde nunmehr der Beginn in einem weiteren Teilbereich gesetzt, wobei auch zu bedenken sei, daß der heute festgelegte Abstand für dieses Gebäude letztendlich auch im Sinne des § 6 Abs. 4 für die weiteren Gebäude gelten müßte. Aufgrund dieser Festlegungen erachte er dieses Bauvorhaben in der eingereichten Form nicht zulässig. Im Detail müßten an der Westecke des Gebäudes, im Bereich des Erkers, Veränderungen vorgenommen werden, da diese Gebäudeteile vor die als notwendig erachteten Mindestabstände von der Verkehrsfläche ragten.

Die mitbeteiligten Parteien traten der Beurteilung des Sachverständigen bei, soweit er zur Beurteilung gelangt war, daß kein Ortsanger vorliege, traten aber seinen Ausführungen hinsichtlich eines Mindestabstandes von der Verkehrsfläche entgegen.

Die beschwerdeführende Gemeinde erklärte, sich prinzipiell den Ausführungen der Sachverständigen anzuschließen, daß bei stark frequentierten Straßen ein Mindestabstand von 5 m erforderlich sei; der Zubau könne jedoch nicht befürwortet werden, weil er als einziger vor die derzeit bestehende Baufluchtlinie vorspringe. Diese Baufluchtlinie bilde den straßenseitigen Abschluß der ehemaligen Bergwerksiedlung und sei aufgrund fast gleicher Höhen, Dachneigung und Fassadengestaltung in diesem Bereich ortsbildprägend. Ein gewaltsames Vorbauen vermittle den Eindruck einer "Warze" und sei damit geeignet, das Orts- und Straßenbild nachhaltig - grob - zu stören.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung Folge, behob den bekämpften Bescheid infolge Verletzung von Rechten der mitbeteiligten Parteien und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Baubehörde zweiter Instanz. Begründend wurde nach Wiedergabe des Verfahrensganges und der Bestimmung des § 6 Abs. 4 TBO ausgeführt, daß eine Baufluchtlinie grundsätzlich nur in einem Bebauungsplan festgelegt werden könne. Der in erster Instanz beigezogene Sachverständige habe diese fingierte Baufluchtlinie als Sehne zur Krümmung der Landesstraße zur Erhaltung des von ihm dargestellten Ortsangers angenommen. Der im Vorstellungsverfahren beigezogene Amtssachverständige habe jedoch in seinem Gutachten ohne Zweifel ausgeführt, daß es sich im vorliegenden Fall um private Vorgartenflächen handle, welche nicht die Kriterien und die Funktion eines Ortsangers hätten. Es erscheine der belangten Behörde daher in diesem Sinne nicht schlüssig und nachvollziehbar, wenn eine Baufluchtlinie mit mindestens 5 m für den besagten Bereich fingiert werde, dies insbesondere deshalb, weil der Sachverständige in seinem Gutachten auch festgestellt habe, daß oftmals viel zu nahe an die Hauptverkehrsfläche herangebaut worden sei. Wie aus dem im Akt befindlichen Katasterplanausschnitt ersichtlich sei, seien auch einige Häuser sehr nahe an die Landesstraße herangebaut worden, sodaß die Einhaltung bzw. Festlegung einer einheitlichen "5 m - Baufluchtlinie" gar nicht möglich erscheine. Folge man jedoch den Ausführungen des Amtssachverständigen, daß ein Ortsanger nicht vorhanden sei, so sei keineswegs begründet nachvollziehbar, warum nur für den fraglichen Bereich eine "5 m - Baufluchtlinie" fingiert werden solle. Diesfalls könnten die Ausführungen lediglich als Empfehlung verstanden werden. Die Frage der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs wäre ohnedies durch ein verkehrstechnisches Gutachten zu klären. Demnach sei infolge Verletzung von Rechten der Vorstellungswerber spruchgemäß zu entscheiden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt. Sowohl die belangte Behörde als auch die Bauwerber haben Gegenschriften erstattet und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 4 der Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. Nr. 33/1989, müssen - soweit kein Bebauungsplan besteht - bauliche Anlagen von den Verkehrsflächen mindestens so weit entfernt sein, daß sie das Orts- und Straßenbild und die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigen. Soweit bestehende Gebäude einen einheitlichen Abstand von den Verkehrsflächen haben, ist auch bei weiteren baulichen Anlagen mindestens dieser Abstand einzuhalten. Im Beschwerdefall ist unstrittig, daß letztere Voraussetzung (einheitlicher Abstand) nicht zutrifft, wie auch, daß kein Bebauungsplan besteht.

Die Baubehörde erster Instanz hat zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes einen Sachverständigen herangezogen und ist, seiner Beurteilung folgend, zum Ergebnis gelangt, daß die geplante bauliche Anlage im Hinblick auf die geplante Entfernung zur Verkehrsfläche das Orts- und Straßenbild beeinträchtigen würde. Die Baubehörde zweiter Instanz hat sich dieser Beurteilung angeschlossen.

Die Bauwerber haben in ihrer Vorstellung der Sache nach geltend gemacht, daß die Schlußfolgerungen des Sachverständigen (auch) deshalb unzutreffend seien, weil er von unzutreffenden Prämissen ausgegangen sei (sie stimmten mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht überein; auch ergebe sich aus den Ausführungen der Sachverständigen nicht, was er unter einem Ortsanger verstehe, ein Begriff, der der Bauordnung fremd sei). Demnach seien die Gemeindebehörden zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung gelangt.

Der Vorstellungsbehörde steht es zu, zur Erfüllung ihrer Aufgabe (den vor ihr angefochtenen Bescheid der Gemeindebehörde auf seine Übereinstimmung mit der Rechtsordnung insoweit zu prüfen, ob er subjektive Rechte der Vorstellungswerber verletzt) durch eigene Ermittlungen den Sachverhalt klarzustellen; eine Bindung der Vorstellungsbehörde an die Sachverhaltsannahme der Gemeindebehörde besteht diesbezüglich nicht (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Dezember 1991, Zl. 89/17/0245). Die belangte Behörde hat daher im vorliegenden Fall zulässigerweise das weitere Gutachten eingeholt.

Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin war die belangte Behörde (allein) deshalb, weil das von ihr eingeholte Gutachten von dem im Gemeindeverfahren eingeholten Gutachten abwich, nicht verhalten, ein weiteres (drittes) Gutachten einzuholen; sie wäre hiezu (oder auch allenfalls zu einer Ergänzung des Gutachtens) nur verpflichtet gewesen, wenn das von ihr eingeholte Gutachten nicht schlüssig und nachvollziehbar wäre, insbesondere dann, wenn es sich mit den Ausführungen des von den Gemeindebehörden beigezogenen Sachverständigen nicht auseinandersetzen würde, was aber nicht der Fall ist.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde nicht ihre Beweiswürdigung an die Stelle jener der Gemeindebehörden gesetzt, sondern - unter Heranziehung eines Amtssachverständigen - die Unschlüssigkeit des auf Gemeindeebene eingeholten Sachverständigengutachtens aufgezeigt: Entsprechend dem Befund des von der belangten Behörde beigezogenen Sachverständigen, der mit den im Akt befindlichen Lichtbildern, aber auch mit dem Lageplan übreinstimmt, läßt sich aus der Situierung der in der näheren Umgebung des strittigen Bauvorhabens befindlichen Bauwerke, insbesondere unter Berücksichtigung der Lage der Häuserfronten zum Straßenverlauf, aber auch der durchaus nicht einheitlichen Abstände von der Verkehrsfläche keine "fiktive Baufluchtlinie" von 5 m schlüssig ableiten, bei deren Nichteinhaltung das Ortsbild beeinträchtig würde. Die belangte Behörde durfte gestützt auf dieses Gutachten ferner mängelfrei davon ausgehen, daß eine solche "fiktive Baufluchtlinie" (richtig: ein Abstand von der Verkehrsfläche im Sinne des § 6 Abs. 4 (TBO) auch nicht aus dem Grund der Erhaltung eines alten "Dorfangers" begründbar ist.

Tragender Grund der Aufhebung war somit (lediglich), daß die Berufungsbehörde zu Unrecht angenommen hatte, der geplante Zubau werde im Hinblick auf seine Entfernung zur Verkehrsfläche das Orts- und Straßenbild beeinträchtigen; weiter reicht die Bindungswirkung des angefochtenen Bescheides nicht. Die Gemeindebehörden sind daher im fortzusetzenden Verfahren nicht gehindert, sich mit der (von der belangten Behörde auch ausdrücklich offengelassenen) Frage auseinanderzusetzen, ob der geplante Zubau im Hinblick auf seine Entfernung zur Verkehrsfläche nicht etwa die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs im Sinne des § 6 Abs. 4 TBO beeinträchtige, wobei auch die Problematik des ruhenden Verkehrs, auf die die Gemeinde hinwies, mitzuberücksichtigen sein wird. Auf diese Aspekte ist demnach im Beschwerdeverfahren nicht weiter einzugehen.

Da die Bauwerber mehrfach darauf verwiesen, daß andere Häuser näher an der Straße stünden, als ihr geplanter Zubau zu stehen käme, sei aus verfahrensökonomischen Gründen darauf verwiesen, daß für die Genehmigung eines Bauansuchens die Übereinstimmung des Projektes, um dessen Bewilligung angesucht wird (und nicht etwa der ausgeführten Bauwerke anderer Bauwerber), mit der Rechtslage maßgeblich ist; demnach ist in dieser Hinsicht aus der Lage anderer Häuser für sich alleine nichts zu gewinnen.

Demnach war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994 im Rahmen des Kostenbegehrens. Das Mehrbegehren der mitbeteiligten Parteien war abzuweisen, weil ein Ersatz der für die überzählige Ausfertigung der Gegenschrift entrichteten Stempelgebühren nicht zuzuerkennen ist.

Schlagworte

Inhalt der Vorstellungsentscheidung Aufgaben und Befugnisse der Vorstellungsbehörde Verhältnis zu anderen Materien und Normen Gemeinderecht Vorstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1992060176.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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